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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper.
Durchmesser hat, die Kräfte bei a und b wirken in jedem Moment an
einem andern Hebel, und in jedem Moment stehen sie senkrecht auf
der Richtung des Hebels, an welchem sie wirken. Dieser Umstand,
dass sie streng genommen aus unendlich vielen Hebeln besteht, ver-
leiht der Rolle ihre technische Bedeutung. Wir gebrauchen sie überall,
wo es sich darum handelt eine Bewegungsrichtung in die ihr entgegen-
gesetzte umzuwandeln, wir ziehen z. B. an einem um die in der Höhe
befestigte Rolle geschlungenen Seil nach abwärts und fördern dadurch
eine Last nach aufwärts. Eine Verbindung mehrerer fester und be-
weglicher Rollen, der sogenannte Flaschenzug, dient dagegen als
zusammengesetzter Krafthebel. Wenn am Mittelpunkt einer ersten
[Abbildung] Fig. 31.
beweglichen Rolle c (Fig. 31) eine Last P an-
gehängt ist, und wir lassen an der Peripherie
einer zweiten festen Rolle eine Kraft K wirken,
so ist a c der Hebelarm von P, der Hebelarm
von K dagegen ist gleich dem Durchmesser
der beiden Rollen zusammengenommen. Es
lassen sich noch mehr solche Formen beweg-
licher und fester Rollen zu einer gemeinsamen
Hebelverbindung aneinanderreihen: mit zwei
Rollen hält man der 4fachen, mit 4 Rollen der
8fachen Last das Gleichgewicht u. s. w. Wie
die Rolle ist auch das Rad häufig ein Krafthebel. Aber öfter noch
dient es zur Gewinnung und Abänderung von Geschwindigkeiten. So
wird in unsern Uhrwerken theils grössere in kleinere theils kleinere
in grössere Geschwindigkeit übertragen, indem bald ein Zahnrad von
kleinerem Durchmesser in ein solches von grösserem Durchmesser,
bald ein Zahnrad von grösserem in ein solches von kleinerem Durch-
messer eingreift: die Abänderungen der Geschwindigkeiten verhalten
sich hierbei wie die Unterschiede in den Durchmessern der in einander
greifenden Räder; wo das grosse am kleinen Rad wirkt, ist das Sy-
stem Krafthebel, wo umgekehrt das kleine am grossen wirkt, ist es
Geschwindigkeitshebel.

Bei allen bisher betrachteten Gegenständen der Natur und der51
Schwerpunkt
des menschli-
chen Körpers.

Technik hatten wir es mit einer festen Lage des Schwerpunktes zu
thun. Auch beim menschlichen Körper haben wir eine solche voraus-
gesetzt, indem wir den Schwerpunkt bei derjenigen Lage seiner Theile
aufsuchten, die denselben in der Ruhe zukommt. Nun bietet aber
gerade der menschliche Körper in besonders hohem Maasse das Bei-
spiel eines Körpers mit beweglichem Schwerpunkt; wir wollen
daher die Bedingungen und die Bedeutung dieser Bewegungen des
Schwerpunktes hier noch kurz in's Auge fassen.

Durch jede Gestaltänderung eines Körpers wird auch im Allge-

Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper.
Durchmesser hat, die Kräfte bei a und b wirken in jedem Moment an
einem andern Hebel, und in jedem Moment stehen sie senkrecht auf
der Richtung des Hebels, an welchem sie wirken. Dieser Umstand,
dass sie streng genommen aus unendlich vielen Hebeln besteht, ver-
leiht der Rolle ihre technische Bedeutung. Wir gebrauchen sie überall,
wo es sich darum handelt eine Bewegungsrichtung in die ihr entgegen-
gesetzte umzuwandeln, wir ziehen z. B. an einem um die in der Höhe
befestigte Rolle geschlungenen Seil nach abwärts und fördern dadurch
eine Last nach aufwärts. Eine Verbindung mehrerer fester und be-
weglicher Rollen, der sogenannte Flaschenzug, dient dagegen als
zusammengesetzter Krafthebel. Wenn am Mittelpunkt einer ersten
[Abbildung] Fig. 31.
beweglichen Rolle c (Fig. 31) eine Last P an-
gehängt ist, und wir lassen an der Peripherie
einer zweiten festen Rolle eine Kraft K wirken,
so ist a c der Hebelarm von P, der Hebelarm
von K dagegen ist gleich dem Durchmesser
der beiden Rollen zusammengenommen. Es
lassen sich noch mehr solche Formen beweg-
licher und fester Rollen zu einer gemeinsamen
Hebelverbindung aneinanderreihen: mit zwei
Rollen hält man der 4fachen, mit 4 Rollen der
8fachen Last das Gleichgewicht u. s. w. Wie
die Rolle ist auch das Rad häufig ein Krafthebel. Aber öfter noch
dient es zur Gewinnung und Abänderung von Geschwindigkeiten. So
wird in unsern Uhrwerken theils grössere in kleinere theils kleinere
in grössere Geschwindigkeit übertragen, indem bald ein Zahnrad von
kleinerem Durchmesser in ein solches von grösserem Durchmesser,
bald ein Zahnrad von grösserem in ein solches von kleinerem Durch-
messer eingreift: die Abänderungen der Geschwindigkeiten verhalten
sich hierbei wie die Unterschiede in den Durchmessern der in einander
greifenden Räder; wo das grosse am kleinen Rad wirkt, ist das Sy-
stem Krafthebel, wo umgekehrt das kleine am grossen wirkt, ist es
Geschwindigkeitshebel.

Bei allen bisher betrachteten Gegenständen der Natur und der51
Schwerpunkt
des menschli-
chen Körpers.

Technik hatten wir es mit einer festen Lage des Schwerpunktes zu
thun. Auch beim menschlichen Körper haben wir eine solche voraus-
gesetzt, indem wir den Schwerpunkt bei derjenigen Lage seiner Theile
aufsuchten, die denselben in der Ruhe zukommt. Nun bietet aber
gerade der menschliche Körper in besonders hohem Maasse das Bei-
spiel eines Körpers mit beweglichem Schwerpunkt; wir wollen
daher die Bedingungen und die Bedeutung dieser Bewegungen des
Schwerpunktes hier noch kurz in’s Auge fassen.

Durch jede Gestaltänderung eines Körpers wird auch im Allge-

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[71/0093] Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper. Durchmesser hat, die Kräfte bei a und b wirken in jedem Moment an einem andern Hebel, und in jedem Moment stehen sie senkrecht auf der Richtung des Hebels, an welchem sie wirken. Dieser Umstand, dass sie streng genommen aus unendlich vielen Hebeln besteht, ver- leiht der Rolle ihre technische Bedeutung. Wir gebrauchen sie überall, wo es sich darum handelt eine Bewegungsrichtung in die ihr entgegen- gesetzte umzuwandeln, wir ziehen z. B. an einem um die in der Höhe befestigte Rolle geschlungenen Seil nach abwärts und fördern dadurch eine Last nach aufwärts. Eine Verbindung mehrerer fester und be- weglicher Rollen, der sogenannte Flaschenzug, dient dagegen als zusammengesetzter Krafthebel. Wenn am Mittelpunkt einer ersten [Abbildung Fig. 31.] beweglichen Rolle c (Fig. 31) eine Last P an- gehängt ist, und wir lassen an der Peripherie einer zweiten festen Rolle eine Kraft K wirken, so ist a c der Hebelarm von P, der Hebelarm von K dagegen ist gleich dem Durchmesser der beiden Rollen zusammengenommen. Es lassen sich noch mehr solche Formen beweg- licher und fester Rollen zu einer gemeinsamen Hebelverbindung aneinanderreihen: mit zwei Rollen hält man der 4fachen, mit 4 Rollen der 8fachen Last das Gleichgewicht u. s. w. Wie die Rolle ist auch das Rad häufig ein Krafthebel. Aber öfter noch dient es zur Gewinnung und Abänderung von Geschwindigkeiten. So wird in unsern Uhrwerken theils grössere in kleinere theils kleinere in grössere Geschwindigkeit übertragen, indem bald ein Zahnrad von kleinerem Durchmesser in ein solches von grösserem Durchmesser, bald ein Zahnrad von grösserem in ein solches von kleinerem Durch- messer eingreift: die Abänderungen der Geschwindigkeiten verhalten sich hierbei wie die Unterschiede in den Durchmessern der in einander greifenden Räder; wo das grosse am kleinen Rad wirkt, ist das Sy- stem Krafthebel, wo umgekehrt das kleine am grossen wirkt, ist es Geschwindigkeitshebel. Bei allen bisher betrachteten Gegenständen der Natur und der Technik hatten wir es mit einer festen Lage des Schwerpunktes zu thun. Auch beim menschlichen Körper haben wir eine solche voraus- gesetzt, indem wir den Schwerpunkt bei derjenigen Lage seiner Theile aufsuchten, die denselben in der Ruhe zukommt. Nun bietet aber gerade der menschliche Körper in besonders hohem Maasse das Bei- spiel eines Körpers mit beweglichem Schwerpunkt; wir wollen daher die Bedingungen und die Bedeutung dieser Bewegungen des Schwerpunktes hier noch kurz in’s Auge fassen. 51 Schwerpunkt des menschli- chen Körpers. Durch jede Gestaltänderung eines Körpers wird auch im Allge-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/93>, abgerufen am 16.04.2024.