Je schräger z. E. die Augen stehen, wie an Katzen, desto mehr fällt diese Richtung von der Base und der Grundlage des Gesichts ab, welche das Creutz ist, wodurch dasselbe von dem Wirbel an in die Länge und in die Breite gleich getheilet wird, indem die senkrechte Linie die Nase durch- schneidet, die horizontal Linie aber den Augenknochen. Liegt das Auge schräg, so durchschneidet es eine Linie, welche mit jener parallel, durch den Mittelpunct des Auges gezogen, zu setzen ist. Wenigstens muß hier eben die Ursache seyn, die den Uebelstand eines schief gezogenen Mundes macht; denn wenn unter zwo Linien die eine von der andern ohne Grund abwei- chet, thut es dem Auge wehe. Also sind dergleichen Augen, wo sie sich unter uns finden, und an Sinesen und Japonesen seyn sollen, wie man an einigen Aegyptischen Köpfen in Profil sieht, eine Abweichung. Die gepletschte Nase der Calmucken, der Sinesen, und anderer entlegenen Völ- ker, ist ebenfalls eine Abweichung: denn sie unterbricht die Einheit der Formen, nach welcher der übrige Bau des Körpers gebildet worden, und es ist kein Grund, warum die Nase so tief gesenkt liegt, und nicht viel- mehr der Richtung der Stirne folgen soll; so wie hingegen die Stirn und Nase aus einem geraden Knochen, wie an Thieren, wider die Mannigfal- tigkeit in unserer Natur seyn würde. Der aufgeworfene schwülstige Mund, welchen die Mohren mit den Affen in ihrem Lande gemein haben, ist ein überflüßiges Gewächs und ein Schwulst, welchen die Hitze ihres Clima verursachet, so wie uns die Lippen von Hitze, oder von scharfen salzigen Feuchtigkeiten, auch einigen Menschen im heftigen Zorne, aufschwellen. Die kleinen Augen der entlegenen Nordlichen und Ostlichen Länder sind in der Unvollkommenheit ihres Gewächses mit begriffen, welches kurz und klein ist.
Solche Bildungen wirket die Natur allgemeiner, je mehr sie sich ih- ren äußersten Enden nähert, und entweder mit der Hitze, oder mit der Kälte streitet, wo sie dort übertriebene und zu frühzeitige, hier aber un-
reife
I Theil. Viertes Capitel.
Je ſchraͤger z. E. die Augen ſtehen, wie an Katzen, deſto mehr faͤllt dieſe Richtung von der Baſe und der Grundlage des Geſichts ab, welche das Creutz iſt, wodurch daſſelbe von dem Wirbel an in die Laͤnge und in die Breite gleich getheilet wird, indem die ſenkrechte Linie die Naſe durch- ſchneidet, die horizontal Linie aber den Augenknochen. Liegt das Auge ſchraͤg, ſo durchſchneidet es eine Linie, welche mit jener parallel, durch den Mittelpunct des Auges gezogen, zu ſetzen iſt. Wenigſtens muß hier eben die Urſache ſeyn, die den Uebelſtand eines ſchief gezogenen Mundes macht; denn wenn unter zwo Linien die eine von der andern ohne Grund abwei- chet, thut es dem Auge wehe. Alſo ſind dergleichen Augen, wo ſie ſich unter uns finden, und an Sineſen und Japoneſen ſeyn ſollen, wie man an einigen Aegyptiſchen Koͤpfen in Profil ſieht, eine Abweichung. Die gepletſchte Naſe der Calmucken, der Sineſen, und anderer entlegenen Voͤl- ker, iſt ebenfalls eine Abweichung: denn ſie unterbricht die Einheit der Formen, nach welcher der uͤbrige Bau des Koͤrpers gebildet worden, und es iſt kein Grund, warum die Naſe ſo tief geſenkt liegt, und nicht viel- mehr der Richtung der Stirne folgen ſoll; ſo wie hingegen die Stirn und Naſe aus einem geraden Knochen, wie an Thieren, wider die Mannigfal- tigkeit in unſerer Natur ſeyn wuͤrde. Der aufgeworfene ſchwuͤlſtige Mund, welchen die Mohren mit den Affen in ihrem Lande gemein haben, iſt ein uͤberfluͤßiges Gewaͤchs und ein Schwulſt, welchen die Hitze ihres Clima verurſachet, ſo wie uns die Lippen von Hitze, oder von ſcharfen ſalzigen Feuchtigkeiten, auch einigen Menſchen im heftigen Zorne, aufſchwellen. Die kleinen Augen der entlegenen Nordlichen und Oſtlichen Laͤnder ſind in der Unvollkommenheit ihres Gewaͤchſes mit begriffen, welches kurz und klein iſt.
Solche Bildungen wirket die Natur allgemeiner, je mehr ſie ſich ih- ren aͤußerſten Enden naͤhert, und entweder mit der Hitze, oder mit der Kaͤlte ſtreitet, wo ſie dort uͤbertriebene und zu fruͤhzeitige, hier aber un-
reife
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0196"n="146"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I</hi> Theil. Viertes Capitel.</hi></fw><lb/><p>Je ſchraͤger z. E. die Augen ſtehen, wie an Katzen, deſto mehr faͤllt<lb/>
dieſe Richtung von der Baſe und der Grundlage des Geſichts ab, welche<lb/>
das Creutz iſt, wodurch daſſelbe von dem Wirbel an in die Laͤnge und in<lb/>
die Breite gleich getheilet wird, indem die ſenkrechte Linie die Naſe durch-<lb/>ſchneidet, die horizontal Linie aber den Augenknochen. Liegt das Auge<lb/>ſchraͤg, ſo durchſchneidet es eine Linie, welche mit jener parallel, durch den<lb/>
Mittelpunct des Auges gezogen, zu ſetzen iſt. Wenigſtens muß hier eben<lb/>
die Urſache ſeyn, die den Uebelſtand eines ſchief gezogenen Mundes macht;<lb/>
denn wenn unter zwo Linien die eine von der andern ohne Grund abwei-<lb/>
chet, thut es dem Auge wehe. Alſo ſind dergleichen Augen, wo ſie ſich<lb/>
unter uns finden, und an Sineſen und Japoneſen ſeyn ſollen, wie man<lb/>
an einigen Aegyptiſchen Koͤpfen in Profil ſieht, eine Abweichung. Die<lb/>
gepletſchte Naſe der Calmucken, der Sineſen, und anderer entlegenen Voͤl-<lb/>
ker, iſt ebenfalls eine Abweichung: denn ſie unterbricht die Einheit der<lb/>
Formen, nach welcher der uͤbrige Bau des Koͤrpers gebildet worden, und<lb/>
es iſt kein Grund, warum die Naſe ſo tief geſenkt liegt, und nicht viel-<lb/>
mehr der Richtung der Stirne folgen ſoll; ſo wie hingegen die Stirn und<lb/>
Naſe aus einem geraden Knochen, wie an Thieren, wider die Mannigfal-<lb/>
tigkeit in unſerer Natur ſeyn wuͤrde. Der aufgeworfene ſchwuͤlſtige Mund,<lb/>
welchen die Mohren mit den Affen in ihrem Lande gemein haben, iſt ein<lb/>
uͤberfluͤßiges Gewaͤchs und ein Schwulſt, welchen die Hitze ihres Clima<lb/>
verurſachet, ſo wie uns die Lippen von Hitze, oder von ſcharfen ſalzigen<lb/>
Feuchtigkeiten, auch einigen Menſchen im heftigen Zorne, aufſchwellen.<lb/>
Die kleinen Augen der entlegenen Nordlichen und Oſtlichen Laͤnder ſind in<lb/>
der Unvollkommenheit ihres Gewaͤchſes mit begriffen, welches kurz und<lb/>
klein iſt.</p><lb/><p>Solche Bildungen wirket die Natur allgemeiner, je mehr ſie ſich ih-<lb/>
ren aͤußerſten Enden naͤhert, und entweder mit der Hitze, oder mit der<lb/>
Kaͤlte ſtreitet, wo ſie dort uͤbertriebene und zu fruͤhzeitige, hier aber un-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">reife</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[146/0196]
I Theil. Viertes Capitel.
Je ſchraͤger z. E. die Augen ſtehen, wie an Katzen, deſto mehr faͤllt
dieſe Richtung von der Baſe und der Grundlage des Geſichts ab, welche
das Creutz iſt, wodurch daſſelbe von dem Wirbel an in die Laͤnge und in
die Breite gleich getheilet wird, indem die ſenkrechte Linie die Naſe durch-
ſchneidet, die horizontal Linie aber den Augenknochen. Liegt das Auge
ſchraͤg, ſo durchſchneidet es eine Linie, welche mit jener parallel, durch den
Mittelpunct des Auges gezogen, zu ſetzen iſt. Wenigſtens muß hier eben
die Urſache ſeyn, die den Uebelſtand eines ſchief gezogenen Mundes macht;
denn wenn unter zwo Linien die eine von der andern ohne Grund abwei-
chet, thut es dem Auge wehe. Alſo ſind dergleichen Augen, wo ſie ſich
unter uns finden, und an Sineſen und Japoneſen ſeyn ſollen, wie man
an einigen Aegyptiſchen Koͤpfen in Profil ſieht, eine Abweichung. Die
gepletſchte Naſe der Calmucken, der Sineſen, und anderer entlegenen Voͤl-
ker, iſt ebenfalls eine Abweichung: denn ſie unterbricht die Einheit der
Formen, nach welcher der uͤbrige Bau des Koͤrpers gebildet worden, und
es iſt kein Grund, warum die Naſe ſo tief geſenkt liegt, und nicht viel-
mehr der Richtung der Stirne folgen ſoll; ſo wie hingegen die Stirn und
Naſe aus einem geraden Knochen, wie an Thieren, wider die Mannigfal-
tigkeit in unſerer Natur ſeyn wuͤrde. Der aufgeworfene ſchwuͤlſtige Mund,
welchen die Mohren mit den Affen in ihrem Lande gemein haben, iſt ein
uͤberfluͤßiges Gewaͤchs und ein Schwulſt, welchen die Hitze ihres Clima
verurſachet, ſo wie uns die Lippen von Hitze, oder von ſcharfen ſalzigen
Feuchtigkeiten, auch einigen Menſchen im heftigen Zorne, aufſchwellen.
Die kleinen Augen der entlegenen Nordlichen und Oſtlichen Laͤnder ſind in
der Unvollkommenheit ihres Gewaͤchſes mit begriffen, welches kurz und
klein iſt.
Solche Bildungen wirket die Natur allgemeiner, je mehr ſie ſich ih-
ren aͤußerſten Enden naͤhert, und entweder mit der Hitze, oder mit der
Kaͤlte ſtreitet, wo ſie dort uͤbertriebene und zu fruͤhzeitige, hier aber un-
reife
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/196>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.