Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.

Bild:
<< vorherige Seite

im dunkelsten Walde, und mußte manchmal, um über
einen Strich, wo die Sonne schien, zu kommen, stunden-
lang darauf warten, daß mir keines Menschen Auge den
Durchgang verbot. Am Abend suchte ich Herberge in den
Dörfern zu nehmen. Ich ging eigentlich nach einem
Bergwerk im Gebirge, wo ich Arbeit unter der Erde zu
finden gedachte; denn, davon abgesehen, daß meine jetzige
Lage mir gebot, für meinen Lebensunterhalt selbst zu sor-
gen, hatte ich dieses wohl erkannt, daß mich allein ange-
strengte Arbeit gegen meine zerstörenden Gedanken schützen
könnte.

Ein paar regnichte Tage förderten mich leicht auf dem
Weg, aber auf Kosten meiner Stiefel, deren Sohlen für
den Grafen Peter, und nicht für den Fußknecht berech-
net worden. Ich ging schon auf den bloßen Füßen. Ich
mußte ein Paar neue Stiefel anschaffen. Am nächsten
Morgen besorgte ich dieses Geschäft mit vielem Ernst in
einem Flecken, wo Kirmeß war, und wo in einer Bude
alte und neue Stiefel zu Kauf standen. Ich wählte und
handelte lange. Ich mußte auf ein Paar neue, die ich
gern gehabt hätte, Verzicht leisten; mich schreckte die un-
billige Forderung. Ich begnügte mich also mit alten, die
noch gut und stark waren, und die mir der schöne blond-
lockige Knabe, der die Bude hielt, gegen gleich baare Be-
zahlung, freundlich lächelnd einhändigte, indem er mir
Glück auf den Weg wünschte. Ich zog sie gleich an und
ging zum nördlich gelegenen Thor aus dem Ort.

Ich war in meinen Gedanken sehr vertieft, und sah

im dunkelſten Walde, und mußte manchmal, um uͤber
einen Strich, wo die Sonne ſchien, zu kommen, ſtunden-
lang darauf warten, daß mir keines Menſchen Auge den
Durchgang verbot. Am Abend ſuchte ich Herberge in den
Doͤrfern zu nehmen. Ich ging eigentlich nach einem
Bergwerk im Gebirge, wo ich Arbeit unter der Erde zu
finden gedachte; denn, davon abgeſehen, daß meine jetzige
Lage mir gebot, fuͤr meinen Lebensunterhalt ſelbſt zu ſor-
gen, hatte ich dieſes wohl erkannt, daß mich allein ange-
ſtrengte Arbeit gegen meine zerſtoͤrenden Gedanken ſchuͤtzen
koͤnnte.

Ein paar regnichte Tage foͤrderten mich leicht auf dem
Weg, aber auf Koſten meiner Stiefel, deren Sohlen fuͤr
den Grafen Peter, und nicht fuͤr den Fußknecht berech-
net worden. Ich ging ſchon auf den bloßen Fuͤßen. Ich
mußte ein Paar neue Stiefel anſchaffen. Am naͤchſten
Morgen beſorgte ich dieſes Geſchaͤft mit vielem Ernſt in
einem Flecken, wo Kirmeß war, und wo in einer Bude
alte und neue Stiefel zu Kauf ſtanden. Ich waͤhlte und
handelte lange. Ich mußte auf ein Paar neue, die ich
gern gehabt haͤtte, Verzicht leiſten; mich ſchreckte die un-
billige Forderung. Ich begnuͤgte mich alſo mit alten, die
noch gut und ſtark waren, und die mir der ſchoͤne blond-
lockige Knabe, der die Bude hielt, gegen gleich baare Be-
zahlung, freundlich laͤchelnd einhaͤndigte, indem er mir
Gluͤck auf den Weg wuͤnſchte. Ich zog ſie gleich an und
ging zum noͤrdlich gelegenen Thor aus dem Ort.

Ich war in meinen Gedanken ſehr vertieft, und ſah

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0100" n="312"/>
im dunkel&#x017F;ten Walde, und mußte manchmal, um u&#x0364;ber<lb/>
einen Strich, wo die Sonne &#x017F;chien, zu kommen, &#x017F;tunden-<lb/>
lang darauf warten, daß mir keines Men&#x017F;chen Auge den<lb/>
Durchgang verbot. Am Abend &#x017F;uchte ich Herberge in den<lb/>
Do&#x0364;rfern zu nehmen. Ich ging eigentlich nach einem<lb/>
Bergwerk im Gebirge, wo ich Arbeit unter der Erde zu<lb/>
finden gedachte; denn, davon abge&#x017F;ehen, daß meine jetzige<lb/>
Lage mir gebot, fu&#x0364;r meinen Lebensunterhalt &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;or-<lb/>
gen, hatte ich die&#x017F;es wohl erkannt, daß mich allein ange-<lb/>
&#x017F;trengte Arbeit gegen meine zer&#x017F;to&#x0364;renden Gedanken &#x017F;chu&#x0364;tzen<lb/>
ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
          <p>Ein paar regnichte Tage fo&#x0364;rderten mich leicht auf dem<lb/>
Weg, aber auf Ko&#x017F;ten meiner Stiefel, deren Sohlen fu&#x0364;r<lb/>
den <hi rendition="#g">Grafen Peter</hi>, und nicht fu&#x0364;r den Fußknecht berech-<lb/>
net worden. Ich ging &#x017F;chon auf den bloßen Fu&#x0364;ßen. Ich<lb/>
mußte ein Paar neue Stiefel an&#x017F;chaffen. Am na&#x0364;ch&#x017F;ten<lb/>
Morgen be&#x017F;orgte ich die&#x017F;es Ge&#x017F;cha&#x0364;ft mit vielem Ern&#x017F;t in<lb/>
einem Flecken, wo Kirmeß war, und wo in einer Bude<lb/>
alte und neue Stiefel zu Kauf &#x017F;tanden. Ich wa&#x0364;hlte und<lb/>
handelte lange. Ich mußte auf ein Paar neue, die ich<lb/>
gern gehabt ha&#x0364;tte, Verzicht lei&#x017F;ten; mich &#x017F;chreckte die un-<lb/>
billige Forderung. Ich begnu&#x0364;gte mich al&#x017F;o mit alten, die<lb/>
noch gut und &#x017F;tark waren, und die mir der &#x017F;cho&#x0364;ne blond-<lb/>
lockige Knabe, der die Bude hielt, gegen gleich baare Be-<lb/>
zahlung, freundlich la&#x0364;chelnd einha&#x0364;ndigte, indem er mir<lb/>
Glu&#x0364;ck auf den Weg wu&#x0364;n&#x017F;chte. Ich zog &#x017F;ie gleich an und<lb/>
ging zum no&#x0364;rdlich gelegenen Thor aus dem Ort.</p><lb/>
          <p>Ich war in meinen Gedanken &#x017F;ehr vertieft, und &#x017F;ah<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[312/0100] im dunkelſten Walde, und mußte manchmal, um uͤber einen Strich, wo die Sonne ſchien, zu kommen, ſtunden- lang darauf warten, daß mir keines Menſchen Auge den Durchgang verbot. Am Abend ſuchte ich Herberge in den Doͤrfern zu nehmen. Ich ging eigentlich nach einem Bergwerk im Gebirge, wo ich Arbeit unter der Erde zu finden gedachte; denn, davon abgeſehen, daß meine jetzige Lage mir gebot, fuͤr meinen Lebensunterhalt ſelbſt zu ſor- gen, hatte ich dieſes wohl erkannt, daß mich allein ange- ſtrengte Arbeit gegen meine zerſtoͤrenden Gedanken ſchuͤtzen koͤnnte. Ein paar regnichte Tage foͤrderten mich leicht auf dem Weg, aber auf Koſten meiner Stiefel, deren Sohlen fuͤr den Grafen Peter, und nicht fuͤr den Fußknecht berech- net worden. Ich ging ſchon auf den bloßen Fuͤßen. Ich mußte ein Paar neue Stiefel anſchaffen. Am naͤchſten Morgen beſorgte ich dieſes Geſchaͤft mit vielem Ernſt in einem Flecken, wo Kirmeß war, und wo in einer Bude alte und neue Stiefel zu Kauf ſtanden. Ich waͤhlte und handelte lange. Ich mußte auf ein Paar neue, die ich gern gehabt haͤtte, Verzicht leiſten; mich ſchreckte die un- billige Forderung. Ich begnuͤgte mich alſo mit alten, die noch gut und ſtark waren, und die mir der ſchoͤne blond- lockige Knabe, der die Bude hielt, gegen gleich baare Be- zahlung, freundlich laͤchelnd einhaͤndigte, indem er mir Gluͤck auf den Weg wuͤnſchte. Ich zog ſie gleich an und ging zum noͤrdlich gelegenen Thor aus dem Ort. Ich war in meinen Gedanken ſehr vertieft, und ſah

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/100
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/100>, abgerufen am 24.11.2024.