"Beim lieben Gott!" wiederholte das Kind und schwieg eine Weile, als müsse es den Worten nachsinnen. "Ist das gut, beim lieben Gott?"
"Ja, das ist das Beste." -- In Hauke's Innern aber klang schwer die letzte Rede der Sterbenden. "Gott gnad de Annern!" sprach es leise in ihm. "Was wollte die alte Hexe? Sind denn die Sterbenden Propheten? -- --"
-- -- Bald, nachdem Trien' Jans oben bei der Kirche eingegraben war, begann man immer lauter von allerlei Unheil und seltsamem Geschmeiß zu reden, das die Menschen in Nordfriesland er- schreckt haben sollte; und sicher war es, am Sonn- tage Lätare war droben von der Thurmspitze der goldne Hahn durch einen Wirbelwind herabgeworfen worden; auch das war richtig, im Hochsommer fiel, wie ein Schnee, ein groß Geschmeiß vom Himmel, daß man die Augen davor nicht aufthun konnte, und es hernach fast handhoch auf den Fennen lag, und hatte Niemand je so was gesehen; als aber nach Ende September der Großknecht mit Korn und die Magd Ann' Grethe mit Butter in die Stadt zu Markt gefahren waren, kletterten sie bei ihrer Rückkunft mit schreckensbleichen Gesichtern
„Beim lieben Gott!” wiederholte das Kind und ſchwieg eine Weile, als müſſe es den Worten nachſinnen. „Iſt das gut, beim lieben Gott?”
„Ja, das iſt das Beſte.” — In Hauke's Innern aber klang ſchwer die letzte Rede der Sterbenden. „Gott gnåd de Annern!” ſprach es leiſe in ihm. „Was wollte die alte Hexe? Sind denn die Sterbenden Propheten? — —”
— — Bald, nachdem Trien' Jans oben bei der Kirche eingegraben war, begann man immer lauter von allerlei Unheil und ſeltſamem Geſchmeiß zu reden, das die Menſchen in Nordfriesland er- ſchreckt haben ſollte; und ſicher war es, am Sonn- tage Lätare war droben von der Thurmſpitze der goldne Hahn durch einen Wirbelwind herabgeworfen worden; auch das war richtig, im Hochſommer fiel, wie ein Schnee, ein groß Geſchmeiß vom Himmel, daß man die Augen davor nicht aufthun konnte, und es hernach faſt handhoch auf den Fennen lag, und hatte Niemand je ſo was geſehen; als aber nach Ende September der Großknecht mit Korn und die Magd Ann' Grethe mit Butter in die Stadt zu Markt gefahren waren, kletterten ſie bei ihrer Rückkunft mit ſchreckensbleichen Geſichtern
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„Beim lieben Gott!” wiederholte das Kind
und ſchwieg eine Weile, als müſſe es den Worten
nachſinnen. „Iſt das gut, beim lieben Gott?”
„Ja, das iſt das Beſte.” — In Hauke's
Innern aber klang ſchwer die letzte Rede der
Sterbenden. „Gott gnåd de Annern!” ſprach es
leiſe in ihm. „Was wollte die alte Hexe? Sind
denn die Sterbenden Propheten? — —”
— — Bald, nachdem Trien' Jans oben bei
der Kirche eingegraben war, begann man immer
lauter von allerlei Unheil und ſeltſamem Geſchmeiß
zu reden, das die Menſchen in Nordfriesland er-
ſchreckt haben ſollte; und ſicher war es, am Sonn-
tage Lätare war droben von der Thurmſpitze der
goldne Hahn durch einen Wirbelwind herabgeworfen
worden; auch das war richtig, im Hochſommer fiel,
wie ein Schnee, ein groß Geſchmeiß vom Himmel,
daß man die Augen davor nicht aufthun konnte,
und es hernach faſt handhoch auf den Fennen lag,
und hatte Niemand je ſo was geſehen; als aber
nach Ende September der Großknecht mit Korn
und die Magd Ann' Grethe mit Butter in die
Stadt zu Markt gefahren waren, kletterten ſie
bei ihrer Rückkunft mit ſchreckensbleichen Geſichtern
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin), April/Mai 1888. Erste Buchausgabe Berlin: Paetel 1888, diese wurde für das DTA zur Digitalisierung herangezogen.
Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/210>, abgerufen am 16.02.2025.
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