Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

dort etwas anders worden," sagte er und zog die
Wolldecke vom Fenster; es war heller Mondschein.
"Seht nur," fuhr er fort, "dort kommen die
Gevollmächtigten zurück; aber sie zerstreuen sich,
sie gehen nach Hause; -- drüben am andern Ufer
muß ein Bruch geschehen sein; das Wasser ist
gefallen."

Ich blickte neben ihm hinaus; die Fenster hier
oben lagen über dem Rand des Deiches; es war,
wie er gesagt hatte. Ich nahm mein Glas und
trank den Rest: "Haben Sie Dank für diesen
Abend!" sagte ich; "ich denk', wir können ruhig
schlafen!"

"Das können wir;" entgegnete der kleine Herr;
"ich wünsche von Herzen eine wohlschlafende Nacht!"

-- -- Beim Hinabgehen traf ich unten auf
dem Flur den Deichgrafen; er wollte noch eine
Karte, die er in der Schenkstube gelassen hatte,
mit nach Hause nehmen. "Alles vorüber!" sagte
er. "Aber unser Schulmeister hat Ihnen wohl schön
was weiß gemacht; er gehört zu den Aufklärern!"

-- "Er scheint ein verständiger Mann!"

"Ja, ja, gewiß; aber Sie können Ihren eigenen
Augen doch nicht mißtrauen; und drüben an der

dort etwas anders worden,” ſagte er und zog die
Wolldecke vom Fenſter; es war heller Mondſchein.
„Seht nur,” fuhr er fort, „dort kommen die
Gevollmächtigten zurück; aber ſie zerſtreuen ſich,
ſie gehen nach Hauſe; — drüben am andern Ufer
muß ein Bruch geſchehen ſein; das Waſſer iſt
gefallen.”

Ich blickte neben ihm hinaus; die Fenſter hier
oben lagen über dem Rand des Deiches; es war,
wie er geſagt hatte. Ich nahm mein Glas und
trank den Reſt: „Haben Sie Dank für dieſen
Abend!” ſagte ich; „ich denk', wir können ruhig
ſchlafen!”

„Das können wir;” entgegnete der kleine Herr;
„ich wünſche von Herzen eine wohlſchlafende Nacht!”

— — Beim Hinabgehen traf ich unten auf
dem Flur den Deichgrafen; er wollte noch eine
Karte, die er in der Schenkſtube gelaſſen hatte,
mit nach Hauſe nehmen. „Alles vorüber!” ſagte
er. „Aber unſer Schulmeiſter hat Ihnen wohl ſchön
was weiß gemacht; er gehört zu den Aufklärern!”

— „Er ſcheint ein verſtändiger Mann!”

„Ja, ja, gewiß; aber Sie können Ihren eigenen
Augen doch nicht mißtrauen; und drüben an der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0233" n="221"/>
dort etwas anders worden,&#x201D; &#x017F;agte er und zog die<lb/>
Wolldecke vom Fen&#x017F;ter; es war heller Mond&#x017F;chein.<lb/>
&#x201E;Seht nur,&#x201D; fuhr er fort, &#x201E;dort kommen die<lb/>
Gevollmächtigten zurück; aber &#x017F;ie zer&#x017F;treuen &#x017F;ich,<lb/>
&#x017F;ie gehen nach Hau&#x017F;e; &#x2014; drüben am andern Ufer<lb/>
muß ein Bruch ge&#x017F;chehen &#x017F;ein; das Wa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t<lb/>
gefallen.&#x201D;</p><lb/>
        <p>Ich blickte neben ihm hinaus; die Fen&#x017F;ter hier<lb/>
oben lagen über dem Rand des Deiches; es war,<lb/>
wie er ge&#x017F;agt hatte. Ich nahm mein Glas und<lb/>
trank den Re&#x017F;t: &#x201E;Haben Sie Dank für die&#x017F;en<lb/>
Abend!&#x201D; &#x017F;agte ich; &#x201E;ich denk', wir können ruhig<lb/>
&#x017F;chlafen!&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das können wir;&#x201D; entgegnete der kleine Herr;<lb/>
&#x201E;ich wün&#x017F;che von Herzen eine wohl&#x017F;chlafende Nacht!&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x2014; Beim Hinabgehen traf ich unten auf<lb/>
dem Flur den Deichgrafen; er wollte noch eine<lb/>
Karte, die er in der Schenk&#x017F;tube gela&#x017F;&#x017F;en hatte,<lb/>
mit nach Hau&#x017F;e nehmen. &#x201E;Alles vorüber!&#x201D; &#x017F;agte<lb/>
er. &#x201E;Aber un&#x017F;er Schulmei&#x017F;ter hat Ihnen wohl &#x017F;chön<lb/>
was weiß gemacht; er gehört zu den Aufklärern!&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Er &#x017F;cheint ein ver&#x017F;tändiger Mann!&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, ja, gewiß; aber Sie können Ihren eigenen<lb/>
Augen doch nicht mißtrauen; und drüben an der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0233] dort etwas anders worden,” ſagte er und zog die Wolldecke vom Fenſter; es war heller Mondſchein. „Seht nur,” fuhr er fort, „dort kommen die Gevollmächtigten zurück; aber ſie zerſtreuen ſich, ſie gehen nach Hauſe; — drüben am andern Ufer muß ein Bruch geſchehen ſein; das Waſſer iſt gefallen.” Ich blickte neben ihm hinaus; die Fenſter hier oben lagen über dem Rand des Deiches; es war, wie er geſagt hatte. Ich nahm mein Glas und trank den Reſt: „Haben Sie Dank für dieſen Abend!” ſagte ich; „ich denk', wir können ruhig ſchlafen!” „Das können wir;” entgegnete der kleine Herr; „ich wünſche von Herzen eine wohlſchlafende Nacht!” — — Beim Hinabgehen traf ich unten auf dem Flur den Deichgrafen; er wollte noch eine Karte, die er in der Schenkſtube gelaſſen hatte, mit nach Hauſe nehmen. „Alles vorüber!” ſagte er. „Aber unſer Schulmeiſter hat Ihnen wohl ſchön was weiß gemacht; er gehört zu den Aufklärern!” — „Er ſcheint ein verſtändiger Mann!” „Ja, ja, gewiß; aber Sie können Ihren eigenen Augen doch nicht mißtrauen; und drüben an der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/233
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/233>, abgerufen am 22.12.2024.