Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

"Die Deiche, sag' ich!"

-- "Was sind die Deiche?"

"Sie taugen nichts, Vater!" erwiderte Hauke.

Der Alte lachte ihm ins Gesicht. "Was denn,
Junge? Du bist wohl das Wunderkind aus Lübeck!"

Aber der Junge ließ sich nicht irren. "Die
Wasserseite ist zu steil," sagte er; "wenn es ein-
mal kommt, wie es mehr als einmal schon ge-
kommen ist, so können wir hier auch hinterm
Deich ersaufen!"

Der Alte holte seinen Kautabak aus der
Tasche, drehte einen Schrot ab und schob ihn
hinter die Zähne. "Und wieviel Karren hast Du
heut' geschoben?" frug er ärgerlich; denn er sah
wohl, daß auch die Deicharbeit bei dem Jungen
die Denkarbeit nicht hatte vertreiben können.

"Weiß nicht, Vater," sagte dieser; "so, was
die Anderen machten; vielleicht ein halbes Dutzend
mehr; aber -- die Deiche müssen anders werden!"

"Nun," meinte der Alte und stieß ein Lachen
aus; "Du kannst es ja vielleicht zum Deichgraf
bringen; dann mach' sie anders!"

"Ja, Vater!" erwiderte der Junge.

Der Alte sah ihn an und schluckte ein paar

„Die Deiche, ſag' ich!”

— „Was ſind die Deiche?”

„Sie taugen nichts, Vater!” erwiderte Hauke.

Der Alte lachte ihm ins Geſicht. „Was denn,
Junge? Du biſt wohl das Wunderkind aus Lübeck!”

Aber der Junge ließ ſich nicht irren. „Die
Waſſerſeite iſt zu ſteil,” ſagte er; „wenn es ein-
mal kommt, wie es mehr als einmal ſchon ge-
kommen iſt, ſo können wir hier auch hinterm
Deich erſaufen!”

Der Alte holte ſeinen Kautabak aus der
Taſche, drehte einen Schrot ab und ſchob ihn
hinter die Zähne. „Und wieviel Karren haſt Du
heut' geſchoben?” frug er ärgerlich; denn er ſah
wohl, daß auch die Deicharbeit bei dem Jungen
die Denkarbeit nicht hatte vertreiben können.

„Weiß nicht, Vater,” ſagte dieſer; „ſo, was
die Anderen machten; vielleicht ein halbes Dutzend
mehr; aber — die Deiche müſſen anders werden!”

„Nun,” meinte der Alte und ſtieß ein Lachen
aus; „Du kannſt es ja vielleicht zum Deichgraf
bringen; dann mach' ſie anders!”

„Ja, Vater!” erwiderte der Junge.

Der Alte ſah ihn an und ſchluckte ein paar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0028" n="16"/>
        <p>&#x201E;Die Deiche, &#x017F;ag' ich!&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Was &#x017F;ind die Deiche?&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie taugen nichts, Vater!&#x201D; erwiderte Hauke.</p><lb/>
        <p>Der Alte lachte ihm ins Ge&#x017F;icht. &#x201E;Was denn,<lb/>
Junge? Du bi&#x017F;t wohl das Wunderkind aus Lübeck!&#x201D;</p><lb/>
        <p>Aber der Junge ließ &#x017F;ich nicht irren. &#x201E;Die<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;eite i&#x017F;t zu &#x017F;teil,&#x201D; &#x017F;agte er; &#x201E;wenn es ein-<lb/>
mal kommt, wie es mehr als einmal &#x017F;chon ge-<lb/>
kommen i&#x017F;t, &#x017F;o können wir hier auch hinterm<lb/>
Deich er&#x017F;aufen!&#x201D;</p><lb/>
        <p>Der Alte holte &#x017F;einen Kautabak aus der<lb/>
Ta&#x017F;che, drehte einen Schrot ab und &#x017F;chob ihn<lb/>
hinter die Zähne. &#x201E;Und wieviel Karren ha&#x017F;t Du<lb/>
heut' ge&#x017F;choben?&#x201D; frug er ärgerlich; denn er &#x017F;ah<lb/>
wohl, daß auch die Deicharbeit bei dem Jungen<lb/>
die Denkarbeit nicht hatte vertreiben können.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weiß nicht, Vater,&#x201D; &#x017F;agte die&#x017F;er; &#x201E;&#x017F;o, was<lb/>
die Anderen machten; vielleicht ein halbes Dutzend<lb/>
mehr; aber &#x2014; die Deiche mü&#x017F;&#x017F;en anders werden!&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun,&#x201D; meinte der Alte und &#x017F;tieß ein Lachen<lb/>
aus; &#x201E;Du kann&#x017F;t es ja vielleicht zum Deichgraf<lb/>
bringen; dann mach' &#x017F;ie anders!&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, Vater!&#x201D; erwiderte der Junge.</p><lb/>
        <p>Der Alte &#x017F;ah ihn an und &#x017F;chluckte ein paar<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0028] „Die Deiche, ſag' ich!” — „Was ſind die Deiche?” „Sie taugen nichts, Vater!” erwiderte Hauke. Der Alte lachte ihm ins Geſicht. „Was denn, Junge? Du biſt wohl das Wunderkind aus Lübeck!” Aber der Junge ließ ſich nicht irren. „Die Waſſerſeite iſt zu ſteil,” ſagte er; „wenn es ein- mal kommt, wie es mehr als einmal ſchon ge- kommen iſt, ſo können wir hier auch hinterm Deich erſaufen!” Der Alte holte ſeinen Kautabak aus der Taſche, drehte einen Schrot ab und ſchob ihn hinter die Zähne. „Und wieviel Karren haſt Du heut' geſchoben?” frug er ärgerlich; denn er ſah wohl, daß auch die Deicharbeit bei dem Jungen die Denkarbeit nicht hatte vertreiben können. „Weiß nicht, Vater,” ſagte dieſer; „ſo, was die Anderen machten; vielleicht ein halbes Dutzend mehr; aber — die Deiche müſſen anders werden!” „Nun,” meinte der Alte und ſtieß ein Lachen aus; „Du kannſt es ja vielleicht zum Deichgraf bringen; dann mach' ſie anders!” „Ja, Vater!” erwiderte der Junge. Der Alte ſah ihn an und ſchluckte ein paar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/28
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/28>, abgerufen am 22.12.2024.