Seidel, Samuel: Schlaf wohl!. 2. Aufl. Lauban, 1733.Warum die Gottesfurcht, die doch zu allem nützt, Nicht Dich, Mein Kind, zugleich für frühem Sterben schützt, Und, da der Wunsch vor Dich wohl Ein und achzig schreibet, Die Ziffer umgekehrt mit Achtzehn stocken bleibet? (d) Ach, denkt die Wehmuth nach: Wie viele leben doch, Zum Nachtheil ihrer selbst, und andern recht zum Joch; Und dennoch leben sie, und suchen mehr zu leben: Könnt uns nicht deren Tod des Deinen überheben? Muß denn Dein Kranken-Pfühl so hart und schmertzlich seyn? Muß Dich der heisse Schmertz mit Blattern überstreun? Da doch die Tugend selbst sonst keine Pocken-Narbe Der Unart an Dir fand? Weicht Krafft, Gestalt und Farbe Der schleichend-reissenden, der plötzlichen Gefahr? Mein Leben, me[i]ne Lust, ach sinkst, ach stirbst Du gar? Verhängniß, schone doch, und gieb Sie mir, mein Glücke, Gieb Sie mir gleich verstellt; nur lebend noch zurücke! Jedoch, Mein Augen-Trost, der Himmel selbst spricht nein! Du warst mir nur gelehnt; Du warst nicht völlig mein. Du warst mir freylich lieb; iedoch dem Höchsten lieber, Drum zieht Dich der zu sich, drum gehst Du hier vorüber, Nachdem Du Dich hierzu bedächtiger geschickt, Als eine Braut sich kaum auf ihre Trauung schmückt; Doch also, daß Du stets für meinem Harm verhöhlet, Wie nah die Stunde sey, die Dich nunmehr entseelet. Jch weiß, Du liebtest mich; iedoch den Himmel mehr, Drum gabst Du dessen Wink; nicht meiner Angst Gehör, Und sprachst vergnügt zu mir: O fasse dich, mein Leben, Vielleicht will GOttes Huld mich dir noch wieder geben. Geh hin, und bethe nur, geh bethe nur für mich. Vielleicht erhört dich GOTT, vielleicht erbarmt er sich, Vielleicht probirt er nur durch dieses Angst-Betrüben, Wie sehr, und ob wir Jhn mehr, als uns selber lieben? Sollt (d) Die Wohlseelige war den 23 May des Jahres 1715 gebohren; und
starb am 18 April im Jahr 1733, daß Sie also das achtzehende Jahr nicht einmahl völlig zurücke geleget. Warum die Gottesfurcht, die doch zu allem nuͤtzt, Nicht Dich, Mein Kind, zugleich fuͤr fruͤhem Sterben ſchuͤtzt, Und, da der Wunſch vor Dich wohl Ein und achzig ſchreibet, Die Ziffer umgekehrt mit Achtzehn ſtocken bleibet? (d) Ach, denkt die Wehmuth nach: Wie viele leben doch, Zum Nachtheil ihrer ſelbſt, und andern recht zum Joch; Und dennoch leben ſie, und ſuchen mehr zu leben: Koͤnnt uns nicht deren Tod des Deinen uͤberheben? Muß denn Dein Kranken-Pfuͤhl ſo hart und ſchmertzlich ſeyn? Muß Dich der heiſſe Schmertz mit Blattern uͤberſtreun? Da doch die Tugend ſelbſt ſonſt keine Pocken-Narbe Der Unart an Dir fand? Weicht Krafft, Geſtalt und Farbe Der ſchleichend-reiſſenden, der ploͤtzlichen Gefahr? Mein Leben, me[i]ne Luſt, ach ſinkſt, ach ſtirbſt Du gar? Verhaͤngniß, ſchone doch, und gieb Sie mir, mein Gluͤcke, Gieb Sie mir gleich verſtellt; nur lebend noch zuruͤcke! Jedoch, Mein Augen-Troſt, der Himmel ſelbſt ſpricht nein! Du warſt mir nur gelehnt; Du warſt nicht voͤllig mein. Du warſt mir freylich lieb; iedoch dem Hoͤchſten lieber, Drum zieht Dich der zu ſich, drum gehſt Du hier voruͤber, Nachdem Du Dich hierzu bedaͤchtiger geſchickt, Als eine Braut ſich kaum auf ihre Trauung ſchmuͤckt; Doch alſo, daß Du ſtets fuͤr meinem Harm verhoͤhlet, Wie nah die Stunde ſey, die Dich nunmehr entſeelet. Jch weiß, Du liebteſt mich; iedoch den Himmel mehr, Drum gabſt Du deſſen Wink; nicht meiner Angſt Gehoͤr, Und ſprachſt vergnuͤgt zu mir: O faſſe dich, mein Leben, Vielleicht will GOttes Huld mich dir noch wieder geben. Geh hin, und bethe nur, geh bethe nur fuͤr mich. Vielleicht erhoͤrt dich GOTT, vielleicht erbarmt er ſich, Vielleicht probirt er nur durch dieſes Angſt-Betruͤben, Wie ſehr, und ob wir Jhn mehr, als uns ſelber lieben? Sollt (d) Die Wohlſeelige war den 23 May des Jahres 1715 gebohren; und
ſtarb am 18 April im Jahr 1733, daß Sie alſo das achtzehende Jahr nicht einmahl voͤllig zuruͤcke geleget. <TEI> <text> <body> <div type="fsEpicedia" n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0014" n="[14]"/> <l>Warum die Gottesfurcht, die doch zu allem nuͤtzt,</l><lb/> <l>Nicht Dich, <hi rendition="#fr">Mein Kind,</hi> zugleich fuͤr fruͤhem Sterben ſchuͤtzt,</l><lb/> <l>Und, da der Wunſch vor Dich wohl <hi rendition="#fr">Ein</hi> und <hi rendition="#fr">achzig</hi> ſchreibet,</l><lb/> <l>Die Ziffer umgekehrt mit <hi rendition="#fr">Achtzehn</hi> ſtocken bleibet? <note place="foot" n="(d)">Die <hi rendition="#fr">Wohlſeelige</hi> war den 23 May des Jahres 1715 gebohren; und<lb/> ſtarb am 18 <hi rendition="#aq">April</hi> im Jahr 1733, daß Sie alſo das achtzehende Jahr<lb/> nicht einmahl voͤllig zuruͤcke geleget.</note></l><lb/> <l>Ach, denkt die Wehmuth nach: Wie viele leben doch,</l><lb/> <l>Zum Nachtheil ihrer ſelbſt, und andern recht zum Joch;</l><lb/> <l>Und dennoch leben ſie, und ſuchen mehr zu leben:</l><lb/> <l>Koͤnnt uns nicht deren Tod des Deinen uͤberheben?</l><lb/> <l>Muß denn Dein Kranken-Pfuͤhl ſo hart und ſchmertzlich ſeyn?</l><lb/> <l>Muß Dich der heiſſe Schmertz mit Blattern uͤberſtreun?</l><lb/> <l>Da doch die Tugend ſelbſt ſonſt keine Pocken-Narbe</l><lb/> <l>Der Unart an Dir fand? Weicht Krafft, Geſtalt und Farbe</l><lb/> <l>Der ſchleichend-reiſſenden, der ploͤtzlichen Gefahr?</l><lb/> <l>Mein Leben, me<supplied>i</supplied>ne Luſt, ach ſinkſt, ach ſtirbſt Du gar?</l><lb/> <l>Verhaͤngniß, ſchone doch, und gieb Sie mir, mein Gluͤcke,</l><lb/> <l>Gieb Sie mir gleich verſtellt; nur lebend noch zuruͤcke!</l> </lg><lb/> <lg type="poem"> <l>Jedoch, <hi rendition="#fr">Mein Augen-Troſt,</hi> der Himmel ſelbſt ſpricht nein!</l><lb/> <l>Du warſt mir nur gelehnt; Du warſt nicht voͤllig mein.</l><lb/> <l>Du warſt mir freylich lieb; iedoch dem Hoͤchſten lieber,</l><lb/> <l>Drum zieht Dich der zu ſich, drum gehſt Du hier voruͤber,</l><lb/> <l>Nachdem Du Dich hierzu bedaͤchtiger geſchickt,</l><lb/> <l>Als eine Braut ſich kaum auf ihre Trauung ſchmuͤckt;</l><lb/> <l>Doch alſo, daß Du ſtets fuͤr meinem Harm verhoͤhlet,</l><lb/> <l>Wie nah die Stunde ſey, die Dich nunmehr entſeelet.</l><lb/> <l>Jch weiß, Du liebteſt mich; iedoch den Himmel mehr,</l><lb/> <l>Drum gabſt Du deſſen Wink; nicht meiner Angſt Gehoͤr,</l><lb/> <l>Und ſprachſt vergnuͤgt zu mir: O faſſe dich, mein Leben,</l><lb/> <l>Vielleicht will GOttes Huld mich dir noch wieder geben.</l><lb/> <l>Geh hin, und bethe nur, geh bethe nur fuͤr mich.</l><lb/> <l>Vielleicht erhoͤrt dich GOTT, vielleicht erbarmt er ſich,</l><lb/> <l>Vielleicht probirt er nur durch dieſes Angſt-Betruͤben,</l><lb/> <l>Wie ſehr, und ob wir Jhn mehr, als uns ſelber lieben?</l><lb/> <fw type="catch" place="bottom">Sollt</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [[14]/0014]
Warum die Gottesfurcht, die doch zu allem nuͤtzt,
Nicht Dich, Mein Kind, zugleich fuͤr fruͤhem Sterben ſchuͤtzt,
Und, da der Wunſch vor Dich wohl Ein und achzig ſchreibet,
Die Ziffer umgekehrt mit Achtzehn ſtocken bleibet? (d)
Ach, denkt die Wehmuth nach: Wie viele leben doch,
Zum Nachtheil ihrer ſelbſt, und andern recht zum Joch;
Und dennoch leben ſie, und ſuchen mehr zu leben:
Koͤnnt uns nicht deren Tod des Deinen uͤberheben?
Muß denn Dein Kranken-Pfuͤhl ſo hart und ſchmertzlich ſeyn?
Muß Dich der heiſſe Schmertz mit Blattern uͤberſtreun?
Da doch die Tugend ſelbſt ſonſt keine Pocken-Narbe
Der Unart an Dir fand? Weicht Krafft, Geſtalt und Farbe
Der ſchleichend-reiſſenden, der ploͤtzlichen Gefahr?
Mein Leben, meine Luſt, ach ſinkſt, ach ſtirbſt Du gar?
Verhaͤngniß, ſchone doch, und gieb Sie mir, mein Gluͤcke,
Gieb Sie mir gleich verſtellt; nur lebend noch zuruͤcke!
Jedoch, Mein Augen-Troſt, der Himmel ſelbſt ſpricht nein!
Du warſt mir nur gelehnt; Du warſt nicht voͤllig mein.
Du warſt mir freylich lieb; iedoch dem Hoͤchſten lieber,
Drum zieht Dich der zu ſich, drum gehſt Du hier voruͤber,
Nachdem Du Dich hierzu bedaͤchtiger geſchickt,
Als eine Braut ſich kaum auf ihre Trauung ſchmuͤckt;
Doch alſo, daß Du ſtets fuͤr meinem Harm verhoͤhlet,
Wie nah die Stunde ſey, die Dich nunmehr entſeelet.
Jch weiß, Du liebteſt mich; iedoch den Himmel mehr,
Drum gabſt Du deſſen Wink; nicht meiner Angſt Gehoͤr,
Und ſprachſt vergnuͤgt zu mir: O faſſe dich, mein Leben,
Vielleicht will GOttes Huld mich dir noch wieder geben.
Geh hin, und bethe nur, geh bethe nur fuͤr mich.
Vielleicht erhoͤrt dich GOTT, vielleicht erbarmt er ſich,
Vielleicht probirt er nur durch dieſes Angſt-Betruͤben,
Wie ſehr, und ob wir Jhn mehr, als uns ſelber lieben?
Sollt
(d) Die Wohlſeelige war den 23 May des Jahres 1715 gebohren; und
ſtarb am 18 April im Jahr 1733, daß Sie alſo das achtzehende Jahr
nicht einmahl voͤllig zuruͤcke geleget.
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