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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.

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mich gefesselt, sie wußte in ihrer Demuth nicht, womit
sie werth gewesen, daß ich nur nach ihr geblickt; und sie
vergalt Liebe um Liebe mit der vollen jugendlichen Kraft
eines unschuldigen Herzens. Sie liebte wie ein Weib,
ganz hin sich opfernd; selbstvergessen, hingegeben den nur
meinend, der ihr Leben war, unbekümmert, solle sie selbst
zu Grunde gehen, das heißt, sie liebte wirklich. --

Ich aber -- o welche schreckliche Stunden -- schrecklich!
und würdig dennoch, daß ich sie zurückwünsche -- hab' ich
oft an Bendel's Brust verweint, als nach dem ersten be-
wußtlosen Rausch ich mich besonnen, mich selbst scharf an-
geschaut, der ich, ohne Schatten, mit tückischer Selbstsucht
diesen Engel verderbend, die reine Seele an mich gelogen
und gestohlen! Dann beschloß ich, mich ihr selber zu ver-
rathen; dann gelobt' ich mit theuren Eidschwüren, mich
von ihr zu reißen und zu entfliehen; dann brach ich wieder
in Thränen aus und verabredete mit Bendel'n, wie
ich sie auf den Abend im Förstergarten besuchen wolle. --

Zu andern Zeiten log ich mir selber vom nahe bevor-
stehenden Besuch des grauen Unbekannten große Hoffnungen
vor, und weinte wieder, wenn ich daran zu glauben verge-
bens versucht hatte. Ich hatte den Tag ausgerechnet, wo ich
den Furchtbaren wieder zu sehen erwartete; denn er hatte
gesagt, in Jahr und Tag, und ich glaubte an sein Wort.

Die Eltern waren gute, ehrbare, alte Leute, die ihr
einziges Kind sehr liebten, das ganze Verhältniß überraschte
sie, als es schon bestand, und sie wußten nicht, was sie
dabei thun sollten. Sie hatten früher nicht geträumt,

mich gefeſſelt, ſie wußte in ihrer Demuth nicht, womit
ſie werth geweſen, daß ich nur nach ihr geblickt; und ſie
vergalt Liebe um Liebe mit der vollen jugendlichen Kraft
eines unſchuldigen Herzens. Sie liebte wie ein Weib,
ganz hin ſich opfernd; ſelbſtvergeſſen, hingegeben den nur
meinend, der ihr Leben war, unbekuͤmmert, ſolle ſie ſelbſt
zu Grunde gehen, das heißt, ſie liebte wirklich. —

Ich aber — o welche ſchreckliche Stunden — ſchrecklich!
und wuͤrdig dennoch, daß ich ſie zuruͤckwuͤnſche — hab’ ich
oft an Bendel’s Bruſt verweint, als nach dem erſten be-
wußtloſen Rauſch ich mich beſonnen, mich ſelbſt ſcharf an-
geſchaut, der ich, ohne Schatten, mit tuͤckiſcher Selbſtſucht
dieſen Engel verderbend, die reine Seele an mich gelogen
und geſtohlen! Dann beſchloß ich, mich ihr ſelber zu ver-
rathen; dann gelobt’ ich mit theuren Eidſchwuͤren, mich
von ihr zu reißen und zu entfliehen; dann brach ich wieder
in Thraͤnen aus und verabredete mit Bendel’n, wie
ich ſie auf den Abend im Foͤrſtergarten beſuchen wolle. —

Zu andern Zeiten log ich mir ſelber vom nahe bevor-
ſtehenden Beſuch des grauen Unbekannten große Hoffnungen
vor, und weinte wieder, wenn ich daran zu glauben verge-
bens verſucht hatte. Ich hatte den Tag ausgerechnet, wo ich
den Furchtbaren wieder zu ſehen erwartete; denn er hatte
geſagt, in Jahr und Tag, und ich glaubte an ſein Wort.

Die Eltern waren gute, ehrbare, alte Leute, die ihr
einziges Kind ſehr liebten, das ganze Verhaͤltniß uͤberraſchte
ſie, als es ſchon beſtand, und ſie wußten nicht, was ſie
dabei thun ſollten. Sie hatten fruͤher nicht getraͤumt,

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[270/0056] mich gefeſſelt, ſie wußte in ihrer Demuth nicht, womit ſie werth geweſen, daß ich nur nach ihr geblickt; und ſie vergalt Liebe um Liebe mit der vollen jugendlichen Kraft eines unſchuldigen Herzens. Sie liebte wie ein Weib, ganz hin ſich opfernd; ſelbſtvergeſſen, hingegeben den nur meinend, der ihr Leben war, unbekuͤmmert, ſolle ſie ſelbſt zu Grunde gehen, das heißt, ſie liebte wirklich. — Ich aber — o welche ſchreckliche Stunden — ſchrecklich! und wuͤrdig dennoch, daß ich ſie zuruͤckwuͤnſche — hab’ ich oft an Bendel’s Bruſt verweint, als nach dem erſten be- wußtloſen Rauſch ich mich beſonnen, mich ſelbſt ſcharf an- geſchaut, der ich, ohne Schatten, mit tuͤckiſcher Selbſtſucht dieſen Engel verderbend, die reine Seele an mich gelogen und geſtohlen! Dann beſchloß ich, mich ihr ſelber zu ver- rathen; dann gelobt’ ich mit theuren Eidſchwuͤren, mich von ihr zu reißen und zu entfliehen; dann brach ich wieder in Thraͤnen aus und verabredete mit Bendel’n, wie ich ſie auf den Abend im Foͤrſtergarten beſuchen wolle. — Zu andern Zeiten log ich mir ſelber vom nahe bevor- ſtehenden Beſuch des grauen Unbekannten große Hoffnungen vor, und weinte wieder, wenn ich daran zu glauben verge- bens verſucht hatte. Ich hatte den Tag ausgerechnet, wo ich den Furchtbaren wieder zu ſehen erwartete; denn er hatte geſagt, in Jahr und Tag, und ich glaubte an ſein Wort. Die Eltern waren gute, ehrbare, alte Leute, die ihr einziges Kind ſehr liebten, das ganze Verhaͤltniß uͤberraſchte ſie, als es ſchon beſtand, und ſie wußten nicht, was ſie dabei thun ſollten. Sie hatten fruͤher nicht getraͤumt,

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/56>, abgerufen am 24.11.2024.