Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

I Theil. Drittes Capitel.
risches Werk zu halten ist. Die sechste angezeigte Statue in Marmor, die
Diana, im Laufen vorgestellet, ist halb Lebensgröße, das ist, an fünf
Palme hoch, bekleidet und bemalet. Die Winkel des Mundes sind auf-
werts gezogen, und das Kinn ist kleinlich; aber man sieht sehr wohl, daß
es kein Portrait oder bestimmte Person seyn soll, sondern es ist eine unvoll-
kommene Bildung der Schönheit. Ihre Haare hängen über der Stirn in
kleinen Locken, und die Seiten-Haare in langen Strippen auf den Achseln
herunter; hinten sind dieselben lang vom Kopfe gebunden. Um die Haare
liegt ein Diadema, wie ein Ring, auf welchem acht erhobene rothe Rosen
stehen. Ihre Kleidung ist weiß angestrichen. Das Hembde, oder Unter-
kleid, hat weite Ermel, welche in gekreppte oder gekniffene Falten geleget
sind, und die Weste, oder der kurze Mantel, in geplattete parallel Falten,
so wie der Rock. Der Saum derselben ist an dem äußeren Rande mit ei-
nem kleinen goldgelben Streifen eingefasset, und unmittelbar über demsel-
ben gehet ein breiter Streifen von Lack-Farbe, mit weißem Blumenwerke,
Stickerey anzudeuten; über diesem gehet ein dritter Streifen, gleichfalls
von Lack; eben so ist der Saum des Rocks gemalet. Der Riem des Kö-
chers auf der Schulter ist roth, wie die Riemen der Sohlen. Es ist auch
im ersten Capitel dieser Statue Meldung geschehen. Es stand dieselbe in
einem kleinen Tempel, oder Capelle, welche zu einer Villa der alten ver-
schütteten Stadt Pompeji gehörete.

C.
Erhobene
Arbeiten.

Von erhoben gearbeiteten Werken will ich mich begnügen, drey zu
wählen, und zu beschreiben. Das eine und das älteste nicht allein von He-
trurischen, sondern auch überhaupt von allen erhobenen Arbeiten in Rom,
stehet in der Villa Albani, und stellet etwa die Juno Lucina, oder die
Göttinn Rumilia vor, die über säugende Kinder die Obsicht hatte: denn
der Schemmel ihrer Füße zeiget an, daß diese Figur über den gemeinen
Stand der Menschen erhaben seyn soll. Sie hält ein kleines angezogenes
Kind, welches auf ihrem Schooße stehet, an dessen Gängel-Bande, an

welches

I Theil. Drittes Capitel.
riſches Werk zu halten iſt. Die ſechſte angezeigte Statue in Marmor, die
Diana, im Laufen vorgeſtellet, iſt halb Lebensgroͤße, das iſt, an fuͤnf
Palme hoch, bekleidet und bemalet. Die Winkel des Mundes ſind auf-
werts gezogen, und das Kinn iſt kleinlich; aber man ſieht ſehr wohl, daß
es kein Portrait oder beſtimmte Perſon ſeyn ſoll, ſondern es iſt eine unvoll-
kommene Bildung der Schoͤnheit. Ihre Haare haͤngen uͤber der Stirn in
kleinen Locken, und die Seiten-Haare in langen Strippen auf den Achſeln
herunter; hinten ſind dieſelben lang vom Kopfe gebunden. Um die Haare
liegt ein Diadema, wie ein Ring, auf welchem acht erhobene rothe Roſen
ſtehen. Ihre Kleidung iſt weiß angeſtrichen. Das Hembde, oder Unter-
kleid, hat weite Ermel, welche in gekreppte oder gekniffene Falten geleget
ſind, und die Weſte, oder der kurze Mantel, in geplattete parallel Falten,
ſo wie der Rock. Der Saum derſelben iſt an dem aͤußeren Rande mit ei-
nem kleinen goldgelben Streifen eingefaſſet, und unmittelbar uͤber demſel-
ben gehet ein breiter Streifen von Lack-Farbe, mit weißem Blumenwerke,
Stickerey anzudeuten; uͤber dieſem gehet ein dritter Streifen, gleichfalls
von Lack; eben ſo iſt der Saum des Rocks gemalet. Der Riem des Koͤ-
chers auf der Schulter iſt roth, wie die Riemen der Sohlen. Es iſt auch
im erſten Capitel dieſer Statue Meldung geſchehen. Es ſtand dieſelbe in
einem kleinen Tempel, oder Capelle, welche zu einer Villa der alten ver-
ſchuͤtteten Stadt Pompeji gehoͤrete.

C.
Erhobene
Arbeiten.

Von erhoben gearbeiteten Werken will ich mich begnuͤgen, drey zu
waͤhlen, und zu beſchreiben. Das eine und das aͤlteſte nicht allein von He-
truriſchen, ſondern auch uͤberhaupt von allen erhobenen Arbeiten in Rom,
ſtehet in der Villa Albani, und ſtellet etwa die Juno Lucina, oder die
Goͤttinn Rumilia vor, die uͤber ſaͤugende Kinder die Obſicht hatte: denn
der Schemmel ihrer Fuͤße zeiget an, daß dieſe Figur uͤber den gemeinen
Stand der Menſchen erhaben ſeyn ſoll. Sie haͤlt ein kleines angezogenes
Kind, welches auf ihrem Schooße ſtehet, an deſſen Gaͤngel-Bande, an

welches
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0146" n="96"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Theil. Drittes Capitel.</hi></fw><lb/>
ri&#x017F;ches Werk zu halten i&#x017F;t. Die &#x017F;ech&#x017F;te angezeigte Statue in Marmor, die<lb/>
Diana, im Laufen vorge&#x017F;tellet, i&#x017F;t halb Lebensgro&#x0364;ße, das i&#x017F;t, an fu&#x0364;nf<lb/>
Palme hoch, bekleidet und bemalet. Die Winkel des Mundes &#x017F;ind auf-<lb/>
werts gezogen, und das Kinn i&#x017F;t kleinlich; aber man &#x017F;ieht &#x017F;ehr wohl, daß<lb/>
es kein Portrait oder be&#x017F;timmte Per&#x017F;on &#x017F;eyn &#x017F;oll, &#x017F;ondern es i&#x017F;t eine unvoll-<lb/>
kommene Bildung der Scho&#x0364;nheit. Ihre Haare ha&#x0364;ngen u&#x0364;ber der Stirn in<lb/>
kleinen Locken, und die Seiten-Haare in langen Strippen auf den Ach&#x017F;eln<lb/>
herunter; hinten &#x017F;ind die&#x017F;elben lang vom Kopfe gebunden. Um die Haare<lb/>
liegt ein Diadema, wie ein Ring, auf welchem acht erhobene rothe Ro&#x017F;en<lb/>
&#x017F;tehen. Ihre Kleidung i&#x017F;t weiß ange&#x017F;trichen. Das Hembde, oder Unter-<lb/>
kleid, hat weite Ermel, welche in gekreppte oder gekniffene Falten geleget<lb/>
&#x017F;ind, und die We&#x017F;te, oder der kurze Mantel, in geplattete parallel Falten,<lb/>
&#x017F;o wie der Rock. Der Saum der&#x017F;elben i&#x017F;t an dem a&#x0364;ußeren Rande mit ei-<lb/>
nem kleinen goldgelben Streifen eingefa&#x017F;&#x017F;et, und unmittelbar u&#x0364;ber dem&#x017F;el-<lb/>
ben gehet ein breiter Streifen von Lack-Farbe, mit weißem Blumenwerke,<lb/>
Stickerey anzudeuten; u&#x0364;ber die&#x017F;em gehet ein dritter Streifen, gleichfalls<lb/>
von Lack; eben &#x017F;o i&#x017F;t der Saum des Rocks gemalet. Der Riem des Ko&#x0364;-<lb/>
chers auf der Schulter i&#x017F;t roth, wie die Riemen der Sohlen. Es i&#x017F;t auch<lb/>
im er&#x017F;ten Capitel die&#x017F;er Statue Meldung ge&#x017F;chehen. Es &#x017F;tand die&#x017F;elbe in<lb/>
einem kleinen Tempel, oder Capelle, welche zu einer Villa der alten ver-<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;tteten Stadt Pompeji geho&#x0364;rete.</p><lb/>
            <note place="left"><hi rendition="#aq">C.</hi><lb/>
Erhobene<lb/>
Arbeiten.</note>
            <p>Von erhoben gearbeiteten Werken will ich mich begnu&#x0364;gen, drey zu<lb/>
wa&#x0364;hlen, und zu be&#x017F;chreiben. Das eine und das a&#x0364;lte&#x017F;te nicht allein von He-<lb/>
truri&#x017F;chen, &#x017F;ondern auch u&#x0364;berhaupt von allen erhobenen Arbeiten in Rom,<lb/>
&#x017F;tehet in der Villa Albani, und &#x017F;tellet etwa die Juno <hi rendition="#fr">Lucina</hi>, oder die<lb/>
Go&#x0364;ttinn <hi rendition="#fr">Rumilia</hi> vor, die u&#x0364;ber &#x017F;a&#x0364;ugende Kinder die Ob&#x017F;icht hatte: denn<lb/>
der Schemmel ihrer Fu&#x0364;ße zeiget an, daß die&#x017F;e Figur u&#x0364;ber den gemeinen<lb/>
Stand der Men&#x017F;chen erhaben &#x017F;eyn &#x017F;oll. Sie ha&#x0364;lt ein kleines angezogenes<lb/>
Kind, welches auf ihrem Schooße &#x017F;tehet, an de&#x017F;&#x017F;en Ga&#x0364;ngel-Bande, an<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">welches</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0146] I Theil. Drittes Capitel. riſches Werk zu halten iſt. Die ſechſte angezeigte Statue in Marmor, die Diana, im Laufen vorgeſtellet, iſt halb Lebensgroͤße, das iſt, an fuͤnf Palme hoch, bekleidet und bemalet. Die Winkel des Mundes ſind auf- werts gezogen, und das Kinn iſt kleinlich; aber man ſieht ſehr wohl, daß es kein Portrait oder beſtimmte Perſon ſeyn ſoll, ſondern es iſt eine unvoll- kommene Bildung der Schoͤnheit. Ihre Haare haͤngen uͤber der Stirn in kleinen Locken, und die Seiten-Haare in langen Strippen auf den Achſeln herunter; hinten ſind dieſelben lang vom Kopfe gebunden. Um die Haare liegt ein Diadema, wie ein Ring, auf welchem acht erhobene rothe Roſen ſtehen. Ihre Kleidung iſt weiß angeſtrichen. Das Hembde, oder Unter- kleid, hat weite Ermel, welche in gekreppte oder gekniffene Falten geleget ſind, und die Weſte, oder der kurze Mantel, in geplattete parallel Falten, ſo wie der Rock. Der Saum derſelben iſt an dem aͤußeren Rande mit ei- nem kleinen goldgelben Streifen eingefaſſet, und unmittelbar uͤber demſel- ben gehet ein breiter Streifen von Lack-Farbe, mit weißem Blumenwerke, Stickerey anzudeuten; uͤber dieſem gehet ein dritter Streifen, gleichfalls von Lack; eben ſo iſt der Saum des Rocks gemalet. Der Riem des Koͤ- chers auf der Schulter iſt roth, wie die Riemen der Sohlen. Es iſt auch im erſten Capitel dieſer Statue Meldung geſchehen. Es ſtand dieſelbe in einem kleinen Tempel, oder Capelle, welche zu einer Villa der alten ver- ſchuͤtteten Stadt Pompeji gehoͤrete. Von erhoben gearbeiteten Werken will ich mich begnuͤgen, drey zu waͤhlen, und zu beſchreiben. Das eine und das aͤlteſte nicht allein von He- truriſchen, ſondern auch uͤberhaupt von allen erhobenen Arbeiten in Rom, ſtehet in der Villa Albani, und ſtellet etwa die Juno Lucina, oder die Goͤttinn Rumilia vor, die uͤber ſaͤugende Kinder die Obſicht hatte: denn der Schemmel ihrer Fuͤße zeiget an, daß dieſe Figur uͤber den gemeinen Stand der Menſchen erhaben ſeyn ſoll. Sie haͤlt ein kleines angezogenes Kind, welches auf ihrem Schooße ſtehet, an deſſen Gaͤngel-Bande, an welches

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/146
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/146>, abgerufen am 04.12.2024.