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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
(um so dessen Wahlfreiheit möglichst beschränkt, die Größe seiner
Schuld aber möglichst gesteigert darzustellen), andrerseits die im
extremen Gegensatze zu den Pelagianern von ihm vorgenommene
Steigerung der Geistesvorzüge des noch nicht gefallenen Menschen,
insbesondere seiner Vernunfterkenntniß, bis in's Wunderhafte und
abstract Uebernatürliche hinein. Jn dem noch nicht Gefallenen lebte
die klarste Erkenntniß aller göttlichen und natürlichen Dinge, die
höchste vortrefflichste Weisheit (excellentissima sapientia), ein
Wissen, so hoch über dem von uns sündigen Menschenkindern
stehend, wie der Vogel an Schnelligkeit die Schildkröte übertrifft!
Dazu denn jene außerordentliche göttliche Beihilfe zum Guten, die
ihn überall umgab und trug, die ihm spielend leicht über jeden
Fall von Versuchung hinwegzuhelfen vermocht hätte, um deren willen
die Schuld des Gefallenen so unbegreiflich groß erscheint! Nur
mittelst dieser besonderen Vorzüge und Vortheile, die er dem Menschen
vor dem Falle andichtete, meinte er die nöthigen Voraussetzungen zur
Erfassung des sündig Bösen in seinem vollen Ernste zu gewinnen,
nur so den richtigen Grund zu der pelagianischerseits verkannten
Lehre von der Erbsünde zu legen. Die schon ältere, bei Jrenäus,
Clemens und Origenes zuerst vorkommende Distinction zwischen
"Bild Gottes" und "Aehnlichkeit Gottes", exegetisch gewaltsam
hergeleitet aus 1 Mose 1, 26 f., mußte ihm dabei Hilfe leisten.
Das Bild Gottes sollte die anerschaffene Naturbegabung des
Menschen mit Vernunft und Freiheit bedeuten, daher als unverlier-
bar gelten; mit "Gottähnlichkeit" sollte die durch jene besondere
Gnadenhilfe bedingte sittliche Vollkommenheit, die durch den Sünden-
fall verloren gieng, bezeichnet sein. Jn dem großen, unvollendet
gebliebenen Werke gegen Julian von Eclanum spottet er bitter über
das Paradies der Pelagianer mit der kahlen Dürftigkeit der Natur-
gaben seiner Beherrscher und deren äußerst labilem sittlichem
Gleichgewichtszustande vor dem Falle. Man male ein solches
Paradies, ruft er: Niemand wird es als Paradies erkennen! Viel-
mehr den Engeln, Heiligen und Seligen des Himmels ähnlich ist

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
(um ſo deſſen Wahlfreiheit möglichſt beſchränkt, die Größe ſeiner
Schuld aber möglichſt geſteigert darzuſtellen), andrerſeits die im
extremen Gegenſatze zu den Pelagianern von ihm vorgenommene
Steigerung der Geiſtesvorzüge des noch nicht gefallenen Menſchen,
insbeſondere ſeiner Vernunfterkenntniß, bis in’s Wunderhafte und
abſtract Uebernatürliche hinein. Jn dem noch nicht Gefallenen lebte
die klarſte Erkenntniß aller göttlichen und natürlichen Dinge, die
höchſte vortrefflichſte Weisheit (excellentissima sapientia), ein
Wiſſen, ſo hoch über dem von uns ſündigen Menſchenkindern
ſtehend, wie der Vogel an Schnelligkeit die Schildkröte übertrifft!
Dazu denn jene außerordentliche göttliche Beihilfe zum Guten, die
ihn überall umgab und trug, die ihm ſpielend leicht über jeden
Fall von Verſuchung hinwegzuhelfen vermocht hätte, um deren willen
die Schuld des Gefallenen ſo unbegreiflich groß erſcheint! Nur
mittelſt dieſer beſonderen Vorzüge und Vortheile, die er dem Menſchen
vor dem Falle andichtete, meinte er die nöthigen Vorausſetzungen zur
Erfaſſung des ſündig Böſen in ſeinem vollen Ernſte zu gewinnen,
nur ſo den richtigen Grund zu der pelagianiſcherſeits verkannten
Lehre von der Erbſünde zu legen. Die ſchon ältere, bei Jrenäus,
Clemens und Origenes zuerſt vorkommende Diſtinction zwiſchen
„Bild Gottes‟ und „Aehnlichkeit Gottes‟, exegetiſch gewaltſam
hergeleitet aus 1 Moſe 1, 26 f., mußte ihm dabei Hilfe leiſten.
Das Bild Gottes ſollte die anerſchaffene Naturbegabung des
Menſchen mit Vernunft und Freiheit bedeuten, daher als unverlier-
bar gelten; mit „Gottähnlichkeit‟ ſollte die durch jene beſondere
Gnadenhilfe bedingte ſittliche Vollkommenheit, die durch den Sünden-
fall verloren gieng, bezeichnet ſein. Jn dem großen, unvollendet
gebliebenen Werke gegen Julian von Eclanum ſpottet er bitter über
das Paradies der Pelagianer mit der kahlen Dürftigkeit der Natur-
gaben ſeiner Beherrſcher und deren äußerſt labilem ſittlichem
Gleichgewichtszuſtande vor dem Falle. Man male ein ſolches
Paradies, ruft er: Niemand wird es als Paradies erkennen! Viel-
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[14/0024] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. (um ſo deſſen Wahlfreiheit möglichſt beſchränkt, die Größe ſeiner Schuld aber möglichſt geſteigert darzuſtellen), andrerſeits die im extremen Gegenſatze zu den Pelagianern von ihm vorgenommene Steigerung der Geiſtesvorzüge des noch nicht gefallenen Menſchen, insbeſondere ſeiner Vernunfterkenntniß, bis in’s Wunderhafte und abſtract Uebernatürliche hinein. Jn dem noch nicht Gefallenen lebte die klarſte Erkenntniß aller göttlichen und natürlichen Dinge, die höchſte vortrefflichſte Weisheit (excellentissima sapientia), ein Wiſſen, ſo hoch über dem von uns ſündigen Menſchenkindern ſtehend, wie der Vogel an Schnelligkeit die Schildkröte übertrifft! Dazu denn jene außerordentliche göttliche Beihilfe zum Guten, die ihn überall umgab und trug, die ihm ſpielend leicht über jeden Fall von Verſuchung hinwegzuhelfen vermocht hätte, um deren willen die Schuld des Gefallenen ſo unbegreiflich groß erſcheint! Nur mittelſt dieſer beſonderen Vorzüge und Vortheile, die er dem Menſchen vor dem Falle andichtete, meinte er die nöthigen Vorausſetzungen zur Erfaſſung des ſündig Böſen in ſeinem vollen Ernſte zu gewinnen, nur ſo den richtigen Grund zu der pelagianiſcherſeits verkannten Lehre von der Erbſünde zu legen. Die ſchon ältere, bei Jrenäus, Clemens und Origenes zuerſt vorkommende Diſtinction zwiſchen „Bild Gottes‟ und „Aehnlichkeit Gottes‟, exegetiſch gewaltſam hergeleitet aus 1 Moſe 1, 26 f., mußte ihm dabei Hilfe leiſten. Das Bild Gottes ſollte die anerſchaffene Naturbegabung des Menſchen mit Vernunft und Freiheit bedeuten, daher als unverlier- bar gelten; mit „Gottähnlichkeit‟ ſollte die durch jene beſondere Gnadenhilfe bedingte ſittliche Vollkommenheit, die durch den Sünden- fall verloren gieng, bezeichnet ſein. Jn dem großen, unvollendet gebliebenen Werke gegen Julian von Eclanum ſpottet er bitter über das Paradies der Pelagianer mit der kahlen Dürftigkeit der Natur- gaben ſeiner Beherrſcher und deren äußerſt labilem ſittlichem Gleichgewichtszuſtande vor dem Falle. Man male ein ſolches Paradies, ruft er: Niemand wird es als Paradies erkennen! Viel- mehr den Engeln, Heiligen und Seligen des Himmels ähnlich iſt

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/24>, abgerufen am 25.04.2024.