[0707]
Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 139. Köln, Freitag den 10. November. 1848.
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Uebersicht.
Deutschland. Berlin. (Provisorium. ‒ Die „N. Preuß. Ztg.“ über Jacobi. ‒ Freischaaren. ‒ Kriminalistisches ‒ National-Versammlung. ‒ Interpellationen. ‒ Anträge. ‒ Das Ministerium Brandenburg soll gebildet sein. ‒ Neuigkeiten. ‒ Das „Ministerium der thierischen Soldateska.“ ‒ Bürgerwehr-Kongreß). Wien. (Ein Beitrag zur Geschichte kaiserlicher Humanität. ‒ Proklamationen. ‒ Croatische Handhabung der Ruhe und Ordnung. ‒ Stehlen und Plündern der Croaten. ‒ Proscriptionen. ‒ Blum verhaftet. ‒ Marsch gegen Ungarn. ‒ Die Ungarn sperren den Wienern die Lebensmittel ab. ‒ Das Aussehen der Stadt. ‒ Abmarsch des ersten Armeekorps nach Ungarn. ‒ Die Arbeiter und das Eigenthum. ‒ Heroismus der Reichsgewalt). Prag. Die Deputirten zurück. ‒ Unruhen befürchtet). Aus Oesterreichisch-Schlesien. (Bauernaufstand). Frankfurt. (National-Versammlung) Schleswig. (Adresse auf Abberufung Stedtmanns. ‒ Korrespondenz Stedtmanns und der gemeinsamen Regierung).
Polen. Krakau. (Ein Aufstand in Lemberg).
Donaufürstenthümer. Bukarest. (Sieg der „verfassungsmäßigen Freiheit und Ordnung“).
Italien. (Der Aufstand in der Lombardei. ‒ Der Herzog von Modena zurück. ‒ Volksdemonstration zu Florenz).
Französische Republik. Paris. (Die Frankfurter Flüchtlinge. ‒ Der Konflikt zwischen Linie und Mobilen. ‒ National-Versammlung).
Deutschland.
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[ 20 ]. Berlin, 7. Nov.
Noch immer das Provisorium im Provisorium. Unsere Philister, die Ruhefanatiker, die Ritter von Gesetz und Ordnung sind untröstlich. Weder Bastard Dunois mit seinem Gelichter, noch Abbé Berg und sein Genosse Rodbertus, noch Freund Unruh und Grabow, noch endlich Waldeck haben die Zügel der Regierung ergriffen. Der Staatskarren steht, Niemand will ihn weiter schieben. Man fragt natürlich, was die Nationalversammelten in dieser Krisis thun. Nichts, Nichts und wiederum Nichts, ist die traurige Antwort. Versammlung auf eine Viertelstunde, Vertagung auf 6 Stunden und sofort, kurz freiwillige Vertagung mit einigen Unterbrechungen: das ist die große Thätigkeit der Vereinbarer. Ein seltsames Mißgeschick scheint über den konstituirenden Versammlungen dieses revolutionären Jahres zu wallten, daß keine den Weg zu gehen versteht, den das Volk ihr mit blutiger Spur vorgezeichnet hatte. Die Zeichen der Zeit gehen spurlos an ihren Augen und Ohren vorbei und kaum berührt die Athmosphäre des Volkes die Fußsohlen seiner in höheren Regionen schwebenden Auserwählten. Man tagt und tagt fort und fort, aber nie und nimmermehr will's Licht werden in den Köpfen der „Tagenden“. So wird die preuß. Vereinbarer -Versammlung auch diesen Moment ungenützt vorübergehen lassen, ohne sich zu einer konstituirenden zu machen, und die 20fache Blamage wird um eine neue vermehrt. ‒ Asservir la royauté, sans la détruire, dies wollen unsere Bourgeoisvertreter von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken, die höchstens 3 oder 4 Männer zählt, welche in einem Konvent nicht im Centrum sitzen würden.
Die Worte Jakobys an den König sind noch immer Gegenstand der öffentlichen Besprechung. Der Philister steht noch mit offenem Munde da und erholt sich mit Mühe von dem ersten Staunen über jene Wahrheit. Die Reaktionäre poltern sich heiser über die „Frechheit“, „Unverschämtheit“, „Verletzung des Hausrechts“ und was sie Alles in jenen Worten finden. Dte Zeitung „mit Gott, für König und Vaterland“, die seit einiger Zeit unaufhörlich von Blut trieft, weiß sich in ihrer Wuth gar nicht zu lassen und schämt sich natürlich nicht, Jakoby's Worte mit seiner Konsession in die engste Verbindung zu bringen. Die N. Pr. Ztg. ist überhaupt das Thermometer für die Pläne der Absolutisten. „Jetzt hilft nur Energie“, sagt das saubere Blättlein, „und kostete es auch dem Könige seine Krone.“ „Berlin muß von Militär besetzt werden, ob mit, ob ohne Belagerungszustand, die Bürgerwehr muß entwaffnet werden “ und dergleichen schöne Sachen mehr. ‒ Heut ist denn auch wirklich das 24. Regiment, meist aus Berlinern bestehend, aus der Stadt gerückt, nachdem es gestern auf 6 Tage Proviant und scharfe Patronen erhalten hätte. Allgemein heißt es, daß statt ihrer Wrangel mit der Garde an die Stelle der 24er rücken werde. ‒ Gut Glück! die Volksstimmung ist im Allgemeinen eine sehr gedrückte, ein Rückschlag gegen die ungeheure Erregung der letzten Tage. Das Volk trauert um das gefallene Wien.
Einem öffentlichen Aufrufe „an die Waffenfähigen Berlins“ zufolge beabsichtigt der demokratische Landwehrverein in Verbindung mit dem demokratischen Bürgerwehrklub eine Freischaar zu bilden, die überall hin dirigirt werden soll, wo die Freiheit durch die bewaffnete Macht unterdrückt zu werden in Gefahr ist. ‒ Auch die 4 fliegenden Korps haben sich jetzt zu einer „Wehrschaar“ vereinigt; an ihrer Spitze steht der Rittmeister a. D. Vorpahl, ein bekannter Republikaner, wie die Voss. Ztg. sich ausdrückt.
Nachträglich berichte ich Ihnen noch die am Sonnabend den 4. erfolgte Freisprechung der 17, der Theilnahme am Zeughaussturme Angeklagten. ‒ Der Staatsanwalt Blumberg beantragte 18monatliche, resp. einjährige und 2monatliche Strafarbeit; der Gerichtshof sprach die Angeklagten indeß wegen des gänzlich fehlenden objektiven Beweises von der Instanz frei. Vertheidiger waren Ref. Meyer und Fr. Stieber. Wie es heißt, hat der Staatsanwalt Appell eingelegt.
Den 10. Nov. kommt der bekannte Prozeß wegen der am 14. Juni ausgerissenen und fortgeschleppten Schloßgitter zur öffentl. Verhandlung. Der Hauptangeklagte, Ref. Rasch ist jedoch flüchtig. Den 11. Novbr. findet die öffent. Verhandlung gegen den Grafen Breßler, ein thätiges Mitglied des Preußenvereins, der am 25. Sept. zum Barrikadenbau aufforderte und Geld austheilte, Statt. Der Exgraf befindet sich seit Ende Sept. in Haft. Die in der Zeughausaffaire Angeklagten waren 20 Wochen im Kerker. Dafür waren diese auch nur arme Handwerker, „Gesindel“, bei einem Grafen macht sich die Sache anders.
Nachschrift. So eben werden 18 Wagen voll Munition in die Stadt gebracht und theils in den Kasernen theils im Zeughause abgeladen.
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[ 103 ] Berlin, 7. Novbr.
National-Versammlung.
Gegen 10 Uhr Vormittags eröffnet der Präsident Unruh die Sitzung. Auf der Ministerbank befindet sich nur der Minister Kisker. Nach Verlesung des Protokolls erhält der Abgeordnete Auerswald II. das Wort zu einer persönlichen Bemerkung.
Auerswald II. Aus den stenographischen Berichten der 92. Sitzung ersehe ich, daß der Abg. Jacoby die traurige und bedrohliche Lage des Landes als ein Erbstück dreier Ministerien bezeichnet hat, „welche entweder nicht die Fähigkeit oder den Muth hatten, den Machinationen der Camarilla entgegen zu treten.“ Da ich an einem dieser Ministerien Theil genommen habe, so habe ich das Recht, diese Behauptung, die ohne die Spur eines Beweises auch gegen mich vorgebracht ist, zurückzuweisen. Wenn die vom Abg. Jacoby gebrauchte Phase einen Sinn haben soll, so ist damit gesagt, daß das Ministerium einen Einfluß geduldet hat, der sich nicht auf das Fundament eines konstitutionellen Regiments stützt. Ich weise eine solche Verdächtigung mit Verachtung zurück. (Unruhige Bewegung auf der linken Seite).
Präsident: Ich muß den Redner bitten, sich in den Grenzen der parlamentarischen Debatte zu halten.
Auerswald II.: Ich denke nicht, daß der Tag kommen wird, wo ich den Schmeicheleien und Drohungen einer Kamarilla, mag sie auf Parquetboden gehen, oder einer solchen, welche irgend welchen Klubs den Hof macht, meine Ueberzeugung opfern werde. Mit dem Abg. Jacoby bin ich darin einverstanden, daß die Lage des Landes ernst und bedrohlich ist. Aber der Abgeordnete wird nicht alle überreden, daß diese Gefahren allein von der Kamarilla kommen, daß in allen Ständen seine Ansicht vorherrischt. (Bravo rechts. Zischen links.
Jacoby: Ich werde mich nicht durch die Worte des abgetretenen Redners zu einer unparlamentarischen Erwiederung hinreißen lassen. Es ist jetzt die Zeit nicht, meine Behauptungen zu beweisen, aber ich werde das stets nach vorheriger Festsetzung thun.
Der Präsident erklärt die Sache hiermit für erledigt.
Man geht zum Bericht der Petitionskommission über. Die erste Nummer, welche eine Petition von D. A. Benda und Consorten behandelt, führt zu einem Antrage des
Abg.Behnsch: „Die Versammlung möge beschließen, daß die gesammten Urwähler des preußischen Staates zu befragen, ob sie das bisherige Verhalten der Centralgewalt mit der Einheit und Freiheit Deutschlands in Einklang erachten?“
Nach kurzer Debatte wird dieser Antrag verworfen und zur Tagesordnung übergegangen.
Die Prioritätskommission hat zwei dringenden Anträgen die Priorität zuerkannt, welche demnach sogleich zur Berathung kommen. Der erste von dem Abg. Kirchmann und Consorten:
„Die Versammlung wolle beschließen, daß in der morgenden Sitzung, auch wenn das neue Ministerium nicht erscheinen sollte, in der Berathung des Gesetzes wegen unentgeltlicher Aufhebung verschiedener Lasten und Abgaben, fortzufahren.“
Nachdem die Antragsteller die Dringlichkeit und die Nothwendigkeit dieses Antrages begründet haben und der Abg. Arntz besonders aus der Geschichte der französischen Ministerkrisen seit 1830 bewies, daß in Frankreich die Deputirtenkammer stets bei den längeren wie kürzeren Ministerkrisen, ihre Berathungen ohne Unterbrechung fortsetzte, ‒ wird dieser Antrag mit einem Zusatze, daß die ihrem Amte noch vorstehenden Minister zu der morgenden Sitzung eingeladen werden, mit großer Majorität angenommen. Die rechte Seite war gegen den Antrag.
Der zweite dringende Antrag ist von den Abgeordneten D'Ester und Temme:
„Die hohe Versammlung möge beschließen, den Minister des Innern aufzufordern, die von dem Minister Eichmann erlassene Bekanntmachung vom 1. d. wegen der Requirirung des Militärs zurückzunehmen.“
Die Dringlichkeit dieses Antrages wird von der rechten Seite bestritten und daher eine Debatte über die Dringlichkeit eröffnet.
Temme beweist durch Aktenstücke vom Monate März, welche er vorliest, daß weder dem Minister Eichmann noch dem Magistrat oder dem städtischen Sicherheitsausschuß, welcher gar keine gesetzliche Behörde sei, das Recht zustehe, das Militär zu requiriren. Dies bleibt allein der Bürgerwehr überlassen.
Von der Rechten wird dies in Zweifel gezogen und besonders darauf viel Werth gelegt, daß der Minister Eichmann nicht gegenwärtig sei, um seine Bekanntmachung zu vertheidigen. Man müsse doch jedem das Recht der Vertheidigung zugestehen.
Als D'Ester im Namen der Antragsteller auf den Willen der Rechten einging, und die Verhandlung über diesen Antrag bis morgen aussetzen will, widerspricht man dem von der Rechten. Da stürmt D'Ester auf die Tribüne und sagt höhnisch und verächtlich auf die Rechte blickend: Wie macht man es Ihnen denn eigentlich recht, meine Herren? Sie bestreiten die Dringlichkeit des Antrages und behaupten, er könne heute nicht berathen werden, weil der Minister Eichmann, der Angeklagte, nicht zugegen sei. Wir gehen auf Ihren Willen ein. Da verlangen Sie wieder, man solle sogleich über die Dringlichkeit abstimmen. Ein solches Verfahren verdient, daß man es näher beleuchtet.
Die Rechte zieht ihren Antrag auf sofortige Abstimmung zurück und die Sache wird morgen weiter verhandelt werden.
Nachdem noch ein guter Theil des Petitionsberichts beseitigt ist, wird die Sitzung um 2 Uhr geschlossen.
Nächste Sitzung morgen 9 Uhr Vormittags.
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[ 103 ] Berlin, 7. Nov.
Der Abgeordnete Behnsch hat folgende schleunige Interpellation an das Staatsministerium eingereicht:
1) Ob es Kenntniß von dem Uebertritt ungarischer Krieger auf unser Gebiet habe.
2) Was es für diese Krieger, welche in den Reihen der Feinde des deutschen Volkes gegen die errungene Freiheit desselben und den erklärten Willen seiner gesetzlichen Vertreter nicht kämpfen wollten, zu thun gedenkt.
3) Ob es diesen Kriegern gestatten wolle, auf preußischem Gebiete in ihr Vaterland Ungarn zurückzukehren.
Zur Begründung meiner Interpellation erlaube ich mir von drei, im Wesentlichen übereinstimmenden, Adressen aus den Städten Waldenburg und Friedland, so wie aus dem Waldenburger Kreise, die letztere der hohen Nationalversammlung vorzulegen. Sie lautet:
„Am 30. October hat sich eine Schaar bewaffneter ungarischer Kavallerie auf preußischem Boden und in unserem Gränzbezirke eingefunden, nachdem sie bei Liebau die Gränze überschritten.
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Blödsinn deutscher Zeitungen.
Die Reform. Organ der demokratischen Partei in Berlin. (A. Ruge, Redakteur.)
Seit gestern Abend studiere ich an einem Artikel der Reform, des Organs der demokratischen Partei in Berlin. Dieser Artikel ist überschrieben: „Die Königliche Botschaft und ihre Folgen.“
Hätte ich seit gestern Steine geklopft, hätte ich den Dreschflegel geführt, hätte ich mich mit einem englischen Porter-Brauer geboxt, ich glaube, ich wäre nicht so todtmüde, als nach dem Studium dieses Artikels.
Wer mag ihn geschrieben haben? Ein Türke? nein, er hätte es nicht gewagt, er hätte hundert Stockprügel bekommen. Ein Chinese? nein, man hätte ihn an den nächsten Porzellanthurm gehängt. Ein Russe? nein, man hätte ihn nach Sibirien geschickt. Ein deutscher Gelehrter? Das wäre möglich!
Ein deutscher Gelehrter wagt Alles. Er fürchtet weder den Stock, noch den Strick, noch eine Reise nach Sibirien. Er scheut nicht einmal die Blamage vor seiner eigenen Partei. Bei einem deutschen Gelehrten ist alles möglich. Sei mir willkommen, o deutscher Gelehrter!
„Es ist von Interesse, die Ereignisse darauf anzusehn, welche Folgen sie in sich tragen.“ Mit dieser aus Holz geschnitzten Phrase beginnt der Artikel der Reform. Gewöhnliche Menschen würden sagen: Es ist von Interesse, den Geisterseher zu spielen, den Wahrsager oder den Kartenschläger. „Es gehört dazu nichts weiter, als daß man die Ereignisse selbst durchschaut.“ Allerdings! Leider sind die Ereignisse aber nicht so leicht zu durchschauen, als die deutschen Gelehrten. Die Reform gibt dies auch zu, indem sie fortfährt: „In unserm Falle freilich ist dies nicht leicht, wenigstens heute noch nicht.“ Giebt es etwas Naiveres als dies:„heute noch nicht?“ Die Reform stellt sich hierdurch auf den Standpunkt einer Hebamme, die das Ereigniß der Schwangerschaft zwar in gewisser Weise durchschaut, die aber heute noch nicht sagen kann, ob morgen ein Knabe oder ein Mädchen zum Vorschein kommen wird. Der Kartenschläger ist eine Hebamme geworden. „Heute noch nicht!“ sagt die Reform, denn: „es ist zweifelhaft, ob Brandenburgs Ernennung provisorisch oder definitiv, Ernst oder Scherz ist.“ Da haben wir's. Das Durchschauen des Ereignisses Brandenburg verursacht unserer Freundin so ungemeines Kopfzerbrechen. Aber nur weiter, Theuerste! Es wird schon gelingen. „Wollen wir also mit völliger Sicherheit das Verhängniß wissen, welches in der Königlichen Botschaft liegt, so müssen wir dieses Entweder-Oder sich erst entscheiden lassen.“ Hier macht die Reform eine Pause.
Nach allen Fratzen und Schnörkeln ist unsere Freundin, die Hebamme, mit dem überraschenden Resultate niedergekommen, daß man erst den Spaß oder den Ernst der Schwangerschaft abwarten muß, ehe man darüber urtheilen kann, ob das Ereigniß wirklich mit einem Kinde, oder nur mit einer Windblase zu Stuhle kommen wird. Trefflicher Kartenschläger! Weise Hebamme! Erst sieht die Reform das Ereigniß an, um uns weiß zu machen, daß sie es durchschauen würde. Dann bemerkt sie aber plötzlich, daß dies doch nicht so leicht ist und schließlich verzichtet sie ganz darauf und zieht es vor, hübsch abzuwarten. Ich weiß etwas, sagt Peter Simpel. Ich weiß beinah etwas, nein, ich weiß doch nichts.
Der mehr oder minder gelehrte Peter Simpel der Reform geht jetzt näher auf den Ernst und den Scherz des Ereignisses ein. Wir müssen gestehen, daß der Scherz uns dabei ausgeht; wir werden sehr ernst. Simpel's Stylübungen wirken auf uns wie ein Topf Fliederthee. Wir trocknen den Schweiß von der Stirn. Im Schweiße unseres Angesichts studiren wir Simpel's Folgerungen und Schlüsse. Es ist uns, als ob wir in finsterer Nacht durch ein frisch geackertes Feld stolperten; jeden Augenblick meinen wir zu fallen und den Hals zu brechen. Der Artikel der Reform ist ein wahrer Dornenpfad für jeden tugendhaften Leser.
„Ist die Ernennung eines parlamentarisch völlig unbekannten Soldaten definitiv und wirklicher Ernst, nun so ist die Nationalversammlung auf die vollkommenste Machtlosigkeit zurückgeführt.“
Kann sich ein Tertianer besser ausdrücken? „Definitiv und wirklicher Ernst“, „nun so ist“,„vollkommenste Machtlosigkeit“. Simpel hat drei Redeperlen gefischt, die ihres Gleichen suchen.
Wir geben uns Mühe, den hohen Sinn der hohen Worte zu verstehen. Der „kühne Griff“ des Königs ist die Ohnmacht der Nationalversammlung, scheint die Reform zu sagen; wir bekommen Muth weiter zu lesen: „Ihre, nämlich die einstimmige Verwahrung der Nationalversammlung gegen ein ernstlich gemeintes Ministerium Brandenburg hätte dieses nicht verhindert, zu regieren, und der Absolutismus wäre am 3. November 1848 auf die friedlichste Weise von der Welt wieder zurückgekehrt.“ Kaum dem ersten Dilemma entronnen, gerathen wir in neue Verlegenheit. Meint die Reform, daß die Nationalversammlung nur dann etwas vermöchte, wenn ihr der König scherzend gegenüber träte? Die Nationalversammlung mag sich bei Herrn Simpel für diese Artigkeit bedanken.
Aber die Reform sieht bereits ein, daß sie einen Bock geschossen hat. Der Grobheit folgt die Entschuldigung auf dem Fuße nach.
„Es wird wohl Niemand so blind sein“ ‒ ruft sie mit Pathos aus ‒ „um diese Idylle der Knechtschaft, dieses Verzichten des Volkes auf sein ganzes Recht ohne Gewalt für möglich zu halten.“
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Das Mögliche wäre also doch wieder unmöglich? Der definitive und wirkliche Ernst wäre also doch wieder nur definitiver und wirklicher Spaß? Wir staunen über die Redekunststücke der Reform. Peter Simpel, der noch eben der festen Meinung war, seine eigne Nase abbeißen zu können, er sieht schließlich doch wieder ein, daß es schief darum steht, er giebt den Gedanken auf, er versöhnt sich wieder mit seiner Nase und wir versöhnen uns wieder mit Peter Simpel; Peter ist ein charmanter Mann. Doch lesen wir weiter.
„Ein ernstliches und definitives Ministerium Brandenburg wäre nichts Geringeres, als der Bruch der Krone mit der Nationalversammlung.“ ‒ Nichts ist verständlicher, nichts ist deutlicher. Aber die Reform erschrickt ordentlich darüber, daß sie so deutlich gewesen ist, und ehe wir's uns versehen, fährt sie fort: „Ist also (mon dieu!) der Bruch vorhanden? (Heiliger Simpel!) Ist der Krieg erklärt? (Heiliger Peter Simpel!) Nein! er ist dennoch (trotz des also) nicht erklärt. ‒“ Wir halten inne, die Geduld reißt uns, nein, das ist zu stark, das geht über die Bäume! ‒ Zuerst sagte Simpel: Ich weiß etwas, ich weiß beinah' etwas, nein, ich weiß doch nichts! Dann fuhr er fort: Der definitive und wirkliche Ernst ist möglich, er ist beinah' möglich, nein er ist doch nicht möglich! Und jetzt vollendet er und meint: Der Bruch ist da, er ist beinah' da, nein, er ist doch nicht da!
Aber die Reform ist noch lange nicht fertig. Die Reform ist unerschöpflich. „Nein, der Krieg ist dennoch nicht erklärt“ ‒ sagt die Reform ‒ „oder alle Zeichen müßten trügen. Schon darum glauben wir es nicht, weil es Niemand glaubt!“ ‒ Alle Weisheit des Kartenschlägers, der Hebamme und Peter Simpel's schwinden vor der Jedermann's Meinung. Der große Mann, der die Ereignisse durchschaut, er ist von der letzten Stufe seines Thrones hinabgepurzelt und in den Koth der allgemeinen Meinung gefallen, wo er mit den Gläubigen glaubt und mit den Zweifelnden zweifelt; mit einem Worte, Peter ist endlich an seinem Platze ‒ leider, an einem sehr untergeordneten.
Die Reform schließt jetzt die 34 Zeilen lange Passage, in der wir nicht mehr als 17 Stylfehler, Simpeleien und Widersprüche entdeckten, mit der glorreichen Phrase: „So (!) wäre also (!!) das Ministerium Brandenburg nur eine Ephemere; es wäre nicht ernstlich damit gemeint. In diesem Falle muß ein Ministerium aus der Versammlung hervorgehen, und wir hören, daß an ein Ministerium Kirchmann-Rodbertus gedacht wird.“
Nach der Reform verhält sich also der König der Nationalversammlung gegenüber rein scherzhaft. Der König hat vollkommenes Recht hiezu. Größeres Recht haben wir aber no ch, uns der Reform gegenüber scherzhaft zu verhalten, und wir gestehen daher der Reform, daß es wirklich sehr scherzhaft mit seinen Lesern umgehen heißt, wenn man sie erst mit den mystischsten „Durschauungen“ ködert, um sie hinterher mit den konfusesten Trivialitäten im Stich zu lassen.
Die Reform ergeht sich nun noch in nicht weniger unglücklichen Wendungen als bisher, über die möglichen Chancen eines möglichen Ministeriums Kirchmann-Rodbertus. Wir verschonen unsre Leser und uns selbst mit diesen Tiraden, wir können aber nicht der Versuchung widerstehen, wenigstens noch das anzuführen, was die Reform mit Hintenansetzung des genannten Ministeriums als ihr Heilmittel anzuempfehlen wagt. „Dessau müßte man sich zum Muster nehmen!“ ruft die Reform aus. „In dieser (!) Form (!) (in dieser Form Dessau) ist eine Versöhnung des Alten und des Neuen, die man eine ehrliche nennen kann. (Ehrlicher Simpel!) Nehmt sie an, wählt ein Ministerium der äußersten, (Peter Simpel als äußerster Ministerpräsident!) das heißt der konsequenten Demokratie: und ihr habt eine glorreiche Genesung von dem innern Fieber und von der äußern Ohnmacht. Ihr gründet das neue Deutschland und hony soit, qui mal y pense! Doch wir verirren uns. ‒ ‒ “
Allerdings! ‒ Peter Simpel den Hosenband-Orden für diese Verirrung!
Lang' lebe die Reform, das Organ der demokratischen Partei in Berlin, und lang' lebe Peter Simpel, ihr Ereigniß durchschauender Denker! Welch' eine Partei und welch' ein Denker! Es giebt nur eine Reform, und Peter Simpel ist ihr Prophet.
Er ist heruntergesimpelt
Und weiß doch selber nicht wie
Es ist sonderbar, wie große Männer so verschieden beurtheilt werden. Während die Kölnische Zeitung neulich von Lob über das Lustspiel, „die Sündenböcke“, von R. Benedir, überfloß, bringt die Neue Preußische Zeitung folgende Notiz:
„Ein gestern Abend im Schauspielhause zum ersten Mal aufgeführtes neues Lustspiel von Rodrich Benedir: „Die Sündenböcke“, hat total Fiasco gemacht. Dasselbe ist auch in der That ein so fades Machwerk, daß wir kaum begreifen, wie dasselbe von der Königlichen Bühne hat zur Aufführung gebracht werden können. Das Publikum wurde so ungeduldig, daß einer der Darstellenden, Herr Döring, vortrat und anfragte, ob weiter gespielt werden solle, ‒ es sei ohnehin bald zu Ende. Das Publikum gab nach einiger Opposition dies zu, rief am Schlusse sämmtliche Darsteller als Zeichen, daß das Mißfallen nicht ihnen gegolten, und trommelte dann das Stück aus, indem es sich jede Wiederholung verbat.“
Ihr armen Sündenböcke!
[Deutschland]
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@facs0708
[Fortsetzung] Diese Schaar gehörte zu einem ungarischen Husarenregimente (Palatinat-Husaren im Saatzer Kreise), welches Befehl erhalten, gegen Wien zu marschiren. Das Regiment war offen und mannhaft genug, sofort die Erklärung abzugeben, daß es ebensowenig gegen seine Wiener, als gegen seine ungarischen Brüder marschiren werde. Es sollte daher mit Gewalt dazu gezwungen werden, zog sich zurück durch Böhmen, wurde von östreichischen Kürassieren verfolgt und bei Trautenau zersprengt. Einzelne Theile haben sich hierhin und dorthin gerettet, von denen eine Schaar, wie gesagt, am 30. October bei Liebau die preußische Gränze übetrat. Dort wurde ihr von dem Landrathe des Landeshuter Kreises die Wahl gelassen, entweder sogleich wieder über die Gränze zurückzugehen, oder sich entwaffnen zu lassen. Wir Bewohner dieser Gebirgsgegend und namentlich des Waldenburger Kreises, können in dieser Schaar nichts anderes sehen, als Männer, die es ehrlich meinen mit der allgemeinen Sache des deutschen Volkes und in Betracht, daß die alten Gränzen innerhalb Deutschlands, welches fortan ein einiges sein soll, in der alten Weise nicht mehr festgehalten werden dürfen, bitten wir:
Eine hohe Nationalversammlung wolle diese Angelegenheit zur Berathung ziehen und dafür sorgen, daß jene ehrenwerthe Schaar, welche für die deutsche, nicht für die slavische Sache die Waffen führen will, nicht an die k. k. Militärbehörde ausgeliefert, ihr im Gegentheil die abgenommenen Waffen wieder zurückgegeben und ihre Heimkehr in ihr Vaterland besorgt und beschützt werde.“
Waldenburg den 1. Nov. 1848.
Im Namen des Kreises, die beauftragten Vertrauensmänner.
Ein Schreiben aus Friedland, Kreis Waldenburg, d. d. 31. October, schildert die Sympathie des Volkes für jene Ungarn. Es lautet:
„Ein ungarisches Regiment Husaren trennte sich vom Armeekorps des Fürsten Windischgrätz, um sich in das Vaterland durchzuschlagen; einem Theile desselben soll dies gelungen sein. Von den Versprengten ist eine Truppe von 56 Mann mit Pferden, Waffen und Gepäck heute Nachmittag 3 1/2 Uhr hier angelangt; die Bürger haben sie mit Freuden aufgenommen und diesen unglücklichen Leuten, welche mit ihren Pferden sehr erschöpft waren, gern Quartier und Beköstigung bis zu ihrer Erholung gewährt. ‒ Die Unglücklichen sind aber besorgt, daß von diesseitigen Behörden oder Militärpersonen ihrem Rückmarsch nach Ungarn auf preußischem Boden wird Hinderniß in den Weg gelegt worden, oder daß sie gar gefangen, entwaffnet und an die kaiserlich-östreichischen Kommando's ausgeliefert werden möchten; der schimpfliche Tod wäre dann unvermeidlich. Vor solchem Unglücke, glaube ich, kann sie nur unsere Nationalversammlung bewahren.
Ew. etc. ersuche ich daher recht dringend dahin wirken zu wollen, daß den versprengten ungarischen Husaren kein Hinderniß auf ihrem Rückmarsche in's Vaterland gelegt, noch weniger, daß dieselben an ihre, wie unsere Feinde ausgeliefert werden.
Wenn dieses Schreiben, in heutiger Nacht gegen 12 Uhr abgefaßt, auch von meinen Herren Kollegen nicht mitvollzogen ist, so kann ich auf Ehre versichern, daß sich hier kein Einziger befindet, welcher meinem Antrage entgegen ist, denn die Sympathie für unsere Gäste war allgemein; Jeder wollte gern einen Mann in's Quartier haben, und Alle wünschen die Soldaten gerettet zu sehen.“
(gez.) Haupt, Bürgermeister.
An den Abgeordneten der Nationalversammlung in Berlin,
Behnsch.
Der Abg. Lisiecki stellt folgende dringende Interpellation an den Kriegsminister:
„Ob es gegründet ist, daß in den letzten Tagen des Monats October d. J. in Folge reaktionärer Bestrebungen der Kamarilla zu Ballenstädt und auf Grund des von derselben ausgegangenen Ansinnens, der Kommandeur einer preußischen, in Quedlinburg stationirten Kürassier-Eskadron seine Mannschaft in den Ställen konsignirt hatte, um nöthigenfalls zur Stillung eines im Lande Bernburg befürchteten Aufruhrs herbeizueilen?“
Der Abg. Gräff (Trier) hat folgenden Zusatz zum Artikel 5 der Verfassung gestellt:
„Jede gesetzwidrige Verhaftung verpflichtet den Staat und die betreffenden Beamten zur vollständigen Entschädigung des Verhafteten. Auch bei einer gesetzmäßigen Verhaftung, worauf keine Verurtheilung erfolgt, muß dem Verhafteten eine angemessene Entschädigung, jedoch nur vom Staate, geleistet werden. Das Nähere wird durch ein besonderes Gesetz bestimmt.“
Motive: Diese Bestimmung, welche im Wesentlichen in der neuen Verfassungs-Urkunde für das Herzogthum Anhalt-Dessau § 13 enthalten ist, rechtfertigt sich durch den civilrechtlichen Satz, daß ein Jeder, welcher einem Andern durch Vorsatz, aus Versehen oder Irrthum einen Schaden zufügt, demselben dafür die gebührende Genugthuung leisten muß. Die Entschädigung ist höher oder niedriger, je nachdem die Verletzung auf Vorsatz beruht, oder aus Versehen oder Irrthum hervorgegangen ist. Ein solches Versehen oder ein solcher Irrthum ist auch dann als vorhanden anzunehmen, wenn zwar die provisorische Haft nach den Gesetzen zulässig war, dennoch aber der Verhaftete freigesprochen oder vorläufig außer Verfolgung gesetzt wird. Dem Beschuldigten muß wegen der Verhaftung in dergleichen Fällen eine billige Entschädigung zu Theil werden; denn er kann nicht die Schuld des ihm widerfahrenen Unrechts tragen, wenn auch die Umstände anscheinend gegen ihn waren. Eine solche Bestimmung bewirkt übrigens die richtigere und mildere Auslegung der immerhin unbestimmten Gesetze, durch welche die provisorische Haft zugelassen ist oder zugelassen werden kann.
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[ 103 ] Berlin, 7. Novbr.
Die ganze Stadt ist in der größten Aufregung. ‒ Seit gestern Abend ist es durch verschiedene gutunterrichtete Quellen bekannt gnworden, daß das neue Ministerium gebildet und der Graf Brandenburg, v. Schleinitz und v. Mannteuffel die Hauptstützen desselben seien. Wenn nun diese Namen schon beurtheilen lassen, wes Geistes Kind das neue Ministerium sein wird, so erzählt man sich zum Ueberfluß noch, daß die neuen Minister morgen in der Nationalversammlung erscheinen und eine Königl. Botschaft mitbringen werden, wodurch die Versammlung, in Erwägung, daß dieselbe in Berlin unter dem Terrorismus der Bevölkerung stehe und nicht mehr frei berathen könne, welches unzweifelhaft aus ihren in den letzten Wochen gefaßten Beschlüssen hervorgehe, welchen der König seine Sanktion unter solchen Umständen nicht ertheilen könne, ‒ auf vierzehn Tage vertagt und alsdann in Brandenburg (oder Schwedt a. O. wie eine andere Version sagt) zur baldigen Beendigung der Berathung der Verfassungs-Urkunde wieder zusammenkommen solle. ‒
Diese Nachrichten haben weniger die Linke, als das Centrum und besonders die Rechte überrascht. Die Rechte sieht nun wohl ein, daß es sich nicht mehr um Aufrechthaltung des wahrhaften Constitutionalismus (wie sie es sich bis heute einredete), sondern um Zurückführung des alten Absolutismus unter dem Schein einer Constitution handelt.
Man erzählt, daß, im Fall sich die Nationalversammlung, wie vorauszusehen, den Forderungen des neuen Ministeriums nicht fügen, sich vielmehr für permanent erklären werde, die Versammlung durch Waffengewalt auseinandergesprengt werden soll. ‒ Zu diesem Zwecke erwartet man, daß heute und morgen die Garderegimenter, die bisher in Potsdam, Brandenburg und deren Umgegend in Garnison lagen, hier einrücken. Das 24. und 12. Regiment, welche einen großen Theil demokratisch gesinnter Soldaten enthalten, rückten gestern und heute aus der Stadt, um den Garden Platz zu machen. Alle Kasernen werden aufs vollständigste verproviantirt, den Offizieren ist aufgegeben worden, ihre Privatwohnungen zu verlassen und in die Kasernen zu ziehen. ‒ Alle diese Thatsachen haben die größte Aufregung in der ganzen Stadt hervorgebracht und Jeder sieht dem morgenden Tage mit der außerordentlichsten Spannung entgegen.
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[ 14 ] Berlin, 7. Nov.
Das Neueste, was ich Ihnen mittheilen kann, ist Folgendes: Ein Exminister hat zu einem Deputirten der Aeußersten geäußert: Se. Maj. werde bald seine Residenz nach Berlin verlegen und zwar inmitten seiner Garden. Ferner berathe man: ob die Nationalversammlung ganz aufgelöst oder blos aus der Hauptstadt verlegt werden solle. Auch denke man nicht im Allerentferntesten daran, weder die Gottes Gnade, noch den Adel, noch die Orden abzuschaffen. Im Gegentheil wolle man sich diese Süßigkeiten erst recht schmecken lassen.
Eine zweite Neuigkeiten ist, daß gestern Nacht mehr als ein Dutzend Wagen mit Munition durch verschiedene Thore der Stadt einfuhren, und heute Morgen jrder Soldat 150 Patronen erhielt. Combiniren Sie selbst über die Bedeutung dieser Pulververstärkung.
Im Uebrigen ist es mäuschenstill hier, als ob sich alle fremden und hiesigen Demokraten in ihre Löcher verkrochen hätten. Freilich schwebt das blutige Schwert des Windischgrätz über unsern Häuptern, und der Hunger wüthet in den Eingeweiden der Proletarier.
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@facs0708
[ * ] Berlin, 8. November.
Die „Neue Preußische Ztg.“, deren sinnreiche Einfälle wir von Zeit zu Zeit unsern Lesern zu Gute kommen lassen, schlägt vor, das zu erwartende neue Ministerium „das Ministerium der thierischen Soldateska“ zu taufen. Du ahndungsvoller Engel Du!
Namen gefunden ist alles gefunden, weil
Jede Krankheit, um sie kuriren zu können,
Zunächst benamset werden muß.
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@facs0708
Berlin.
Einladung zu einem Kongreß der Bürgerwehr Preußens in Berlin, am 27. Nov. 1848.
Der Wunsch, eine gemeinsame Verständigung der gesammten Bürgerwehr des preußischen Staates durch erwählte Vertreter derselben herbeizuführen, erscheint in mehr als einer Hinsicht gerechtfertigt.
1. Das so eben erlassene Bürgerwehrgesetz erheischt eine Berathung sachverständiger Männer, um die Frage zu enscheiden:
ist die vielseitige Mißstimmung gegen das Gesetz gerechtfertigt, welche Punke erregen diese besonders und wie sind diese im Wege der Gesetzgebung abzuändern?
Der in solcher Weise besonnen aber entschieden ausgesprochene Wille der Gesammt-Bürgerwehr wird sicherlich die ihm gebührende Anerkennung vor der National-Versammlung finden.
2. Stehen die Bürgerwehren der einzelnen Gemeinden nach der bisherigen Organisation, so wie nach dem Bürgerwehrgesetz völlig isolirt da, so bietet sich von selbst die Frage:
ist es nicht dringend wünschenswerth, daß alle diese Kräfte für den Augenblick der Gefahr, die unserm Vaterlande drohen kann, sich als ein innig verbundenes Ganze fühlen, das nach einem Ziele und nach einem Plane handelt?
Soll aber ein solches einiges Handeln im Augenblicke der Gefahr eintreten, so scheint es nothwendig, dasselbe in ruhigeren Zeiten vorzubereiten durch eine gemeinschaftliche Organisation der Gesammt-Bürgerwehr des Vaterlandes, wie ja diese in den Nationalgarden anderer Länder besteht. Es kommt also darauf an, die Grundzüge einer solchen Organisation in gemeinsamer Berathung zu entwerfen, um so ihre gesetzliche Einführung vorzubereiten. Hier wird unter Anderem auch das Dienstreglement in seinen Hauptbestimmungen zu besprechen sein, damit dies ein möglichst gleichmäßiges durch das ganze Land werde. Denn nur dann kann die Bürgerwehr mit Aussicht auf Erfolg gemeinschaftlich wirken, wenn sie ein aus gleichartig gebildeten und gleichmäßig eingeübten Theilen bestehendes Ganze bildet.
3. Endlich ist von dem Verhältniß der Bürgerwehr zum stehenden Heere und der Landwehr bisher noch nirgend Etwas festgesetzt. Das Bürgerwehrgesetz läßt das Verhältniß ganz unberührt. Die Bürgerwehr darf aber wohl nicht völlig isolirt dastehen, sie muß in irgend einer Weise einen Theil der gesammten Heeresmasse ausmachen.
Nur wenn die Bürgerwehr eingefügt wird in den allgemeinen Organismus der bewaffneten Macht, wenn die verschiedenen Theile der letztern einander befreundet und ergänzend sich gegenüberstehen, kann die Bürgerwehr sich gedeihlich entwickeln, auch in politisch weniger aufgeregten Zeiten ‒ wo die Nothwendigkeit ihres Bestehens sonst vielleicht in den Hintergrund gedrängt würde ‒ lebenskräftig sich erhalten und so sich in der That bald zu einer allgemeinen und wahrhaften ‒ Volkswehr ‒ einem unerschütterlichen Schutze der Freiheit und des Wohlstandes gegen innere wie äußere Feinde erheben.
In dem Vorstehenden dürfte ein genügender und allgemein wichtiger Stoff für einen Bürgerwehr-Congreß sich darbieten, und durch die erscheinenden Deputirten gewiß noch ansehnlich vermehrt werden.
Durchdrungen von der Wichtigkeit der hier angeregten Fragen sehen wir uns zur Zusammenberufung eines Bürgerwehr-Congresses veranlaßt. Wir laden daher alle Bürgerwehren Preußens zu einem solchen auf den 27. Novembers dieses Jahres und die folgenden Tage nach Berlin hierdurch ein.
Was den Vertretungsmodus angeht, schlagen wir vor, daß jede selbstständige Bürgerwehr einen Deputirten schicke, die Bürgerwehr größerer Städte aber auf je 1000 Mann einen Vertreter erwähle. Wünschenswerth wäre hierbei, daß die Deputirten wirklich Mitglieder der betreffenden, jedenfalls aber Mitglieder der Bürgerwehr überhaupt sind, damit der Kongreß sich nicht in theoretischen Erörterungen verliert, sondern seine Beschlüsse überall von einer praktischen Erfahrung geleitet werden.
Es wird bemerkt, daß die Bürgerwehr Berlins in keinem Falle stärker vertreten wird, als nach dem oben angedeuteten Maßstabe.
Die Anmeldungen zum Kongreß erbitten die Unterzeichneten unter der Adresse des Kommandos der Berliner Bürgerwehr ‒ portofrei ‒ recht bald, spätestens bis zum 17. Nov d. J.
Die Kosten des Kongresses werden dadurch aufgebracht, daß jeder Deputirte einen Beitrag von 2 Thlr. zahlt; über den etwaigen Ueberschuß wird der Kongreß bestimmen.
Berlin, den 26. Oktober 1848.
Die zum provisorischen Comite zusammengetretenen Bürgerwehrmänner.
Rimpler, zeitiger Kommandeu der Berliner Bürgerwehr. Franz Dunker. Eschwe. A. Glaue. Herford. H. Runge, Mitglied des Stabes. Braun, Wehrmann. Julius Friedländer, Wehrmann. Gehrke, Wehrmann. Hehlen, Major. Krug, Mitglied der Schützengilde. Simion, Zugführer. E. Todt, zeitiger Kommandeur des bewaffneten Künstlerkorps. Werner aus Wettin, Rottenführer.
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[ !!! ] Wien, 4. Nov., Nachmittag.
Hier folgt ein Beitrag zur Geschichte der Humanität des 19. Jahrhunderts; eine kleine, schwache Scene aus dem Entrée des Städtebezwingers Windischgrätz ‒ des Schlächtermeisters Seiner Majestät Ferdinand des Gütigen. (Der Brief ist aus verbürgter Quelle und von einem Gemäßigten.) „Die Art und Weise, wie das Militär seinen Sieg benutzt hat, empört jede menschliche Brust. Anstatt die Bewaffneten, welche nicht mehr im Widerstande betroffen wurden, den Regeln des Standrechts gemäß fest zu nehmen und dem Kriegsgericht zu überliefern, hat man jeden einzelnen erbarmungslos niedergemacht, und dies ist nicht etwa von den Gemeinen allein, ohne besonderes Geheiß ihrer Oberen geschehen, nein, Offiziere rühmen sich jetzt öffentlich der Befehle, die sie dazu gegeben haben. Ein Offizier der Nationalgarde, der von dem Militär überrumpelt wurde, und nicht mehr entfliehen konnte, warf Angesichts desselben noch in einiger Entfernung den Degen fort und bat laut um Pardon. Aber auch dieser wurde fusiilirt. Des Abends auf der Straße hat man wehrlose Leute niedergeschossen, welche auf den Ruf: Wer da! der Schildwache nicht gleich stehen blieben, sondern vor Entsetzen die Flucht ergriffen. Einen Fall dieser Art habe ich selbst mit angesehen in der Leopoldstadt, wo zwei Menschen von zwei Kugeln durchbohrt todt niedersanken. Das kaiserl. Militär hat jedoch nicht allein gemetzelt, es hat auch geraubt und geplündert, und zwar wie es scheint, in ganz legaler Form, ohne daß es von den Vorgesetzten daran gehindert worden wäre. Anfangs wollte ich den darauf bezüglichen Gerüchken keinen Glauben schenken; nachdem ich es aber selbst mit angesehen habe, wie Grenadiere, welche auf dem Hofe des Gasthofs, in welchem ich logiere, kampirten, aus ihren Brodbeuteln Sachen, wie Uhren, Lorgnetten, Damenschleier, feine Wäsche u. s. w. hervorlangten, trat die nackte Wahrheit in ihrer fürchterlichen Gestalt vor mich hin. Von den Kroaten will ich erst gar nicht reden, denn wer diese sieht, wird bald nach ihrem Anblick unbedingt an solche Exzesse glauben. Sie sehen in Breslau öfter auf den Straßen die Topstricker aus den Karpathen. Denken Sie sich nun 250 solcher Kerle zusammen, jeder mit einer Muskete bewaffnet und auf dem Rücken einen leinenen Sack zum Stehlen als Tornister ‒ so haben sie eine Kompagnie Kroaten, und zwar solche Kroaten, wie sie der Stadt Wien Windischgrätz (Gott sei bei uns!) massenweise auf den Hals geschickt hat!
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@facs0708
Wien, 5. Nov.
Die „Wiener Zeitung“ bringt heute folgende Proklamationen:
Proklamation.
Die von Sr. Durchlaucht dem k. k. Herrn Feldmarschall Fürsten zu Windischgrätz für die Dauer des Belagerungszustandes unter meiner obersten Leitung niedergesetzte Central-Kommission hat am 2. d. M. ihre Funktionen begonnen. Die Aufrechthaltung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit in dieser während einer längeren Zeit durch Anarchie erschütterten Hauptstadt, hat die Nothwendigkeit geboten, für den freien Verkehr zwischen der Stadt und ihren Vorstädten einige strenge Maßregeln zu ergreifen, wobei ich nur bedauere, daß jene Maßregeln auch jene Gutgesinnten treffen, welche an dem so sehr erschütterten öffentlichen Rechtszustande keinen Antheil genommen [0709] haben. Diese von der Sicherheit angezeigten Verfügungen sind jedoch einzig und allein nur durch den hartnäckigen Widerstand herbeigerufen worden, welchen die Partei der Bewegung und Empörung der rechtmäßigen Gewalt entgegengesetzt, und mit ihrem Terrorismus selbst die aus der Mitte der Bewohner der Hauptstadt aufgestellte Repräsentation der Art einzuschüchtern gewußt hat, daß selbe die bereits angebotene und abgeschlossene Kapitulation zuzuhalten nicht im Stande war, daher die Stadt gegenüber des k. k. Armee-Oberkommando's als treulos und wortbrüchig erscheinen ließ. Wenn der gutgesinnte Theil der Bevölkerung, zu dem ich nach meiner Ueberzeugung den größeren Theil der Bevölkerung rechnen kann, mich in der mir übertragenen schwierigen Aufgabe unterstützt, und mir dazu die Hand bietet, den Uebergang von der Anarchie zu dem geregelten, konstitutionnellen Rechtszustande zu beschleunigen, werde ich es mir zur gewissenhaften und angenehmsten Pflicht machen, der Bevölkerung Wiens alle jene Erleichterungen zukommen zu lassen, welche mit dem Belagerungszustande verträglich sind.
Dieser kann ja ohnehin nur den Uebelgesinnten fühlbar treffen, der Gutgesinnte kann und soll davon nicht betroffen werden. Ich fordere Gehorsam dem Gesetze, Achtung und Folgsamkeit den öffentlichen Behörden und den von ihnen ergehenden Verfügungen, Schutz dem öffentlichen und Privat-Eigenthum.
Ich wünsche, daß Alle zu den gewohnten rechtlichen Beschäftigungen zurückkehren, und daß die Bewohner Wiens durch die That beweisen, daß es ihnen um die Erhaltung der Ruhe und Ordnung Ernst sei; dann werde auch ich mich in die Lage gesetzt sehen, den freien Verkehr zwischen der Stadt und den Vorstädten gleich zu eröffnen.
Mit der gesicherten Ruhe und Ordnung werden sich alle Erwerbsquellen wieder eröffnen, es wird sich der Privat-Kredit herstellen und befestigen, und es wird Wien wieder jenes gemüthliche Aussehen erlangen, welches seinen Zustand zum beneidenswerthen in der Monarchie und im Auslande gemacht hat.
Sehr glücklich werde ich mich schätzen, diesen Wunsch zur Wirklichkeit realisirt zu sehen, und mit dieser Aussicht auf eine segensreiche Zukunft begrüße ich die Bewohner der unter meine Obhut gestellten Hauptstadt.
Wien, am 3. November 1848.
Von dem Vorstande der Central-Kommission k. k. Stadt-Kommandantur.
Freiherr von Cordon,
k. k. General-Major.
Kundmachung.
Um den Verkehr zwischen der Stadt und den Vorstädten zu erleichtern, habe ich zu bestimmen gefunden, daß an dem Burg-, alten Kärnthner-, Stuben-, Rothenthurm- und Schottenthore von 5 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends die freie Passage den Fußgehern und Fahrenden in der Art geöffnet werden soll, daß Jedermann während diesen Stunden die bezeichneten Thore passiren kann, ohne einen Passirschein zu benöthigen.
Nach 7 Uhr Abends wird jedoch die Passage nur gegen Vorweisung eines Passirscheines gestattet werden.
Wien, am 4. November 1848.
Von der Central-Kommission der Stadt-Kommandantur.
Kundmachung.
Auf hohen Befehl bringt der Gemeinderath der Stadt Wien folgende von der Central-Kommission der k. k. Stadt-Kommandantur angeordnete Maßregel zur allgemeinen Kenntniß:
Unter den Bedingungen, welche der Herr Armee-Oberkommandant Se. Durchlaucht der Fürst zu Windischgrätz in seiner Proklamation vom 23. Oktober d. J. für die Uebergabe der Hauptstadt Wien festgesetzt hat, erscheint im §. 3 die anbefohlene Auslieferung der durch nachträgliche Zuschriften bezeichneten Individuen, als: des gewesenen königl. ungarischen Unterstaatssekretärs Pulsky, des polnischen Emissärs Bem, des Nationalgarde-Oberkommandanten Messenhauser, des bei diesem Kommando verwendeten Fenneberg, und endlich des als Aufwiegler bezeichneten Schütte. Wegen der besonderen Gefährlichkeit dieser fünf Individuen, und weil sie als die Hauptursachen der letzten Empörung, die auf den Umsturz der Monarchie hingearbeitet hat, angesehen werden, wird von Sr. Durchlaucht dem Herrn Feldmarschall Fürst zu Windischgrätz mit unnachsichtlicher Strenge auf ihre Habhaftwerdung gedrungen, und hievon die Möglichkeit abhängig gemacht, den freien Verkehr zwischen der Stadt und ihren Vorstädten herzustellen, und überhaupt die möglichsten Erleichterungen in dem Belagerungszustande eintreten zu lassen. Zu diesem Ende werden jene Wohnparteien, bei denen sich etwa ein oder das andere dieser Individuen aufhalten sollte, dringendst aufgefordert, binnen 6 Stunden davon die Anzeige zu machen, weil sonst gegen den Dawiderhandelnden das standrechtliche Verfahren eintreten würde.
Wien, am 4. November 1848.
Vom Gemeinderathe der Stadt Wien.
Kundmachung.
Das hohe k. k. Militär-Kommando hat, um die Versehung der Hauptstadt mit den nöthigen Lebensmitteln so schnell als möglich zu bewerkstelligen, nachfolgende Bestimmungen getroffen:
Sämmtlichen Landparteien und Markt-Viktualienhändlern vom Lande werden zur freien Zufuhr aller Lebensmittel die Linien Wiens geöffnet, und es steht diesen Marktparteien der Besuch der in den Vorstädten Wiens befindlichen gewöhnlichen Marktplätze frei.
Sie haben sich jedoch bei ihrem Eintritte, sowie bei der Rückkehr durch die Linien mit Richterzetteln auszuweisen, auf welchen von den Ortsgerichten bei der strengsten Verantwortlichkeit der Name, Charakter und Wohnort der Landparteien genau aufgeführt sein muß.
Bei der Rückkehr haben sich diese Marktparteien an den Linien der weiteren Untersuchung, welche erforderlichen Falls mit denselben vorgenommen werden wird, zu unterziehen.
Jene Marktparteien, welche nach ihrer bisherigen Gepflogenheit die Marktplätze in der inneren Stadt zu besuchen beabsichtigen, werden vorläufig bei dem Schotten-, Kärnthner- und Rothenthurmthore in die' innere Stadt eingelassen, und sie haben sich bei ihrem Eintritte den Anordnungen der Stadtthor-Kommandanten und der städtischen Markt-Inspektion zu fügen.
Der Heu-, Stroh- und Körnermarkt, dann der Schlacht- und Jungviehmarkt wird zum gewöhnlichen Verkehre unter den gesetzlichen Modalitäten und unter jenen Vorsichten eröffnet, welche in Absicht auf die Visitirung der Marktparteien bei den Linien bereits oben vorgezeichnet wurden.
Wien, am 3. November 1848.
Vom Gemeinderathe der Stadt Wien.
Kundmachung.
Im Laufe der letzten Ereignisse sollen beträchtliche Pulvervorräthe theils in die Stadt gebracht, theils daselbst auch erzeugt worden sein, ohne die Ueberzeugung hegen zu können, daß dieselben auch verbraucht oder abgegeben worden wären.
Da sich in Folge dessen die gegründete Besorgniß aufdrängt, daß noch in einigen Häusern der Stadt und Vorstädte Pulver aufbewahrt oder versteckt sei, und daher Stadt und Vorstädte durch irgend eine Unvorsichtigkeit der größten Gefahr ausgesetzt werden könnten, so sieht sich der Gemeinderath zu der dringenden Aufforderung an sämmtliche Hauseigenthümer und Haus-Administratoren veranlaßt, die ihrer Obsorge anvertrauten Häuser sogleich von den Boden- bis zu den Keller-Lokalitäten, insbesondere aber die in denselben befindlichen Magazine auf das Sorgsamste zu untersuchen, und bei eigener Verantwortung alle daselbst vorfindigen Pulvervorräthe an die Direktion des k. k. Zeughauses abzuliefern.
Wien, am 3. November 1848.
Vom Gemeinderathe der Stadt Wien.
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@facs0709
Wien, 4. Nov.
Der gestrige Tag verlief so wie der heutige ganz ungestört. Das Militär kampirt fortwährend in den lebhaftesten Straßen der Stadt. Die Stimmung der Stadt ist sehr gedrückt. Die Stadt ist durch Militär noch immer von den Vorstädten abgesperrt und dadurch jede Kommunikation gehemmt. Der Gemeinderath gab gestern wieder sein erstes Lebenszeichen. Er macht die Hauseigenthümer dafür verantwortlich, daß die Entwaffnung bald beendet werde, welches zu bewerkstelligen der Marschall einen neuen Termin von 12 Stunden mit dem Beisatze bewilligte, daß jeder, der nach dieser Frist mit Waffen getroffen wird, der standrechtlichen Behandlung verfällt. Der Verkehr stockt gänzlich; alle Kaufmannsläden sind geschlossen. Der Mangel an Silbergeld ist ungeheuer fühlbar. Die Soldaten erhalten ihre Löhnungen mit Banknoten ausgezahlt; da ihnen dieselben natürlich Niemand wechseln kann, so glauben sie, es wäre dieses eine Bosheit des Volkes. Dieselben scheinen wenig Kenntniß von der Lage der östreichischen Finanzen zu haben.
Die meisten hiesigen Redakteure, insofern man ihrer habhaft werden konnte, sind verhaftet. Von den Deserteuren, die ihre Truppen verließen, um sich an das Volk anzuschließen, sind bereits Viele wieder eingebracht und sogleich erschossen worden. Wien ist so ruhig, daß man beinahe nicht glauben kann, es habe daselbst je eine Aufregung geherrscht.
Der Reichstag hatte am 31. Okt. noch eine Sitzung gehalten, in welcher, obgleich die Anzahl von 172 Mitgliedern nicht beschlußfähig war, eine Adreße an den Kaiser angenommen wurde, die gegen die Vertagung des Reichstages bis zum 15. November und die Verlegung nach Kremsier protestirt.
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@facs0709
Wien, 6. Novbr.
Gestern wurden einige Stadtthore zur freien Passage geöffnet, welches uns Gelegenheit bot, einen Rundgang durch die Vorstädte zu machen. Schauderhafte Kriegsverwüstung zeigte sich uns überall, wo der Angriff der Truppen statt gefunden hatte. Besonders ist die Jägerzeile, Landstraße und Weißgerbern hart hergenommen worden.
Beinahe der größere Theil der stattlichen Gebäude, welche die Jägerzeil einsäumten, und die unläugbar zur Zierde Wiens gehörten, liegt in Asche, und nur schwarzgebrannte Mauern stehen noch als öde Ruinen da. Der Kampf muß dort furchtbar wüthend gewesen sein. Jedes Haus scheint eine Festung gebildet zu haben, die nur im Sturme genommen werden konnte. Die Unzahl von Kanonenkugeln des schwersten Kalibers, die in den Mauern stecken und unter dem Schutte liegen, geben Bestätigung von einer riesenhaften Gegenwehr. Daß die aus Wiener Bevölkerung bestehende Mobilgarde in dem Kampfe der Oktobertage eine in der Geschichte beispiellos dastehende Unerschrockenheit, Aufopferung und Hingebung für eine Sache, zu deren Gunsten sie die Führer im höchsten Grade zu begeistern wußten, bewiesen hat, kann Niemand ableugnen, der den Gang und die Dauer des Kampfes beobachtete. Als am 31. der Kampf neuerlich begann, mögen es kaum 3 bis 400 Mobilgarden gewesen sein, welche die Stadtwälle noch besetzt hielten, und eine ganze Armee von dem konventionsmäßigen Einmarsche in die Stadt durch beinahe 3 Stunden abhielten. Man spricht, daß Alle, welche am Abende dieses Tages noch mit den Waffen in der Hand betroffen werden, zur Armee assentirt werden sollen. ‒ Das 1. Armeekorps der in Wien lagernden k. k. Truppen ist bereits zum Abmarsche nach Ungarn gegen Preßburg und Pesth aufgebrochen. Fürst Windischgrätz soll dasselbe begleiten; General Cordon hat das Kommando der Stadt Wien übernommen.
[(A. O.-Z.)]
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@facs0709
Wien, 4. November, Nachmittags.
Bis jetzt sind noch so wenige Passier- und Geleitscheine, mit welchen man vor die Barrieren kommen kann, ertheilt worden, und die Untersuchungen bei allen, die die Linien passieren, ist so streng, daß auch dieser Weg, Waffen wegzubringen, für die erstere Zeit, und in so lange Wien zwei Meilen im Umkreise in Belagerungszustand erklärt bleibt, gänzlich versperrt ist. Zudem muß die zur Waffenübernahme bestimmte Kommission bereits an den ungeheuren Quantitäten Waffen, welche seit drei Tagen eingeliefert wurden, recht gut erkennen, daß von dem erstürmten kaiserlichen Zeughaus nichts oder nur wenig abgehen kann, und von den eingelieferten Privatwaffen noch ein drittes Zeughaus gefüllt werden kann. Ich war heute Augenzeuge, wie sich unter den bei einer Thorwache zusammengetragenen Waffen aller Art mehrere Offiziere die schönsten und werthvollsten Säbel aussuchten und als gute Beute forttragen ließen, obgleich der Herr Oberbefehlshaber in seiner Proklamation die Zusicherung giebt, daß die abgelieferten, mit dem Namen des Eigenthümers bezeichneten Waffen, wieder zurückerstattet werden. Eine ähnliche Zusicherung wurde auch den Pragern und mehreren Deputationen, die zu dieser Zeit von Wien nach Prag kamen und ihre Waffen abgeben mußten, gegeben, bis jetzt aber nicht erfüllt.
Großen Schaden hat auch ein Theil der Vorstädte Landstraße und Metzleindorf erlitten. Der Brandschaden dürfte in diesen Theilen weniger groß gewesen sein, da außer den ausgedehnten Maschinenfabriken der Wien-Gloggnitzer Eisenbahn keine industriellen Bauten in Flammen aufgingen, aber geplündert und gemordet wurde mehr als in der Leopoldstadt, und man konnte dieser Tage Banknoten von einhundert Gulden, deren Werth die Räuber nicht kannten, um einige Silberzwanziger kaufen; ein Packet verschiedener österreichischer Staatspapiere, im Werthe von 22,000 Fl., wurde einem Bekannten von einem Kroaten um fünf Zwanziger verkauft, welcher aus der dabei befindlichen Ankaufs-Note den Eigenthümer erkannte und demselben das so wohlfeil zurückgekaufte Habe vor einer Stunde zurückstellte.
Die Verfolgungen und Verhaftungen aller Freigesinnten, von welchen eine genaue Proscriptionsliste in Windischgrätzs Händen ist und den wieder neu auflebenden Polizeibehörden viel zu schaffen macht, sind noch immer an der Tagesordnung. In welchen Lokalitäten diese Unglücklichen verkümmern und als Hochverräther ihr Leben enden werden, wird möglichst zu verbergen gesucht ‒ einige sechszig Personen, so hörte ich heute von verschiedenen Personen erzählen, sollen bereits gestern erschossen worden sein, darunter nennt man Bem, Messenhauser, Maler Aigner, Hauptmann der akademischen Legion, Bilderhändler Kellner, Hauptmann der mobilen Garde, Dichter Kaiser, Dr. Becher Riederhuber, Hrezka, Gritzner, Haug, die 4 Letztern sind Redakteure und Mitarbeiter der Constitution, dessen Gründer Häfner wahrscheinlich auch nicht mehr am Leben ist.
Robert Blum soll heute früh gefänglich eingezogen worden sein, also als Frankfurter Reichstagsdeputirter nicht geschützt.
Prof. Füster, erzählt man, habe sich erschossen. Dies Alles ist nur als umlaufendes Gerücht im Publikum bekannt, für Denjenigen aber, der Gelegenheit hat, den Despotismus, welchen die jetzigen Gewalthaber ausüben, zu beobachten, durchaus nicht befremdend, sondern sehr wahrscheinlich. Die Reichstagslokalitäten sind vom Militär besetzt und können nicht benutzt werden. ‒ Was bis zum 15. Nov. mit der konstituirenden Versammlung geschehen und ob solche in Wien verbleiben oder in Kremsier tagen wird, dürfte uns die nächste Zukunft anschaulich machen.
Bereits heute hat sich ein Armeekorps zur Bestrafung Ungarns in Marsch gesetzt; aus Polen, Siebenbürgen und Croatien sind viele Truppen zu derselben Bestimmung marschfertig gemacht worden. Alles ist der Meinung, daß die ungarische Nation einen verzweifelten Kampf kämpfen wird. Die Ungarn haben bei Todesstrafe die Ausfuhr von Lebensmitteln aller Art nach Oestreich verboten. Welche enorme Theurung muß dieser Krieg, der die Pulsader der östreichischen Industrie abschneidet, hervorbringen, da Ungarn die Kornkammer von Oestreich ist und Fett und Fleisch, die sonst in den größten Quantitäten von den Donaufürstenthümern importirt wurden, auch nicht mehr zu transportiren sind, da keine Dampfschiffe und sonstige Kommunikationsmittel zu benutzen sind und in der Moldau und Wallachei große Unruhen ausgebrochen und ebenfalls Noth, Elend und Viehseuche herrscht.
[(A. O. Ztg.)]
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@facs0709
Wien.
Zur Paralele zwischen den verläumdeten Proletartern, den „Räubern„ und den kroatischen „Freunden der Ordnung und verfassungsmäßigen Freiheit“ diene auch folgende Notiz der speichelleckenden “Const. Blätter aus Böhmen“:
Am meisten Furcht hatte man wegen eines Angriffs auf die Bank. Das Volk hat sich, was Eigenthum betrifft, vortrefflich benommen; noch wurde kein Angriff auf dasselbe bekannt, und kein Fall von Plünderung oder ärgerem Exzesse ist bekannt geworden. Allein das Silber in der Bank war gar zu lockend, obwohl es in dreifach gewölbten Kellern liegt. Die Bücher wurden einzeln bei mehren Privaten untergebracht; die fertigen Banknoten aber in die Keller gelegt, und die Vorrichtung bereit gehalten, um diese nöthigenfalls unter Wasser zu stellen. Eine solche Vorrichtung soll beim Bau der Bank getroffen worden sein; man brauchte sie aber nicht, denn es geschah kein Angriff.
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@facs0709
[ * ] Wien.
Die würdige Frankfurter Centralgewalt hat eine Note an das k. k. Justizministerium zu Wien erlassen. Etwa um gegen die Mordthaten, Schändungen, Plünderungen, Brandstiftungen u. s. w. drohend zu protestiren? Nein! Der würdige Justizminister R. Mohl, dieser abgelegte liberale Professor, hat ein neues Mittel gefunden, um „das Vaterland vor dem Versinken in ein Meer von Blut und Greuel zu bewahren.“ Er protestirt gegen etwaigen Gebrauch, den der weichherzige Ferdinand von seinem Amnestierechte zu machen sich veranlaßt finden könnte. Er protestirt gegen die Möglichkeit eines solchen Einfalls des Chalyfen. Die Reichsgewalt hat die Pointe ihres Wirkens gefunden. Unbezahlbarer Einfall der Reichsgewalt und der „politisch hervorragenden Person Mohl.“ Den folgenden Erlaß muß man in Erz gießen und als Gesetztafel in dem Allerheiligsten der Paulskirche aufhängen.
Aller heroischster Mohl!
„Es geht durch alle öffentlichen Blätter die Erzählung, daß in Folge der jüngsten Ereignisse in Wien ein Arbeiter in einer öffentlichen Versammlung (es wird sogar der Reichstag selbst genannt) erschienen sei, sich seines Antheils an der Ermordung des Generals Latour zu rühmen. (Nr. 285.) Derselbe soll die Versammlung nicht nur unangefochten verlassen, sondern zum Theil sogar Beifall erhalten haben. Ferner werden Aktenstücke bekannt gemacht, in welchen einerseits Amnestie für alle während jener Ereignisse vorgefallenen Handlungen verlangt, andererseits dieses Verlangen, ohne Unterscheidung zwischen politischen Vergehen und gemeinen Verbrechen, in Erwägung genommen wird. Ob diese Thatsachen wahr sind, ist natürlich hier in der Entfernung und bei der Verwirrung aller Nachrichten nicht zu ermessen. Wenn Dem aber so wäre, so hält sich das Reichsministerium in einer für die Sicherheit und das Wohl ganz Deutschlands so verhängnißvollen Sache für eben so berechtigt als verpflichtet, nachstehende Erwägungen dem kaiserl. Justizministerium mitzutheilen.
Die provisorische Centralgewalt ist natürlich an sich weit entfernt, sich irgend einen Einfluß auf das Begnadigungs- oder Amnestirungsrecht Sr. Maj. des Kaisers von Oestreich anzumaßen; allein sie kann doch nicht unbemerkt lassen, daß die Art und Weise der Ausübung dieses Rechts in der vorliegenden Sache einen höchst verderblichen Einfluß auf ganz Deutschland ausüben könnte.
In den letzten Wochen sind wiederholt Morde an politisch hervorragenden Personen begangen worden, zum Theil unter Umständen, welche einem Barbarenvolke zur Schmach gereichen würden. Eine Straflosigkeit dieser Verbrechen müßte den verderblichsten Einfluß auf das Rechtsgefühl der ganzen Nation ausüben, alle Begriffe von Schuld und Strafbarkeit verwirren. Ueberdies ist es ja bekannt, daß Beispiele von Mordthaten nur allzu leicht Nachahmung finden, namentlich wenn sie gar, wie dies jetzt leider in Deutschland nicht selten geschieht, wo nicht geradezu gelobt, doch wenigstens entschuldigt und als etwas sich von selbst Verstehendes dargestellt werden. Die provisorische Centralgewalt für Deutschland könnte es daher nur tief beklagen, wenn die verantwortlichen Räthe einer deutschen Regierung politische Begnadigungen und Amnestien auch auf solche schauderhafte Verbrechen ausdehnen, anstatt alle Kraft der Gesetze zu deren schleunigsten Entdeckung und rechtlicher Bestrafung anwenden würden; davon gar nicht zu reden, daß ein Zusammenwerfen politischer Handlungen und ihrer Begnadigung mit den gräulichsten Missethaten nichts weniger als gerecht gegen die Urheber der erstern ist, welche man doch für entschuldbar hält oder versöhnen will. Das Reichsministerium ist überzeugt, daß das kaiserl. Justizministerium diese Ansicht völlig theilt, und es steht daher auch einer Erfüllung des Wunsches mit Vertrauen entgegen, daß das kaiserl. Justizministerium ihm über den Thatbestand, welcher obigen Nachrichten zu Grunde liegt, gefällige baldige Mittheilung mache, und daß es bei seinen Anträgen auf Begnadigung und Amnestirung diejenigen Gränzen beobachten möge, bei deren Aufrechterhaltung allein die Reichssicherheit in Deutschland aufrecht erhalten und das Vaterland vor dem Versinken in ein Meer von Blut und Gräuel bewahrt werden kann. Frankfurt, 14. October 1848.
Der Reichsminister der Justiz, Mohl, Dr. Mettenius.
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[ * ] Prag, 4. Nov.
Unsere Deputirten sind gestern unverrichteter Sache von Olmütz zurückgekommen. Die Lobkowitz'sche Beleidigung soll ein „Mißverständniß“ gewesen sein. Nichtssagende Worte, die noch dazu von dem kaiserlichen Idioten abgelesen wurden, waren Alles, was die Deputirten zu erlangen im Stande waren. Etwelche Wessenberg'sche Schönrednerei und Schwarzenberg'sche Lanzknechtsgrobheit bildeten die angenehme Zugabe.
Hier herrscht große Aufregung, und man fürchtet, daß das Proletariat einen Schlag beabsichtigt. Das Zeughaus ist deswegen besetzt, die Bürgerwehr vermehrt und Kavallerie in die Stadt gezogen worden.
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@facs0709
[ * ] Aus Oesterreichisch-Schlesien, 4. Nov.
Die Bauern in unsern deutschen Bezirken erheben sich. Am 2. November wurde, trotz des Einschreitens der Jägerndorfer Nationalgarde, das Schloß des Grafen Heinrich Arco in Gotschdorf von wüthenden Massen demolirt; in Geppersdorf (eine Stunde von Gotschdorf) beabsichtigte man auch einen Angriff, weshalb sich der Ex-Polizeiminister Sedlnitzky nach Olmütz flüchtete; auf der Herrschaft des Baron Scribensky in Schönhof sind große Verwüstungen angerichtet worden, und auf den Gütern des Grafen Larisch-Mönnich stand ein Ausbruch zu erwarten. Alle diese Vorfälle haben mit den Scenen in Gallizien vom Jahre 1846 eine drohende Aehnlichkeit.
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@facs0709
Frankfurt, 7. November.
Sitzung der National-Versammlung. (In der reformirten Kirche).
Tagesordnung.
1. Ersatzwahl eines Mitgliedes in den Ausschuß für die Geschäftsordnung.
2. Berathung über den Antrag des Abgeordneten Biedermann, das Verhältniß der königlich sächsischen Regierung und Ständekammer zur Centralgewalt betreffend.
3. Berathung über den Antrag des Abgeordneten Jordan aus Berlin, die Posenschen Verhältnisse betreffend.
4. Berathung des vom Abgeordneten Fischer, Namens des Ausschusses für die Geschäftsordnung erstatteten Berichts, über Anträge auf Abänderung der §§ 24 und 32 der Geschäftsordnung.
5. Fortsetzung der Berathung über Abschnitt III. des Verfassungsentwurfs.
Vor der Tagesordnung.
Präsident theilt mit, daß ein landwisthschaftlicher Verein in Frankfurt zusammengetreten und sich den Herrn National-Versammlern zu geneigter Theilnahme empfiehlt.
Abg. Pektorazi (Oesterreich) tritt aus.
Das königl. preußische Stadtgericht von Rosenberg (Oppeler Kreis) schreibt an die National-Versammlung wegen gegen den Abg. Minkus erhobener Anklage. (Derselbe wird denunzirt, eine Masse scheußlicher Aeußerungen gethan und Aufwiegelungen in seinem Wahlkreise verbrochen zu haben.) Die königl. Regierung zu Oppeln und das Rosenberger Stadtgericht erheben deshalb Anklage gegen Minkus, und beantragen die Erlaubniß zur Untersuchung. Präsident erklärt das Stadtgericht nicht für kompetent, sich geradezu an die National-Versammlung zu wenden.
Die ganze Sache geht an den bekannten (Polizei-Untersuchungs-) Ausschuß. Schmerling (Minister) theilt mit, daß die Mißbilligungen der Reichskommissäre von der linken Seite des Hauses ungerecht sind.
[0710]
Dieselben Kommissäre haben schon am 24. Oktober eine große Depesche von Olmütz aus anher adressirt, die aus Versehen (!) erst heute hier ankommt.
Die Depesche wird dem Ausschuß für die österreichischen Angelegenheiten vorgelegt.
Diese Depesche wird die Herren Welcker, Mosle und Windisch-Grätz rechtfertigen, und beweisen, daß die Wiener an allem Schuld sind.
Welcker, der berühmte Kommissär, (große Sensation) erstattet einen Bericht. Rechtfertigt sich, oder vielmehr, wird sich nächster Tage ausführlich rechtfertigen.
Dringliche Anträge:
Reh und Genossen: Welcker und Mosle befänden sich seit 1 Uhr am 6. November in Frankfurt. (Leises Gelächter.) Die Antragsteller verlangen Mittheilungen. (Wird zurückgezogen).
Ebenso ein Antrag von Simon aus Trier und Wesendonk.
Tagesordnung.
Nro. 2. (S. oben.) Berathung über den Antrag des Abgeordneten Biedermann.
Derselbe lautet:
„Die National-Versammlung wolle beschließen:
„Durch die Centralgewalt die königlich sächsische Regierung aufzufordern, ihr Dekret vom 28. August d. J., *)
Die einschlägige stelle lautet wörtlich so:
„Aber auch zwischen den gesetzgegebenen Organen des Bundesstaates und der Einzelstaaten wird eine Einigung für die Feststellung der neuen Verfassung Deutschlands erforderlich sein, wenn diese auf eine Grundlage gebaut werden soll, welche die Bürgschaft der Dauer giebt. Die Regierung geht dabei von der Ansicht aus, daß der § 2 der Verfassungsurkunde und die darin festgestellten Rechte der Stände (nach diesem § dürfen Rechte der Krone, Hoheitsrechte, nicht ohne Zustimmung der Stände veräußert werden) für sie maßgebend sind, wird jedoch immer eingedenk sein, daß der ersehnten Gestaltung eines kräftigen Bundesstaats Opfer zu bringen sind, und daß, ohne dringende Gründe den Beschlüssen der National-Versammlung die Anerkennung nicht zu versagen, Regierung und Stände in gleicher Weise für ihre Aufgabe erachten müssen.“
das deutsche Verfassungswerk betreffend, zurückzunehmen, weil die demselben zu Grunde liegende Ansicht von einer Vereinbarung der deutschen Verfassung zwischen der National-Versammlung und den Gesetzgebenden Gewalten der Einzelstaaten mit dem vom Vorparlament ausgesprochenen und von der National-Versammlung anerkannten Grundsatze:
„daß die National-Versammlung einzig und allein die deutsche Verfassung zu begründen hat,“
im direkten Widerspruch steht.“
Unterstützt von: Rümelin. Schneider von Lichtenfels. Pretis. Pannier. Clemens. Schreiner. Fallati. C. F. Wurm. Breuning. Kunth. Pözl. A. Sprengel. Schlör. Renger. Stenzel. Frings. Laube. Wernher aus Nierstein. Emmerling. Stahl. Burkart Barth. H. Raumer. Schierenberg. Herzog.
Schaffrath stellt ein Amendement dazu:
„Siemon von Trier habe vor langer Zeit einen ähnlichen Antrag, den preußischen Minister v. Auerswald betreffend, eingegeben. Dieser sei damals nicht als dringlich erkannt, sondern an den Ausschuß verwiesen worden, deshalb beantragt Schaffrath mit dem vorliegenden Antrag und allen in dies Fach schlagenden eben so zu verfahren.“
Schaffrath erhält das Wort zur Begründung und führt an, daß viele andere Regierungen, besonders Oesterreich (durch Wessenberg und Pillersdorf), die Kompetenz der National-Versammlung angetastet hätten. Die sächsische Kammer hätte dies noch am wenigsten gethan. Er rechtfertigt die sächsische Regierung, die allwärts durch Reformen, nicht wie anderswo durch Revolutionen vorangegangen. Es seien nicht die einzelnen partikularistischen Bestrebungen der Regierung einzeln zu bekämpfen, sondern endlich einmal energisch von der National-Versammlung das Prinzip allgemein aufzustellen und überall in Deutschland zur Geltung zu bringen. (Was Schaffrath sagt, muß sehr richtig und gut sein, denn er wird einmal von der Rechten und Centren ruhig angehört). Auch werde die sächsische Kammer schon am 10. November, also übermorgen, geschlossen, und es läge kein Grund vor, den Biedermanschen Antrag als dringlich zu behandeln.
Biedermann freut sich aufrichtig, daß Schaffrath in seinem (Biedermanns) Sinne die sächsische Kammer und Regierung in Schutz genommen. Aber die Eitelkeit des Herrn Biedermann läßt es nicht zu, seinen Antrag dem Schaffrathschen unterzuordnen.
Plathner und Schwerin (die Rechte) schließen sich dem Schaffrathschen Antrage vollkommen an.
In Abstimmung durch Stimmzettel wird der Schaffratsche präjudizielle Antrag mit 255 Stimmen gegen 180 angenommen. (Das ist Schaffrath noch nicht passirt !)
Die Rechte, das rechte Centrum und ein Theil der Linken stimmten dafür, fast das ganze linke Centrum dagegen.
Zur Ausführung von Schaffraths Antrag wird nach längerer Debatte ein neuer Ausschuß erwählt werden.
Man geht demnach zu Punkt 5 der Tagesordnung über. (S oben).
Der Jordansche Antrag lautet:
„Die National-Versammlung wolle beschließen:
„Obgleich es durch den Beschluß über den Raveaux-Werner'schen Antrag bereits feststeht, daß die Beschlüsse einzelner Landesversammlungen, nur in so weit sie mit denen der Reichsversammlung übereinstimmen, Gültigkeit haben, so findet sich die Reichsversammlung, im Hinblick auf mehrere Vorgänge der jüngsten Zeit dennoch veranlaßt, nochmals ausdrücklich zu erklären:
„daß jeder, ihren Beschlüssen entgegenstehende Beschluß einer Versammlung eines Einzelstaats als an und für sich null und nichtig angesehen, und erforderlichen Falles als ungesetzliche Auflehnung energisch zurückgewiesen werden wird.“
Wesendonk hat den präjudiziellen Antrag gestellt, auch diesen Antrag dem eben angenommenen Schaffrath'schen nach, an den neu zu erwählenden Ausschuß zu weisen.
Löwe von Kalbe empfiehl dies.
Jordan von Berlin besteht (natürlich!) darauf, daß sein Antrag gleich dran kommt.
Die Versammlung beschließt den Jordanschen Antrag gleich vorzunehmen. Die Linke und Vinke und Schwerin stimmten für Wesendonks Antrag. (Letztere beide Herren scheinen also gar keine Partei mehr zu haben).
Zu Jordans Antrag kommen mehrere Amendements:
1) von Reh und Genossen: einfache Tagesordnung über Jordans Antrag.
2) Beseler und Genossen, motivirte Tagesordnung.
3) Wesendonk und Genossen, dito.
4) Ziegert und Genossen, dito.
5) Vogt und Genossen: Tagesordnung.
Folgen einige erweiternde Zusätze.
Jordan von Berlin beginnt die Diskussion und empfiehlt gewohnter uninteressanter Art seinen Antrag. Er spricht in kühnen Phrasen für die deutsche Einheit; schüttet einiges Gift auf die Linke der Berliner Versammlung, und meint (zur Linken gewendet) Sie werden sich wundern, daß ich den Anlauf nehme ganz offen zu reden. (Es wundert sich aber niemand.) Während er spricht, sehe ich mir ein wenig die Damentribüne an, die sich gewaltig über die Witze des Berliner Literaten zu langweilen scheint.) Jordan bespricht den bekannten Beschluß der berliner Versammlung über Polen. Dieser Beschluß hätte bei den deutschen (Juden!) in Polen gerechte Entrüstung hervorgerufen. Er verliest zu dem Ende die Adresse der deutschen Posener an die Versammlung mit erhabener Stimme. Den Beschluß der Berliner nennt Jordan einen stiefmütterlichen, herzlos-leichtsinnigen! Wir haben, sagt er, uns diesmal nicht zu erklären gegen unten, auch nicht gegen den Widerstand von oben, sondern gegen die Mitte, nehmlich einen Theil der Kammern, der Volksvertreter. Man sucht sie ohnmächtig zu machen! ruft er den Centren zu. Dieselbe Partei ist jetzt gegen uns, die früher mit der Strenge eines Hofceremonienmeisters die Huldigungen, die Hurrahs, die Hochs für die deutsche Einheit bewachte. (Man lacht und klatscht gütigst.) Jordan witzelt weiter, erregt links furchtbaren Tumult, wird von Links zur Ordnung gerufen. (Präsident meint: „Herr Jordan möchte doch so wenig wie möglich persönlich sein.“) Geschrei: gar nicht! Jordan erklärt nun, er meine die Partei die am 18. Septbr. hier hinter den Barrikaden gestanden. Er witzelt fort, und meint die Berliner Versammlung sei mehr geneigt und bewegt jener blutigen Frakturschrift (des 18. Septbr.) Folge zu geben. Venedei beantragt den Ordnungsruf wegen dieser Aeußerung. Präsident: entschuldigt Jordans Aeußerung und wird ihn nicht zur Ordnung rufen! Jordan quatscht fort. (Links: zur Sache. Präsident: Jordan sei bei der Sache.) Er entwickelt die Gefahren der Berliner Volksvertreter. Ein Theil des Berliner Gesindels (ipsissima verda) habe der Versammlung die Thüren vernagelt. Die Vertreter mit Stricken, Hanfkravatten, wiener Würsten bedroht. Unsre gemordeten Cammeraden (sagt Jordan) werden wohl bald in Berlin Gefährten finden.
Daß die Berliner Versammlung den Waldeck-D'Esterschen Antrag nicht mit furchtbarer Majorität verworfen, beweise daß die Versammlung unfrei ist. Wir ruft er aus, sind noch das einzige Vollwerk, Vollwerk der Ordnung nach unten, Vollwerk der Ordnung nach oben. (O du Vollwerk.)
Rösler verliest eine Erklärung der Linken, eine Protestation gegen die schmähliche Art mit der Jordan die Berliner Versammlung beschimpft hat. (Wird ad acta gelegt.)
Graf Reichenbach von Dametzke. (Neues Mitglied der Linken hält eine wunderbare Jungfernrede; ich gebe seine Rede [die interessanteste von heute] so gut wie möglich.) Meine Freunde von der Linken, leider habe ich bemerkt, daß Sie nicht die nöthige Ruhe gezeigt haben. Ruhe giebt Macht! Ich werde ruhig sein. Herrn Jordans Angriffe werde ich nicht widerlegen ‒ ich bin dazu zu aristokratisch. Meine Herren, die Versammlung von Berlin und die Unsrige, beide sind auf den Boden der Revolution erwachsen ‒ später sind sie auseinandergegangen ‒ jetzt stehen sie im Widerspruch. Die preußischen Volksvertreter sind vom preußischen Volke mit mehr Sorgfalt erwählt worden, als die zur Nationalversammlung. Meine Herren! Sie haben die Centralgewaltspolitik d. h. die absolutistische ‒ die habsburger Hauspolitik (Gagern unterbricht).
Reichenbach: Das Volk hat mich hierher geschickt meine Ueberzeugung zu sagen, ich werde es thun (Bravo.) Weil diese Versammlung diese Freiheit nicht mehr vertritt ‒ deshalb sucht man die Freiheit in Berlin. Die Berliner Versammlung wird auf ihrem Beschluß beharren, den sie keineswegs unfrei gefaßt hat. Wenn Sie die Politik des Absolutismus nicht verlassen, so wird Alles was in Deutschland Freiheit athmet, der Preußischen Versammlung sich anschließen. In der Politik giebt es keinen größeren Fehler als Fehler zu begehen. Sie haben in der Posen'schen Sache geirrt, Sie müssen ihren Fehler verbesseren. (Der Eindruck dieser Rede war ein merkwürdiger ‒ ein ganz stummmachender!)
Plathner beginnt damit, daß der heutige Tag über das Schicksal Deutschlands entscheiden wird. (Gelächter! man scheint es nicht zu glauben!) Er wirft der Linken Inconsequenz vor, und sucht dies zu erklären.
Kein Preußen, kein Oesterreich, kein Bayern bringt ihnen die Freiheit ‒ ruft Plathner ‒ sondern wir. Sie (links) suchen die Freiheit da, wo Sie hoffen können, bald in der Majorität zu sein, (Berliner Kammer!) Hier können Sie dies allerdings nicht hoffen! Ihr Prinzip ist, Sie setzen die Freiheit über die Einheit! (Das ist wahr!) Zur Sache kommt Plathner erst am Schluße seiner Rede.
Reh aus Darmstadt. Daß eine große Veränderung in den Meinungen der Mitglieder dieser Versammlung vorgegangenen, das ist das einzige wahre in Herrn Jordans Rede ‒ er selbst ist das beste Beispiel. (Gelächter und Bravo.) Persönliche Angriffe wie die Seinigen sind unter meiner Würde. Sind wir denn wirklich nur hierher geschickt, giftige Partei- und Persönlichkeitskämpfe durchzuführen? Mein Herz blutet dabei, wenn ich sehe wie wir unseren Zweck verkennen. (Bravo.) Zur Sache: Es ist Sache des Ministeriums, Partikularbeschlüssen entgegenzutreten, nicht die unsrige. Des Ministers gestrige Erklärung kann uns genügen ‒ ich beantrage Tagesordnung.
von Breuning: Für den Antrag des Ausschusses.
Vogt stellt Herrn Jordans Witze die seinigen entgegen, die allerdings besser sind. Er fällt ganz gründlich über Herrn Jordan und Plathner her. Aber auch dem Grafen Reichenbach muß er gegenübertreten (hört!); denn dieser hat geäußert, daß in der Majorität dieser Versammlung noch Weisheit zu finden sei. Graf Reichenbach ist noch zu kurze Zeit in dieser Versammlung. (Ueber diese starke Pille erhebt sich bösartiger Tumult.) Zur Sache ist Vogt für die Tagesordnung. Die Einheitskonzerte, welche mit obligater Kartätschenbegleitung aufgeführt werden, kehren mehr und mehr die Völker von ihnen zum Partikularismus. Das Ministerium aber vertritt hier die partikularistische Partei. Dem Partikularismus der Regierungen (Auerswald ‒ Messenberg ‒ Pillerdorf'sche Erklärungen) lassen wir seinen Lauf, aber über die Opposition der Volkskammern fallen wir her. Zum Schluß sagt Vogt, steht der Beschluß der Berliner Versammlung in keinem Widerspruch mit dem § 1. unserer Verfassung. Derselbe behält ebenfalls für die Polen'schen Verhältnisse Bestimmungen vor.
Beckerath (Minister), empfiehlt nach einigen rührenden Phrasen die motivirte Tagesordnung.
Schluß der Debatte.
Jordan von Berlin spricht noch einmal, und stellt nun (Sieg der Consequenz!!) eventuell, d. h. wenn sein Antrag verworfen, was jedenfalls geschehen wird, selbst einen Antrag auf motivirte Tagesordnung. Endlich macht er noch einige Ausfälle auf Herrn Vogt und frägt, welches Maaß der Freiheit wollen wir denn ‒ ist es nicht der Triumph der Freiheit daß in Berlin der Demokratencongreß ruhig gelitten wurde. Aber wenn der Mord gegen uns auftritt, dann können wir nur mit Kanonen antworten. (Beifall Centren und rechts.)
Abstimmungen. Die einfache Tagesordnung wird verworfen. (Die ganze Linke wollte dieselbe). Wesenbronks, motivirte Tagesordnung wird verworfen. Kerst's motivirte Tagesordnung, ungefähr also lautend:
„Indem die National-Versammlung die Bevölkerung Polens auf den Werner-Raveaur'schen Beschluß ‒ ferner auf den Beschluß über Polen ‒ und auf die Erklärung des Reichsministers in dieser Sache hinweist (s. gestrige Sitzung) ‒ geht sie zur motivirten Tagesordnung über,“
wird mit 313 Stimmen gegen 124 angenommen. (Jordan selbst stimmte dafür und verwarf somit seinen eigenen Antrag).
Punkt 4 der Tagesordnung (s. oben) ist ohne alles Interesse. Ein Ausschlußantrag (Zusatz zur Geschäftsordnung):
„Jeder Ausschuß ist befugt, Zeugen und Sachverständige vorzufordern, zu vernehmen, vernehmen zu lassen, so wie mit Behörden in Verbindung zu treten, “
wird angenommen.
Nauwerk hat auch eine Abänderung beantragt. Er will sprechen ‒ man ruft Schluß ‒ er verzichtet ‒ man lacht höhnisch. (Das ist die Haltung der Versammlung).
Nauwerks Antrag wird verworfen.
Schluß der Sitzung 1/2 3 Uhr
Morgen um 9 Uhr ist ausnahmsweise Sitzung, weil, wie der Herr Präsident meint, zum Fortbau der Verfassung dieser Woche noch keine Sitzung verwendet worden ist.
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Schleswig, den 4. November.
Die mehrerwähnte Correspodenz zwischen der gemeinsamen Regierung und dem Reichs-Commissär Stedmann ist folgende:
1. Schreiben der gemeinsamen Regierung: „Von dem Herrn Reichs-Commissär Stedmann und dem königl. dänischen Commissär Hrn. v. Needtz hat die gemeinsame Regierung zwei gleichlautende Schreiben, d. d. Kopenhagen, den 28. Oktober 1848, entgegengenommen, enthaltend eine Erklärung in Betreff einiger durch die Bekanntmachung der gemeinsamen Regierung vom 22. s. M. wieder in Kraft gesetzten Verfügungen etc. In Betracht, daß schon in der gedachten Bekanntmachung ausdrücklich die Worte vorkommen: im § 1: „den Bedingungen des definitiven Friedens unbeschadet“, im § 2: „unter Vorbehalt definitiver Bestätigung durch den Frieden und ohne Präjudiz für denselben“, sowie: „so weit es die während des Waffenstillstandes bestehenden Verhältnisse gestatten“, und in diesen Worten bereits die erforderliche Reservation enthalten ist, glaubt die gemeinsame Regierung nur, um jedes Mißverständniß zu verhüten, noch darauf aufmerksam machen zu müssen, daß für die Dauer des Waffenstillstandes der Rechtsbestand der von ihr in Kraft gesetzten Verfügungen etc. nach Maaßgabe der Bekanntmachung, nicht als beeinträchtigt angesehen werden kann. Gottorff, den 3. Nov. 1848. Die gemeinsame Regierung. (unterz.) Th. Reventlow. Harbon. Lüders.“
2. Schreiben des Reichs-Commissärs Stedmann: „Einer hohen gemeinsamen Regierung der Herzogthümer Schleswig-Holstein erwidere ich auf das so eben erhaltene verehrliche Schreiben vom Heutigen, daß nach dem Art. 7 des Waffenstillstandes sämmtliche Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsmaaßregeln, welche seit dem 17. März, sowohl in Rendsburg und Schleswig als in Kopenhagen für die Herzogthümer erlassen worden sind, im Augenblick des Amtsantrittes der gemeinsamen Regierung ohne Ausnahme ihre Gültigkeit verloren haben, daß aber nach der Art. 7 und 11 des gedachten Staats-Vertrages durchaus keine Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsmaaßregeln weder mit noch ohne Clauseln wieder in Kraft gesetzt werden konnten, welche irgend etwas dem Frieden Vorgreifendes enthielten. Ich kann daher nach meinem Auftrage, über die Ausführung des gedachten Vertrags zu wachen, nicht anerkennen, daß alle in der Verordnung vom 22. v. M. wieder in Kraft gesetzten Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsmaaßregeln auch mit den hinzugefügten Clauseln für die Dauer des Waffenstillstandes in ihrer Rechtsgültigkeit „nicht beeinträchtigt“ sein sollen, wie der Ausdruck im heute erhaltenen verehrlichen Schreiben lautet. Ich bin aber bereit, nach der mit dem dänischen Commissarius unter dem 28. d. M. getroffenen Vereinbarung, welche ich wie alle Verträge heilig halten muß, Alles thatsächlich und unvorgreiflich als Verwaltungsmaaßregel gelten zu lassen, was die hohe Regierung anordnen wird und irgendwie als mit den Verträgen und Reichsrechten vereinbar und für das Wohl der Herzogthümer, welches der Reichsregierung und der gesammten deutschen Nation so theuer ist, nach Art. 7 des Vertrages als „unerläßlich und ersprießlich“ erkannt werden kann. Es wird der hohen gemeinsamen Regierung einleuchten, daß ohne die letztgedachte Vereinbarung von 28. auch die thatsächliche Aufrechthaltung mancher Anordnungen wenigstens dänischer Seits zu Klagen hätte Veranlassung geben können, welche jetzt unzulässig sind. Der in öffentlichen Blättern erschienene Text der Vereinbarung vom 28. v. M. ist eine ungenaue deutsche Uebersetzung einer mir unbekannten dänischen Uebersetzung der nur in deutscher Sprache verfaßten Uebereinkunft. Schleswig, den 3. Nov. 1848. (gez.) Stedmann, Reichs-Commissarius.“
3. Die Uebereinkunft vom 28. Okt. Lautet im Originaltext also: Am 28. Okt. 1848 haben die Herren Stedmann und Reedtz, Commissarien beziehungsweise der provisorischen deutschen Centralgewalt und Sr. Maj. des Königs von Dänemark, in Ihrer Eigenschaft als Herzog von Schleswig und Holstein, an die gemeinsame Regierung letztgedachter Herzogthümer zwei Schreiben folgenden, gleichlautenden Inhalts erlassen: Der unterzeichnete Commissarius (Tit.) in Betracht der Art. des Waffenstillstands-Vertrages vom 26. Aug. d. J., welcher bestimmt, daß die gesetzgebende Gewalt in den Herzogthümern Schleswig und Holstein während der Dauer des Waffenstillstandes ruht und des Art. 11, aus welchem hervorgeht daß den Bedingungen des definitiven Friedens in keiner Weise präjudicirt werden soll: in Betracht ferner der Bekanntmachung vom 22. d. M. der an demselben Tage installirten gemeinsamen Regierung der beiden Herzogthümer, betreffend die seit dem 17. März d. J. erlassenen Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsmaaßregeln: kann nicht umhin, der genannten Regierung ‒ Namens (Tit.) ‒ zu eröffnen, daß er im Geiste gewissenhafter Beobachtung des gedachten Waffenstillstands-Vertrages ausdrücklich und feierlich gegen den rechtlichen Bestand aller präjudiciellen Bestimmungen, welche durch die erwähnte Bekanntmachung wieder ins Leben gerufen worden sind, sich erklären muß, und daß als solche namentlich folgende unter den früher erlassenen bezeichnet werden müssen: 1) Das Reglement der provisorischen Regierung vom 18. April d. J., betreffend die vorzunehmenden Wahlen zur deutschen National-Versammlung, insofern dieses Reglement künftig auf Schleswig Anwendung finden könnte; 2) Die Bekanntmachung der provisorischen Regierung vom 23. Sept. d. J., betreffend den unzulässigen Gebrauch dänischer Fahnen und Cocarden; 3) Die Bekanntmachung der provisorischen Regierung vom 30. Sept. d. J. über die Vertretung schleswig-holsteinischer Schiffer im Auslande während des Waffenstillstandes; 4) Die Verfügung vom 21. Okt., betreffend die von den Handelsschiffen zu gebrauchende Flagge, Ein Gleiches gilt hinsichtlich des Rechtsbestandes des am 15. Sept. publicirten Staatsgrundgesetzes mit specieller Beziehung auf die staatsrechtlichen Dispositionen desselben und namentlich mit Rücksicht auf die Bestimmungen im Art. 1, 3, 55 und 140. Im Uebrigen ist der unterzeichnete Commissarius (Tit.) nicht gesonnen, den im gedachten Staatsgrundgesetze ausgesprochenen Grundsätzen bürgerlicher Freiheit, so weit sie mit wohlerworbenen Rechten vereinbarlich sind, sowie thatsächlichen Anordnungen der gemeinsamen Regierung der Herzogthümer, welche zur Wohlfahrt des Landes, sowie der einzelnen Bewohner und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung beitragen könnte, irgendwie hinderlich entgegen zu treten. (Folgt die Unterschrift.)
[(H. B.)]
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Schleswig, den 5. Nov.
Der Protest der Herren Stedmann und v. Reedtz hat große Sensation erregt. Daß der dänische Commissar seinerseits einen solchen Schritt gethan, überrascht eben nicht. Aber daß Herr Stedmann es über sich gewinnen konnte, ein Schreiben gleichen Inhalts, wie das Reedtz'sche, zu erlassen und dasselbe zugleich mit dem letzteren von Kopenhagen aus hierher zu senden, erfüllt Alle mit der größten Entrüstung. Eine gestern Abend hier abgehaltene allgemeine Bürgerversammlung machte diese Angelegenheit zum Gegenstand ihrer Berathung und beschloß eine Adresse an das Reichsministerium des Innern, welche denn auch sofort unterzeichnet wurde. Diese sehr kurz und bündig abgefaßte Adresse erklärt nach Hervorhebung dessen, was man von Hrn Stedmann als Reichskommissar erwarten zu dürfen geglaubt habe, daß die Unterzeichner zu Hrn. Stedmann durchaus kein Vertrauen mehr haben könnten, und beantragt demzufolge dessen Abberufung. Zugleich beschloß man, Hrn. Stedmann eine Abschrift der Addresse zuzustellen. Die Versammlung war von mehr als 600 Personen besucht. Interessant waren die Mittheilungen, welche der in der Versammlung anwesende Departements, chef der Justiz, Hr. Mommsen machte. Derselbe theilte nämlich mit, daß die gemeinsame Regierung bereits auf Erlassung eines entschiedenen Gegenprotestes Gedacht genommen habe und daß dieser Gegenprotest, da der Protest der Hrn. Reedtz und Stedmann veröffentlicht worden sei, nächsten Tags gleichfalls der Oeffentlichkeit übergeben werden würde; (aus anderweitiger Quelle vernimmt man, daß der erwähnte Gegenprotest schon nach Frankfurt abgegangen ist.) Als Resultat dieser Mittheilungen stellte sich klar heraus, wenn solches gleich von dem Departementchef nicht ausdrücklich ausgesprochen wurde, daß Hrn. Stedmann ‒ eine unverzeihliche Schwäche zur Last falle.
Viele Theilnehmer der Versammlung scheinen große Lust zu haben, Hrn. Stedmann noch auf ganz andere Weise, als durch abschriftliche Mittheilung der Adresse, ihre Meinung kund zu thun, und wenn anderweitige Manifestationen unterblieben, so hat man dies nur den nachdrücklichen Ermahnungen einiger besonnenen und einflußreichen Männer zu verdanken. Es ergibt sich übrigens, daß Hr. v. Reedtz den Reichskommissar nur aus den Händen gelassen hat, um denselben einem andern zuverlässigen Mann anzuvertrauen. Denn Hr. Stedmann ist in Begleitung des Hrn. von Plessen aus Kopenhagen hier angelangt und in Begleitung eben desselben weiter nach Lauenburg gereift, um auch die dortigen Verhältnisse zu ordnen.
Polen.
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Krakau, 4. Nov.
Der k. k. Infanterie-Hauptmann Hr. Baron Ruistel, der als Kurrier als kommandirenden Generals Hrn. Barons Hammerstein nach Olmütz gesandt wurde, brachte mir folgende Nachrichten:
Am 1. Nov. bot Lemberg den Schauplatz trauriger Ereignisse dar. ‒ Ein zwischen den Soldaten und den Nationalgardisten entstandener Streit war die Ursache eines großen Aufruhrs, der den kommandirenden General veranlaßte, das Militär in die Kasernen zu konfigniren. Die Nationalgarde griff zu den Waffen, zwei Kompagnien derselben stellten sich bei dem Artilleriepark auf, der auf diese Weise bedroht wurde ‒ man gab durch drei Kanonenschüsse das Zeichen zum Alarm an und so entstanden sogleich auf vielen Punkten der Stadt Barrikaden.
Der Platz-Hauptmann Heinmerle wurde angehalten, entwaffnet und auf die Wache der Nationalgarde geführt, und auf die demselben nacheilende Ordonnanz wurde geschossen. Die auf dem Markte versammelte Volksmenge bedrohte die Wache der Art, daß dieselbe durch eine Division von Grenadieren gedeckt werden mußte; gerade zu derselben Zeit wurden viele Militärpersonen angefallen und verwundet ‒ endlich erschienen einige Deputationen, welche die Entfernung des Militärs verlangten und für die Herstellung der Ruhe bürgten. Der General forderte die sofortige Räumung der Barrikaden.
Diese Sachlage dauerte bis zum 2. Nov. des Morgens 7 Uhr Während der kommandirende General die Bedingungen stellte, die angenommen werden sollten, entstand zwischen den Soldaten und der berittenen Nationalgarde eine Reibung, die die Verwundung vieler Personen zur Folge hatte. Man stellte die Barrikaden wieder her und berief die ganze Stadtbevölkerung durch das Läuten zum Kampfe. ‒ Einige, aus den Fenstern gefallene Schüsse, in Folge deren zwei Artilleristen hinstürzten, gaben das Zeichen zu den beginnenden Feindseligkeiten. Die Artillerie bemühte sich, die Barrikaden zu zerschmettern, das bewaffnete Volk concentrirte sich in der Universität und steckte auf einer der Barrikaden die rothe Fahne auf. Der Universitäts-Stadttheil, insbesondere die Universität und das erhabene Rathhaus, ist durch Raketen angezündet.
Gegen Mittag erschien die Deputation des Sicherheitskomite, welches den kommandirenden General die Uebergabe der Stadt unter folgenden Bedingungen zusicherte:
1) Die Auflösung und Entwaffnung der akademischen Legion.
2) Die Reorganisation der Nationalgarde unter dem Einflusse des Generals Cesarski.
(Hierzu eine Beilage.)