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Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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bis zwei Fuß im Durchmesser großes Loch gar nicht zu bemerken, weil das überhängende Gras und Schilf es bedecken. Geräth der Jäger hinein, so hält er schnell seine Flinte horizontal, so daß sie mit dem Kolben und dem äußersten Ende des Laufes auf den Rändern aufliegt, und hält sich, während er nach Hülfe ruft, daran fest. Sich selbst herauszuarbeiten, ist selten möglich, und solche Anstrengung beschleunigt nur die Katastrophe. Kommt diese Hülfe nicht bald, die sich nur vorsichtig, ungefähr wie bei Rettungen aus dem Eise, nähern darf, so versinkt der Unglückliche, und jede Spur von ihm verschwindet, da sich auch sein Leichnam nicht auffinden läßt, den die grüne Decke, unter die er sich schiebt, wie eine Eisrinde niederhält. Denn auch der flüssige Moder hat, obwohl kaum merklich, doch seine Bewegung, die nach dem allgemeinen Wasserstande vor- und rückwärts geht. Es liegt etwas Grausiges in solchem Verschwinden, etwas Entsetzliches in der Freundlichkeit der grünen Decke, die auch keinen Grabhügel, kein Kreuz duldet; denn schon nach wenigen Monaten wälzen sich die Wogen über das Fenn, und schon im nächsten Frühjahr weiß der Jäger nicht mehr genau anzugeben, wo das Loch, das in der Landessprache Piezloch heißt, sich befand, in welchem sein Freund versank. Von Zeit zu Zeit glaubt Einer oder der Andere unter der nachgebenden Decke den Kopf des Unglücklichen zu fühlen, den er sich aufrecht stehend im Moder denkt, bis die Erinnerung an den Vorfall schwächer wird und zuletzt sich ganz verliert.

bis zwei Fuß im Durchmesser großes Loch gar nicht zu bemerken, weil das überhängende Gras und Schilf es bedecken. Geräth der Jäger hinein, so hält er schnell seine Flinte horizontal, so daß sie mit dem Kolben und dem äußersten Ende des Laufes auf den Rändern aufliegt, und hält sich, während er nach Hülfe ruft, daran fest. Sich selbst herauszuarbeiten, ist selten möglich, und solche Anstrengung beschleunigt nur die Katastrophe. Kommt diese Hülfe nicht bald, die sich nur vorsichtig, ungefähr wie bei Rettungen aus dem Eise, nähern darf, so versinkt der Unglückliche, und jede Spur von ihm verschwindet, da sich auch sein Leichnam nicht auffinden läßt, den die grüne Decke, unter die er sich schiebt, wie eine Eisrinde niederhält. Denn auch der flüssige Moder hat, obwohl kaum merklich, doch seine Bewegung, die nach dem allgemeinen Wasserstande vor- und rückwärts geht. Es liegt etwas Grausiges in solchem Verschwinden, etwas Entsetzliches in der Freundlichkeit der grünen Decke, die auch keinen Grabhügel, kein Kreuz duldet; denn schon nach wenigen Monaten wälzen sich die Wogen über das Fenn, und schon im nächsten Frühjahr weiß der Jäger nicht mehr genau anzugeben, wo das Loch, das in der Landessprache Piezloch heißt, sich befand, in welchem sein Freund versank. Von Zeit zu Zeit glaubt Einer oder der Andere unter der nachgebenden Decke den Kopf des Unglücklichen zu fühlen, den er sich aufrecht stehend im Moder denkt, bis die Erinnerung an den Vorfall schwächer wird und zuletzt sich ganz verliert.

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[0009] bis zwei Fuß im Durchmesser großes Loch gar nicht zu bemerken, weil das überhängende Gras und Schilf es bedecken. Geräth der Jäger hinein, so hält er schnell seine Flinte horizontal, so daß sie mit dem Kolben und dem äußersten Ende des Laufes auf den Rändern aufliegt, und hält sich, während er nach Hülfe ruft, daran fest. Sich selbst herauszuarbeiten, ist selten möglich, und solche Anstrengung beschleunigt nur die Katastrophe. Kommt diese Hülfe nicht bald, die sich nur vorsichtig, ungefähr wie bei Rettungen aus dem Eise, nähern darf, so versinkt der Unglückliche, und jede Spur von ihm verschwindet, da sich auch sein Leichnam nicht auffinden läßt, den die grüne Decke, unter die er sich schiebt, wie eine Eisrinde niederhält. Denn auch der flüssige Moder hat, obwohl kaum merklich, doch seine Bewegung, die nach dem allgemeinen Wasserstande vor- und rückwärts geht. Es liegt etwas Grausiges in solchem Verschwinden, etwas Entsetzliches in der Freundlichkeit der grünen Decke, die auch keinen Grabhügel, kein Kreuz duldet; denn schon nach wenigen Monaten wälzen sich die Wogen über das Fenn, und schon im nächsten Frühjahr weiß der Jäger nicht mehr genau anzugeben, wo das Loch, das in der Landessprache Piezloch heißt, sich befand, in welchem sein Freund versank. Von Zeit zu Zeit glaubt Einer oder der Andere unter der nachgebenden Decke den Kopf des Unglücklichen zu fühlen, den er sich aufrecht stehend im Moder denkt, bis die Erinnerung an den Vorfall schwächer wird und zuletzt sich ganz verliert.

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:10:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:10:09Z)

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Zitationshilfe: Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/9>, abgerufen am 19.04.2024.