Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
das Sinnlichste aus, indem er von "den allerschönsten und reinsten
Leibern, Sinnen, Verstand und Willen redet", welche Adam und
Eva damals gehabt ("ihre Augen konnten über viel Meil Weges
aufs Schärfste sehen, die Ohren gar leise hören und vernehmen" etc.):
auch in seinem lateinischen Genesiscommentare entwickelt er ganz
entsprechende Annahmen. "Das Gottesbild, wozu Adam geschaffen
war, war von vorzüglichster und edelster Art, weil frei von jeg-
lichem Aussatze der Sünde in Verstand wie Willen. Die inneren
wie die äußeren Sinnen waren höchst rein und vollkommen; der
Jntellect von reinster Art, das Gedächtniß das beste, der Wille der
lauterste; und dabei lebten sie in schönster Sicherheit, ohne alle
Todesfurcht und Bekümmerniß. Es kam dazu jene wundervolle,
unübertreffliche Vorzüglichkeit des Leibes und aller Glieder, wodurch
er allen übrigen lebendigen Geschöpfen überlegen war. Denn wahrlich
ich halte dafür: vor der Sünde waren Adams Augen so scharf und
klar, daß er den Luchs und Adler übertraf. Mit Löwen und Bären,
diesen stärksten aller Thiere, gieng er, der Stärkere denn sie, nicht
anders um, als wir mit Hündlein. Auch die Früchte, die er genoß,
hatten viel größere Süßigkeit und Kraft, denn die jetzigen" ......
"Jch glaube", heißt es etwas später, "Adam würde mit Einem
Wörtlein ganz so einem Löwen zu befehlen vermocht haben, wie wir
einem zahmen Hunde befehlen; es würde ihm frei gestanden haben,
durch Landbau die Erde alles hervorbringen zu machen, was er nur
wollte!" Die Eva mit einschließend, bewundert er das "Stück gött-
licher Natur", kraft dessen die noch unschuldigen Paradiesesbewohner
"alle Triebe, Sinnen und Kräfte aller Thiere zu verstehen" im
Stande waren, aber auch "die vollkommenste Erkenntniß Gottes
besaßen". Denn, fragt er, "wie hätten sie den nicht erkennen gesollt,
dessen Bildniß sie in sich hatten und fühlten? Ja auch von den
Sternen und der ganzen Astronomie besaßen sie die sicherste Einsicht!"
Ohne den Fall würde Adam die Eva "in der größten Reinigkeit
und Gottesfurcht" erkannt haben; sein Kinderzeugen würde in höchster
Furcht, Weisheit und Gotteserkenntniß erfolgt sein. Die neugebornen

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
das Sinnlichſte aus, indem er von „den allerſchönſten und reinſten
Leibern, Sinnen, Verſtand und Willen redet‟, welche Adam und
Eva damals gehabt („ihre Augen konnten über viel Meil Weges
aufs Schärfſte ſehen, die Ohren gar leiſe hören und vernehmen‟ ꝛc.):
auch in ſeinem lateiniſchen Geneſiscommentare entwickelt er ganz
entſprechende Annahmen. „Das Gottesbild, wozu Adam geſchaffen
war, war von vorzüglichſter und edelſter Art, weil frei von jeg-
lichem Ausſatze der Sünde in Verſtand wie Willen. Die inneren
wie die äußeren Sinnen waren höchſt rein und vollkommen; der
Jntellect von reinſter Art, das Gedächtniß das beſte, der Wille der
lauterſte; und dabei lebten ſie in ſchönſter Sicherheit, ohne alle
Todesfurcht und Bekümmerniß. Es kam dazu jene wundervolle,
unübertreffliche Vorzüglichkeit des Leibes und aller Glieder, wodurch
er allen übrigen lebendigen Geſchöpfen überlegen war. Denn wahrlich
ich halte dafür: vor der Sünde waren Adams Augen ſo ſcharf und
klar, daß er den Luchs und Adler übertraf. Mit Löwen und Bären,
dieſen ſtärkſten aller Thiere, gieng er, der Stärkere denn ſie, nicht
anders um, als wir mit Hündlein. Auch die Früchte, die er genoß,
hatten viel größere Süßigkeit und Kraft, denn die jetzigen‟ ......
„Jch glaube‟, heißt es etwas ſpäter, „Adam würde mit Einem
Wörtlein ganz ſo einem Löwen zu befehlen vermocht haben, wie wir
einem zahmen Hunde befehlen; es würde ihm frei geſtanden haben,
durch Landbau die Erde alles hervorbringen zu machen, was er nur
wollte!‟ Die Eva mit einſchließend, bewundert er das „Stück gött-
licher Natur‟, kraft deſſen die noch unſchuldigen Paradieſesbewohner
„alle Triebe, Sinnen und Kräfte aller Thiere zu verſtehen‟ im
Stande waren, aber auch „die vollkommenſte Erkenntniß Gottes
beſaßen‟. Denn, fragt er, „wie hätten ſie den nicht erkennen geſollt,
deſſen Bildniß ſie in ſich hatten und fühlten? Ja auch von den
Sternen und der ganzen Aſtronomie beſaßen ſie die ſicherſte Einſicht!‟
Ohne den Fall würde Adam die Eva „in der größten Reinigkeit
und Gottesfurcht‟ erkannt haben; ſein Kinderzeugen würde in höchſter
Furcht, Weisheit und Gotteserkenntniß erfolgt ſein. Die neugebornen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0030" n="20"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Der Ur&#x017F;tand nach kirchlicher Ueberlieferung.</fw><lb/>
das Sinnlich&#x017F;te aus, indem er von &#x201E;den aller&#x017F;chön&#x017F;ten und rein&#x017F;ten<lb/>
Leibern, Sinnen, Ver&#x017F;tand und Willen redet&#x201F;, welche Adam und<lb/>
Eva damals gehabt (&#x201E;ihre Augen konnten über viel Meil Weges<lb/>
aufs Schärf&#x017F;te &#x017F;ehen, die Ohren gar lei&#x017F;e hören und vernehmen&#x201F; &#xA75B;c.):<lb/>
auch in &#x017F;einem lateini&#x017F;chen Gene&#x017F;iscommentare entwickelt er ganz<lb/>
ent&#x017F;prechende Annahmen. &#x201E;Das Gottesbild, wozu Adam ge&#x017F;chaffen<lb/>
war, war von vorzüglich&#x017F;ter und edel&#x017F;ter Art, weil frei von jeg-<lb/>
lichem Aus&#x017F;atze der Sünde in Ver&#x017F;tand wie Willen. Die inneren<lb/>
wie die äußeren Sinnen waren höch&#x017F;t rein und vollkommen; der<lb/>
Jntellect von rein&#x017F;ter Art, das Gedächtniß das be&#x017F;te, der Wille der<lb/>
lauter&#x017F;te; und dabei lebten &#x017F;ie in &#x017F;chön&#x017F;ter Sicherheit, ohne alle<lb/>
Todesfurcht und Bekümmerniß. Es kam dazu jene wundervolle,<lb/>
unübertreffliche Vorzüglichkeit des Leibes und aller Glieder, wodurch<lb/>
er allen übrigen lebendigen Ge&#x017F;chöpfen überlegen war. Denn wahrlich<lb/>
ich halte dafür: vor der Sünde waren Adams Augen &#x017F;o &#x017F;charf und<lb/>
klar, daß er den Luchs und Adler übertraf. Mit Löwen und Bären,<lb/>
die&#x017F;en &#x017F;tärk&#x017F;ten aller Thiere, gieng er, der Stärkere denn &#x017F;ie, nicht<lb/>
anders um, als wir mit Hündlein. Auch die Früchte, die er genoß,<lb/>
hatten viel größere Süßigkeit und Kraft, denn die jetzigen&#x201F; ......<lb/>
&#x201E;Jch glaube&#x201F;, heißt es etwas &#x017F;päter, &#x201E;Adam würde mit Einem<lb/>
Wörtlein ganz &#x017F;o einem Löwen zu befehlen vermocht haben, wie wir<lb/>
einem zahmen Hunde befehlen; es würde ihm frei ge&#x017F;tanden haben,<lb/>
durch Landbau die Erde alles hervorbringen zu machen, was er nur<lb/>
wollte!&#x201F; Die Eva mit ein&#x017F;chließend, bewundert er das &#x201E;Stück gött-<lb/>
licher Natur&#x201F;, kraft de&#x017F;&#x017F;en die noch un&#x017F;chuldigen Paradie&#x017F;esbewohner<lb/>
&#x201E;alle Triebe, Sinnen und Kräfte aller Thiere zu ver&#x017F;tehen&#x201F; im<lb/>
Stande waren, aber auch &#x201E;die vollkommen&#x017F;te Erkenntniß Gottes<lb/>
be&#x017F;aßen&#x201F;. Denn, fragt er, &#x201E;wie hätten &#x017F;ie den nicht erkennen ge&#x017F;ollt,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Bildniß &#x017F;ie in &#x017F;ich hatten und fühlten? Ja auch von den<lb/>
Sternen und der ganzen A&#x017F;tronomie be&#x017F;aßen &#x017F;ie die &#x017F;icher&#x017F;te Ein&#x017F;icht!&#x201F;<lb/>
Ohne den Fall würde Adam die Eva &#x201E;in der größten Reinigkeit<lb/>
und Gottesfurcht&#x201F; erkannt haben; &#x017F;ein Kinderzeugen würde in höch&#x017F;ter<lb/>
Furcht, Weisheit und Gotteserkenntniß erfolgt &#x017F;ein. Die neugebornen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0030] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. das Sinnlichſte aus, indem er von „den allerſchönſten und reinſten Leibern, Sinnen, Verſtand und Willen redet‟, welche Adam und Eva damals gehabt („ihre Augen konnten über viel Meil Weges aufs Schärfſte ſehen, die Ohren gar leiſe hören und vernehmen‟ ꝛc.): auch in ſeinem lateiniſchen Geneſiscommentare entwickelt er ganz entſprechende Annahmen. „Das Gottesbild, wozu Adam geſchaffen war, war von vorzüglichſter und edelſter Art, weil frei von jeg- lichem Ausſatze der Sünde in Verſtand wie Willen. Die inneren wie die äußeren Sinnen waren höchſt rein und vollkommen; der Jntellect von reinſter Art, das Gedächtniß das beſte, der Wille der lauterſte; und dabei lebten ſie in ſchönſter Sicherheit, ohne alle Todesfurcht und Bekümmerniß. Es kam dazu jene wundervolle, unübertreffliche Vorzüglichkeit des Leibes und aller Glieder, wodurch er allen übrigen lebendigen Geſchöpfen überlegen war. Denn wahrlich ich halte dafür: vor der Sünde waren Adams Augen ſo ſcharf und klar, daß er den Luchs und Adler übertraf. Mit Löwen und Bären, dieſen ſtärkſten aller Thiere, gieng er, der Stärkere denn ſie, nicht anders um, als wir mit Hündlein. Auch die Früchte, die er genoß, hatten viel größere Süßigkeit und Kraft, denn die jetzigen‟ ...... „Jch glaube‟, heißt es etwas ſpäter, „Adam würde mit Einem Wörtlein ganz ſo einem Löwen zu befehlen vermocht haben, wie wir einem zahmen Hunde befehlen; es würde ihm frei geſtanden haben, durch Landbau die Erde alles hervorbringen zu machen, was er nur wollte!‟ Die Eva mit einſchließend, bewundert er das „Stück gött- licher Natur‟, kraft deſſen die noch unſchuldigen Paradieſesbewohner „alle Triebe, Sinnen und Kräfte aller Thiere zu verſtehen‟ im Stande waren, aber auch „die vollkommenſte Erkenntniß Gottes beſaßen‟. Denn, fragt er, „wie hätten ſie den nicht erkennen geſollt, deſſen Bildniß ſie in ſich hatten und fühlten? Ja auch von den Sternen und der ganzen Aſtronomie beſaßen ſie die ſicherſte Einſicht!‟ Ohne den Fall würde Adam die Eva „in der größten Reinigkeit und Gottesfurcht‟ erkannt haben; ſein Kinderzeugen würde in höchſter Furcht, Weisheit und Gotteserkenntniß erfolgt ſein. Die neugebornen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/30
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/30>, abgerufen am 29.03.2024.