Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

I Theil. Drittes Capitel.
auf dem Borghesischen Altare, welcher wie ein gewaltiger Hercules muscu-
lirt ist, sonderlich aber am Tydeus und Peleus. Die Schlüsselbeine
am Halse, die Rippen, die Knorpel des Ellenbogens und der Knie, die
Knöchel der Hände und der Füße, sind so hervorliegend angegeben, als
die Röhren der Arme und der Schienbeine; ja es ist die Spitze des Brust-
knochens am Tydeus sichtbar gemacht. Die Muskeln sind alle in der hef-
tigsten Bewegung auch am Peleus, wo sich weniger Grund, als in jenem,
dazu findet; am Tydeus sind auch die Muskeln unter dem Arme nicht ver-
gessen. Die gezwungene Stellung zeiget sich auf dem hier in Kupfer ge-
stochenen runden Altare im Campidoglio, und in mehr Figuren, auf dem in
der Villa Borghese. Die Füße der vorwerts gestelleten Götter sind paral-
lel geschlossen, und derjenigen, die im Profil sind, in gerader Linie einer
hinter dem andern. Die Hände sind überhaupt ungelehrt und gezwungen,
und wenn eine Figur mit den zween vordern Fingern etwas hält, so stehen
die andern gerade und steif voraus. Die gewaltsame Stellung des Ty-
deus hat mehr Grund, als des Peleus; aber in diesem ist sie, um zu dem
starken Ausdrucke der Theile zu gelangen. Bey einer so großen Wissen-
schaft, und Kunst der Ausarbeitung, welche sich in diesen Steinen zeiget,
sollte es diesen Künstlern nicht an höheren Begriffen der Schönheit in den
Köpfen gefehlet haben, und gleichwohl ist hier das Gegentheil: der Kopf
des Tydeus ist nach der gemeinsten Natur genommen, und die Augen
sind ungewöhnlich groß; der Kopf des Peleus aber ist verdreheter, als
dessen Körper, und hat nicht einmal eine erträgliche Bildung.

E.
Von dem
späteren Stile
der Hetruri-
schen Künstler.

Von dem dritten Stile würde in einer abgesonderten Abhandlung
von der Hetrurischen Kunst mehr zu sagen seyn, und dasjenige, was der

Grie-

I Theil. Drittes Capitel.
auf dem Borgheſiſchen Altare, welcher wie ein gewaltiger Hercules muſcu-
lirt iſt, ſonderlich aber am Tydeus und Peleus. Die Schluͤſſelbeine
am Halſe, die Rippen, die Knorpel des Ellenbogens und der Knie, die
Knoͤchel der Haͤnde und der Fuͤße, ſind ſo hervorliegend angegeben, als
die Roͤhren der Arme und der Schienbeine; ja es iſt die Spitze des Bruſt-
knochens am Tydeus ſichtbar gemacht. Die Muskeln ſind alle in der hef-
tigſten Bewegung auch am Peleus, wo ſich weniger Grund, als in jenem,
dazu findet; am Tydeus ſind auch die Muskeln unter dem Arme nicht ver-
geſſen. Die gezwungene Stellung zeiget ſich auf dem hier in Kupfer ge-
ſtochenen runden Altare im Campidoglio, und in mehr Figuren, auf dem in
der Villa Borgheſe. Die Fuͤße der vorwerts geſtelleten Goͤtter ſind paral-
lel geſchloſſen, und derjenigen, die im Profil ſind, in gerader Linie einer
hinter dem andern. Die Haͤnde ſind uͤberhaupt ungelehrt und gezwungen,
und wenn eine Figur mit den zween vordern Fingern etwas haͤlt, ſo ſtehen
die andern gerade und ſteif voraus. Die gewaltſame Stellung des Ty-
deus hat mehr Grund, als des Peleus; aber in dieſem iſt ſie, um zu dem
ſtarken Ausdrucke der Theile zu gelangen. Bey einer ſo großen Wiſſen-
ſchaft, und Kunſt der Ausarbeitung, welche ſich in dieſen Steinen zeiget,
ſollte es dieſen Kuͤnſtlern nicht an hoͤheren Begriffen der Schoͤnheit in den
Koͤpfen gefehlet haben, und gleichwohl iſt hier das Gegentheil: der Kopf
des Tydeus iſt nach der gemeinſten Natur genommen, und die Augen
ſind ungewoͤhnlich groß; der Kopf des Peleus aber iſt verdreheter, als
deſſen Koͤrper, und hat nicht einmal eine ertraͤgliche Bildung.

E.
Von dem
ſpaͤteren Stile
der Hetruri-
ſchen Kuͤnſtler.

Von dem dritten Stile wuͤrde in einer abgeſonderten Abhandlung
von der Hetruriſchen Kunſt mehr zu ſagen ſeyn, und dasjenige, was der

Grie-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0162" n="112"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Theil. Drittes Capitel.</hi></fw><lb/>
auf dem Borghe&#x017F;i&#x017F;chen Altare, welcher wie ein gewaltiger Hercules mu&#x017F;cu-<lb/>
lirt i&#x017F;t, &#x017F;onderlich aber am <hi rendition="#fr">Tydeus</hi> und <hi rendition="#fr">Peleus</hi>. Die Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;elbeine<lb/>
am Hal&#x017F;e, die Rippen, die Knorpel des Ellenbogens und der Knie, die<lb/>
Kno&#x0364;chel der Ha&#x0364;nde und der Fu&#x0364;ße, &#x017F;ind &#x017F;o hervorliegend angegeben, als<lb/>
die Ro&#x0364;hren der Arme und der Schienbeine; ja es i&#x017F;t die Spitze des Bru&#x017F;t-<lb/>
knochens am Tydeus &#x017F;ichtbar gemacht. Die Muskeln &#x017F;ind alle in der hef-<lb/>
tig&#x017F;ten Bewegung auch am Peleus, wo &#x017F;ich weniger Grund, als in jenem,<lb/>
dazu findet; am Tydeus &#x017F;ind auch die Muskeln unter dem Arme nicht ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en. Die gezwungene Stellung zeiget &#x017F;ich auf dem hier in Kupfer ge-<lb/>
&#x017F;tochenen runden Altare im Campidoglio, und in mehr Figuren, auf dem in<lb/>
der Villa Borghe&#x017F;e. Die Fu&#x0364;ße der vorwerts ge&#x017F;telleten Go&#x0364;tter &#x017F;ind paral-<lb/>
lel ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, und derjenigen, die im Profil &#x017F;ind, in gerader Linie einer<lb/>
hinter dem andern. Die Ha&#x0364;nde &#x017F;ind u&#x0364;berhaupt ungelehrt und gezwungen,<lb/>
und wenn eine Figur mit den zween vordern Fingern etwas ha&#x0364;lt, &#x017F;o &#x017F;tehen<lb/>
die andern gerade und &#x017F;teif voraus. Die gewalt&#x017F;ame Stellung des Ty-<lb/>
deus hat mehr Grund, als des Peleus; aber in die&#x017F;em i&#x017F;t &#x017F;ie, um zu dem<lb/>
&#x017F;tarken Ausdrucke der Theile zu gelangen. Bey einer &#x017F;o großen Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaft, und Kun&#x017F;t der Ausarbeitung, welche &#x017F;ich in die&#x017F;en Steinen zeiget,<lb/>
&#x017F;ollte es die&#x017F;en Ku&#x0364;n&#x017F;tlern nicht an ho&#x0364;heren Begriffen der Scho&#x0364;nheit in den<lb/>
Ko&#x0364;pfen gefehlet haben, und gleichwohl i&#x017F;t hier das Gegentheil: der Kopf<lb/>
des Tydeus i&#x017F;t nach der gemein&#x017F;ten Natur genommen, und die Augen<lb/>
&#x017F;ind ungewo&#x0364;hnlich groß; der Kopf des Peleus aber i&#x017F;t verdreheter, als<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Ko&#x0364;rper, und hat nicht einmal eine ertra&#x0364;gliche Bildung.</p><lb/>
              <note place="left"><hi rendition="#aq">E.</hi><lb/>
Von dem<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;teren Stile<lb/>
der Hetruri-<lb/>
&#x017F;chen Ku&#x0364;n&#x017F;tler.</note>
              <p>Von dem dritten Stile wu&#x0364;rde in einer abge&#x017F;onderten Abhandlung<lb/>
von der Hetruri&#x017F;chen Kun&#x017F;t mehr zu &#x017F;agen &#x017F;eyn, und dasjenige, was der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Grie-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0162] I Theil. Drittes Capitel. auf dem Borgheſiſchen Altare, welcher wie ein gewaltiger Hercules muſcu- lirt iſt, ſonderlich aber am Tydeus und Peleus. Die Schluͤſſelbeine am Halſe, die Rippen, die Knorpel des Ellenbogens und der Knie, die Knoͤchel der Haͤnde und der Fuͤße, ſind ſo hervorliegend angegeben, als die Roͤhren der Arme und der Schienbeine; ja es iſt die Spitze des Bruſt- knochens am Tydeus ſichtbar gemacht. Die Muskeln ſind alle in der hef- tigſten Bewegung auch am Peleus, wo ſich weniger Grund, als in jenem, dazu findet; am Tydeus ſind auch die Muskeln unter dem Arme nicht ver- geſſen. Die gezwungene Stellung zeiget ſich auf dem hier in Kupfer ge- ſtochenen runden Altare im Campidoglio, und in mehr Figuren, auf dem in der Villa Borgheſe. Die Fuͤße der vorwerts geſtelleten Goͤtter ſind paral- lel geſchloſſen, und derjenigen, die im Profil ſind, in gerader Linie einer hinter dem andern. Die Haͤnde ſind uͤberhaupt ungelehrt und gezwungen, und wenn eine Figur mit den zween vordern Fingern etwas haͤlt, ſo ſtehen die andern gerade und ſteif voraus. Die gewaltſame Stellung des Ty- deus hat mehr Grund, als des Peleus; aber in dieſem iſt ſie, um zu dem ſtarken Ausdrucke der Theile zu gelangen. Bey einer ſo großen Wiſſen- ſchaft, und Kunſt der Ausarbeitung, welche ſich in dieſen Steinen zeiget, ſollte es dieſen Kuͤnſtlern nicht an hoͤheren Begriffen der Schoͤnheit in den Koͤpfen gefehlet haben, und gleichwohl iſt hier das Gegentheil: der Kopf des Tydeus iſt nach der gemeinſten Natur genommen, und die Augen ſind ungewoͤhnlich groß; der Kopf des Peleus aber iſt verdreheter, als deſſen Koͤrper, und hat nicht einmal eine ertraͤgliche Bildung. Von dem dritten Stile wuͤrde in einer abgeſonderten Abhandlung von der Hetruriſchen Kunſt mehr zu ſagen ſeyn, und dasjenige, was der Grie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/162
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/162>, abgerufen am 04.12.2024.