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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Allgemeine Eigenschaften der festen Körper.
Körper in diesem Fall, und ebenso wenn man ihn rasch zusammengedrückt hat, Longi-
tudinalschwingungen vollführt, so führt er nach einer Biegung Transversalschwingungen
und nach einer Torsion drehende Schwingungen aus. Aus dem Schwingungsgesetz
(§. 29) ergibt sich aber, dass die Schwingungsdauer der Quadratwurzel der elastischen
Kraft umgekehrt proportional ist. Statt also aus der Drehung, Biegung oder Ver-
längerung kann man auch aus der Geschwindigkeit, mit welcher ein Körper um seine
Gleichgewichtslage schwingt, wenn die dehnende, biegende oder drehende Kraft rasch
nachlässt, auf die Grösse seiner Elasticität schliessen.

Um ein Maass für die Vollkommenheit der Elasticität zu gewin-
nen, ermittelt man dasjenige Gewicht, welches an einem Körper von
der Einheit des Querschnitts eine eben merkbare bleibende Formver-
änderung hervorbringt. Man bezeichnet dieses Gewicht als die Ela-
sticitätsgrenze
. Die Bestimmungen der Elasticitätsgrenze sind
übrigens ziemlich schwankend, da man bei feineren Messungsmethoden
leicht bleibende Formänderungen noch bemerken kann, die sonst der
Beobachtung entgehen.

Jeder Körper vermindert, wenn er gedehnt wird, seine Dichtig-
keit, indem sein Volum zunimmt. Die Verkleinerung des Querschnitts
bei der Dehnung ist nämlich nicht so gross als der Längenänderung
entspricht. Das genauere Verhältniss der Quercontraction zur Längen-
ausdehnung ist aber noch nicht sicher ermittelt, nach Einigen ist die
erstere 1/4, nach Andern 1/3 der letzteren; es scheint sogar, dass nicht
für alle Substanzen das nämliche Verhältniss besteht. Beim Zusam-
mendrücken der Körper nimmt umgekehrt das Volum ab und in Folge
dessen die Dichtigkeit zu. Die Physiologie kennt einen Fall, in wel-
chem ein Körper sich selbst zusammendrückt: die Contraction der
Muskeln; in der That hat man auch hier eine geringe Volumverän-
derung beobachtet.

Bei den sehr dehnbaren elastischen Körpern, wie dem Kautschuk
und den meisten thierischen Geweben, bei welchen schon innerhalb
geringer Belastungsgrenzen die Verlängerungen den Dehnungen nicht
mehr proportional sind, hat man gefunden, dass das weitere Gesetz
der Dehnungen durch eine Hyperbel sich darstellen lasse. Diese Kör-
per zeigen zugleich die in schwächerem Grade wahrscheinlich bei
allen Körpern vorkommende Erscheinung, dass sie, wenn man das
dehnende Gewicht längere Zeit einwirken lässt, noch eine geringe
nachträgliche Dehnung erfahren, die sehr lange andauert. Diese nach-
trägliche Dehnung wird als elastische Nachwirkung bezeichnet.

Zweites Capitel.
Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper.

Alle Körper üben als ganze Massen in die Ferne wirkende Kräfte47
Gewicht. Rich-
tung der
Schwere.

auf einander aus. Die festen Körper verändern durch diese Kräfte

Wundt, medicin. Physik. 5

Allgemeine Eigenschaften der festen Körper.
Körper in diesem Fall, und ebenso wenn man ihn rasch zusammengedrückt hat, Longi-
tudinalschwingungen vollführt, so führt er nach einer Biegung Transversalschwingungen
und nach einer Torsion drehende Schwingungen aus. Aus dem Schwingungsgesetz
(§. 29) ergibt sich aber, dass die Schwingungsdauer der Quadratwurzel der elastischen
Kraft umgekehrt proportional ist. Statt also aus der Drehung, Biegung oder Ver-
längerung kann man auch aus der Geschwindigkeit, mit welcher ein Körper um seine
Gleichgewichtslage schwingt, wenn die dehnende, biegende oder drehende Kraft rasch
nachlässt, auf die Grösse seiner Elasticität schliessen.

Um ein Maass für die Vollkommenheit der Elasticität zu gewin-
nen, ermittelt man dasjenige Gewicht, welches an einem Körper von
der Einheit des Querschnitts eine eben merkbare bleibende Formver-
änderung hervorbringt. Man bezeichnet dieses Gewicht als die Ela-
sticitätsgrenze
. Die Bestimmungen der Elasticitätsgrenze sind
übrigens ziemlich schwankend, da man bei feineren Messungsmethoden
leicht bleibende Formänderungen noch bemerken kann, die sonst der
Beobachtung entgehen.

Jeder Körper vermindert, wenn er gedehnt wird, seine Dichtig-
keit, indem sein Volum zunimmt. Die Verkleinerung des Querschnitts
bei der Dehnung ist nämlich nicht so gross als der Längenänderung
entspricht. Das genauere Verhältniss der Quercontraction zur Längen-
ausdehnung ist aber noch nicht sicher ermittelt, nach Einigen ist die
erstere ¼, nach Andern ⅓ der letzteren; es scheint sogar, dass nicht
für alle Substanzen das nämliche Verhältniss besteht. Beim Zusam-
mendrücken der Körper nimmt umgekehrt das Volum ab und in Folge
dessen die Dichtigkeit zu. Die Physiologie kennt einen Fall, in wel-
chem ein Körper sich selbst zusammendrückt: die Contraction der
Muskeln; in der That hat man auch hier eine geringe Volumverän-
derung beobachtet.

Bei den sehr dehnbaren elastischen Körpern, wie dem Kautschuk
und den meisten thierischen Geweben, bei welchen schon innerhalb
geringer Belastungsgrenzen die Verlängerungen den Dehnungen nicht
mehr proportional sind, hat man gefunden, dass das weitere Gesetz
der Dehnungen durch eine Hyperbel sich darstellen lasse. Diese Kör-
per zeigen zugleich die in schwächerem Grade wahrscheinlich bei
allen Körpern vorkommende Erscheinung, dass sie, wenn man das
dehnende Gewicht längere Zeit einwirken lässt, noch eine geringe
nachträgliche Dehnung erfahren, die sehr lange andauert. Diese nach-
trägliche Dehnung wird als elastische Nachwirkung bezeichnet.

Zweites Capitel.
Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper.

Alle Körper üben als ganze Massen in die Ferne wirkende Kräfte47
Gewicht. Rich-
tung der
Schwere.

auf einander aus. Die festen Körper verändern durch diese Kräfte

Wundt, medicin. Physik. 5
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[65/0087] Allgemeine Eigenschaften der festen Körper. Körper in diesem Fall, und ebenso wenn man ihn rasch zusammengedrückt hat, Longi- tudinalschwingungen vollführt, so führt er nach einer Biegung Transversalschwingungen und nach einer Torsion drehende Schwingungen aus. Aus dem Schwingungsgesetz (§. 29) ergibt sich aber, dass die Schwingungsdauer der Quadratwurzel der elastischen Kraft umgekehrt proportional ist. Statt also aus der Drehung, Biegung oder Ver- längerung kann man auch aus der Geschwindigkeit, mit welcher ein Körper um seine Gleichgewichtslage schwingt, wenn die dehnende, biegende oder drehende Kraft rasch nachlässt, auf die Grösse seiner Elasticität schliessen. Um ein Maass für die Vollkommenheit der Elasticität zu gewin- nen, ermittelt man dasjenige Gewicht, welches an einem Körper von der Einheit des Querschnitts eine eben merkbare bleibende Formver- änderung hervorbringt. Man bezeichnet dieses Gewicht als die Ela- sticitätsgrenze. Die Bestimmungen der Elasticitätsgrenze sind übrigens ziemlich schwankend, da man bei feineren Messungsmethoden leicht bleibende Formänderungen noch bemerken kann, die sonst der Beobachtung entgehen. Jeder Körper vermindert, wenn er gedehnt wird, seine Dichtig- keit, indem sein Volum zunimmt. Die Verkleinerung des Querschnitts bei der Dehnung ist nämlich nicht so gross als der Längenänderung entspricht. Das genauere Verhältniss der Quercontraction zur Längen- ausdehnung ist aber noch nicht sicher ermittelt, nach Einigen ist die erstere ¼, nach Andern ⅓ der letzteren; es scheint sogar, dass nicht für alle Substanzen das nämliche Verhältniss besteht. Beim Zusam- mendrücken der Körper nimmt umgekehrt das Volum ab und in Folge dessen die Dichtigkeit zu. Die Physiologie kennt einen Fall, in wel- chem ein Körper sich selbst zusammendrückt: die Contraction der Muskeln; in der That hat man auch hier eine geringe Volumverän- derung beobachtet. Bei den sehr dehnbaren elastischen Körpern, wie dem Kautschuk und den meisten thierischen Geweben, bei welchen schon innerhalb geringer Belastungsgrenzen die Verlängerungen den Dehnungen nicht mehr proportional sind, hat man gefunden, dass das weitere Gesetz der Dehnungen durch eine Hyperbel sich darstellen lasse. Diese Kör- per zeigen zugleich die in schwächerem Grade wahrscheinlich bei allen Körpern vorkommende Erscheinung, dass sie, wenn man das dehnende Gewicht längere Zeit einwirken lässt, noch eine geringe nachträgliche Dehnung erfahren, die sehr lange andauert. Diese nach- trägliche Dehnung wird als elastische Nachwirkung bezeichnet. Zweites Capitel. Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper. Alle Körper üben als ganze Massen in die Ferne wirkende Kräfte auf einander aus. Die festen Körper verändern durch diese Kräfte 47 Gewicht. Rich- tung der Schwere. Wundt, medicin. Physik. 5

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/87>, abgerufen am 28.03.2024.