Ich hatte mich schon wirklich durch den Ro- senhain, den Hügel hinab, glücklich geschlichen, und befand mich auf einem freien Rasenplatz, als ich aus Furcht, außer den Wegen durch's Gras gehend angetroffen zu werden, einen forschenden Blick um mich warf. -- Wie erschrack ich, als ich den Mann im grauen Rock hinter mir her und auf mich zukommen sah. Er nahm sogleich den Hut vor mir ab, und verneigte sich so tief, als noch Niemand vor mir gethan hatte. Es war kein Zweifel, er wollte mich anreden, und ich konnte, ohne grob zu sein, es nicht vermeiden. Ich nahm den Hut auch ab, verneigte mich wie- der, und stand da in der Sonne mit bloßem Haupt wie angewurzelt. Ich sah' ihn voller Furcht stier an, und war wie ein Vogel, den eine Schlange gebannt hat. Er selber schien sehr verlegen zu sein; er hob den Blick nicht auf, ver- beugte sich zu verschiedenen Malen, trat näher, und redete mich an mit leiser, unsicherer Stimme, ungefähr im Tone eines Bettelnden.
"Möge der Herr meine Zudringlichkeit ent- schuldigen, wenn ich es wage, ihn so unbe-
Ich hatte mich ſchon wirklich durch den Ro- ſenhain, den Hügel hinab, glücklich geſchlichen, und befand mich auf einem freien Raſenplatz, als ich aus Furcht, außer den Wegen durch’s Gras gehend angetroffen zu werden, einen forſchenden Blick um mich warf. — Wie erſchrack ich, als ich den Mann im grauen Rock hinter mir her und auf mich zukommen ſah. Er nahm ſogleich den Hut vor mir ab, und verneigte ſich ſo tief, als noch Niemand vor mir gethan hatte. Es war kein Zweifel, er wollte mich anreden, und ich konnte, ohne grob zu ſein, es nicht vermeiden. Ich nahm den Hut auch ab, verneigte mich wie- der, und ſtand da in der Sonne mit bloßem Haupt wie angewurzelt. Ich ſah’ ihn voller Furcht ſtier an, und war wie ein Vogel, den eine Schlange gebannt hat. Er ſelber ſchien ſehr verlegen zu ſein; er hob den Blick nicht auf, ver- beugte ſich zu verſchiedenen Malen, trat näher, und redete mich an mit leiſer, unſicherer Stimme, ungefähr im Tone eines Bettelnden.
“Möge der Herr meine Zudringlichkeit ent- ſchuldigen, wenn ich es wage, ihn ſo unbe-
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Ich hatte mich ſchon wirklich durch den Ro-
ſenhain, den Hügel hinab, glücklich geſchlichen,
und befand mich auf einem freien Raſenplatz, als
ich aus Furcht, außer den Wegen durch’s Gras
gehend angetroffen zu werden, einen forſchenden
Blick um mich warf. — Wie erſchrack ich, als
ich den Mann im grauen Rock hinter mir her und
auf mich zukommen ſah. Er nahm ſogleich den
Hut vor mir ab, und verneigte ſich ſo tief, als
noch Niemand vor mir gethan hatte. Es war
kein Zweifel, er wollte mich anreden, und ich
konnte, ohne grob zu ſein, es nicht vermeiden.
Ich nahm den Hut auch ab, verneigte mich wie-
der, und ſtand da in der Sonne mit bloßem
Haupt wie angewurzelt. Ich ſah’ ihn voller
Furcht ſtier an, und war wie ein Vogel, den
eine Schlange gebannt hat. Er ſelber ſchien ſehr
verlegen zu ſein; er hob den Blick nicht auf, ver-
beugte ſich zu verſchiedenen Malen, trat näher,
und redete mich an mit leiſer, unſicherer Stimme,
ungefähr im Tone eines Bettelnden.
“Möge der Herr meine Zudringlichkeit ent-
ſchuldigen, wenn ich es wage, ihn ſo unbe-
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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1827, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2754/32>, abgerufen am 16.02.2025.
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