Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Stiefeln an und machte sich guten Muthes auf
den Weg.

-- Das langgestreckte Haus des Deichgrafen
war durch seine hohe Werfte, besonders durch den
höchsten Baum des Dorfes, eine gewaltige Esche,
schon von Weitem sichtbar; der Großvater des
jetzigen, der erste Deichgraf des Geschlechtes, hatte
in seiner Jugend eine solche osten der Hausthür
hier gesetzt; aber die beiden ersten Anpflanzungen
waren vergangen, und so hatte er an seinem
Hochzeitsmorgen diesen dritten Baum gepflanzt,
der noch jetzt mit seiner immer mächtiger werdenden
Blätterkrone in dem hier unablässigen Winde wie
von alten Zeiten rauschte.

Als nach einer Weile der lang aufgeschossene
Hauke die hohe Werfte hinaufstieg, welche an den
Seiten mit Rüben und Kohl bepflanzt war, sah
er droben die Tochter des Hauswirths neben der
niedrigen Hausthür stehen. Ihr einer etwas hagerer
Arm hing schlaff herab, die andere Hand schien
im Rücken nach dem Eisenring zu greifen, von
denen je einer zu beiden Seiten der Thür in der
Mauer war, damit, wer vor das Haus ritt, sein
Pferd daran befestigen könne. Die Dirne schien

3 *

Stiefeln an und machte ſich guten Muthes auf
den Weg.

— Das langgeſtreckte Haus des Deichgrafen
war durch ſeine hohe Werfte, beſonders durch den
höchſten Baum des Dorfes, eine gewaltige Eſche,
ſchon von Weitem ſichtbar; der Großvater des
jetzigen, der erſte Deichgraf des Geſchlechtes, hatte
in ſeiner Jugend eine ſolche oſten der Hausthür
hier geſetzt; aber die beiden erſten Anpflanzungen
waren vergangen, und ſo hatte er an ſeinem
Hochzeitsmorgen dieſen dritten Baum gepflanzt,
der noch jetzt mit ſeiner immer mächtiger werdenden
Blätterkrone in dem hier unabläſſigen Winde wie
von alten Zeiten rauſchte.

Als nach einer Weile der lang aufgeſchoſſene
Hauke die hohe Werfte hinaufſtieg, welche an den
Seiten mit Rüben und Kohl bepflanzt war, ſah
er droben die Tochter des Hauswirths neben der
niedrigen Hausthür ſtehen. Ihr einer etwas hagerer
Arm hing ſchlaff herab, die andere Hand ſchien
im Rücken nach dem Eiſenring zu greifen, von
denen je einer zu beiden Seiten der Thür in der
Mauer war, damit, wer vor das Haus ritt, ſein
Pferd daran befeſtigen könne. Die Dirne ſchien

3 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0047" n="35"/>
Stiefeln an und machte &#x017F;ich guten Muthes auf<lb/>
den Weg.</p><lb/>
        <p>&#x2014; Das langge&#x017F;treckte Haus des Deichgrafen<lb/>
war durch &#x017F;eine hohe Werfte, be&#x017F;onders durch den<lb/>
höch&#x017F;ten Baum des Dorfes, eine gewaltige E&#x017F;che,<lb/>
&#x017F;chon von Weitem &#x017F;ichtbar; der Großvater des<lb/>
jetzigen, der er&#x017F;te Deichgraf des Ge&#x017F;chlechtes, hatte<lb/>
in &#x017F;einer Jugend eine &#x017F;olche o&#x017F;ten der Hausthür<lb/>
hier ge&#x017F;etzt; aber die beiden er&#x017F;ten Anpflanzungen<lb/>
waren vergangen, und &#x017F;o hatte er an &#x017F;einem<lb/>
Hochzeitsmorgen die&#x017F;en dritten Baum gepflanzt,<lb/>
der noch jetzt mit &#x017F;einer immer mächtiger werdenden<lb/>
Blätterkrone in dem hier unablä&#x017F;&#x017F;igen Winde wie<lb/>
von alten Zeiten rau&#x017F;chte.</p><lb/>
        <p>Als nach einer Weile der lang aufge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;ene<lb/>
Hauke die hohe Werfte hinauf&#x017F;tieg, welche an den<lb/>
Seiten mit Rüben und Kohl bepflanzt war, &#x017F;ah<lb/>
er droben die Tochter des Hauswirths neben der<lb/>
niedrigen Hausthür &#x017F;tehen. Ihr einer etwas hagerer<lb/>
Arm hing &#x017F;chlaff herab, die andere Hand &#x017F;chien<lb/>
im Rücken nach dem Ei&#x017F;enring zu greifen, von<lb/>
denen je einer zu beiden Seiten der Thür in der<lb/>
Mauer war, damit, wer vor das Haus ritt, &#x017F;ein<lb/>
Pferd daran befe&#x017F;tigen könne. Die Dirne &#x017F;chien<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">3 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0047] Stiefeln an und machte ſich guten Muthes auf den Weg. — Das langgeſtreckte Haus des Deichgrafen war durch ſeine hohe Werfte, beſonders durch den höchſten Baum des Dorfes, eine gewaltige Eſche, ſchon von Weitem ſichtbar; der Großvater des jetzigen, der erſte Deichgraf des Geſchlechtes, hatte in ſeiner Jugend eine ſolche oſten der Hausthür hier geſetzt; aber die beiden erſten Anpflanzungen waren vergangen, und ſo hatte er an ſeinem Hochzeitsmorgen dieſen dritten Baum gepflanzt, der noch jetzt mit ſeiner immer mächtiger werdenden Blätterkrone in dem hier unabläſſigen Winde wie von alten Zeiten rauſchte. Als nach einer Weile der lang aufgeſchoſſene Hauke die hohe Werfte hinaufſtieg, welche an den Seiten mit Rüben und Kohl bepflanzt war, ſah er droben die Tochter des Hauswirths neben der niedrigen Hausthür ſtehen. Ihr einer etwas hagerer Arm hing ſchlaff herab, die andere Hand ſchien im Rücken nach dem Eiſenring zu greifen, von denen je einer zu beiden Seiten der Thür in der Mauer war, damit, wer vor das Haus ritt, ſein Pferd daran befeſtigen könne. Die Dirne ſchien 3 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/47
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/47>, abgerufen am 22.12.2024.