Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.kaum, wo ich den Fuß hinsetzte, denn ich dachte an das Chamisso's Schriften. IV. 14
kaum, wo ich den Fuß hinſetzte, denn ich dachte an das Chamiſſo’s Schriften. IV. 14
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0103" n="313"/> kaum, wo ich den Fuß hinſetzte, denn ich dachte an das<lb/> Bergwerk, wo ich auf den Abend noch anzulangen hoffte,<lb/> und wo ich nicht recht wußte, wie ich mich ankuͤndigen<lb/> ſollte. Ich war noch keine zweihundert Schritte gegangen,<lb/> als ich bemerkte, daß ich aus dem Wege gekommen war;<lb/> ich ſah mich danach um, ich befand mich in einem wuͤſten,<lb/> uralten Tannenwalde, woran die Axt nie gelegt worden<lb/> zu ſein ſchien. Ich drang noch einige Schritte vor, ich<lb/> ſah mich mitten unter oͤden Felſen, die nur mit Moos<lb/> und Steinbrucharten bewachſen waren, und zwiſchen welchen<lb/> Schnee- und Eisfelder lagen. Die Luft war ſehr kalt, ich<lb/> ſah mich um, der Wald war hinter mir verſchwunden.<lb/> Ich machte noch einige Schritte — um mich herrſchte die<lb/> Stille des Todes, unabſehbar dehnte ſich das Eis, worauf<lb/> ich ſtand, und worauf ein dichter Nebel ſchwer ruhte; die<lb/> Sonne ſtand blutig am Rande des Horizontes. Die Kaͤlte<lb/> war unertraͤglich. Ich wußte nicht, wie mir geſchehen<lb/> war, der erſtarrende Froſt zwang mich, meine Schritte zu<lb/> beſchleunigen, ich vernahm nur das Gebrauſe ferner Ge-<lb/> waͤſſer, ein Schritt, und ich war am Eisufer eines Oceans.<lb/> Unzaͤhlbare Heerden von Seehunden ſtuͤrzten ſich vor mir<lb/> rauſchend in die Fluth. Ich folgte dieſem Ufer, ich ſah<lb/> wieder nackte Felſen, Land, Birken- und Tannenwaͤlder,<lb/> ich lief noch ein paar Minuten gerade vor mir hin. Es<lb/> war erſtickend heiß, ich ſah mich um, ich ſtand zwiſchen<lb/> ſchoͤn gebauten Reisfeldern unter Maulbeerbaͤumen. Ich<lb/> ſetzte mich in deren Schatten, ich ſah nach meiner Uhr,<lb/> ich hatte vor nicht einer Viertelſtunde den Marktflecken<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Chamiſſo’s Schriften. <hi rendition="#aq">IV.</hi> 14</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [313/0103]
kaum, wo ich den Fuß hinſetzte, denn ich dachte an das
Bergwerk, wo ich auf den Abend noch anzulangen hoffte,
und wo ich nicht recht wußte, wie ich mich ankuͤndigen
ſollte. Ich war noch keine zweihundert Schritte gegangen,
als ich bemerkte, daß ich aus dem Wege gekommen war;
ich ſah mich danach um, ich befand mich in einem wuͤſten,
uralten Tannenwalde, woran die Axt nie gelegt worden
zu ſein ſchien. Ich drang noch einige Schritte vor, ich
ſah mich mitten unter oͤden Felſen, die nur mit Moos
und Steinbrucharten bewachſen waren, und zwiſchen welchen
Schnee- und Eisfelder lagen. Die Luft war ſehr kalt, ich
ſah mich um, der Wald war hinter mir verſchwunden.
Ich machte noch einige Schritte — um mich herrſchte die
Stille des Todes, unabſehbar dehnte ſich das Eis, worauf
ich ſtand, und worauf ein dichter Nebel ſchwer ruhte; die
Sonne ſtand blutig am Rande des Horizontes. Die Kaͤlte
war unertraͤglich. Ich wußte nicht, wie mir geſchehen
war, der erſtarrende Froſt zwang mich, meine Schritte zu
beſchleunigen, ich vernahm nur das Gebrauſe ferner Ge-
waͤſſer, ein Schritt, und ich war am Eisufer eines Oceans.
Unzaͤhlbare Heerden von Seehunden ſtuͤrzten ſich vor mir
rauſchend in die Fluth. Ich folgte dieſem Ufer, ich ſah
wieder nackte Felſen, Land, Birken- und Tannenwaͤlder,
ich lief noch ein paar Minuten gerade vor mir hin. Es
war erſtickend heiß, ich ſah mich um, ich ſtand zwiſchen
ſchoͤn gebauten Reisfeldern unter Maulbeerbaͤumen. Ich
ſetzte mich in deren Schatten, ich ſah nach meiner Uhr,
ich hatte vor nicht einer Viertelſtunde den Marktflecken
Chamiſſo’s Schriften. IV. 14
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |