Hayn, Johann: Liebliches Seelen-Gespräch. Lissa, 1649.Parentatio. unerzogenes Kind klaget und beweinet Jhre hertzliebsteFraw Mutter/ Jhren/ nechst GOtt/ allerbesten Ver- sorger und Pfleger/ und spricht: Jch habe nu keine Mut- ter/ Jch armes Wäyßlein. Jhre numehr betagte und erlebte Fraw Mutter beklaget Jhr Kind mit vielen Thrä- nen/ und folget Jhr wehmüttig/ mit verhülletem Hau- pte zu Jhrem Ruhbettlin/ ach schwermüttig/ Nach/ seuff- tzet: O mein Kind/ mein Kind/ ach daß Jch für dich gestorben wäre. Der Herr Pflege-Vater beweinet sei- ne liebe Pflege-Tochter hertzlich unnd bitterlich; Die gantze Freundschafft beklaget Sie/ die gantze Stadt be- weinet Sie/ und sagen: Jedermann weiß/ daß du ein tugendsam Weib gewesen. Darumb/ menschlich zu reden/ zu zeitlich/ zu zeitlich ner
Parentatio. unerzogenes Kind klaget und beweinet Jhre hertzliebſteFraw Mutter/ Jhren/ nechſt GOtt/ allerbeſten Ver- ſorger und Pfleger/ und ſpricht: Jch habe nu keine Mut- ter/ Jch armes Waͤyßlein. Jhre numehr betagte und erlebte Fraw Mutter beklaget Jhr Kind mit vielen Thraͤ- nen/ und folget Jhr wehmuͤttig/ mit verhuͤlletem Hau- pte zu Jhrem Ruhbettlin/ ach ſchwermuͤttig/ Nach/ ſeuff- tzet: O mein Kind/ mein Kind/ ach daß Jch fuͤr dich geſtorben waͤre. Der Herr Pflege-Vater beweinet ſei- ne liebe Pflege-Tochter hertzlich unnd bitterlich; Die gantze Freundſchafft beklaget Sie/ die gantze Stadt be- weinet Sie/ und ſagen: Jedermann weiß/ daß du ein tugendſam Weib geweſen. Darumb/ menſchlich zu reden/ zu zeitlich/ zu zeitlich ner
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Parentatio.
unerzogenes Kind klaget und beweinet Jhre hertzliebſte
Fraw Mutter/ Jhren/ nechſt GOtt/ allerbeſten Ver-
ſorger und Pfleger/ und ſpricht: Jch habe nu keine Mut-
ter/ Jch armes Waͤyßlein. Jhre numehr betagte und
erlebte Fraw Mutter beklaget Jhr Kind mit vielen Thraͤ-
nen/ und folget Jhr wehmuͤttig/ mit verhuͤlletem Hau-
pte zu Jhrem Ruhbettlin/ ach ſchwermuͤttig/ Nach/ ſeuff-
tzet: O mein Kind/ mein Kind/ ach daß Jch fuͤr dich
geſtorben waͤre. Der Herr Pflege-Vater beweinet ſei-
ne liebe Pflege-Tochter hertzlich unnd bitterlich; Die
gantze Freundſchafft beklaget Sie/ die gantze Stadt be-
weinet Sie/ und ſagen: Jedermann weiß/ daß du ein
tugendſam Weib geweſen.
Darumb/ menſchlich zu reden/ zu zeitlich/ zu zeitlich
vor menſchlichen Augen verlohren der nu Hochbetruͤbte
Herr Witwer den Stab ſeines Alters/ die Zierde ſeines
Hauſes/ die Pflegung und Wartung ſeines Leibes:
Das liebe Kind ſeinen beſten Verſorger; Die betagte
Mutter jhren beſten Troſt; Der Pflegevater ſeine Freu-
de; Die gantze Freundſchafft eine trewe Freundin; Die
Kirche eine fleiſſige Kirchgaͤngerin/ und Gottliebende
Zuhoͤrerin; Die Nachbarſchafft eine vertraͤgliche Nach-
barin; Die Armen eine miltreiche Geberin; Alle Men-
ſchen eine mit Rath und That wilfaͤhrige Chriſtin; Jch
an meinem Ort ſelbſt eine liebe vertraute Freundin/ und
hertzgeliebte Gevatterin/ daß es alſo freylich keiner ge-
dingten Præficarum oder Klage Weiber/ von denen der
Poet ſagt: Ut flerent oculos erudiere ſuos. Kei-
ner
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