Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.in eben der Stunde, wo die Knaben aus der Schule gin- Sobald ich mich in der rollenden Kutsche allein fand, Ich war noch sehr verstört, als der Wagen vor meinem in eben der Stunde, wo die Knaben aus der Schule gin- Sobald ich mich in der rollenden Kutſche allein fand, Ich war noch ſehr verſtoͤrt, als der Wagen vor meinem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0032" n="248"/> in eben der Stunde, wo die Knaben aus der Schule gin-<lb/> gen. Ein verdammter buckeliger Schlingel, ich ſeh’ ihn noch,<lb/> hatte es gleich weg, daß mir ein Schatten fehle. Er ver-<lb/> rieth mich mit großem Geſchrei der ſaͤmmtlichen literariſchen<lb/> Straßenjugend der Vorſtadt, welche ſofort mich zu rezenſiren<lb/> und mit Koth zu bewerfen anfing: 〟Ordentliche Leute<lb/> pflegten ihren Schatten mit ſich zu nehmen, wenn ſie<lb/> in die Sonne gingen.〞 Um ſie von mir abzuwehren,<lb/> warf ich Gold zu vollen Haͤnden unter ſie, und ſprang<lb/> in einen Miethswagen, zu dem mir mitleidige Seelen<lb/> verhalfen.</p><lb/> <p>Sobald ich mich in der rollenden Kutſche allein fand,<lb/> fing ich bitterlich an zu weinen. Es mußte ſchon die<lb/> Ahnung in mir aufſteigen: daß, um ſo viel das Gold<lb/> auf Erden Verdienſt und Tugend uͤberwiegt, um ſo viel<lb/> der Schatten hoͤher als ſelbſt das Gold geſchaͤtzt werde;<lb/> und wie ich fruͤher den Reichthum meinem Gewiſſen auf-<lb/> geopfert, hatte ich jetzt den Schatten fuͤr bloßes Gold<lb/> hingegeben; was konnte, was ſollte auf Erden aus mir<lb/> werden!</p><lb/> <p>Ich war noch ſehr verſtoͤrt, als der Wagen vor meinem<lb/> alten Wirthshauſe hielt; ich erſchrak uͤber die Vorſtellung,<lb/> nur noch jenes ſchlechte Dachzimmer zu betreten. Ich ließ<lb/> mir meine Sachen herabholen, empfing den aͤrmlichen<lb/> Buͤndel mit Verachtung, warf einige Goldſtuͤcke hin, und<lb/> befahl, vor das vornehmſte Hotel vorzufahren. Das Haus<lb/> war gegen Norden gelegen, ich hatte die Sonne nicht zu<lb/> fuͤrchten. Ich ſchickte den Kutſcher mit Gold weg, ließ mir<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [248/0032]
in eben der Stunde, wo die Knaben aus der Schule gin-
gen. Ein verdammter buckeliger Schlingel, ich ſeh’ ihn noch,
hatte es gleich weg, daß mir ein Schatten fehle. Er ver-
rieth mich mit großem Geſchrei der ſaͤmmtlichen literariſchen
Straßenjugend der Vorſtadt, welche ſofort mich zu rezenſiren
und mit Koth zu bewerfen anfing: 〟Ordentliche Leute
pflegten ihren Schatten mit ſich zu nehmen, wenn ſie
in die Sonne gingen.〞 Um ſie von mir abzuwehren,
warf ich Gold zu vollen Haͤnden unter ſie, und ſprang
in einen Miethswagen, zu dem mir mitleidige Seelen
verhalfen.
Sobald ich mich in der rollenden Kutſche allein fand,
fing ich bitterlich an zu weinen. Es mußte ſchon die
Ahnung in mir aufſteigen: daß, um ſo viel das Gold
auf Erden Verdienſt und Tugend uͤberwiegt, um ſo viel
der Schatten hoͤher als ſelbſt das Gold geſchaͤtzt werde;
und wie ich fruͤher den Reichthum meinem Gewiſſen auf-
geopfert, hatte ich jetzt den Schatten fuͤr bloßes Gold
hingegeben; was konnte, was ſollte auf Erden aus mir
werden!
Ich war noch ſehr verſtoͤrt, als der Wagen vor meinem
alten Wirthshauſe hielt; ich erſchrak uͤber die Vorſtellung,
nur noch jenes ſchlechte Dachzimmer zu betreten. Ich ließ
mir meine Sachen herabholen, empfing den aͤrmlichen
Buͤndel mit Verachtung, warf einige Goldſtuͤcke hin, und
befahl, vor das vornehmſte Hotel vorzufahren. Das Haus
war gegen Norden gelegen, ich hatte die Sonne nicht zu
fuͤrchten. Ich ſchickte den Kutſcher mit Gold weg, ließ mir
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |