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Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 257. Köln, Mittwoch, den 28. März 1849
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Expedition Unter Hutmacher Nro. 17.
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Uebersicht.
Deutschland. (Köln. (Der Krieg in Italien und Ungarn). Münster. (Die Dezembergefangenen. ‒ Mirbach). Berlin. (Klatsch). Aus Mecklenburg. (Die preußischen Invasions-Truppen. ‒ Die Tagelöhner). Schleswig-Holstein. (Auszehrung durch „Reichs“-Soldaten. ‒ Wirthschaft der Aristokraten und Bourgeois). Aus Schlesien. (Forderungen der Landarbeiter). Neisse. (Pferde-Ankäufe für Oestreich). Dresden. (Erste Kammer. Freiburg. (Prozeß gegen Struve und Blind).
Polen, Warschau. (Polizei-Terrorismus).
Schweiz. Bern. (Die Neutralität. ‒ Die Kapitulationen. ‒ Die Zollfrage. ‒ Deutsche Flüchtlinge und Berner Patrizier).
Französische Republik. Paris. (Vermischtes.) Bourges. (Prozeß der Maigefangenen.)
Italien. (Die Feindseligkeiten eröffnet). Turin. (Vermischtes). Florenz. (Gezwungene Anleihe. ‒ Aus Sizilien).
Amerika. New-York. (Das amerikanische Manchester.)
Deutschland.
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Edition: [Friedrich Engels: Der Krieg in Italien und Ungarn, vorgesehen für: MEGA2, I/9. ]
[ * ] Köln, 27. März.
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[ 127 ] Münster, 25. März.
Die Angelegenheit der Dezember-Gefangenen in Münster ist in eine neue Phase getreten.
Von den Gefangenen hat man die Katholiken „wegen Krankheit“ „vorläufig“ entlassen, während die krank gewordenen Protestanten im Zuchthause kurirt werden sollen. Die drei Katholiken Gierse, Gruwe, Loeher sitzen, „wegen Krankheit“ in der zweiten Kammer; der Protestant Groneweg, ebenfalls Abgeordneter, erwartet seit vier Wochen seine Einberufung. Im Ganzen sitzen noch 7 Protestanten und 2 Juden. Was Excellenz Rintelen bereits gegen diese Gefangenen begangen, ist Ihren Lesern bekannt, doch staunen Sie über die neue Perfidie.
Die zweite Kammer hat bekanntlich beschlossen, Groneweg erst „nach Einsicht der Kriminalakten“ einzuberufen. Diese Akten sind auch nach Berlin vor 14 Tagen eingesandt. Weil aber diese Akten den vollständigen Beweis liefern, daß gegen sämmtliche Angeklagten gar nichts vorliegt, und damit die Schmach, mit der sich die Münster'schen Richter bedeckt, nicht offenkundig werde, verweigert nach den neuesten Nachrichten eines Abgeordneten das Ministerium die Vorlage der Akten. Man will Groneweg einberufen, „ohne Einsicht in die Akten zu nehmen“ auf deutsch: man muß Groneweg entlassen, und will die andern Gefangenen noch weiter widerrechtlich im Zuchthause lassen.
Jetzt ist es Pflicht der Presse sich dieser Männer anzunehmen, wie ihr Blatt dies bereits von Anfang her gethan. Alle ehrliebenden Redaktionen werden nachstehenden Brief gewiß in ihre Spalten aufnehmen. Ich gebe diesen Brief, weil er erstlich das Sachverhältniß genau enthält, und weil Ihnen in dem Namen des Briefausstellers vollständige Garantie treuester Wahrheit liegt.
An die Mitglieder des Königlichen Preußischen Stadt- und Land-Gerichts hierselbst.
Meine Herren! Am 7. Dezember d. J. also kurz nach Erlassung der oktroyirten Verfassungs-Urkunde, nicht früher und nicht später, erließen Sie zwanzig Haftbefehle gegen ebenso viele Mitglieder des sogenannten westphälischen Städte-Congresses, welcher 14 Tage vorher in Münster getagt hatte. In allen diesen Haftbefehlen lautete die Anklage auf Hochverrath.
Fünf von diesen zwanzig Verfolgten entzogen sich der Haft durch die Flucht. Auch ich wäre geflohen, wenn ich nicht höheren Rücksichten, sondern nur dem Gefühle gefolgt wäre, welches, seitdem ich zum Bewußtsein staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten gelangt bin, mir altpreußische Gesetze und altpreußische Justiz eingeflößt haben. ‒ Ein Anderer, der ehrwürdige Regierungsrath Bracht wurde nicht verhaftet, weil sein zuständiger Richter, das Stadt- und Landgericht zu Recklinghausen erklärte, daß kein Grund zur Verhaftung vorläge. Gleichwohl war es gerade dieser Mann, welcher durch die Maßnahmen in Beziehung auf die Steuerkassen seines Bezirks unter allen Congreßmitgliedern die meiste Entschiedenheit bewiesen hatte. Dieser Mann ist jetzt Mitglied der ersten Kammer und war deren Alterspräsident.
Die übrigen Vierzehn wurden verhaftet. Die öffentliche Stimme nannte diese Verhafteten: Die decimirten Dezembergefangenen. Diese Benennung ist strenggenommen nicht die richtige. Decimiren heißt den zehnten Mann abzählen. Sie haben nicht den zehnten Mann abgezählt, meine Herren. Aber ebenso wenig haben Sie auf Grund der gedruckten Congreßprotokolle verhaften lassen. Denn Sie haben Mitglieder dieses Congresses verhaften lassen, welche auf demselben gar keine oder eine sehr untergeordnete Thätigkeit bewiesen, während Andere, welche thätig auf die Gesammtresultate einwirkten, aus Gründen, die Niemand ignorirt, nicht verfolgt wurden.
Es bleibt also nur ein Drittes anzunehmen übrig, nämlich daß Sie auf Grund von ‒ Proscriptionslisten verhaften ließen. Ob Sie dabei mit Bewußtsein handelten, oder sich dupiren ließen, oder endlich aus Charakterschwäche fremden Einflüssen wichen, bleibt für Diejenigen, welche darunter leiden, völlig gleichgültig,
Sie werden mir erwidern, meine Herren, daß auf Ihre richterlichen Berathungen und Beschlüsse nichts Fremdartiges einwirke oder eingewirkt habe, Allein in Ihrer Mitte selbst befinden sich Männer, welche nicht verhehlen, daß in Ihrem Collegium sich ein fünester persönlicher Einfluß geltend mache. So hat z. B. der Inquirent, Herr Gerichtsdirektor Giese, gegen einen Verhafteten geäußert, daß, als er in einer der letzten Sitzungen auf unsere Freilassung angetragen habe, der O.-L.-G.-Assessor von Stockhausen ihm beinahe ins Gesicht gesprungen wäre. Diese brutale Weise, ein Votum in Ihrem Collegium abzugeben, findet vielleicht ihre Erklärung in dem Umstande, daß der von Stockhausen ein Schwiegersohn des O.-L.-G.-Präsidenten von Olfers, beide aber sehr liirt sind mit dem Regierungspräsidenten von Bodelschwingh. Wer ist aber Hr. von Stockhausen sonst noch? Hr. von Stockhausen ist derselbe, welcher vor einigen Jahren dem Assessor von Göritz, als dieser ihm mit der Hundepeitsche eine Erklärung abverlangte, einen Revers ausstellte, worin dieser Hr. v. Stockhausen sich selbst für einen Lump erklärte.
Ich frage Sie aber, meine Herren, wie einem Angeklagten zu Muthe sein muß, der sich in der Gewalt eines Richterkollegiums sieht, welches unter dem Einfluß eines Menschen steht, welcher sich selbst für einen Lump erklärt hat.
Gehen wir weiter. Seit sechs Wochen haben Sie, meine Herren, nach und nach auf Grund von Krankheitsattesten sechs der Dezembergefangenen freigelassen, und auch den Haftbefehl gegen einen der fünf Geflüchteten, welcher sich guter richterlicher Verwandtschaft erfreut, zurückgenommen.
Nach den Gesetzen können aber Untersuchungsgefangene, welche des Hochverraths angeklagt sind, nie und unter keinerlei Umständen aus der Haft entlassen werden. Daraus folgt um so mehr, das Sie die Anklage auf Hochverrath haben fallen lassen, als mehrere der Freigelassenen einen bedeutend thätigeren Antheil am Congresse genommen haben, als Andere, welche noch eingesperrt sind. Der gesunde Menschenverstand und das gewöhnlichste Rechts- und Billigkeits-Gefühl würden ferner daraus folgern, daß auch die anderen Gefangenen jetzt entlassen werden müßten; und zwar schon aus dem Grunde, weil wegen der bevorrechtigten Stellung mehrerer zur zweiten Kammer gewählten Entlassenen die Beendigung der Untersuchungen gar nicht abzusehen ist.
Nach Ihrem System, meine Herren, würde Derjenige von uns, welcher von der Natur mit dem rüstigsten Körper ausgestattet ist, am längsten hinter den Kerkermauern schmachten müssen. Dies ist ein System der Tortur. Die Tortur soll nicht tödten, sondern nur Martern. Wer es am längsten aushält, wird am längsten gemartet. Sie begnügen sich aber nicht mit der einfachen Tortur, meine Herren. Indem Sie theils bemittelte, theils ledige junge Männer Krankheitshalber freiließen, aber Familienväter, welche die einzige Stütze der ihrigen sind, in Haft ließen, so werden auch unglückliche Familien von Ihren fluchwürdigen Maßregeln getroffen.
Unter andern Umständen würde man es vielleicht als ein Spiel des Zufalls betrachten, daß die sechs Entlassenen Katholiken und mehrentheils Bemittelte, die Eingesperrten aber Protestanten und Juden und mehrentheils Unbemittelte sind; bei Ihnen aber, meine Herren, ist das höchste Mißtrauen gerechtfertigt durch die Reputation, welche Sie sich als Richter erworben haben. Uebrigens mache ich Sie, meine Herren, darauf aufmerksam, daß die eingesperrten Familienväter fünf katholische Kinder zu ernähren haben.
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Gehen wir weiter. Es ist Thatsache, daß die wegen Krankheit Entlassenen in soweit im Besitz ihrer physischen und geistigen Funktionen sind, als sie ohne Mühe ihren verschiedenen Beschäftigungen und Arbeiten nachgehen können. Sie wurden also nur entlassen, weil das Gefängniß nachtheilig auf ihre Gesundheit eingewirkt hatte, nicht aber weil sie in naher Lebensgefahr waren. Ein Arzt, welcher das Gegentheil behaupten wollte, würde sich ein Unfähigkeitszeugniß ausstellen. Daraus folgt aber, daß auch Andere, welche im Gefängniß erkranken, entlassen werden müssen. Der simpelste Mann im Volke würde sich beleidigt fühlen, wenn man ihm ein anderes Urtheil zutrauen wollte.
Sie, meine Herren, urtheilen anders. Es ist durch ärztliche Zeugnisse constatirt, daß ich in gefahrdrohender Weise an den Augen leide; daß ich in Gefahr bin, im Gefängniß zu erblinden. Was hat aber Hr. Dr. Tourtual, Medizinalrath und Gefängnißarzt, mir gesagt?
Daß er mich kuriren wolle!
Ich also soll kurirt werden im Gefängniß, welches die hauptsächlichste Ursache meiner Augenleiden ist! anstatt, wie den Andern, mir die einzigen Heilmittel: Sonnenlicht, frische Luft und freie Bewegung zu geben, will man mich mit Pillen und Pulver, mit Laxiren und Purgiren behandeln. Aber noch mehr! Herr Tourtual hat mir auch den Rath gegeben, mich nicht mit Lesen und Schreiben, sondern mit dem Kartenspiel zu beschäftigen! Ich soll also Karten spielen, während meine Familie dem Elende entgegengeht!
„Nicht übel ausgedacht, Pater Lamormain“
Meine Herren! Ihr letztes System, welches Sie angenommen haben, ist, sich um uns nicht zu bekümmern, sondern abzuwarten, was von Berlin kommen könnte. Die Verhöre sind suspendirt; auf Schreiben an Sie ertheilten Sie keine Antwort; Besuche finden nicht mehr statt und Beschwerden bleiben unberücksichtigt. Ich sage Ihnen aber, daß jeder Tag, den ich als Untersuchungsgefangener ungerechter Weise im Gefängniß zubringen muß, mir am Leben gestohlen ist. Ich verlange Freilassung; ich verlange eine Commission von Aerzten, welche constatirt, daß ich am edelsten Sinnesorgane gefahrvoll leide; ich verlange mindestens eine Antwort in verständlicher deutscher Sprache. Ich werde alle Mittel anwenden, um diesen Brief in die Oeffentlichkeit zu bringen, damit das Publikum urtheile und erfahre, welche aufrichtige Gesinnungen ich gegen solche Richter hege.
Münster im Gefängniß.
22. März 1849.
O. v. Mirbach.
Bemerkung: Da meine Augen mir nicht mehr erlauben, eine Reinschrift anzufertigen, so habe ich es einem Freunde überlassen, Ihnen obiges Schreiben in Abschrift oder gedruckt zukommen zu lassen. M.
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[ 34 ] Berlin, 24. März.
Von einem Capitulanten des Garde-Franz-Regiments, der das Regiment verlassen und in schleswigholsteinische Dienste getreten, wurden mir gestern nachfolgende Fakta erzählt: 17 Mann der 3ten Compagnie besagten Regiments traten aus dem versammelten Bataillon hervor und verlangten, da sie jetzt auf Kriegsfuß stehen und ihre Offiziere Kriegszulage hätten, dieselbe Vergütung. Diese 17 Mann haben vom Kriegsgerichte zusammen 50 Jahre Festung statt 8 Pfennige Zulage erhalten, und sind dieser Tage auf Festung gebracht worden. Von der 10ten Compagnie befinden sich jetzt, ihrer freien Gesinnung wegen, 58 Mann in Arrest.
Erzähler dieses zeigte mir seinen Abschied, worin stand: Betragen gut, nur zeigte er in der letzten Zeit Hang zum … Leichtsinn (freie Gesinnung).
In dem Konzert-Saale des k. Schauspielhauses, wo die Nationalversammlung zuletzt tagte, liegt noch immer eine Compagnie des Füselier-Bataillons vom 24sten Regiment. Eine Dame höchsten Ranges liebt es (nach einem hiesigen Zeitungsbericht) beim Besuch des Theaters (da der Weg zur Hofloge durch die Vorräume dieses Saales führt) sich an den naiven Gesprächen der Soldaten zu ergötzen und dann nachher Cigarren auszutheilen.
Diesen Soldaten steht es frei, theilweise das Parterre des Theaters zu besuchen. Die Cigarren und der Theaterbesuch haben ihre Wirkungen gethan. Man kann diese brave Soldateska die fanatischsten Aeußerungen machen hören.
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[ * ] Berlin, 25. März.
Die Blüthe unserer zweiten Kammer-Aristokratie hat das Loos mit dem Abg. D'Ester zusammengewürfelt. So haben Bismark-Schönhausen, Kleist-Reetzow das Vergnügen, mit diesem Republikaner in einer Abtheilung zu berathen. Aber les extrémes se touchent, die Uebereinstimmung der entschiedenen Rechten mit der entschiedenen Linken ist nicht so selten. Die Conservativen haben in der Abtheilung die Majorität. Bei den Wahlen zur Finanzkommission waren von dieser Partei Köerber, Maclean und Patow, von der Linken und Andern Moritz aufgestellt worden. Koerber und Maclean hatten sogleich die absolute Majorität, für den „Kommunisten“ Patow konnten Bismark und Kleist sich nicht überwinden zu stimmen. Patow kam daher mit Moritz auf die engere Wahl, und zum größten Erstaunen wurde Moritz, der Kandidat der Linken, durch die Hülfe der beiden Legitimisten gewählt.
Bismark hat in der Abtheilung gegen viele §§. des Clubgesetzes mit der Linken gestimmt, weil die Bestimmungen des Gesetzes ihm nicht weit genug gehen und er lieber gar keine Schranken des Vereinigungsrechts, als so halbe, unzulässige haben will.
Heute Vormittag war bei Milentz eine große Versammlung der Juristen beider Kammern und aller Parteien, um sich über das Materielle der Verordnungen vom 2. und 3. Januar zu berathen. Statt dessen machte Bornemann den Vorschlag, das Formelle zuerst vorzunehmen und zuzusehen, wie man das Ministerium aus seiner unangenehmen Lage in dieser Beziehung befreien könne. Es wurde ihm natürlich entgegnet, daß das gar nicht die Sache der Versammlung sei und das Ministerium sich selbst den rechtlosen Zustand bereitet habe, der durch die erste Kammer in der bekannten motivirten Tagesordnung Kühne's und Genossen ebenfalls anerkannt ward.
In derselben Versammlung blamirte sich Ober - Tribunalsrath Hoeppe, indem er meinte, jedes Gericht sei desorganisirt, welches darüber bestimme, ob die Verordnungen des Ministeriums rechtmäßig seien oder nicht. In offener Opposition zu seinem Collegen Rintelen steht übrigens Hr. v. Manteuffel, der sich gegen einen Privaten dahin aussprach, daß er auch nicht begreife, warum der Justizminister sich in seinen Verordnungen so überstürzt habe.
Die russischen Garden sind, wie einem hiesigen Banquierhause gemeldet wurde, in Warschau eingerückt.
Es war bekanntlich vor mehreren Monaten schon ein fliegendes Blatt verbreitet worden, in dem die Antwort des Königs auf die Deputation, welche um Aufhebung des Belagerungszustandes petitionirte, gegeben wurde, und zwar als solche ein Lied aus dem Porst'schen Gesangbuche angeführt. Es wurde dem offiziell widersprochen und es sollte die Untersuchung gegen den Urheber dieser falschen Nachricht eingeleitet werden. Der Polizei-Inspektor Gsellius forschte deshalb bei dem Buchdrucker Lauter, unter dessen Firma das Blatt erschienen war, nach, wer der Verfasser sei. Hier ergab es sich, daß schon früher im Sonntagsblatte der Neuen Preuß. Zeitung das ganze Lied des Gesangbuches, als die Antwort des Königs mitgetheilt war. Hr. Wagner konnte auch keine bestimmte Quelle angeben und sagte aus, daß er nur einem allgemein verbreiteten Gerücht gefolgt wäre. Wahrscheinlich wird also dieser Ehrenmann eine Untersuchung erdulden müssen.
Zu der neuen Geschäftsordnung wird der Abg. Stein ein Amendement stellen, des Inhalts: daß kein Bewaffneter weder in den Sitzungsaal noch auf der Tribüne der zweiten Kammer erscheinen darf. ‒ Das Säbelklirren des Kriegsministers, trotz der Remonstrationen der Linken, hat denn doch eben so wohl wie das Benehmen des Diktators Wrangel auf der Tribüne, auf allen Seiten des Hauses empört. Wrangel sitzt nämlich stets an der Brüstung der Tribüne, indem er seinen Säbel weit über dieselbe hinaus hält.
Der Abg. Phillips wollte den Wahlmännern seines (des zweiten) Wahlbezirks Rechenschaft ablegen. Die Polizei verbot indeß dem Besitzer des betreffenden Lokals, Urania, die Eröffnung desselben. Und Hr. v. Manteuffel wagt mit dreister Stirn zu erklären, daß der Belagerungszustand die freie Meinungsäußerung und die Thätigkeit der Abgeordneten nicht hindere.
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[ 15 ] Aus Mecklenburg, 24. März.
Unserm Lande ist großes Glück wiederfahren. 6000 Mann preußischer Soldaten sind in Mecklenburg-Strelitz eingerückt, und 20,000 Mann stehen an der Gränze bei Reinsberg, gewärtig des ersten Winkes, um auch an der Wiederherstellung der „Ordnung und Ruhe“ mitzuarbeiten. Es gilt jetzt eine neu ausgebrütete Verfassung zu octroyiren, denn schon seit längerer Zeit hat man von Seiten des Junkerthums und der Camarilla die Landesversammlung in Schwerin mit verhaltenem Grimme betrachtet, und schon oft ist von hier aus das Verlangen an den dortigen Fürsten ergangen, die Abgeordneten des Volks nach Hause zu schicken und eine Verfassung zu octroyiren. Bis jetzt hat man dieses noch nicht gewagt, da die Stimme des Volkes sich entschieden zu Gunsten seiner Vertreter ausgesprochen, so noch erst vor einigen Tagen wieder in einer zu Schwerin abgehaltenen Volksversammlung, weshalb auch der Minister Lützow der Kammer im Namen seines Herrn die Versicherung gab, daß er dieselbe nicht auflösen, sondern mit ihr vereint, die neue Verfassung vollenden werde.
Schon früher habe ich Ihnen einmal über die Lage der Tagelöhner berichtet; jetzt herrscht unter denselben eine große Bewegung, sie verlangen eine Verbesserung ihrer Verhältnisse, und haben zu dem Ende eine Adresse an die Kammer der Abgeordneten im ganzen Lande verbreitet, welche in kurzer Zeit an 70,000 Unterschriften erhalten wird. In dieser sagen derselben: „Wir sind in unserm beschränkten Unterthanenverstand zu der Einsicht gekommen, daß für unser zukünftiges Lebensglück die kleinen Zugeständnisse unserer Gutsherrn blos ein kurzer Besänftigungs-Popanz sind, und daß noch ganz andere Hülfe, solche, welche unsern Jammerzustand von Grund aus kurirt, von unsern Vertretern geschaffen werden muß. Wir begreifen es sehr wohl, daß die von Kommissarien angeordneten Regulirungen unseres gedrückten Lebens uns nach wie vor in unserm abhängigen Zustande, als die alten Lastträger zwängen können, dagegen aber wissen wir, daß bei einer Umänderung unserer Landeszustände, für unsere Zukunft ein wirklich wahres Wohlsein erstehen kann, deshalb bitten wir nicht um eine kleine Erhöhung unseres Tagelohns, sondern wir bestehen auf der verheißenen Verbesserung der Landeseinrichtungen in Recht, Gesetz und Leben, und zuförderst auf folgenden Punkten:
1) Abschaffung der Patrimonialgerichte, statt ihrer Kreis - und engere Bezirksgerichte, ohne Mitbedingniß gelehrter Richter, denen unser Gutsherr gleichfalls unterworfen, für diese überhaupt keine besonderen Gerichte wie bisher, sondern dieselben gleichen mit uns, überhaupt vor Gericht kein Unterschied von Rang und Person.
2) Abschaffung der Kirchen-Patronatsrechte, dafür freie Wahl der Prediger durch die Gemeinden, ohne allen Vorbehalt des Staates.
3) Einführung von Gemeindeordnungen auf den ritterschaftlichen Gütern, mit freier Wahl unserer Vorsteher. Neben Aufhebung unserer jetzigen kontraktlichen Gutsarbeit, das Gesetz zur Verkleinerung der Rittergüter, mit der Bedingung, den dritten Theil eines jeden derselben der Gemeinde paßlich zum Ankauf zu stellen, unter Gewährleistung eines Staatsgesetzes.
4) Freies Gewerbe und Kramgeschäft, auch in diesen neuen Gemeinden.
5) Ablösung des Mahlzwanges und anderer jetzt üblichen Gewerbs-Zwangspflichten.
6) Das Jagdrecht für jeden Grundbesitz, dazu das Verbot der Parforcejagden.
Das Junkerthum ist in Gefahr, die bis jetzt so verachteten und mißhandelten Tagelöhner treten auf einmal mit Forderungen hervor, durch die sie ihre Unabhängigkeit zu sichern gedenken. Durchs ganze Land eilen die Landdragoner, um diese gefährliche Adresse wegzunehmen ‒ aber was hilft das? ‒ die Tagelöhner, welche sich bisher nicht betheiligt hatten, werden nun eben erst recht aufgerüttelt und schließen sich ihren Brüdern an, denn sie wissen Alle nur zu gut daß ihre Gutsherrn ihre nächsten und unerbittlichsten Feinde sind. Auch hier werden die preußischen „Reichs“-Soldaten wohl bald die Vermittler-Rolle übernehmen. Denn es ist ja unerhört, daß Tagelöhner von Rechten auf sichere und freie Existenz sprechen und nicht mehr flehen, sondern fordern. Ein böser Geist ist in diese Menschen gefahren, er droht den Krautjunkern mit Vernichtung ‒ darum muß Potsdams König helfen und retten. Doch ist es gefährlich hier einzuschreiten ‒ Hunger und Erbitterung sind groß und Büchsen und Sensen in nicht kleiner Zahl vorhanden. Das seit Jahrhunderten geknechtete Volk will jetzt frei werden, ob es die Kraft und den Muth hat, seinem Willen Nachdruck zu geben, wird die nahe Zukunft erweisen.
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@facs1444
[ 15 ] Schleswig-Holstein, 24. März.
Heute vor einem Jahr begannen wir das Dänenjoch abzuschütteln ‒ das sind wir los geworden, aber ein anderes, das Joch der Aristokratie lastet jetzt noch mehr auf uns, und dazu kommt nun noch das der Reichs-Soldaten ‒ für das erstere können wir uns bei dem fundirten Beseler bedanken, für das zweite bei Olshausen, der redlich durch seine Feigheit dazu beigetragen, daß wir jetzt 40 - 80,000 Mann Reichstrupprn ernähren sollen. Unser Volk scheint den Herrn an den Ministertischen zu wohlhabend zu sein, darum sollen diese Soldaten uns abzehren ‒ denn gegen die Dänen brauchen wir dieselben nicht, mit denen könnte unsere Armee, die mit Reserve gegen 30,000 Mann zählt, ganz gut fertig werden, wenn es überhaupt zum Kriege kommen sollte. Aber natürlich, der Gedanke an eine Nordalbingische Republik muß auch unterdrückt werden.
O großer Eisenbahndirektor! Er scheint auch nicht einmal Mitglied der frisch zu bildenden Regierung zu werden; dieselbe würde sonst ein herrliches Kleeblatt abgeben.
Die Aristokratie vertreten durch Reventlov-Preetz ‒ die Bourgeoisie durch Beseler ‒ und das liberale Philisterthum durch Olshausen! Schade, daß diese 3 Herren nicht das Volk zu beglücken (!) haben! Olshausen übernimmt mit dem 1. April die „Schlesw.-H. Zeitung“; sie erscheint unter dem Titel: „freie Presse für Norddeutschland“ ‒ erwarten Sie aber nichts weiter als ein liberales Bourgeoisblatt; wie der Mann, so sein Organ!
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@facs1444
[ 303 ] Aus Schlesien.
So hoffnungslos es bei uns aussieht, so sehr die Reaktion uns wieder überflutheit hat, so dicknäsig Adel, Beamte, Soldateska, Polizisten, Gensdarmen, die noch vor Kurzem ängstlich heulend sich verkrochen, wieder umherstolziren und denunziren und malträtiren, und so viel kriechende Jämmerlichkeit sich auf der andern Seite zeigt, hin und wieder taucht als Vermächtniß der Revolution doch noch eine Erscheinung auf, bei der man gerne verweilt. Dahin gehören die unter den Landarbeitern sich bildenden Vereine zur Förderung ihrer Interessen. Die Sache hat um so mehr Bedeutung, als gerade diese Art Arbeiter, die bisher ganz unerregbar und bewegungslos war, die gleichgültig über sich selbst und stumpf verhungerte, die betheiligte ist. Kommt unter diese Ackerarbeiter, besonders hier die ungeheure Mehrzahl der Arbeiter, erst wirkliches Leben, fester Wille, nicht mehr zu verhungern, sondern wohlbegründete Ansprüche mit Nachdruck geltend zu machen, dann wird auch der Hungertyphus für immer gebannt sein. Freilich sind, was jetzt geschieht, eines bisher am Gängelband geleiteten Kindes schwache Versuche allein zu gehen, aber ist nur der Versuch gemacht, kommt durch ihn das Gefühl der vorhandenen Kraft, Vertrauen und damit Muth zu weiteren Unternehmungen: dann kann der entscheidende Erfolg für die Zukunft nicht ausbleiben.
Möchten die Social-Demokraten besonders solchen Vereinen unter den Ackerarbeitern ihre volle Aufmerksamkeit schenken und unter ihnen anregend und thätig eingreifend wirken. Die Ackerarbeiter stellen jetzt folgende Forderungen auf:
„Art. 1. Der Staat muß dem Arbeiter für ein Tagewerk Arbeit einen Lohn gewährleisten so hoch, daß der Arbeiter mit seiner Familie auskömmlich davon leben kann.
Was zu auskömmlichem Leben gehört, soll noch veranschlagt, und danach der zu fordernde niedrigste Lohn in einer bestimmten Zahl ausgedrückt werden.
Art. 2. Die Staats- und Kirchengüter müssen parzellenweise zu einem mäßigen Pachtzins an die Armen in Zeitpacht ausgethan werden.
Das Wohl Aller ist Zweck des Staates. Dieser Zweck wird jedenfalls viel besser und ausgedehnter erreicht, wenn der Staat seine Güter Armen, die sich ohne Hülfe nicht erhalten können, zur Ausnutzung überläßt, als wenn er reiche Generalpächter damit noch reicher macht. Es ist solches Verfahren um so mehr Pflicht des Staates, als er dabei an seinen Einnahmen nichts verlieren wird, denn die armen Arbeiter werden sehr glücklich sein, wenn sie die Staatsäcker nur so billig in Pacht bekommen, wie sie jetzt die Generalpächter haben.
Daß die Kirchengüter an die Armen verpachtet werden müssen, versteht sich von selbst, es wird damit nur die Vorschrift Christi erfüllt.
Art. 3. Die Steuern, die jetzt fast allein auf den armen Arbeitern liegen, müssen gerecht nach Jedes Vermögen vertheilt werden, und unnützliche Staatsausgaben ganz aufhören.
Art. 4. Der Staat muß den Kindern der Arbeiter einen Unterricht gewähren, der ihnen hinlänglich Kenntnisse und Geistesschärfe aneignet, daß sie in Stand gesetzt werden, sich nicht mehr von den wohlunterrichteten pfiffigen Bevorrechteten und Reichen ausbeuten zu lassen.
Art. 5. Das Wahl- und Stimmrecht im Staat muß allgemein und direkt oder unmittelbar sein.
Die Arbeiter sind keine Unmündigen, sie wissen selbst, was ihnen gut ist, und brauchen die Vormundschaft der Reichen nicht. Eben so wenig wollen sie einen Wahlmann, der so leicht betrügen kann, zwischen sich und ihren Abgeordneten hineingeschoben; die Arbeiter wollen vielmehr ihre Abordnung selbst wählen, denn sie trauen nur sich selbst.
Art. 6. Das Wahl- und Stimmrecht in der Gemeine muß ebenfalls allgemein und unmittelbar sein.
Die Arbeiter tragen nach ihren Kräften ebenso und vielleicht mehr zur Erhaltung und Förderung der Gemeinen bei, als die Reichen, darum wollen sie mitsprechen in allen Angelegenheiten der Gemeine.
Art. 7. Die Geschwornen müssen aus unmittelbarer Wahl aller mündigen Männer hervorgehen.
Die Arbeiter wollen nicht die Richtergewalt über sich allein in den Händen der Reichen lassen, die in ihnen nur ihre und ihres Eigenthums oder Geldsacks Feinde sehen, die, da sie jährlich Tausende verzehren, nicht begreifen können, welche Noth, welcher Jammer der Seinen, welche Hoffnungslosigkeit den Armen vielleicht zum Verbrechen trieb. Die Arbeiter werden auch redliche brave Männer, die gerecht richten, zu finden und zu bestellen wissen.“
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@facs1444
[ 24 ] Neisse, 23. März.
Mit den vielfachen Gerüchten von einer Spannung zwischen dem Potsdamer und dem österreichischen Regentenhause bezüglich der deutschen Kaiserkronne können wir die großen Einkäufe durchaus nicht in Einklag bringen, welche die preußische Regierung ruhig für das östreichische Heer machen läßt. Blos im hiesigen Zollbezirk haben nach den Versicherungen der Beamten über 4000 Pferde für die östreichische Kavallerie die Grenze passirt. Viel besser stimmt das mit Aeußerungen unsrer hohen Offiziere, daß dem preußischen Heer doch noch ein Feldzug nach Frankreich bevorstehe. Es geht nämlich bei uns stark die Sage, das Schmollen Preußens mit Rußland und Oestreich sei nichts als ein Liebäugeln mit der öffentlichen Meinung in Deutschland, um das deutsche Volk um so sicherer einzuschläfern, in Wahrheit bestehe dagegen zwischen den drei Höfen das herzlichste Einvernehmen. Erst vor Kurzem soll unter den Dreien ein Bündniß geschlossen sein, um, sobald man im eignen Haus der Bewegung Herr geworden, das Königthum in Frankreich mit Gewalt der Waffen wieder herzustellen. Man glaubt, sobald die Republik in Frankreich fortbestehe, sei auch den deutschen Thronen nur noch eine kurze Frist gegeben, darum müsse man um jeden Preis die republikanische Regierungsform auf europäischem Boden wieder austilgen.
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@facs1444
[ 213 ] Dresden, 23. März.
Um auch diese kennen zu lernen, besuchte ich heute einmal die Landtagsstube der ersten Kummer. Ihre Einrichtung ist womöglich noch um 10% harmloser, als die der zweiten Kammer. Die Galerien fassen kaum 50 Zühörer, die journalistischen Taglöhner haben nur zwei Plätze, die Herrn Abgeordneten sitzen auf kleinen Stühlchen vor kleinen Tischchen; die ganze harmlose Puppenstube kann binnen einer Viertelstunde ausgeräumt werden. Die Sitzung der sächsischen Pairs ist um 10 Uhr angesagt, beginnt aber erst gegen 11 Uhr mit Verlesung des Protokolls. Die Herren Pairs unterhalten sich, wie es scheint, über ihre gestrige geheime Sitzung. In dieser geheimen Sitzung hatte ihnen nämlich der gottbegnadete Monarch, an dessen allerhöchster Jugendpolitik auch der radikalste Sachse mit inbrünstiger Hingebung hängt, durch sein standrechtlüsternes Ministerium eröffnen lassen, daß ihr Beschluß, den an der Ermordung Blum's mitschuldigen Abgesandten Könneritz aus Wien abzuberufen, unbeachtet bleiben müsse. Kurz, die sächsische Majestät hat von ihrem absoluten Veto Gebrauch gemacht. Wie verlautet, soll dies demnächst auch gegenüber der zweiten Kammer geschehen, wodurch denn die neuliche darauf bezügliche Interpellation Tzschirners beantwortet sein würde. Man ergreift natürlich mit Freude solche Veranlassungen, um den im Generalkommando zu Petersburg-Olmütz-Potsdam gewünschten Bruch mit den aus direkter Urwahl, also äußerst hochverrätherisch, hervorgegangenen sächsisch-radikalen Kammern zu beschleunigen, indem man der sächsischen Majestät dami droht, ihr selbst noch mehr, als bereits der Fall, zu octroyiren, wofern sie sich nicht ernstlich-energisch anschicke, das Land durch Oktroi's zu beglücken. Das standrechtslüsterne Ministerium Beust-Rabenhorst thut nun zwar, was es kann; es ignorirt die Kammerbeschlüsse oder weis't sie ab, es bleibt trotz aller Mißtrauensadressen des Volks und trotz aller Kammerniederlagen an seinem Platze, es konspirirt mit allen umliegenden Standrechtsmächten u. s. w. , allein die Sache geht doch nicht so rasch von Statten, als es gewünscht wird, denn die rechten Veranlassungen fehlen zur russo-austro-preußischen Energie, weil die Energie überhaupt im ganzen Lande, sowohl der sogenannten revolutionären, wie der contrerevolutionären Partei fehlt. Ein sächsischer passiver Widerstand, Belagerungszustand und ein sächsisches Standrecht müßten sich in der That komisch ausnehmen. Unterdessen wird die Armee, eben weil sie zu eigentlichen Kroatenthaten zu harmlos ist, nach Schleswig-Holstein und gen Breslau geschickt, um schließlich in [Fortsetzung]
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@facs1446
[Fortsetzung] festhält, was er besitzt, und sich vor Neuerungen und gewagten Spekulationen ängstlich scheut. Er hält sich für radikal, wenn er über die Jesuiten schimpft; für kosmopolitisch, wenn er seinen Blick über die engen Gränzen des Kantons zu dem ganzen ungeheuren Umfang der Schweiz erhebt. Er ist national, wie nur ein preußischer Ritter des eisernen Kreuzes im Jahre 1815 sein konnte; er schwärmt für die fünfhundertjährige Weltgeschichte der Urkantone und hält die Schweiz mit israelitischem Stolze für das auserwählte Volk der Freiheit. Deshalb will er einem Volke, das so lange selbstständig gewesen ist, auch jetzt seine Selbstständigkeit, d. h. sein exclusives Sonderleben nicht nehmen, ohne zu bedenken, daß diese Isolirung dasselbe nothwendig der Reaktion in die Arme schleudern muß. Daher ist die Neutralitätspolitik, die Politik der äußersten Schwäche und Ohnmacht, für den Bundesrath eine Quelle des Stolzes und der Zufriedenheit. Diese Politik weis't der Schweiz jetzt den europäischen Völkern gegenüber dieselbe Rolle an, welche die Urkantone früher der Schweiz gegenüber spielten.
Französische Republik.
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@facs1446
Paris, 25. März.
Aus Italien nichts Entscheidendes.
Courrier Français zeigt an, daß den Piemontesen der Uebergang über den Ticino (Tessin) streitig gemacht worden wäre. Keine Erfindung.
Die „Reforme“ wiederholt ein Gerücht von einem Gefecht zu Gunsten der Piemontesen bei derselben Gelegenheit. Ebenfalls falsch. Radetzki will erst seine neuen Lorbeeren zwischen der Adda und dem Oglio pflücken.
Der Constitutionnel träumt von einem Treffen in der Ebene von Verceil. Er ist ebenfalls schlecht unterrichtet.
Das Journal des Debats ist aufrichtig und sagt: wir hoffen morgen entscheidende Nachrichten zu erhalten.
‒ An den Straßen-Mauern prangen bereits die Wahllisten. Herr Berger hat sich darin um die Reaktion sehr verdient gemacht, indem er etwa 10,000 Sozialisten (Proletarier) aus den alten Listen strich, weil sie möblirt wohnen, d. h. kein bestimmtes Domizil haben.
Dieser geniale Zug des Seinepräfekten sowie die Klubunterdrückung steigern die Erbitterung der „niederen“ Bevölkerung auf's Höchste. Das Ministerium scheint das zu wissen und den Ausbruch des Volkszornes zu fürchten; denn starke Patrouillen, oft von ganzen Bataillonen, durchziehen Nachts die Straßen.
‒ Der Moniteur enthält trotz seiner fünf Beilagen nichts. Der ehemalige Advokat Laboulaye, Institutsglied und Verfasser mehrerer Bücher über Rechtspflege, tritt an Lerminier's Stelle am College de France für vergleichende Gesetzgebungskunde der verschiedenen Völker. Wir wollen sehen, ob er bei der akademischen Jugend glücklicher als sein Vorfahr sein wird.
Auch ist die 13. Lieferung der unter Pelet's Leitung herauskommenden vortrefflichen Landkarte Frankreich's (Generalstabsarbeit) erschienen.
Ein Rundschreiben des Seinepräfekten Berger rücksichtlich der Wahllisten hat für das Ausland kein direktes Interesse.
‒ Die Deputirten Gent, Degeorge u. A. überreichten gestern einen neuen Stoß von Petitionen für Rückzahlung der Milliarde.
Duplan knüpfte eine Petition von einigen hundert Pächtern des Cherdepartements daran, welche die freiwillige Aenderung (résiliation facultative) der Pachtverträge verlangen. Das fehlte noch!
‒ Auf dem Place du Châtelet, Bastillenplatz und an den Pforten St. Denis und Martin bilden sich wieder Gruppen. Die Estaffette sagt: zu unserem Erstaunen bemerken wir darunter mehr Civilröcke als Blousen. Man diskutirt dort das Vereins- oder Klubrecht unter freiem Himmel.
‒ Der Constitutionnel meldet für morgen den Ausbruch einer Emeute.
Wir können dem Herrn Veron versichern, daß morgen sein Schlummer noch nicht gestört werden soll. Die beliebtesten Bergglieder haben sich zu den Klubschefs begeben und die der Polizei längst denunzirte Demonstration der Pariser Klubs wird morgen nicht stattfinden.
‒ Constant Hilbay, Redakteur des Journal des Sansculottes, stand gestern vor Gericht, unter der Anklage: sein Journal ohne vorherige Deklaration herauszugeben. Dies sei gegen die Vorschriften des Gesetzes vom 7. Juli 1828, mithin verfalle er der darin verzeichneten Strafe. Hilbay antwortete: sein Blatt sei ein Monatsblatt und er habe der laut Preßgesetz vom August 1848 vorgeschriebene Deklaration genügt. Er berufe sich dafür auf seine Quittung. Wie aber die Staatsanwaltschaft, setzt er fort, sich auf ein Gesetz vom Juli 1828 unter Carl X. stützen könne, begreife er nicht. In diesem Gesetze heiße es, der Herausgeber eines Monatsjournals habe seine Deklaration beim Procureur du Roi zu machen: Er bitte hiermit das Gericht, ihm die Adresse jenes Procureur du Roi von 1828 anzuweisen, dann wolle er seine Deklaration auch dort sehr gerne wiederholen. ‒ Dieser Grund erregte allgemeines Gelächter und entband den Hilbay von der Klage. Und diese Affenschande wird in Paris unter dem Sáintsimonisten Barrot, am 29. März 1849, getrieben!
‒ Lahr, der hingerichtete Junimörder, war einer der thätigsten und besoldetsten Wahlagenten Louis Bonaparte's, des jetzigen Präsidenten, wie dies die bei seiner Verhaftung gefundene Briefe beweisen. Wo sind diese Papiere?
(Peuple.)
Riancourt, (eigentlich Martin) dieser Verbrecher aus verlorner Ehre, ist von den Rouener Assisen zu lebenslänglichem Zuchthaus verurtheilt worden.
‒ Der Jude Abraham Weill hat schon wieder eine neue legitimistische Broschüre herausgegeben. Steh auf, Provinz ‒ Debout la province!!
‒ Die Nationalversammlung setzt die Clubdebatte fort. Der Berg ist leer. Alle entschiedenen Republikaner nehmen keinen Theil an der Debatte. Viele Bänke sind ganz öde.
‒ Die Cholera ist in unsere wohlbeleibten Centriers gefahren. Vorige Nacht starb Blin de Bourdon, ein Legitimist aus der alten Kammer, den uns das Sommedepartement in die Nationalversammlung schickte. Desgleichen liegt Beaumont, aus demselben Departement und aus demselben Teige, lebensgefährlich darnieder.
‒ An der Börse ging das Gerücht, die Polizei sei einem neuen Komplott auf die Spur gekommen, das zum Zweck habe: den Präsidenten Bonaparte auf einer seiner nächtlichen Liebesfahrten zum Fräulein Howard zu entführen.
‒ „Peuple“ meldet, daß in Folge der jüngsten Kammerszenen Bavour und Buvignier sich nicht schießen werden, sondern daß Alles zwischen den beiden Deputirten ausgeglichen worden sei.
‒ Wir erfahren, daß das Cabinet keinen Spezialgesandten für die dänischen Conferenzen nach London schicken wird. Unser Gesandter Cecille wird den Conferenzen beiwohnen.
‒ Die Cholera ist wirklich hier! Von 142 Kranken starben in den Spitälern allein bis zum 23. März 75. Seit diesem Tage zählt man über 80 neue Fälle.
Blin de Bourdon wird morgen begraben.
In der Reform finden Sie eine Cholerastaristik.
‒ Aus Lyon gehen uns Journale und Briefe vom 24. zu. In Rive de Gier fließt schon wieder Arbeiterblut! Die Minenarbeiter haben sich, sagt man, in Masse erhoben.
‒ In Toulon lag am 22. März die Expeditionsflotte noch still im Hafen, doch sollte eine neue Militärdivision gebildet werden.
‒ In der Sitzung des Bourger Gerichtshofes vom 24. März brachte Monnier, der Divisionschef in der Polizeipräfektur, ein Dossier zur Sprache, das das sogenannte Haupt des 15. Mai, Huber, als ein Werkzeug Louis Philipps von 1830 bis 1839 enthüllt!
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@facs1446
[ * ] Bourges, 19. März.
(Schluß der Sitzung vom 19. März.) Der Zeuge Ledru-Rollin erklärt, daß er auf seiner Ansicht von der Demonstration des 17. März beharre; übrigens müsse er hinzufügen, daß allerdings auch Louis Blanc in der Weise wie Blanqui sich über die damalige Manifestion geäußert habe.
Blanqui. Unser Klub war in der größten Aufregung. Der Gang der provisorischen Regierung, und namentlich die 25-Centimensteuer schienen uns der Todesstoßstoß der Republik. Wir waren es, wir im Klub Blanqui, welche die Folgen dieser Maßregel, den jetzigen Zustand der Republik zuerst voraussagten, wir waren es, welche erklärten, daß diese Steuer das Land gegen die Republik insurgiren, und die Wahlen in reaktionärem Sinne bearbeiten werde. Unser Zweck am 17. März war nicht eine Demonstration für das Gouvernement in der Sache der Bärenmützen zu veranstalten, sondern in dem Verlangen einer Vertagung der Wahlen eine Protestation gegen die provisorische Regierung abzugeben. Unser vorbereiteter Hauptzweck war die Vertagung der Wahlen, und wenn es noch einige Nebenzwecke dabei zu verfolgen gab, so waren dieselben von untergeordneter Bedeutung.
Nach der Deposition Blanqui's entspinnt sich zwischen dem Generalprokurator, Blanqui und Ledru-Rollin ein lebhafter Wort wechsel *).Die sämmtlichen französischen Blätter geben über die Rede Blanqui's fast gar keine Details. Die tiefsinnige Ledru-Rollin'sche „R-form“ übergeht die Sache in der größten Unverschämtheit mit den simpeln Worten: „Le citoyen Blanqui explique la manifestation“ Auch die „Republique“ gibt nur ein dürftiges, entstelltes Resumé. Die Sache ist wahrscheinlich, daß Blanqui bei Gelegenheit der 45-Centimen-Steuer die ganze provisorische Regierung, Ledru-Rollin nicht ausgeschlossen, auf das Heftigste angegriffen hat, und daß die biedermännischen Patrioten diese Erklärungen des ihnen verhaßten, avancirten Revolutionärs unterdrücken wollen.
Blanqui. Ich frage jetzt Hrn. Ledru-Rollin in Betreff des 16. April, ob er, der von legitimistischen Agitationen sprach, wirklich glaubt, daß sich die auf dem Marsfeld versammelten Arbeiter gegen die Republik hätten führen lassen?
Ledru-Rollin. Ich antworte Hrn. Blanqui: Wenn man eine Revolution für die Regentschaft machen will, so ruft man nicht immer: „Es lebe die Regentschaft!“ Wenn man die Legitimisten ans Ruder bringen will, so ruft man nicht: „Es leben die Legitimisten!“ Nein, man bedient sich der Losungswörter des Volkes, man vernichtet das Bestehende, und dann erst setzt man durch einen Handstreich, das, was man will, ins Werk. (Tumult im Publikum).
General-Prokurator Baroche. Ich frage den Zeugen, was die Polizei-Rapporte über diesen 16. April meldeten?
Ledru-Rollin. Sie signalisirten besonders den Bürger Blanqui und wie alle Republikaner war ich bestürzt, besorgt, daß eine Faktion die provisorische Regierung aus ganz andern Motiven stürzen möchte, als sie in der That vorgab. Dies war der Grund, weshalb ich den Rappel schlagen ließ.
Blanqui. Ich will nicht, daß der 16. April wie ein Damoclesschwert uber meinem Haupte hängen bleibe.
Man sagt, ich habe auf dem Marsfelde Proklamationen vertheilt; wohlan, ich fordere die Polizei auf mir nur eines und das kleinste Aktenstück dieser Art zu produziren. Alles was ich that, war, daß ich eine Schrift von mir, eine Antwort auf gewisse lügenhafte Dokumente vertheilte, und dazu hatte ich das Recht.
Nach der Erwählung der Staabsoffiziere beschlossen die Arbeiter, nach dem Hotel-de-Ville zu ziehen, um ein Arbeitministerium zu verlangen und zugleich den Ertrag einer Kollekte zu überbringen. Ich hatte mit beiden Sachen nichts zu thun und blieb Zuschauer bei dieser Revue, und der Zeuge Brot, den ich nochmals zu befragen bitte, wird aussagen können, daß ich kein einziges öffentliches Wort auf dem Marsfelde gesprochen habe.
Ich frage daher einfach, ob ich verantwortlich sein muß für die verrückten Vorstellungen und übertriebenen Besorgnisse, welche das Gouvernement über die Arbeiterversammlung auf dem Marsfelde hegte? Ob es nur wahrscheinlich ist, daß ich am 16. April, in einem Augenblick, wo das Gouvernement die Klubs und die Nationalgarde für sich hatte, dasselbe mit den Arbeitern des Marsfeldes durch einen „Handstreich“ hätte stürzen wollen?
Ledru-Rollin. Bürger Blanqui sagt, daß der Rappel geschlagen worden sei in Folge von verrückten Vorstellungen und übertriebnen Besorgnissen des Gouvernements. Ich glaube, die provisorische Regierung hat durch den Rappel nur ihren Muth bewiesen und hat nicht nöthig, in dieser Beziehung sich Lektionen ertheilen zu lassen.
Barbes. Ich wünsche zu bemerken, daß ich das sofortige Erscheinen der 12. Legion zu keinem andern Zweck, als zur Vermeidung eines Confliktes zwischen Volk und Armee verfügte.
Ledru-Rollin. Ich habe die Legion nicht zusammentrommeln lassen, um auf das Volk zu schießen; meine Hand hätte eher verdorren, als einen solchen Befehl unterzeichnen sollen.
Blanqui lacht: Ich habe nichts mehr zu sagen.
Zeuge Armand Marrast, 55 Jahre alt, Volksrepräsentant, erzählt mit schwacher, fast unverständlicher Stimme, daß er am 14. Mai von der Manifestation gehört, und dem General Courtais Befehl zu Schutzmaßregeln gegeben habe. Im Uebrigen wisse er nichts als die allgemein bekannten Thatsachen zu erzählen. (Gelächter.)
Nachdem Raspail noch über die nichtswürdige Behandlung der Gefangenen mit dem vorgeforderten Gefängnißdirektor eine lebhafte Diskussion geführt, wird die Sitzung um 6 Uhr geschlossen.
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[ * ] Bourges, 20. März.
(Prozeßverhandlung.) Bei Eröffnung der Sitzung erscheint der Zeuge Viktor Riglet wieder, der am Anfang der Verhandlung wegen Verweigerung des Zeugnisses zu 100 Fr. Buße verurtheilt wurde, und erklärt sich jetzt zur Vernehmung bereit. Seine Aussage besteht in nichts weiter, als daß er den Zug am 15. Mai mitangesehen habe.
Zeuge François Armand, 45 Jahre alt, Huisier der Seine-Präfektur, war am 15. Mai im Vorzimmer des Generalsecretariats der Präfektur, als ein Dutzend bewaffnete Männer, von denen Einer eine Fahne trug, eintraten und in das Cabinet des Generalsekretärs wollten; unter ihnen sei der Angeklagte Thomas gewesen. Armand behauptet, sich ihnen widersetzt zu haben, wurde aber mit noch einem andern Beamten vor die Thür geworfen, an der man sofort zwei Bewaffnete als Schildwachen aufgestellt habe. Auch auf der Treppe hätten Proletarier-Posten gestanden. Er, der Zeuge, sei darauf zu Hrn. Flottard geeilt, der ihm aber auf die Mittheilung der Vorfälle erwidert habe: „Was wollen Sie? Kann ich etwas thun?“ Zehn Minuten später sei Lamartine mit der Artillerie der Nationalgarde angekommen.
Der Angeklagte Thomas erklärt, ganz allein, ohne bewaffnete Begleitung und ohne Gewalt eingetreten zu sein; in den Zimmern sei Alles in der größten Verwirrung gewesen, und er, Thomas, habe darauf die alten Volksdelegirten zu versammeln befohlen, wie dies in ähnlichen verhängnißvollen Augenblicken selbst Lamartine gethan.
Die Zeugen Ramond de la Croisette, Advokat und Oberst der 4. Legion, und Reverdi, Adjutant in dem Bataillon der 4. Legion deponiren über die Ordre, welche der General Courtais zur Zusammenberufung der Nationalgarde gegeben habe. Beide versichern, daß ihnen der General keinen Augenblick verdächtig erschienen sei.
Zeuge Morhéry, Volksrepräsentant, giebt eine Erzählung der allgemeinen Vorfälle. Er hat mit Raspail gesprochen und denselben aufgefordert, seinen Einfluß anzuwenden, daß das Volk sich zurückziehe. Raspail, der sehr bewegt von dem unerwarteten Gang der Sache gewesen sei, habe das auch gethan, und sich dann, da er unwohl war, in den Garten begeben.
Raspail macht durch Zusammenstellung der Vorfälle darauf aufmerksam, daß durch diese Aussage Mohéry's die Behauptung des Zeugen Point entkräftet werde, welcher zu derselben Zeit, wo Raspail im Garten war, denselben an einer ganz entgegengesetzten Stelle gesehen haben will und behauptet, Raspail habe dem Volke zugerufen: „Geleitet Barbes nach dem Hotel-de-Ville!“
Die Zeugen Morhéry und Point werden confrontirt und bleiben beide bei ihren Aussagen.
Raspail. Ich habe gestern den Brief eines geachteten Mannes, Hrn. Leroy d'Etioles, Stabsarzt der 13. Legion, erhalten, welcher der Aussage des Hrn. Point ebenfalls das förmlichste Dementi gibt. Indem ich diesen Brief produzire, verlange ich die Ladung des Schreibers als Schutzzeugen.
Zeuge Point sucht die Zeit anders zu erklären, in welcher er von Raspail den erwähnten Ruf gehört haben will.
Raspail erklärt, daß er selbst erwiesener Maßen das Hotel-de-Ville vermieden habe, und sich eher den Kopf zerschmettern als einen Freund in die Gefahr schicken würde, die er so gut vor sich gesehen. Als er über die Feigheit dieser Anklage in Wuth geräth und dem Zeugen Point verächtliche Leidenschaften vorwirft, wird ihm von dem Präsidenten das Wort entzogen.
Barbes. Es ist eine lügenhafte Behauptung, daß Raspail Befehl gegeben habe, mich nach dem Hotel-de-Ville zu führen. Sein Charakter ist über allen Verdacht erhaben; auch hätte er eine solche Aufforderung gar nicht nöthig gehabt, da ich selbst nach dem Hotel-de-Ville wollte.
Der Zeuge Point, nachdem er nochmals behauptet, im Augenblick dieses Rufes dicht neben Raspail gestanden zu haben, verlangt die Erlaubniß entlassen zu werden.
Raspail. Nein, mein Herr, ich werde Sie festhalten lassen. General-Prokurator Baroche. Injuriiren Sie den Zeugen nicht. Raspail. Sie haben lächerliche Vorstellungen von Injurien.
Ich habe das Recht, mich der Entlassung eines Zeugen zu widersetzen; ich habe nach Art. 330 auch das Recht zu einem Antrag auf Anklage und Verhaftung des Zeugen.
Der General-Prokurator bestreitet das Letztere und der Präsident läßt auf Raspails Verlangen den Artikel verlesen, nach welchem der Angeklagte das behauptete Recht behält.
Zeuge Recurt, Volksrepräsentant, erzählt wie am 15. Mai, zwischen 4 und 5 Uhr Abends das Ministerium des Innern von einigen hundert Individuen gestürmt worden sei, ohne daß die Nationalgarde Widerstand leistete. Ungefähr 30 Personen, an deren Spitze Sobrier gestanden, seien in sein, Recurt's, Kabinet getreten; Sobrier selbst habe dasselbe augenblicklich und ohne ein Wort an Recurt zu richten wieder verlassen, die Bewaffneten aber seien in Unterhandlung getreten, und hätten von Recurt verlangt, er solle die Bildung einer neuen provisorischen Regierung durch den Telegraphen in den Provinzen verkünden; als er sich dessen geweigert, seien sie wieder abgezogen und er habe erst nach ihrer Entfernung bemerkt, daß man ihm die Siegel mitgenommen.
Advokat Leclancher. Hat Sobrier, als er ins Ministerium trat, feindselige Absichten gezeigt?
Zeuge Recurt. Er war durchaus kaltblütig und hat, wie ich schon sagte, kein Wort gesprochen.
Sobrier. Ich will mein Erscheinen im Ministerium erklären. Ich wollte sehen, ob Hr. Recurt auf seinem Posten wäre, und wenn ich einen andern, einen Royalisten auf seinem Platz gefunden hätte, den Usurpator auf die Seite schaffen. Ich kam, um bei der allgemeinen Verwirrung dem Ausbruch eines Bürgerkriegs vorzubeugen.
General-Prokurator Baroche. Sie sagen, daß Sie sich eines etwaigen Usurpators im Ministerium bemächtigt haben würden; Sie glauben also, das Recht dazu zu haben?
Sobrier. Ohne Zweifel habe ich das Recht, wenn ich einen Fremden an einem öffentlichen Platz finde. Ich selbst wußte übrigens bei meinem Eintritt ins Ministerium noch nichts von der Bildung einer neuen provisorischen Regierung.
Zeuge Chevalier, Sous-Lieutenant der 4. Legion, Zeuge Petit, Garçon beim Bureau der Assemblée, Zeuge Bureaux de Puzy, Questor, und Zeuge Thenon, Stabsoffizier, deponiren ohne weitere als die bekannten Details, daß der General Courtais Ordre zum Einlaß von 14 Delegirten und zum Abnehmen der Bajonette gegeben habe.
Schluß der Sitzung 6 Uhr.
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[ * ] Bourges, 21. März.
(Prozeßverhandlung.) Die Sitzung wird erst kurz vor 11 Uhr eröffnet.
Zeuge Biard, Journalcolporteur, Zeuge Rieblieniec, Kräuter, und Zeuge Matthieu, Bleicher, alle drei Nationalgardisten, waren im Hof der Assemblée und haben den General Courtais hier einem oder zweien Volksdelegirten den Eintritt verschaffen sehen.
Zeuge Hutteau-d'Origny, 44 Jahr alt, Kavallerie-Offizier, ist am 15. Mai nach der Assemblée gekommen, um von dem General Courtais Befehl zum Generalmarsch zu verlangen. Als er in den Sitzungssaal trat, will er von einem Menschen in Hemdsärmeln den Ruf: „Zwei Stunden Plünderung!“ gehört haben. Der Zeuge setzt hinzu, daß auch der Zeuge Ernst Gregoire diese Worte vernommen, wie sich derselbe wenigstens in Gegenwart von zwei Personen, der Herren Thenon und Fitz-James gerühmt habe.
General-Prokurator Barroche. Der Zeuge Ernst Gregoire ist einer von Denen, die dem hohen Gerichtshof die Antwort verweigern
Der Zeuge Thenon wird wieder vorgerufen und erklärt, daß Hr. G egoire allerdings in seiner Gegenwart behauptet den Ruf: „Zwei Stunden Plünderung!“ von einem Menschen in Hemdsärmeln gehört zu haben.
Barbés. Es war also ein einzelner Mensch. Nach der Beschreibung muß der Ruf aber doch nicht besonders laut gewesen sein, da der Präsident Buchez nichts davon hörte
Zeuge Hutteau weiß darüber nichts zu sagen.
Präsident Ich sehe die Wichtigkeit nicht ein, welche die Vertheidigung auf diesen Punkt legt.
Barbès. Man hat uns 10 Monate mit Verläumdungen überschüttet und die demokratische Partei für diese Worte solidarisch verantwortlich gemacht. Im Interesse unserer ganzen Partei haben wir zu beweisen, daß wir jenen Ruf nicht ausgestoßen haben.
Präsident. Wenn diese Worte wirklich gefallen sind, so war es ein Wahnsinniger, der sie ausstieß.
Raspail. Wir nehmen Akt von diesem Ausspruch des Präsidenten, und verlangen, daß man die Handlung eines Wahnsinnigen nicht mehr in den Anklageakt mengt.
Barbès. Und daß man diese Phrase nicht mehr der republikanischen Partei entgegenwirft.
Generalprokurator. Es war nicht die republikanische Partei, welche die Nationalversammlung erstürmte, die Republik war in der Versammlung.
Barbès. Es giebt Republikaner und Republikaner.
Generalprokurator. Republikaner sind die, welche der Republik dienen.
Hierzu eine Beilage.