Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

war, ging auch er denselben Weg, bis er droben
den Krug bei der Kirche erreicht hatte, und das
Schwatzen und Schreien der vor dem Hause und
auf dem Flur sich Drängenden und das Schrillen
der Geigen und Clarinetten betäubend ihn um-
rauschte. Unbeachtet drückte er sich in den "Gilde-
saal"; er war nicht groß und so voll, daß man
kaum einen Schritt weit vor sich hinsehen konnte.
Schweigend stellte er sich an den Thürpfosten und
blickte in das unruhige Gewimmel; die Menschen
kamen ihm wie Narren vor; er hatte auch nicht
zu sorgen, daß Jemand noch an den Kampf des
Nachmittages dachte, und wer vor einer Stunde
erst das Spiel gewonnen hatte; jeder sah nur auf
seine Dirne und drehte sich mit ihr im Kreis
herum. Seine Augen suchten nur die Eine, und
endlich -- dort! Sie tanzte mit ihrem Vetter,
dem jungen Deichgevollmächtigten; aber schon sah
er sie nicht mehr; nur andere Dirnen aus Marsch
und Geest, die ihn nicht kümmerten. Dann
schnappten Violinen und Clarinetten plötzlich ab,
und der Tanz war zu Ende; aber gleich begann
auch schon ein anderer. Hauke flog es durch den
Kopf, ob denn Elke ihm auch Wort halten, ob

war, ging auch er denſelben Weg, bis er droben
den Krug bei der Kirche erreicht hatte, und das
Schwatzen und Schreien der vor dem Hauſe und
auf dem Flur ſich Drängenden und das Schrillen
der Geigen und Clarinetten betäubend ihn um-
rauſchte. Unbeachtet drückte er ſich in den „Gilde-
ſaal”; er war nicht groß und ſo voll, daß man
kaum einen Schritt weit vor ſich hinſehen konnte.
Schweigend ſtellte er ſich an den Thürpfoſten und
blickte in das unruhige Gewimmel; die Menſchen
kamen ihm wie Narren vor; er hatte auch nicht
zu ſorgen, daß Jemand noch an den Kampf des
Nachmittages dachte, und wer vor einer Stunde
erſt das Spiel gewonnen hatte; jeder ſah nur auf
ſeine Dirne und drehte ſich mit ihr im Kreis
herum. Seine Augen ſuchten nur die Eine, und
endlich — dort! Sie tanzte mit ihrem Vetter,
dem jungen Deichgevollmächtigten; aber ſchon ſah
er ſie nicht mehr; nur andere Dirnen aus Marſch
und Geeſt, die ihn nicht kümmerten. Dann
ſchnappten Violinen und Clarinetten plötzlich ab,
und der Tanz war zu Ende; aber gleich begann
auch ſchon ein anderer. Hauke flog es durch den
Kopf, ob denn Elke ihm auch Wort halten, ob

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0080" n="68"/>
war, ging auch er den&#x017F;elben Weg, bis er droben<lb/>
den Krug bei der Kirche erreicht hatte, und das<lb/>
Schwatzen und Schreien der vor dem Hau&#x017F;e und<lb/>
auf dem Flur &#x017F;ich Drängenden und das Schrillen<lb/>
der Geigen und Clarinetten betäubend ihn um-<lb/>
rau&#x017F;chte. Unbeachtet drückte er &#x017F;ich in den &#x201E;Gilde-<lb/>
&#x017F;aal&#x201D;; er war nicht groß und &#x017F;o voll, daß man<lb/>
kaum einen Schritt weit vor &#x017F;ich hin&#x017F;ehen konnte.<lb/>
Schweigend &#x017F;tellte er &#x017F;ich an den Thürpfo&#x017F;ten und<lb/>
blickte in das unruhige Gewimmel; die Men&#x017F;chen<lb/>
kamen ihm wie Narren vor; er hatte auch nicht<lb/>
zu &#x017F;orgen, daß Jemand noch an den Kampf des<lb/>
Nachmittages dachte, und wer vor einer Stunde<lb/>
er&#x017F;t das Spiel gewonnen hatte; jeder &#x017F;ah nur auf<lb/>
&#x017F;eine Dirne und drehte &#x017F;ich mit ihr im Kreis<lb/>
herum. Seine Augen &#x017F;uchten nur die Eine, und<lb/>
endlich &#x2014; dort! Sie tanzte mit ihrem Vetter,<lb/>
dem jungen Deichgevollmächtigten; aber &#x017F;chon &#x017F;ah<lb/>
er &#x017F;ie nicht mehr; nur andere Dirnen aus Mar&#x017F;ch<lb/>
und Gee&#x017F;t, die ihn nicht kümmerten. Dann<lb/>
&#x017F;chnappten Violinen und Clarinetten plötzlich ab,<lb/>
und der Tanz war zu Ende; aber gleich begann<lb/>
auch &#x017F;chon ein anderer. Hauke flog es durch den<lb/>
Kopf, ob denn Elke ihm auch Wort halten, ob<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0080] war, ging auch er denſelben Weg, bis er droben den Krug bei der Kirche erreicht hatte, und das Schwatzen und Schreien der vor dem Hauſe und auf dem Flur ſich Drängenden und das Schrillen der Geigen und Clarinetten betäubend ihn um- rauſchte. Unbeachtet drückte er ſich in den „Gilde- ſaal”; er war nicht groß und ſo voll, daß man kaum einen Schritt weit vor ſich hinſehen konnte. Schweigend ſtellte er ſich an den Thürpfoſten und blickte in das unruhige Gewimmel; die Menſchen kamen ihm wie Narren vor; er hatte auch nicht zu ſorgen, daß Jemand noch an den Kampf des Nachmittages dachte, und wer vor einer Stunde erſt das Spiel gewonnen hatte; jeder ſah nur auf ſeine Dirne und drehte ſich mit ihr im Kreis herum. Seine Augen ſuchten nur die Eine, und endlich — dort! Sie tanzte mit ihrem Vetter, dem jungen Deichgevollmächtigten; aber ſchon ſah er ſie nicht mehr; nur andere Dirnen aus Marſch und Geeſt, die ihn nicht kümmerten. Dann ſchnappten Violinen und Clarinetten plötzlich ab, und der Tanz war zu Ende; aber gleich begann auch ſchon ein anderer. Hauke flog es durch den Kopf, ob denn Elke ihm auch Wort halten, ob

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/80
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/80>, abgerufen am 22.12.2024.