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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.
von Ziegeln gearbeitet hatte, um Gebäude damit zu decken, bloß wegen
dieser Entdeckung, Statuen gesetzet 1). Vorzügliche Künstler hatten den
Namen Göttliche, wie Alcimedon beym Virgilius 2).

Der Gebrauch und die Anwendung der Kunst erhielt dieselbe in ihrerIV.
Von der
Anwendung
der Kunst.

Großheit. Denn da sie nur den Göttern geweihet, und für das heiligste
und nützlichste im Vaterlande bestimmet war, und in den Häusern der
Bürger Mäßigkeit und Einfalt wohnete, so wurde der Künstler nicht auf
Kleinigkeiten, oder auf Spielwerke, durch Einschränkung des Orts, oder
durch die Lüsternheit des Eigenthümers herunter gesetzet, sondern was er
machete, war den stolzen Begriffen des ganzen Volks gemäß. Miltiades,
Themistocles, Aristides und Cimon, die Häupter und Erretter von Grie-
chenland, wohneten nicht besser, als ihr Nachbar 3). Grabmale aber wur-
den als heilige Gebäude angesehen; daher es nicht befremden muß, wenn
sich Nicias, der berühmte Maler, gebrauchen lassen, ein Grabmal 4) vor
der Stadt Tritia in Achaja auszumalen. Man muß auch erwägen, wie
sehr es die Nacheiferung in der Kunst besördert habe, wenn ganze Städ-
te 5), eine vor der andern, eine vorzügliche Statue zu haben suchten, und
wenn ein ganzes Volk 6) die Kosten zu einer Statue so wohl von Göttern,
als von Siegern 7) in den öffentlichen Spielen, aufbrachten. Einige
Städte waren, auch im Alterthume selbst, bloß durch eine schöne Statue
bekannt, wie Aliphera 8) wegen einer Pallas von Erzt, vom Hecatodo-
rus und Sostratus gemacht.

Die Bildhauerey und Malerey sind unter den Griechen eher, als die
Baukunst, zu einer gewissen Vollkommenheit gelanget: denn diese hat mehr

Idea-
1) Pausan. L. 5. p. 398. l. 8.
2) Eclog. 3. v. 37.
3) Demosth. Orat. peri suntax p. 71. b.
4) Pausan. L. 7. p. 580. l. 11.
5) Plin. L. 35. c. 37.
6) Dionys. Halic. Ant. Rom. L. 4. p. 220. l. 47.
7) Pausan. L. 6. p. 465. l. 35. p. 487. l. 25. p. 488. l. 34. p. 489. l. 2. p. 493. l. 16.
8) Polyb. L. 4. p. 340. D.
Winckelm. Gesch. der Kunst. S

Von der Kunſt unter den Griechen.
von Ziegeln gearbeitet hatte, um Gebaͤude damit zu decken, bloß wegen
dieſer Entdeckung, Statuen geſetzet 1). Vorzuͤgliche Kuͤnſtler hatten den
Namen Goͤttliche, wie Alcimedon beym Virgilius 2).

Der Gebrauch und die Anwendung der Kunſt erhielt dieſelbe in ihrerIV.
Von der
Anwendung
der Kunſt.

Großheit. Denn da ſie nur den Goͤttern geweihet, und fuͤr das heiligſte
und nuͤtzlichſte im Vaterlande beſtimmet war, und in den Haͤuſern der
Buͤrger Maͤßigkeit und Einfalt wohnete, ſo wurde der Kuͤnſtler nicht auf
Kleinigkeiten, oder auf Spielwerke, durch Einſchraͤnkung des Orts, oder
durch die Luͤſternheit des Eigenthuͤmers herunter geſetzet, ſondern was er
machete, war den ſtolzen Begriffen des ganzen Volks gemaͤß. Miltiades,
Themiſtocles, Ariſtides und Cimon, die Haͤupter und Erretter von Grie-
chenland, wohneten nicht beſſer, als ihr Nachbar 3). Grabmale aber wur-
den als heilige Gebaͤude angeſehen; daher es nicht befremden muß, wenn
ſich Nicias, der beruͤhmte Maler, gebrauchen laſſen, ein Grabmal 4) vor
der Stadt Tritia in Achaja auszumalen. Man muß auch erwaͤgen, wie
ſehr es die Nacheiferung in der Kunſt beſoͤrdert habe, wenn ganze Staͤd-
te 5), eine vor der andern, eine vorzuͤgliche Statue zu haben ſuchten, und
wenn ein ganzes Volk 6) die Koſten zu einer Statue ſo wohl von Goͤttern,
als von Siegern 7) in den oͤffentlichen Spielen, aufbrachten. Einige
Staͤdte waren, auch im Alterthume ſelbſt, bloß durch eine ſchoͤne Statue
bekannt, wie Aliphera 8) wegen einer Pallas von Erzt, vom Hecatodo-
rus und Soſtratus gemacht.

Die Bildhauerey und Malerey ſind unter den Griechen eher, als die
Baukunſt, zu einer gewiſſen Vollkommenheit gelanget: denn dieſe hat mehr

Idea-
1) Pauſan. L. 5. p. 398. l. 8.
2) Eclog. 3. v. 37.
3) Demoſth. Orat. περὶ συντάξ p. 71. b.
4) Pauſan. L. 7. p. 580. l. 11.
5) Plin. L. 35. c. 37.
6) Dionyſ. Halic. Ant. Rom. L. 4. p. 220. l. 47.
7) Pauſan. L. 6. p. 465. l. 35. p. 487. l. 25. p. 488. l. 34. p. 489. l. 2. p. 493. l. 16.
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Winckelm. Geſch. der Kunſt. S
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[137/0187] Von der Kunſt unter den Griechen. von Ziegeln gearbeitet hatte, um Gebaͤude damit zu decken, bloß wegen dieſer Entdeckung, Statuen geſetzet 1). Vorzuͤgliche Kuͤnſtler hatten den Namen Goͤttliche, wie Alcimedon beym Virgilius 2). Der Gebrauch und die Anwendung der Kunſt erhielt dieſelbe in ihrer Großheit. Denn da ſie nur den Goͤttern geweihet, und fuͤr das heiligſte und nuͤtzlichſte im Vaterlande beſtimmet war, und in den Haͤuſern der Buͤrger Maͤßigkeit und Einfalt wohnete, ſo wurde der Kuͤnſtler nicht auf Kleinigkeiten, oder auf Spielwerke, durch Einſchraͤnkung des Orts, oder durch die Luͤſternheit des Eigenthuͤmers herunter geſetzet, ſondern was er machete, war den ſtolzen Begriffen des ganzen Volks gemaͤß. Miltiades, Themiſtocles, Ariſtides und Cimon, die Haͤupter und Erretter von Grie- chenland, wohneten nicht beſſer, als ihr Nachbar 3). Grabmale aber wur- den als heilige Gebaͤude angeſehen; daher es nicht befremden muß, wenn ſich Nicias, der beruͤhmte Maler, gebrauchen laſſen, ein Grabmal 4) vor der Stadt Tritia in Achaja auszumalen. Man muß auch erwaͤgen, wie ſehr es die Nacheiferung in der Kunſt beſoͤrdert habe, wenn ganze Staͤd- te 5), eine vor der andern, eine vorzuͤgliche Statue zu haben ſuchten, und wenn ein ganzes Volk 6) die Koſten zu einer Statue ſo wohl von Goͤttern, als von Siegern 7) in den oͤffentlichen Spielen, aufbrachten. Einige Staͤdte waren, auch im Alterthume ſelbſt, bloß durch eine ſchoͤne Statue bekannt, wie Aliphera 8) wegen einer Pallas von Erzt, vom Hecatodo- rus und Soſtratus gemacht. IV. Von der Anwendung der Kunſt. Die Bildhauerey und Malerey ſind unter den Griechen eher, als die Baukunſt, zu einer gewiſſen Vollkommenheit gelanget: denn dieſe hat mehr Idea- 1) Pauſan. L. 5. p. 398. l. 8. 2) Eclog. 3. v. 37. 3) Demoſth. Orat. περὶ συντάξ p. 71. b. 4) Pauſan. L. 7. p. 580. l. 11. 5) Plin. L. 35. c. 37. 6) Dionyſ. Halic. Ant. Rom. L. 4. p. 220. l. 47. 7) Pauſan. L. 6. p. 465. l. 35. p. 487. l. 25. p. 488. l. 34. p. 489. l. 2. p. 493. l. 16. 8) Polyb. L. 4. p. 340. D. Winckelm. Geſch. der Kunſt. S

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/187>, abgerufen am 04.12.2024.