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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Drittes Capitel.


II.
Die Art und
Weise der Vor-
stellung ihrer
Götter und
Helden.

Der zweyte Satz dieses Stücks von der Vorstellung der Hetrurischen
Götter und Helden begreift nicht den ganzen Umfang aller Nachrichten,
sondern nur das Nützliche, und Anmerkungen, welche zum Theil nicht ge-
macht sind, und näher zu meinem Zwecke dienen.

A.
Einige hatten
sie mit den
Griechen ge-
mein.

Es finden sich unter den Bildern der Götter einige diesem Volke allein
eigene Vorstellungen; die mehresten aber hat dasselbe mit den Griechen ge-
mein: welches zugleich anzeiget, daß die Hetrurier und Griechen einerley
Ursprung haben, und zwar von den Pelasgern, wie die alten Scribenten
berichten, und die Neueren 1) in gelehrten Untersuchungen bestätigen, und
daß diese Völker beständig in einer gewissen Gemeinschaft gestanden seyn.

B.
Ihre eigen-
thumlichen
Vorstellungen
waren zum
Theil seltsam,
wie bey den
ältesten Grie-
chen.

Die Abbildung verschiedener Hetrurischen Gottheiten scheinet uns
seltsam; es waren aber auch unter den Griechen fremde und ausserordent-
liche Gestalten, wie die Bilder auf dem Kasten des Cypselus, bezeugen,
welche Pausanias beschreibet. Denn so wie die erhitzte und ungebundenen
Einbildung der ersten Dichter, theils zu Erweckung der Aufmerksamkeit
und Verwunderung, theils zu Erregung der Leidenschaften, fremde Bilder
sucheten, und die den damals ungesitteten Menschen, mehr Eindruck als
zärtliche Bilder, machen konnten, eben so und aus einerley Gründen bil-
dete auch die Kunst dergleichen Gestalten. Der Jupiter in Pferdemist ein-
gehüllet, welchen sich der Dichter Pampho 2), vor dem Homerus, einbildete,
ist nicht fremder vorgestellet, als in der Kunst der Griechen, Jupiter
Apomyos, oder Muscarius, in Gestalt einer Fliege, deren Flügel den
Bart bilden, der Leib das Gesicht, und auf dem Kopfe ist an der Stelle
der Haare, der Kopf der Fliege: so findet sich derselbe auf geschnittenen
Steinen 3).

Die
1) Conf. Scalig. Not. in Varr. de re rust. p. 218.
2) ap. Philostr. Heroic. p. 693.
3) Descr. des Pier. gr. du Cab. de Stosch, p. 45.
I Theil. Drittes Capitel.


II.
Die Art und
Weiſe der Voꝛ-
ſtellung ihrer
Goͤtter und
Helden.

Der zweyte Satz dieſes Stuͤcks von der Vorſtellung der Hetruriſchen
Goͤtter und Helden begreift nicht den ganzen Umfang aller Nachrichten,
ſondern nur das Nuͤtzliche, und Anmerkungen, welche zum Theil nicht ge-
macht ſind, und naͤher zu meinem Zwecke dienen.

A.
Einige hatten
ſie mit den
Griechen ge-
mein.

Es finden ſich unter den Bildern der Goͤtter einige dieſem Volke allein
eigene Vorſtellungen; die mehreſten aber hat daſſelbe mit den Griechen ge-
mein: welches zugleich anzeiget, daß die Hetrurier und Griechen einerley
Urſprung haben, und zwar von den Pelasgern, wie die alten Scribenten
berichten, und die Neueren 1) in gelehrten Unterſuchungen beſtaͤtigen, und
daß dieſe Voͤlker beſtaͤndig in einer gewiſſen Gemeinſchaft geſtanden ſeyn.

B.
Ihre eigen-
thumlichen
Vorſtellungen
waren zum
Theil ſeltſam,
wie bey den
aͤlteſten Grie-
chen.

Die Abbildung verſchiedener Hetruriſchen Gottheiten ſcheinet uns
ſeltſam; es waren aber auch unter den Griechen fremde und auſſerordent-
liche Geſtalten, wie die Bilder auf dem Kaſten des Cypſelus, bezeugen,
welche Pauſanias beſchreibet. Denn ſo wie die erhitzte und ungebundenen
Einbildung der erſten Dichter, theils zu Erweckung der Aufmerkſamkeit
und Verwunderung, theils zu Erregung der Leidenſchaften, fremde Bilder
ſucheten, und die den damals ungeſitteten Menſchen, mehr Eindruck als
zaͤrtliche Bilder, machen konnten, eben ſo und aus einerley Gruͤnden bil-
dete auch die Kunſt dergleichen Geſtalten. Der Jupiter in Pferdemiſt ein-
gehuͤllet, welchen ſich der Dichter Pampho 2), vor dem Homerus, einbildete,
iſt nicht fremder vorgeſtellet, als in der Kunſt der Griechen, Jupiter
Apomyos, oder Muſcarius, in Geſtalt einer Fliege, deren Fluͤgel den
Bart bilden, der Leib das Geſicht, und auf dem Kopfe iſt an der Stelle
der Haare, der Kopf der Fliege: ſo findet ſich derſelbe auf geſchnittenen
Steinen 3).

Die
1) Conf. Scalig. Not. in Varr. de re ruſt. p. 218.
2) ap. Philoſtr. Heroic. p. 693.
3) Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 45.
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[86/0136] I Theil. Drittes Capitel. Der zweyte Satz dieſes Stuͤcks von der Vorſtellung der Hetruriſchen Goͤtter und Helden begreift nicht den ganzen Umfang aller Nachrichten, ſondern nur das Nuͤtzliche, und Anmerkungen, welche zum Theil nicht ge- macht ſind, und naͤher zu meinem Zwecke dienen. Es finden ſich unter den Bildern der Goͤtter einige dieſem Volke allein eigene Vorſtellungen; die mehreſten aber hat daſſelbe mit den Griechen ge- mein: welches zugleich anzeiget, daß die Hetrurier und Griechen einerley Urſprung haben, und zwar von den Pelasgern, wie die alten Scribenten berichten, und die Neueren 1) in gelehrten Unterſuchungen beſtaͤtigen, und daß dieſe Voͤlker beſtaͤndig in einer gewiſſen Gemeinſchaft geſtanden ſeyn. Die Abbildung verſchiedener Hetruriſchen Gottheiten ſcheinet uns ſeltſam; es waren aber auch unter den Griechen fremde und auſſerordent- liche Geſtalten, wie die Bilder auf dem Kaſten des Cypſelus, bezeugen, welche Pauſanias beſchreibet. Denn ſo wie die erhitzte und ungebundenen Einbildung der erſten Dichter, theils zu Erweckung der Aufmerkſamkeit und Verwunderung, theils zu Erregung der Leidenſchaften, fremde Bilder ſucheten, und die den damals ungeſitteten Menſchen, mehr Eindruck als zaͤrtliche Bilder, machen konnten, eben ſo und aus einerley Gruͤnden bil- dete auch die Kunſt dergleichen Geſtalten. Der Jupiter in Pferdemiſt ein- gehuͤllet, welchen ſich der Dichter Pampho 2), vor dem Homerus, einbildete, iſt nicht fremder vorgeſtellet, als in der Kunſt der Griechen, Jupiter Apomyos, oder Muſcarius, in Geſtalt einer Fliege, deren Fluͤgel den Bart bilden, der Leib das Geſicht, und auf dem Kopfe iſt an der Stelle der Haare, der Kopf der Fliege: ſo findet ſich derſelbe auf geſchnittenen Steinen 3). Die 1) Conf. Scalig. Not. in Varr. de re ruſt. p. 218. 2) ap. Philoſtr. Heroic. p. 693. 3) Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 45.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/136>, abgerufen am 04.12.2024.