Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

die unsichtbaren Wattströme sich darunter drängten,
hob und senkte die Eisfläche sich in stromartigen
Linien.

Er lief nach Hause; aber an einem der nächsten
Abende war er wiederum da draußen. Auf jenen
Stellen war jetzt das Eis gespalten; wie Rauch-
wolken stieg es aus den Rissen, und über das ganze
Watt spann sich ein Netz von Dampf und Nebel,
das sich seltsam mit der Dämmerung des Abends
mischte. Hauke sah mit starren Augen darauf
hin; denn in dem Nebel schritten dunkle Gestalten
auf und ab, sie schienen ihm so groß wie Menschen.
Würdevoll, aber mit seltsamen, erschreckenden Ge-
bärden; mit langen Nasen und Hälsen sah er sie
fern an den rauchenden Spalten auf und ab spazieren;
plötzlich begannen sie wie Narren unheimlich auf
und ab zu springen, die großen über die kleinen
und die kleinen gegen die großen; dann breiteten
sie sich aus und verloren alle Form.

"Was wollen die? Sind es die Geister der
Ertrunkenen?" dachte Hauke. "Hoiho!" schrie er
laut in die Nacht hinaus; aber die draußen kehrten
sich nicht an seinen Schrei, sondern trieben ihr
wunderliches Wesen fort.

die unſichtbaren Wattſtröme ſich darunter drängten,
hob und ſenkte die Eisfläche ſich in ſtromartigen
Linien.

Er lief nach Hauſe; aber an einem der nächſten
Abende war er wiederum da draußen. Auf jenen
Stellen war jetzt das Eis geſpalten; wie Rauch-
wolken ſtieg es aus den Riſſen, und über das ganze
Watt ſpann ſich ein Netz von Dampf und Nebel,
das ſich ſeltſam mit der Dämmerung des Abends
miſchte. Hauke ſah mit ſtarren Augen darauf
hin; denn in dem Nebel ſchritten dunkle Geſtalten
auf und ab, ſie ſchienen ihm ſo groß wie Menſchen.
Würdevoll, aber mit ſeltſamen, erſchreckenden Ge-
bärden; mit langen Naſen und Hälſen ſah er ſie
fern an den rauchenden Spalten auf und ab ſpazieren;
plötzlich begannen ſie wie Narren unheimlich auf
und ab zu ſpringen, die großen über die kleinen
und die kleinen gegen die großen; dann breiteten
ſie ſich aus und verloren alle Form.

„Was wollen die? Sind es die Geiſter der
Ertrunkenen?” dachte Hauke. „Hoiho!” ſchrie er
laut in die Nacht hinaus; aber die draußen kehrten
ſich nicht an ſeinen Schrei, ſondern trieben ihr
wunderliches Weſen fort.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032" n="20"/>
die un&#x017F;ichtbaren Watt&#x017F;tröme &#x017F;ich darunter drängten,<lb/>
hob und &#x017F;enkte die Eisfläche &#x017F;ich in &#x017F;tromartigen<lb/>
Linien.</p><lb/>
        <p>Er lief nach Hau&#x017F;e; aber an einem der näch&#x017F;ten<lb/>
Abende war er wiederum da draußen. Auf jenen<lb/>
Stellen war jetzt das Eis ge&#x017F;palten; wie Rauch-<lb/>
wolken &#x017F;tieg es aus den Ri&#x017F;&#x017F;en, und über das ganze<lb/>
Watt &#x017F;pann &#x017F;ich ein Netz von Dampf und Nebel,<lb/>
das &#x017F;ich &#x017F;elt&#x017F;am mit der Dämmerung des Abends<lb/>
mi&#x017F;chte. Hauke &#x017F;ah mit &#x017F;tarren Augen darauf<lb/>
hin; denn in dem Nebel &#x017F;chritten dunkle Ge&#x017F;talten<lb/>
auf und ab, &#x017F;ie &#x017F;chienen ihm &#x017F;o groß wie Men&#x017F;chen.<lb/>
Würdevoll, aber mit &#x017F;elt&#x017F;amen, er&#x017F;chreckenden Ge-<lb/>
bärden; mit langen Na&#x017F;en und Häl&#x017F;en &#x017F;ah er &#x017F;ie<lb/>
fern an den rauchenden Spalten auf und ab &#x017F;pazieren;<lb/>
plötzlich begannen &#x017F;ie wie Narren unheimlich auf<lb/>
und ab zu &#x017F;pringen, die großen über die kleinen<lb/>
und die kleinen gegen die großen; dann breiteten<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich aus und verloren alle Form.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was wollen die? Sind es die Gei&#x017F;ter der<lb/>
Ertrunkenen?&#x201D; dachte Hauke. &#x201E;Hoiho!&#x201D; &#x017F;chrie er<lb/>
laut in die Nacht hinaus; aber die draußen kehrten<lb/>
&#x017F;ich nicht an &#x017F;einen Schrei, &#x017F;ondern trieben ihr<lb/>
wunderliches We&#x017F;en fort.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0032] die unſichtbaren Wattſtröme ſich darunter drängten, hob und ſenkte die Eisfläche ſich in ſtromartigen Linien. Er lief nach Hauſe; aber an einem der nächſten Abende war er wiederum da draußen. Auf jenen Stellen war jetzt das Eis geſpalten; wie Rauch- wolken ſtieg es aus den Riſſen, und über das ganze Watt ſpann ſich ein Netz von Dampf und Nebel, das ſich ſeltſam mit der Dämmerung des Abends miſchte. Hauke ſah mit ſtarren Augen darauf hin; denn in dem Nebel ſchritten dunkle Geſtalten auf und ab, ſie ſchienen ihm ſo groß wie Menſchen. Würdevoll, aber mit ſeltſamen, erſchreckenden Ge- bärden; mit langen Naſen und Hälſen ſah er ſie fern an den rauchenden Spalten auf und ab ſpazieren; plötzlich begannen ſie wie Narren unheimlich auf und ab zu ſpringen, die großen über die kleinen und die kleinen gegen die großen; dann breiteten ſie ſich aus und verloren alle Form. „Was wollen die? Sind es die Geiſter der Ertrunkenen?” dachte Hauke. „Hoiho!” ſchrie er laut in die Nacht hinaus; aber die draußen kehrten ſich nicht an ſeinen Schrei, ſondern trieben ihr wunderliches Weſen fort.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/32
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/32>, abgerufen am 22.12.2024.