Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Kohlrausch, Henriette]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1828]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.]

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn diese mannigfaltigen mythischen Einkleidungen uns nun auch bei den
meisten wilden Völkern das Gefühl von der Einheit der Natur voraussetzen
lassen, so dürfen wir ihnen doch keineswegs eine bewußte Erkenntniss dersel-
ben zutrauen, die eine begreifende Einsicht der Natur voraussetzt. Diese Kennt-
niß ist nicht bloßes Product der Intelligenz: sie kann nicht ausbrechen wie die
Sprache, die in ihrer frühesten Entwickelung der epischen Poesie ihren Ursprung
gab; langsam nur, im Laufe der Jahrhunderte, bei stets wachsender Erkennt-
niß, konnte der große Gedanke der Natur-Einheit heranreifen, und als
feststehende Ueberzeugung Wurzeln fassen.

Wir unterscheiden 6 Epochen, welche als Hauptmomente die allmälige
Verbreitung dieser Erkenntniß bezeichnen.

1, die Jonische Naturphilosophie, und die Dorisch-Pythagorische Schule.
2, die Züge Alexanders nach dem Osten.
3, die Züge der Araber nach Osten und Westen.
4, die Entdeckung von Amerika.
5, die Erfindung neuer Organe zur Naturbeobachtung, das heißt Fernrohr, Wärme-
messer, Barometer von 1591-1643.
6, Coock's Weltreisen, die ersten nicht blos geographischen Entdeckungsreisen,
die den Grund legten, zu späteren physikalischen Expeditionen.

Wie überhaupt ein entschiedener Zwiespalt die beiden Stämme der Jonier
und Dorier von einanderhält, so trennen sich auch die philosophischen Schulen der
Jonier, und die des Pythagoras. Wenn die Erkenntniß der Jonier mehr auf ei-
ner sinnlichen Anschauung beruht, so finden wir bei den Doriern ein tieferes,

ernsteres

Wenn diese mannigfaltigen mythischen Einkleidungen uns nun auch bei den
meisten wilden Völkern das Gefühl von der Einheit der Natur voraussetzen
lassen, so dürfen wir ihnen doch keineswegs eine bewußte Erkenntniss dersel-
ben zutrauen, die eine begreifende Einsicht der Natur voraussetzt. Diese Kennt-
niß ist nicht bloßes Product der Intelligenz: sie kann nicht ausbrechen wie die
Sprache, die in ihrer frühesten Entwickelung der epischen Poesie ihren Ursprung
gab; langsam nur, im Laufe der Jahrhunderte, bei stets wachsender Erkennt-
niß, konnte der große Gedanke der Natur-Einheit heranreifen, und als
feststehende Ueberzeugung Wurzeln fassen.

Wir unterscheiden 6 Epochen, welche als Hauptmomente die allmälige
Verbreitung dieser Erkenntniß bezeichnen.

1, die Jonische Naturphilosophie, und die Dorisch-Pythagorische Schule.
2, die Züge Alexanders nach dem Osten.
3, die Züge der Araber nach Osten und Westen.
4, die Entdeckung von Amerika.
5, die Erfindung neuer Organe zur Naturbeobachtung, das heißt Fernrohr, Wärme-
messer, Barometer von 1591–1643.
6, Coock’s Weltreisen, die ersten nicht blos geographischen Entdeckungsreisen,
die den Grund legten, zu späteren physikalischen Expeditionen.

Wie überhaupt ein entschiedener Zwiespalt die beiden Stämme der Jonier
und Dorier von einanderhält, so trennen sich auch die philosophischen Schulen der
Jonier, und die des Pythagoras. Wenn die Erkenntniß der Jonier mehr auf ei-
ner sinnlichen Anschauung beruht, so finden wir bei den Doriern ein tieferes,

ernsteres
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="session" n="12">
        <pb facs="#f0108" n="52v"/>
        <p>Wenn diese mannigfaltigen mythischen Einkleidungen uns nun auch bei den<lb/>
meisten wilden Völkern das <hi rendition="#aq">Gefühl</hi> von der Einheit der Natur voraussetzen<lb/>
lassen, so dürfen wir ihnen doch keineswegs eine bewußte <hi rendition="#aq">Erkenntniss</hi> dersel-<lb/>
ben zutrauen, die eine begreifende Einsicht der Natur voraussetzt. Diese Kennt-<lb/>
niß ist nicht bloßes Product der Intelligenz: sie kann nicht ausbrechen wie die<lb/>
Sprache, die in ihrer frühesten Entwickelung der epischen Poesie ihren Ursprung<lb/>
gab; langsam nur, im Laufe der Jahrhunderte, bei stets wachsender Erkennt-<lb/>
niß, konnte der große Gedanke der <choice><orig><hi rendition="#aq">Natur Einheit</hi></orig><reg resp="#CT"><hi rendition="#aq">Natur-Einheit</hi></reg></choice> heranreifen, und als<lb/>
feststehende Ueberzeugung Wurzeln fassen.</p><lb/>
        <p>Wir unterscheiden 6 Epochen, welche als Hauptmomente die allmälige<lb/>
Verbreitung dieser Erkenntniß bezeichnen.<note resp="#CT" type="editorial">Hamel/Tiemann (Hg.) 1993, S. 150: Punkt fehlt.</note></p><lb/>
        <list>
          <item>1, die Jonische Naturphilosophie, und die Dorisch-Pythagorische Schule.</item><lb/>
          <item>2, die Züge <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118501828 http://d-nb.info/gnd/118501828">Alexander</persName></hi>s nach dem Osten.</item><lb/>
          <item>3, die Züge der Araber nach Osten und Westen.</item><lb/>
          <item>4, die Entdeckung von <hi rendition="#aq">Amerika</hi>.</item><lb/>
          <item>5, die Erfindung neuer Organe zur Naturbeobachtung, <choice><abbr>d. h.</abbr><expan resp="#BF">das heißt</expan></choice> Fernrohr, Wärme-<lb/>
messer, Barometer von 1591&#x2013;1643.</item><lb/>
          <item>6, <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118522027 http://d-nb.info/gnd/118522027">Coock</persName></hi>&#x2019;s Weltreisen, die ersten nicht blos<note resp="#CT" type="editorial">Hamel/Tiemann (Hg.) 1993, S. 150: "bloß".</note> geographischen Entdeckungsreisen,<lb/>
die den Grund legten, zu späteren physikalischen Expeditionen.</item><lb/>
        </list>
        <p>Wie überhaupt ein entschiedener<note resp="#CT" type="editorial">Hamel/Tiemann (Hg.) 1993, S. 150: "entscheidender".</note> Zwiespalt die beiden Stämme der Jonier<lb/>
und Dorier von einanderhält, so trennen sich auch die philosophischen Schulen der<lb/>
Jonier, und die des <persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118597248 http://d-nb.info/gnd/118597248">Pythagoras</persName>. Wenn die Erkenntniß der Jonier mehr auf ei-<lb/>
ner sinnlichen Anschauung beruht, so finden wir bei den Doriern ein tieferes,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ernsteres</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52v/0108] Wenn diese mannigfaltigen mythischen Einkleidungen uns nun auch bei den meisten wilden Völkern das Gefühl von der Einheit der Natur voraussetzen lassen, so dürfen wir ihnen doch keineswegs eine bewußte Erkenntniss dersel- ben zutrauen, die eine begreifende Einsicht der Natur voraussetzt. Diese Kennt- niß ist nicht bloßes Product der Intelligenz: sie kann nicht ausbrechen wie die Sprache, die in ihrer frühesten Entwickelung der epischen Poesie ihren Ursprung gab; langsam nur, im Laufe der Jahrhunderte, bei stets wachsender Erkennt- niß, konnte der große Gedanke der Natur Einheit heranreifen, und als feststehende Ueberzeugung Wurzeln fassen. Wir unterscheiden 6 Epochen, welche als Hauptmomente die allmälige Verbreitung dieser Erkenntniß bezeichnen. 1, die Jonische Naturphilosophie, und die Dorisch-Pythagorische Schule. 2, die Züge Alexanders nach dem Osten. 3, die Züge der Araber nach Osten und Westen. 4, die Entdeckung von Amerika. 5, die Erfindung neuer Organe zur Naturbeobachtung, d. h. Fernrohr, Wärme- messer, Barometer von 1591–1643. 6, Coock’s Weltreisen, die ersten nicht blos geographischen Entdeckungsreisen, die den Grund legten, zu späteren physikalischen Expeditionen. Wie überhaupt ein entschiedener Zwiespalt die beiden Stämme der Jonier und Dorier von einanderhält, so trennen sich auch die philosophischen Schulen der Jonier, und die des Pythagoras. Wenn die Erkenntniß der Jonier mehr auf ei- ner sinnlichen Anschauung beruht, so finden wir bei den Doriern ein tieferes, ernsteres

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Herausgeber
Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellen der Digitalisierungsvorlage; Bilddigitalisierung

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription in Hamel, Jürgen u. Klaus Harro Tiemann (Hg.) (1993): Alexander von Humboldt: Über das Universum. Die Kosmosvorträge 1827/28 in der Berliner Singakademie. Frankfurt a. M.: Insel. anhand der Vorlage geprüft und korrigiert, nach XML/TEI P5 konvertiert und gemäß dem DTA-Basisformat kodiert.

Abweichungen dieser Druckedition von der Manuskriptvorlage werden im Text an der entsprechenden Stelle in editorischen Kommentaren ausgewiesen.

Abweichungen von den DTA-Richtlinien:

  • I/J: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_msgermqu2124_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_msgermqu2124_1827/108
Zitationshilfe: [Kohlrausch, Henriette]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1828]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.], S. 52v. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_msgermqu2124_1827/108>, abgerufen am 23.12.2024.