Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Es war roth und hutzelig und wog seine sieben
Pfund, wie es für neugeborene Kinder sich gebührt,
wenn sie, wie dies, dem weiblichen Geschlechte an-
gehören; nur sein Geschrei war wunderlich verhohlen
und hatte der Wehmutter nicht gefallen wollen.
Das Schlimmste war, am dritten Tage lag Elke
im hellen Kindbettfieber, redete Irrsal und kannte
weder ihren Mann noch ihre alte Helferin. Die
unbändige Freude, die Hauke beim Anblick seines
Kindes ergriffen hatte, war zu Trübsal geworden;
der Arzt aus der Stadt war geholt, er saß am
Bett und fühlte den Puls und verschrieb und sah
rathlos um sich her. Hauke schüttelte den Kopf:
"Der hilft nicht; nur Gott kann helfen!" Er hatte
sich sein eigen Christenthum zurecht gerechnet; aber
es war Etwas, das sein Gebet zurückhielt. Als
der alte Doctor davongefahren war, stand er am
Fenster, in den winterlichen Tag hinausstarrend,
und während die Kranke aus ihren Phantasien
aufschrie, schränkte er die Hände zusammen; er
wußte selber nicht, war es aus Andacht oder war
es nur, um in der ungeheueren Angst sich selbst
nicht zu verlieren.

"Wasser! Das Wasser!" wimmerte die Kranke.

Es war roth und hutzelig und wog ſeine ſieben
Pfund, wie es für neugeborene Kinder ſich gebührt,
wenn ſie, wie dies, dem weiblichen Geſchlechte an-
gehören; nur ſein Geſchrei war wunderlich verhohlen
und hatte der Wehmutter nicht gefallen wollen.
Das Schlimmſte war, am dritten Tage lag Elke
im hellen Kindbettfieber, redete Irrſal und kannte
weder ihren Mann noch ihre alte Helferin. Die
unbändige Freude, die Hauke beim Anblick ſeines
Kindes ergriffen hatte, war zu Trübſal geworden;
der Arzt aus der Stadt war geholt, er ſaß am
Bett und fühlte den Puls und verſchrieb und ſah
rathlos um ſich her. Hauke ſchüttelte den Kopf:
„Der hilft nicht; nur Gott kann helfen!” Er hatte
ſich ſein eigen Chriſtenthum zurecht gerechnet; aber
es war Etwas, das ſein Gebet zurückhielt. Als
der alte Doctor davongefahren war, ſtand er am
Fenſter, in den winterlichen Tag hinausſtarrend,
und während die Kranke aus ihren Phantaſien
aufſchrie, ſchränkte er die Hände zuſammen; er
wußte ſelber nicht, war es aus Andacht oder war
es nur, um in der ungeheueren Angſt ſich ſelbſt
nicht zu verlieren.

„Waſſer! Das Waſſer!” wimmerte die Kranke.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0160" n="148"/>
Es war roth und hutzelig und wog &#x017F;eine &#x017F;ieben<lb/>
Pfund, wie es für neugeborene Kinder &#x017F;ich gebührt,<lb/>
wenn &#x017F;ie, wie dies, dem weiblichen Ge&#x017F;chlechte an-<lb/>
gehören; nur &#x017F;ein Ge&#x017F;chrei war wunderlich verhohlen<lb/>
und hatte der Wehmutter nicht gefallen wollen.<lb/>
Das Schlimm&#x017F;te war, am dritten Tage lag Elke<lb/>
im hellen Kindbettfieber, redete Irr&#x017F;al und kannte<lb/>
weder ihren Mann noch ihre alte Helferin. Die<lb/>
unbändige Freude, die Hauke beim Anblick &#x017F;eines<lb/>
Kindes ergriffen hatte, war zu Trüb&#x017F;al geworden;<lb/>
der Arzt aus der Stadt war geholt, er &#x017F;aß am<lb/>
Bett und fühlte den Puls und ver&#x017F;chrieb und &#x017F;ah<lb/>
rathlos um &#x017F;ich her. Hauke &#x017F;chüttelte den Kopf:<lb/>
&#x201E;Der hilft nicht; nur Gott kann helfen!&#x201D; Er hatte<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ein eigen Chri&#x017F;tenthum zurecht gerechnet; aber<lb/>
es war Etwas, das &#x017F;ein Gebet zurückhielt. Als<lb/>
der alte Doctor davongefahren war, &#x017F;tand er am<lb/>
Fen&#x017F;ter, in den winterlichen Tag hinaus&#x017F;tarrend,<lb/>
und während die Kranke aus ihren Phanta&#x017F;ien<lb/>
auf&#x017F;chrie, &#x017F;chränkte er die Hände zu&#x017F;ammen; er<lb/>
wußte &#x017F;elber nicht, war es aus Andacht oder war<lb/>
es nur, um in der ungeheueren Ang&#x017F;t &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nicht zu verlieren.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wa&#x017F;&#x017F;er! Das Wa&#x017F;&#x017F;er!&#x201D; wimmerte die Kranke.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0160] Es war roth und hutzelig und wog ſeine ſieben Pfund, wie es für neugeborene Kinder ſich gebührt, wenn ſie, wie dies, dem weiblichen Geſchlechte an- gehören; nur ſein Geſchrei war wunderlich verhohlen und hatte der Wehmutter nicht gefallen wollen. Das Schlimmſte war, am dritten Tage lag Elke im hellen Kindbettfieber, redete Irrſal und kannte weder ihren Mann noch ihre alte Helferin. Die unbändige Freude, die Hauke beim Anblick ſeines Kindes ergriffen hatte, war zu Trübſal geworden; der Arzt aus der Stadt war geholt, er ſaß am Bett und fühlte den Puls und verſchrieb und ſah rathlos um ſich her. Hauke ſchüttelte den Kopf: „Der hilft nicht; nur Gott kann helfen!” Er hatte ſich ſein eigen Chriſtenthum zurecht gerechnet; aber es war Etwas, das ſein Gebet zurückhielt. Als der alte Doctor davongefahren war, ſtand er am Fenſter, in den winterlichen Tag hinausſtarrend, und während die Kranke aus ihren Phantaſien aufſchrie, ſchränkte er die Hände zuſammen; er wußte ſelber nicht, war es aus Andacht oder war es nur, um in der ungeheueren Angſt ſich ſelbſt nicht zu verlieren. „Waſſer! Das Waſſer!” wimmerte die Kranke.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/160
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/160>, abgerufen am 22.12.2024.