wenn dann der Schimmel seine braunen Augen auf das Kind gerichtet hielt, dann sprach er wohl: "Komm her; sollst auch die Ehre haben!" und er setzte die kleine Wienke -- denn so war sie getauft worden -- auf seinen Sattel und führte den Schimmel auf der Werft im Kreise herum. Auch der alte Eschenbaum hatte mitunter die Ehre; er setzte das Kind auf einen schwanken Ast und ließ es schaukeln. Die Mutter stand mit lachenden Augen in der Hausthür; das Kind aber lachte nicht, seine Augen, zwischen denen ein feines Näschen stand, schauten ein wenig stumpf ins Weite, und die kleinen Hände griffen nicht nach dem Stöckchen, das der Vater ihr hinhielt. Hauke achtete nicht darauf, er wußte auch nichts von so kleinen Kindern; nur Elke, wenn sie das helläugige Mädchen auf dem Arm ihrer Arbeitsfrau erblickte, die mit ihr zugleich das Wochenbett bestanden hatte, sagte mitunter schmerzlich: "Das Meine ist noch nicht so weit wie Deines, Stina!" und die Frau, ihren dicken Jungen, den sie an der Hand hatte, mit derber Liebe schüttelnd, rief dann wohl: "Ja, Frau, die Kinder sind verschieden; der da, der stahl mir schon die Aepfel aus der Kammer, bevor
wenn dann der Schimmel ſeine braunen Augen auf das Kind gerichtet hielt, dann ſprach er wohl: „Komm her; ſollſt auch die Ehre haben!” und er ſetzte die kleine Wienke — denn ſo war ſie getauft worden — auf ſeinen Sattel und führte den Schimmel auf der Werft im Kreiſe herum. Auch der alte Eſchenbaum hatte mitunter die Ehre; er ſetzte das Kind auf einen ſchwanken Aſt und ließ es ſchaukeln. Die Mutter ſtand mit lachenden Augen in der Hausthür; das Kind aber lachte nicht, ſeine Augen, zwiſchen denen ein feines Näschen ſtand, ſchauten ein wenig ſtumpf ins Weite, und die kleinen Hände griffen nicht nach dem Stöckchen, das der Vater ihr hinhielt. Hauke achtete nicht darauf, er wußte auch nichts von ſo kleinen Kindern; nur Elke, wenn ſie das helläugige Mädchen auf dem Arm ihrer Arbeitsfrau erblickte, die mit ihr zugleich das Wochenbett beſtanden hatte, ſagte mitunter ſchmerzlich: „Das Meine iſt noch nicht ſo weit wie Deines, Stina!” und die Frau, ihren dicken Jungen, den ſie an der Hand hatte, mit derber Liebe ſchüttelnd, rief dann wohl: „Ja, Frau, die Kinder ſind verſchieden; der da, der ſtahl mir ſchon die Aepfel aus der Kammer, bevor
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wenn dann der Schimmel ſeine braunen Augen
auf das Kind gerichtet hielt, dann ſprach er wohl:
„Komm her; ſollſt auch die Ehre haben!” und er
ſetzte die kleine Wienke — denn ſo war ſie getauft
worden — auf ſeinen Sattel und führte den
Schimmel auf der Werft im Kreiſe herum. Auch
der alte Eſchenbaum hatte mitunter die Ehre; er
ſetzte das Kind auf einen ſchwanken Aſt und ließ
es ſchaukeln. Die Mutter ſtand mit lachenden
Augen in der Hausthür; das Kind aber lachte
nicht, ſeine Augen, zwiſchen denen ein feines
Näschen ſtand, ſchauten ein wenig ſtumpf ins
Weite, und die kleinen Hände griffen nicht nach dem
Stöckchen, das der Vater ihr hinhielt. Hauke achtete
nicht darauf, er wußte auch nichts von ſo kleinen
Kindern; nur Elke, wenn ſie das helläugige Mädchen
auf dem Arm ihrer Arbeitsfrau erblickte, die mit
ihr zugleich das Wochenbett beſtanden hatte, ſagte
mitunter ſchmerzlich: „Das Meine iſt noch nicht ſo
weit wie Deines, Stina!” und die Frau, ihren
dicken Jungen, den ſie an der Hand hatte, mit
derber Liebe ſchüttelnd, rief dann wohl: „Ja,
Frau, die Kinder ſind verſchieden; der da, der
ſtahl mir ſchon die Aepfel aus der Kammer, bevor
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin), April/Mai 1888. Erste Buchausgabe Berlin: Paetel 1888, diese wurde für das DTA zur Digitalisierung herangezogen.
Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/168>, abgerufen am 04.01.2025.
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