Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

im Ursprunge schon, Alles, was ich sammeln und erbauen
sollte, bloßes Fragment zu bleiben verdammt. -- O mein
Adelbert, was ist es doch um die Bemühungen der Menschen!

Oft habe ich im strengsten Winter der südlichen Halbkugel
vom Cap Horn aus jene zweihundert Schritte, die mich etwa
vom Land van Diemen und Neuholland trennten, selbst unbe-
kümmert um die Rückkehr, und sollte sich dieses schlechte Land
über mich, wie der Deckel meines Sarges, schließen, über
den Polarglätscher westwärts zurück zu legen versucht, habe
über Treibeis mit thörichter Wagniß verzweiflungsvolle
Schritte gethan, der Kälte und dem Meere Trotz geboten.
Umsonst, noch bin ich auf Neuholland nicht gewesen -- ich
kam dann jedesmal auf Lamboc zurück und setzte mich auf
seine äußerste Spitze nieder, und weinte wieder, das Gesicht
gen Süden und Osten gewendet, wie am fest verschlossenen
Gitter meines Kerkers.

Ich riß mich endlich von dieser Stelle, und trat mit trau-
rigem Herzen wieder in das innere Asien, ich durchschweifte
es fürder, die Morgendämmerung nach Westen verfolgend,
und kam noch in der Nacht in die Thebais zu meinem vorbe-
stimmten Hause, das ich in den gestrigen Nachmittagsstunden
berührt hatte.

Sobald ich etwas ausgeruht und es Tag über Europa
war, ließ ich meine erste Sorge sein, Alles anzuschaffen, was
ich bedurfte. -- Zuvörderst Hemmschuhe, denn ich hatte er-
fahren, wie unbequem es sei, seinen Schritt nicht anders ver-
kürzen zu können, um nahe Gegenstände gemächlich zu
untersuchen, als indem man die Stiefel auszieht. Ein Paar
Pantoffeln, übergezogen, hatten völlig die Wirkung, die ich
mir davon versprach, und späterhin trug ich sogar deren
immer zwei Paar bei mir, weil ich öfters welche von den
Füßen warf, ohne Zeit zu haben, sie aufzuheben,

im Urſprunge ſchon, Alles, was ich ſammeln und erbauen
ſollte, bloßes Fragment zu bleiben verdammt. — O mein
Adelbert, was iſt es doch um die Bemühungen der Menſchen!

Oft habe ich im ſtrengſten Winter der ſüdlichen Halbkugel
vom Cap Horn aus jene zweihundert Schritte, die mich etwa
vom Land van Diemen und Neuholland trennten, ſelbſt unbe-
kümmert um die Rückkehr, und ſollte ſich dieſes ſchlechte Land
über mich, wie der Deckel meines Sarges, ſchließen, über
den Polarglätſcher weſtwärts zurück zu legen verſucht, habe
über Treibeis mit thörichter Wagniß verzweiflungsvolle
Schritte gethan, der Kälte und dem Meere Trotz geboten.
Umſonſt, noch bin ich auf Neuholland nicht geweſen — ich
kam dann jedesmal auf Lamboc zurück und ſetzte mich auf
ſeine äußerſte Spitze nieder, und weinte wieder, das Geſicht
gen Süden und Oſten gewendet, wie am feſt verſchloſſenen
Gitter meines Kerkers.

Ich riß mich endlich von dieſer Stelle, und trat mit trau-
rigem Herzen wieder in das innere Aſien, ich durchſchweifte
es fürder, die Morgendämmerung nach Weſten verfolgend,
und kam noch in der Nacht in die Thebais zu meinem vorbe-
ſtimmten Hauſe, das ich in den geſtrigen Nachmittagsſtunden
berührt hatte.

Sobald ich etwas ausgeruht und es Tag über Europa
war, ließ ich meine erſte Sorge ſein, Alles anzuſchaffen, was
ich bedurfte. — Zuvörderſt Hemmſchuhe, denn ich hatte er-
fahren, wie unbequem es ſei, ſeinen Schritt nicht anders ver-
kürzen zu können, um nahe Gegenſtände gemächlich zu
unterſuchen, als indem man die Stiefel auszieht. Ein Paar
Pantoffeln, übergezogen, hatten völlig die Wirkung, die ich
mir davon verſprach, und ſpäterhin trug ich ſogar deren
immer zwei Paar bei mir, weil ich öfters welche von den
Füßen warf, ohne Zeit zu haben, ſie aufzuheben,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0091" n="73"/>
im Ur&#x017F;prunge &#x017F;chon, Alles, was ich &#x017F;ammeln und erbauen<lb/>
&#x017F;ollte, bloßes Fragment zu bleiben verdammt. &#x2014; O mein<lb/><hi rendition="#g">Adelbert</hi>, was i&#x017F;t es doch um die Bemühungen der Men&#x017F;chen!</p><lb/>
        <p>Oft habe ich im &#x017F;treng&#x017F;ten Winter der &#x017F;üdlichen Halbkugel<lb/>
vom Cap Horn aus jene zweihundert Schritte, die mich etwa<lb/>
vom Land van Diemen und Neuholland trennten, &#x017F;elb&#x017F;t unbe-<lb/>
kümmert um die Rückkehr, und &#x017F;ollte &#x017F;ich die&#x017F;es &#x017F;chlechte Land<lb/>
über mich, wie der Deckel meines Sarges, &#x017F;chließen, über<lb/>
den Polarglät&#x017F;cher we&#x017F;twärts zurück zu legen ver&#x017F;ucht, habe<lb/>
über Treibeis mit thörichter Wagniß verzweiflungsvolle<lb/>
Schritte gethan, der Kälte und dem Meere Trotz geboten.<lb/>
Um&#x017F;on&#x017F;t, noch bin ich auf Neuholland nicht gewe&#x017F;en &#x2014; ich<lb/>
kam dann jedesmal auf Lamboc zurück und &#x017F;etzte mich auf<lb/>
&#x017F;eine äußer&#x017F;te Spitze nieder, und weinte wieder, das Ge&#x017F;icht<lb/>
gen Süden und O&#x017F;ten gewendet, wie am fe&#x017F;t ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Gitter meines Kerkers.</p><lb/>
        <p>Ich riß mich endlich von die&#x017F;er Stelle, und trat mit trau-<lb/>
rigem Herzen wieder in das innere A&#x017F;ien, ich durch&#x017F;chweifte<lb/>
es fürder, die Morgendämmerung nach We&#x017F;ten verfolgend,<lb/>
und kam noch in der Nacht in die Thebais zu meinem vorbe-<lb/>
&#x017F;timmten Hau&#x017F;e, das ich in den ge&#x017F;trigen Nachmittags&#x017F;tunden<lb/>
berührt hatte.</p><lb/>
        <p>Sobald ich etwas ausgeruht und es Tag über Europa<lb/>
war, ließ ich meine er&#x017F;te Sorge &#x017F;ein, Alles anzu&#x017F;chaffen, was<lb/>
ich bedurfte. &#x2014; Zuvörder&#x017F;t Hemm&#x017F;chuhe, denn ich hatte er-<lb/>
fahren, wie unbequem es &#x017F;ei, &#x017F;einen Schritt nicht anders ver-<lb/>
kürzen zu können, um nahe Gegen&#x017F;tände gemächlich zu<lb/>
unter&#x017F;uchen, als indem man die Stiefel auszieht. Ein Paar<lb/>
Pantoffeln, übergezogen, hatten völlig die Wirkung, die ich<lb/>
mir davon ver&#x017F;prach, und &#x017F;päterhin trug ich &#x017F;ogar deren<lb/>
immer zwei Paar bei mir, weil ich öfters welche von den<lb/>
Füßen warf, ohne Zeit zu haben, &#x017F;ie aufzuheben,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0091] im Urſprunge ſchon, Alles, was ich ſammeln und erbauen ſollte, bloßes Fragment zu bleiben verdammt. — O mein Adelbert, was iſt es doch um die Bemühungen der Menſchen! Oft habe ich im ſtrengſten Winter der ſüdlichen Halbkugel vom Cap Horn aus jene zweihundert Schritte, die mich etwa vom Land van Diemen und Neuholland trennten, ſelbſt unbe- kümmert um die Rückkehr, und ſollte ſich dieſes ſchlechte Land über mich, wie der Deckel meines Sarges, ſchließen, über den Polarglätſcher weſtwärts zurück zu legen verſucht, habe über Treibeis mit thörichter Wagniß verzweiflungsvolle Schritte gethan, der Kälte und dem Meere Trotz geboten. Umſonſt, noch bin ich auf Neuholland nicht geweſen — ich kam dann jedesmal auf Lamboc zurück und ſetzte mich auf ſeine äußerſte Spitze nieder, und weinte wieder, das Geſicht gen Süden und Oſten gewendet, wie am feſt verſchloſſenen Gitter meines Kerkers. Ich riß mich endlich von dieſer Stelle, und trat mit trau- rigem Herzen wieder in das innere Aſien, ich durchſchweifte es fürder, die Morgendämmerung nach Weſten verfolgend, und kam noch in der Nacht in die Thebais zu meinem vorbe- ſtimmten Hauſe, das ich in den geſtrigen Nachmittagsſtunden berührt hatte. Sobald ich etwas ausgeruht und es Tag über Europa war, ließ ich meine erſte Sorge ſein, Alles anzuſchaffen, was ich bedurfte. — Zuvörderſt Hemmſchuhe, denn ich hatte er- fahren, wie unbequem es ſei, ſeinen Schritt nicht anders ver- kürzen zu können, um nahe Gegenſtände gemächlich zu unterſuchen, als indem man die Stiefel auszieht. Ein Paar Pantoffeln, übergezogen, hatten völlig die Wirkung, die ich mir davon verſprach, und ſpäterhin trug ich ſogar deren immer zwei Paar bei mir, weil ich öfters welche von den Füßen warf, ohne Zeit zu haben, ſie aufzuheben,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/Yw_7531_1
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/Yw_7531_1/91
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/Yw_7531_1/91>, abgerufen am 22.11.2024.