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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von den durch die Schwerkraft erzeugten Bewegungen der festen Körper.

Die Gesetze des Falls erfahren bestimmte Modificationen, wenn54
Fall auf der
schiefen Ebene.

die Körper nicht frei herabfallen können, sondern wenn ihnen entwe-
der, weil sie sich auf einer geneigten Unterlage befinden, oder weil
sie an einer Drehungsaxe befestigt sind, ein bestimmter Weg vorge-
zeichnet ist. Die Bewegung auf der schiefen Ebene und die Bewe-
gung des Pendels erfordert daher eine besondere Betrachtung.

[Abbildung] Fig. 32.

Ein auf einer schiefen Ebene A B
(Fig. 32) befindlicher Körper wird von derselben
um so schneller herabrollen, je grösser der Nei-
gungswinkel a der Ebene ist. Wenn die schiefe
Ebene nicht vorhanden wäre und der Körper
frei herabfallen könnte, so würde er in der ersten
Secunde den Weg a b = [Formel 1] zurücklegen, da [Formel 2] die Mittelgeschwin-
digkeit in der ersten Secunde ist (§. 24 u. 53). Wegen der schiefen
Ebene kann aber der Körper nur in der Richtung A B herabrollen.
Um also die Geschwindigkeit des Herabrollens zu erhalten, müssen
wir die Kraft a b nach dem Kräfteparallelogramm zerlegen: wir er-
halten so a d als diejenige Kraft, mit welcher der Körper auf die
schiefe Ebene drückt und a c = b d als die Kraft, durch die er
herabrollt. Nun verhält sich A B : A D wie a b : b d, d. h. der Weg
A B, welchen der Körper auf der schiefen Ebene zurücklegt, verhält
sich zu dem Wege A D, welchen derselbe zurücklegen würde, wenn
er frei herabfallen könnte, umgekehrt wie die in beiden Fällen vor-
handene beschleunigende Kraft. Daraus ist zu folgern, dass der herab-
gerollte Körper, wenn er den Weg von A bis B zurückgelegt hat, die
nämliche Geschwindigkeit besitzt, die er besässe, wenn er frei von A
bis D herabgefallen wäre. Denn um so viel kleiner die beschleuni-
gende Kraft ist, die auf der schiefen Ebene wirkt, um so grösser ist
der Weg, auf welchem sie einwirkt. Verallgemeinend können wir
dies Resultat so aussprechen: wenn ein Körper durch die Schwere
eine bestimmte verticale Höhe herabkommt, so erhält er dadurch
immer dieselbe Geschwindigkeit, welches auch die Bahn sei, die er
dabei zurückgelegt hat.

Der Winkel d a b ist = a, die auf der schiefen Ebene in t Secunden erlangte
Geschwindigkeit ist daher v = g. sin. a. t, und der Fallraum s = [Formel 3] . sin. a. t2.

Die Bewegungen des Pendels sind nach den nämlichen Prin-55
Bewegungen
des Pendels.

cipien zu beurtheilen. Man versteht unter einem Pendel ein an einem
Faden oder einer Stange aufgehängtes Gewicht, welches um den Auf-
hängepunkt als Drehungsaxe schwingen kann. Setzt man voraus, dass
der Faden vollkommen gewichtslos sei, dass an der Drehungsaxe
keine Reibung stattfinde, und dass das Gewicht einen einzigen

Von den durch die Schwerkraft erzeugten Bewegungen der festen Körper.

Die Gesetze des Falls erfahren bestimmte Modificationen, wenn54
Fall auf der
schiefen Ebene.

die Körper nicht frei herabfallen können, sondern wenn ihnen entwe-
der, weil sie sich auf einer geneigten Unterlage befinden, oder weil
sie an einer Drehungsaxe befestigt sind, ein bestimmter Weg vorge-
zeichnet ist. Die Bewegung auf der schiefen Ebene und die Bewe-
gung des Pendels erfordert daher eine besondere Betrachtung.

[Abbildung] Fig. 32.

Ein auf einer schiefen Ebene A B
(Fig. 32) befindlicher Körper wird von derselben
um so schneller herabrollen, je grösser der Nei-
gungswinkel α der Ebene ist. Wenn die schiefe
Ebene nicht vorhanden wäre und der Körper
frei herabfallen könnte, so würde er in der ersten
Secunde den Weg a b = [Formel 1] zurücklegen, da [Formel 2] die Mittelgeschwin-
digkeit in der ersten Secunde ist (§. 24 u. 53). Wegen der schiefen
Ebene kann aber der Körper nur in der Richtung A B herabrollen.
Um also die Geschwindigkeit des Herabrollens zu erhalten, müssen
wir die Kraft a b nach dem Kräfteparallelogramm zerlegen: wir er-
halten so a d als diejenige Kraft, mit welcher der Körper auf die
schiefe Ebene drückt und a c = b d als die Kraft, durch die er
herabrollt. Nun verhält sich A B : A D wie a b : b d, d. h. der Weg
A B, welchen der Körper auf der schiefen Ebene zurücklegt, verhält
sich zu dem Wege A D, welchen derselbe zurücklegen würde, wenn
er frei herabfallen könnte, umgekehrt wie die in beiden Fällen vor-
handene beschleunigende Kraft. Daraus ist zu folgern, dass der herab-
gerollte Körper, wenn er den Weg von A bis B zurückgelegt hat, die
nämliche Geschwindigkeit besitzt, die er besässe, wenn er frei von A
bis D herabgefallen wäre. Denn um so viel kleiner die beschleuni-
gende Kraft ist, die auf der schiefen Ebene wirkt, um so grösser ist
der Weg, auf welchem sie einwirkt. Verallgemeinend können wir
dies Resultat so aussprechen: wenn ein Körper durch die Schwere
eine bestimmte verticale Höhe herabkommt, so erhält er dadurch
immer dieselbe Geschwindigkeit, welches auch die Bahn sei, die er
dabei zurückgelegt hat.

Der Winkel d a b ist = α, die auf der schiefen Ebene in t Secunden erlangte
Geschwindigkeit ist daher v = g. sin. α. t, und der Fallraum s = [Formel 3] . sin. α. t2.

Die Bewegungen des Pendels sind nach den nämlichen Prin-55
Bewegungen
des Pendels.

cipien zu beurtheilen. Man versteht unter einem Pendel ein an einem
Faden oder einer Stange aufgehängtes Gewicht, welches um den Auf-
hängepunkt als Drehungsaxe schwingen kann. Setzt man voraus, dass
der Faden vollkommen gewichtslos sei, dass an der Drehungsaxe
keine Reibung stattfinde, und dass das Gewicht einen einzigen

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[75/0097] Von den durch die Schwerkraft erzeugten Bewegungen der festen Körper. Die Gesetze des Falls erfahren bestimmte Modificationen, wenn die Körper nicht frei herabfallen können, sondern wenn ihnen entwe- der, weil sie sich auf einer geneigten Unterlage befinden, oder weil sie an einer Drehungsaxe befestigt sind, ein bestimmter Weg vorge- zeichnet ist. Die Bewegung auf der schiefen Ebene und die Bewe- gung des Pendels erfordert daher eine besondere Betrachtung. 54 Fall auf der schiefen Ebene. [Abbildung Fig. 32.] Ein auf einer schiefen Ebene A B (Fig. 32) befindlicher Körper wird von derselben um so schneller herabrollen, je grösser der Nei- gungswinkel α der Ebene ist. Wenn die schiefe Ebene nicht vorhanden wäre und der Körper frei herabfallen könnte, so würde er in der ersten Secunde den Weg a b = [FORMEL] zurücklegen, da [FORMEL] die Mittelgeschwin- digkeit in der ersten Secunde ist (§. 24 u. 53). Wegen der schiefen Ebene kann aber der Körper nur in der Richtung A B herabrollen. Um also die Geschwindigkeit des Herabrollens zu erhalten, müssen wir die Kraft a b nach dem Kräfteparallelogramm zerlegen: wir er- halten so a d als diejenige Kraft, mit welcher der Körper auf die schiefe Ebene drückt und a c = b d als die Kraft, durch die er herabrollt. Nun verhält sich A B : A D wie a b : b d, d. h. der Weg A B, welchen der Körper auf der schiefen Ebene zurücklegt, verhält sich zu dem Wege A D, welchen derselbe zurücklegen würde, wenn er frei herabfallen könnte, umgekehrt wie die in beiden Fällen vor- handene beschleunigende Kraft. Daraus ist zu folgern, dass der herab- gerollte Körper, wenn er den Weg von A bis B zurückgelegt hat, die nämliche Geschwindigkeit besitzt, die er besässe, wenn er frei von A bis D herabgefallen wäre. Denn um so viel kleiner die beschleuni- gende Kraft ist, die auf der schiefen Ebene wirkt, um so grösser ist der Weg, auf welchem sie einwirkt. Verallgemeinend können wir dies Resultat so aussprechen: wenn ein Körper durch die Schwere eine bestimmte verticale Höhe herabkommt, so erhält er dadurch immer dieselbe Geschwindigkeit, welches auch die Bahn sei, die er dabei zurückgelegt hat. Der Winkel d a b ist = α, die auf der schiefen Ebene in t Secunden erlangte Geschwindigkeit ist daher v = g. sin. α. t, und der Fallraum s = [FORMEL]. sin. α. t2. Die Bewegungen des Pendels sind nach den nämlichen Prin- cipien zu beurtheilen. Man versteht unter einem Pendel ein an einem Faden oder einer Stange aufgehängtes Gewicht, welches um den Auf- hängepunkt als Drehungsaxe schwingen kann. Setzt man voraus, dass der Faden vollkommen gewichtslos sei, dass an der Drehungsaxe keine Reibung stattfinde, und dass das Gewicht einen einzigen 55 Bewegungen des Pendels.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/97>, abgerufen am 29.03.2024.