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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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das Ziel, die große weiß gekalkte Tonne, klar in
Sicht kam. Er war jetzt ein fester junger Kerl,
und Mathematik und Wurfkunst hatte er täglich
während seiner Knabenzeit getrieben. "Oho, Hauke!"
rief es aus dem Haufen; "das war ja, als habe
der Erzengel Michael selbst geworfen!" Eine alte
Frau mit Kuchen und Branntwein drängte sich
durch den Haufen zu ihm; sie schenkte ein Glas
voll und bot es ihm: "Komm," sagte sie, "wir
wollen uns vertragen: das heut' ist besser, als da
Du mir die Katze todtschlugst!" Als er sie ansah,
erkannte er, daß es Trien' Jans war. "Ich dank'
Dir, Alte," sagte er; "aber ich trink' das nicht."
Er griff in seine Tasche und drückte ihr ein frisch-
geprägtes Markstück in die Hand: "Nimm das
und trink' selber das Glas aus, Trien'; so haben
wir uns vertragen!"

"Hast recht, Hauke!" erwiderte die Alte, indem
sie seiner Anweisung folgte; "hast recht; das ist
auch besser für ein altes Weib, wie ich!"

"Wie geht's mit Deinen Enten?" rief er ihr
noch nach, als sie sich schon mit ihrem Korbe
fortmachte; aber sie schüttelte nur den Kopf, ohne
sich umzuwenden, und patschte mit ihren alten

das Ziel, die große weiß gekalkte Tonne, klar in
Sicht kam. Er war jetzt ein feſter junger Kerl,
und Mathematik und Wurfkunſt hatte er täglich
während ſeiner Knabenzeit getrieben. „Oho, Hauke!”
rief es aus dem Haufen; „das war ja, als habe
der Erzengel Michael ſelbſt geworfen!” Eine alte
Frau mit Kuchen und Branntwein drängte ſich
durch den Haufen zu ihm; ſie ſchenkte ein Glas
voll und bot es ihm: „Komm,” ſagte ſie, „wir
wollen uns vertragen: das heut' iſt beſſer, als da
Du mir die Katze todtſchlugſt!” Als er ſie anſah,
erkannte er, daß es Trien' Jans war. „Ich dank'
Dir, Alte,” ſagte er; „aber ich trink' das nicht.”
Er griff in ſeine Taſche und drückte ihr ein friſch-
geprägtes Markſtück in die Hand: „Nimm das
und trink' ſelber das Glas aus, Trien'; ſo haben
wir uns vertragen!”

„Haſt recht, Hauke!” erwiderte die Alte, indem
ſie ſeiner Anweiſung folgte; „haſt recht; das iſt
auch beſſer für ein altes Weib, wie ich!”

„Wie geht's mit Deinen Enten?” rief er ihr
noch nach, als ſie ſich ſchon mit ihrem Korbe
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[63/0075] das Ziel, die große weiß gekalkte Tonne, klar in Sicht kam. Er war jetzt ein feſter junger Kerl, und Mathematik und Wurfkunſt hatte er täglich während ſeiner Knabenzeit getrieben. „Oho, Hauke!” rief es aus dem Haufen; „das war ja, als habe der Erzengel Michael ſelbſt geworfen!” Eine alte Frau mit Kuchen und Branntwein drängte ſich durch den Haufen zu ihm; ſie ſchenkte ein Glas voll und bot es ihm: „Komm,” ſagte ſie, „wir wollen uns vertragen: das heut' iſt beſſer, als da Du mir die Katze todtſchlugſt!” Als er ſie anſah, erkannte er, daß es Trien' Jans war. „Ich dank' Dir, Alte,” ſagte er; „aber ich trink' das nicht.” Er griff in ſeine Taſche und drückte ihr ein friſch- geprägtes Markſtück in die Hand: „Nimm das und trink' ſelber das Glas aus, Trien'; ſo haben wir uns vertragen!” „Haſt recht, Hauke!” erwiderte die Alte, indem ſie ſeiner Anweiſung folgte; „haſt recht; das iſt auch beſſer für ein altes Weib, wie ich!” „Wie geht's mit Deinen Enten?” rief er ihr noch nach, als ſie ſich ſchon mit ihrem Korbe fortmachte; aber ſie ſchüttelte nur den Kopf, ohne ſich umzuwenden, und patſchte mit ihren alten

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/75>, abgerufen am 21.11.2024.