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Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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nördlich ins Bruch, auf deren äußerster, zum Berge sich erhebender Spitze die Dorf-Windmühle und das Müllerhaus stehen. Die westliche Seite dieser Landzunge wird von einem mit dichtem Schilf umgebenen See begrenzt, so daß also Dorf und Mühlengrundstück wie zwei Zungen in das Bruch hineinlaufen, von denen das Mühlengrundstück westlich Wasser hat. Der See verliert sich nach Norden hin in unbestimmten Grenzen ins Bruch, und sein Wasserstand hat auf dessen Trockenheit oder Feuchtigkeit Einfluß. Will der Müller zu Wagen zum Dorfe, so muß er in einer weiten Curve über die Schmiede dorthin fahren, während er zu Fuß von seiner Landzunge zum Dorfe über das Bruch gelangen kann, das aber gerade hier am unsichersten, fast seeartig unter der grünen Fläche liegt und zu manchen Zeiten gar nicht zu passiren ist. Da alle Dorfkinder gern zur Mühle gehen, so bringen die Mütter ihnen schon frühzeitig das Verbot bei, über das Bruch zu gehen; der Steig hat den Namen Teufelssteig, und die norddeutsche Phantasie hat dafür gesorgt, ihn mit so viel Elfen und Kobolden zu bevölkern, daß ein Kind sich gar nicht hineinwagt, und die Erwachsenen nur in sehr trockenen Jahren bei Tage sich des Richtweges bedienen.

Das Bruch ist reich an Schnepfen, und der See bietet die ergiebigste Entenjagd im ganzen Lande. Sie wird zwar vom Herrn Justitiar des Stiftes, dem das Dorf Unterthan ist, ausgeübt, jedoch mehr dem Namen

nördlich ins Bruch, auf deren äußerster, zum Berge sich erhebender Spitze die Dorf-Windmühle und das Müllerhaus stehen. Die westliche Seite dieser Landzunge wird von einem mit dichtem Schilf umgebenen See begrenzt, so daß also Dorf und Mühlengrundstück wie zwei Zungen in das Bruch hineinlaufen, von denen das Mühlengrundstück westlich Wasser hat. Der See verliert sich nach Norden hin in unbestimmten Grenzen ins Bruch, und sein Wasserstand hat auf dessen Trockenheit oder Feuchtigkeit Einfluß. Will der Müller zu Wagen zum Dorfe, so muß er in einer weiten Curve über die Schmiede dorthin fahren, während er zu Fuß von seiner Landzunge zum Dorfe über das Bruch gelangen kann, das aber gerade hier am unsichersten, fast seeartig unter der grünen Fläche liegt und zu manchen Zeiten gar nicht zu passiren ist. Da alle Dorfkinder gern zur Mühle gehen, so bringen die Mütter ihnen schon frühzeitig das Verbot bei, über das Bruch zu gehen; der Steig hat den Namen Teufelssteig, und die norddeutsche Phantasie hat dafür gesorgt, ihn mit so viel Elfen und Kobolden zu bevölkern, daß ein Kind sich gar nicht hineinwagt, und die Erwachsenen nur in sehr trockenen Jahren bei Tage sich des Richtweges bedienen.

Das Bruch ist reich an Schnepfen, und der See bietet die ergiebigste Entenjagd im ganzen Lande. Sie wird zwar vom Herrn Justitiar des Stiftes, dem das Dorf Unterthan ist, ausgeübt, jedoch mehr dem Namen

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[0014] nördlich ins Bruch, auf deren äußerster, zum Berge sich erhebender Spitze die Dorf-Windmühle und das Müllerhaus stehen. Die westliche Seite dieser Landzunge wird von einem mit dichtem Schilf umgebenen See begrenzt, so daß also Dorf und Mühlengrundstück wie zwei Zungen in das Bruch hineinlaufen, von denen das Mühlengrundstück westlich Wasser hat. Der See verliert sich nach Norden hin in unbestimmten Grenzen ins Bruch, und sein Wasserstand hat auf dessen Trockenheit oder Feuchtigkeit Einfluß. Will der Müller zu Wagen zum Dorfe, so muß er in einer weiten Curve über die Schmiede dorthin fahren, während er zu Fuß von seiner Landzunge zum Dorfe über das Bruch gelangen kann, das aber gerade hier am unsichersten, fast seeartig unter der grünen Fläche liegt und zu manchen Zeiten gar nicht zu passiren ist. Da alle Dorfkinder gern zur Mühle gehen, so bringen die Mütter ihnen schon frühzeitig das Verbot bei, über das Bruch zu gehen; der Steig hat den Namen Teufelssteig, und die norddeutsche Phantasie hat dafür gesorgt, ihn mit so viel Elfen und Kobolden zu bevölkern, daß ein Kind sich gar nicht hineinwagt, und die Erwachsenen nur in sehr trockenen Jahren bei Tage sich des Richtweges bedienen. Das Bruch ist reich an Schnepfen, und der See bietet die ergiebigste Entenjagd im ganzen Lande. Sie wird zwar vom Herrn Justitiar des Stiftes, dem das Dorf Unterthan ist, ausgeübt, jedoch mehr dem Namen

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:10:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:10:09Z)

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Zitationshilfe: Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/14>, abgerufen am 29.03.2024.