Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

seines Mantels. Mit plötzlichem Entschluß wandte
er seinen Schimmel gegen den nächsten Wagen:
"Stroh an die Kante!" rief er herrisch, und wie
mechanisch gehorchte ihm der Fuhrknecht; bald
rauschte es hinab in die Tiefe, und von allen Seiten
regte es sich aufs Neue und mit allen Armen.

Eine Stunde war noch so gearbeitet; es war
nach sechs Uhr, und schon brach tiefe Dämmerung
herein; der Regen hatte aufgehört; da rief Hauke
die Aufseher an sein Pferd: "Morgen früh vier
Uhr," sagte er, "ist Alles wieder auf dem Platz;
der Mond wird noch am Himmel sein; da machen
wir mit Gott den Schluß! Und dann noch Eines!"
rief er, als sie gehen wollten: "Kennt Ihr den
Hund?" und er nahm das zitternde Thier aus
seinem Mantel.

Sie verneinten das; nur Einer sagte: "Der
hat sich taglang schon im Dorf herumgebettelt;
der gehört gar Keinem!"

"Dann ist er mein!" entgegnete der Deichgraf.
"Vergesset nicht: morgen früh vier Uhr!" und
ritt davon.

Als er heim kam, trat Ann' Grethe aus der
Thür; sie hatte saubere Kleidung an, und es

11 *

ſeines Mantels. Mit plötzlichem Entſchluß wandte
er ſeinen Schimmel gegen den nächſten Wagen:
„Stroh an die Kante!” rief er herriſch, und wie
mechaniſch gehorchte ihm der Fuhrknecht; bald
rauſchte es hinab in die Tiefe, und von allen Seiten
regte es ſich aufs Neue und mit allen Armen.

Eine Stunde war noch ſo gearbeitet; es war
nach ſechs Uhr, und ſchon brach tiefe Dämmerung
herein; der Regen hatte aufgehört; da rief Hauke
die Aufſeher an ſein Pferd: „Morgen früh vier
Uhr,” ſagte er, „iſt Alles wieder auf dem Platz;
der Mond wird noch am Himmel ſein; da machen
wir mit Gott den Schluß! Und dann noch Eines!”
rief er, als ſie gehen wollten: „Kennt Ihr den
Hund?” und er nahm das zitternde Thier aus
ſeinem Mantel.

Sie verneinten das; nur Einer ſagte: „Der
hat ſich taglang ſchon im Dorf herumgebettelt;
der gehört gar Keinem!”

„Dann iſt er mein!” entgegnete der Deichgraf.
„Vergeſſet nicht: morgen früh vier Uhr!” und
ritt davon.

Als er heim kam, trat Ann' Grethe aus der
Thür; ſie hatte ſaubere Kleidung an, und es

11 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0175" n="163"/>
&#x017F;eines Mantels. Mit plötzlichem Ent&#x017F;chluß wandte<lb/>
er &#x017F;einen Schimmel gegen den näch&#x017F;ten Wagen:<lb/>
&#x201E;Stroh an die Kante!&#x201D; rief er herri&#x017F;ch, und wie<lb/>
mechani&#x017F;ch gehorchte ihm der Fuhrknecht; bald<lb/>
rau&#x017F;chte es hinab in die Tiefe, und von allen Seiten<lb/>
regte es &#x017F;ich aufs Neue und mit allen Armen.</p><lb/>
        <p>Eine Stunde war noch &#x017F;o gearbeitet; es war<lb/>
nach &#x017F;echs Uhr, und &#x017F;chon brach tiefe Dämmerung<lb/>
herein; der Regen hatte aufgehört; da rief Hauke<lb/>
die Auf&#x017F;eher an &#x017F;ein Pferd: &#x201E;Morgen früh vier<lb/>
Uhr,&#x201D; &#x017F;agte er, &#x201E;i&#x017F;t Alles wieder auf dem Platz;<lb/>
der Mond wird noch am Himmel &#x017F;ein; da machen<lb/>
wir mit Gott den Schluß! Und dann noch Eines!&#x201D;<lb/>
rief er, als &#x017F;ie gehen wollten: &#x201E;Kennt Ihr den<lb/>
Hund?&#x201D; und er nahm das zitternde Thier aus<lb/>
&#x017F;einem Mantel.</p><lb/>
        <p>Sie verneinten das; nur Einer &#x017F;agte: &#x201E;Der<lb/>
hat &#x017F;ich taglang &#x017F;chon im Dorf herumgebettelt;<lb/>
der gehört gar Keinem!&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Dann i&#x017F;t er mein!&#x201D; entgegnete der Deichgraf.<lb/>
&#x201E;Verge&#x017F;&#x017F;et nicht: morgen früh vier Uhr!&#x201D; und<lb/>
ritt davon.</p><lb/>
        <p>Als er heim kam, trat Ann' Grethe aus der<lb/>
Thür; &#x017F;ie hatte &#x017F;aubere Kleidung an, und es<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">11 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0175] ſeines Mantels. Mit plötzlichem Entſchluß wandte er ſeinen Schimmel gegen den nächſten Wagen: „Stroh an die Kante!” rief er herriſch, und wie mechaniſch gehorchte ihm der Fuhrknecht; bald rauſchte es hinab in die Tiefe, und von allen Seiten regte es ſich aufs Neue und mit allen Armen. Eine Stunde war noch ſo gearbeitet; es war nach ſechs Uhr, und ſchon brach tiefe Dämmerung herein; der Regen hatte aufgehört; da rief Hauke die Aufſeher an ſein Pferd: „Morgen früh vier Uhr,” ſagte er, „iſt Alles wieder auf dem Platz; der Mond wird noch am Himmel ſein; da machen wir mit Gott den Schluß! Und dann noch Eines!” rief er, als ſie gehen wollten: „Kennt Ihr den Hund?” und er nahm das zitternde Thier aus ſeinem Mantel. Sie verneinten das; nur Einer ſagte: „Der hat ſich taglang ſchon im Dorf herumgebettelt; der gehört gar Keinem!” „Dann iſt er mein!” entgegnete der Deichgraf. „Vergeſſet nicht: morgen früh vier Uhr!” und ritt davon. Als er heim kam, trat Ann' Grethe aus der Thür; ſie hatte ſaubere Kleidung an, und es 11 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/175
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/175>, abgerufen am 22.12.2024.