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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von der Schwere.
I. Physik der festen Körper.
Erstes Capitel.
Allgemeine Eigenschaften der festen Körper.

45
Cohäsion.
Festigkeit.

Die beiden wesentlichsten Eigenschaften der festen Körper sind
die Cohäsion und die Elasticität. Auf ihrer beträchtlichen Co-
häsion beruht jenes bei der vergleichenden Erörterung der Aggregat-
zustände (§. 15) hervorgehobene Hauptmerkmal der festen Körper,
dass sie zusammenhängende Ganze von bestimmter Form bilden, und
nur durch ziemlich bedeutende äussere Kräfte ihre Form verändern
oder gar ihren Zusammenhang verlieren. Auf der Elasticität beruht
die mit der vorigen in Verbindung stehende Eigenschaft, dass die Kör-
per einer äusseren Kraft einen derselben an Grösse gleichen Wider-
stand entgegensetzen, durch den sie, wenn die Kraft aufhört zu wir-
ken, wieder ihre ursprüngliche Form annehmen.

Da die Cohäsion die Eigenschaft eines Körpers zusammenzu-
halten
bezeichnet, so wird allgemein die Grösse der Cohäsionskraft
durch die Grösse derjenigen äusseren Kraft gemessen, welche den
Zusammenhang der Theilchen eines Körpers aufzuheben vermag. Häu-
fig bezeichnet man die Cohäsion auch als die Festigkeit der Kör-
per, und man unterscheidet eben so viele Arten der Festigkeit, als es
Arten der Einwirkung äusserer Kräfte giebt, durch welche der Zu-
sammenhang der Körper getrennt werden kann. So giebt es eine
Zugfestigkeit, auch absolute Festigkeit, eine Bruchfestigkeit,
auch relative Festigkeit genannt, und eine rückwirkende Festig-
keit
, worunter man diejenige Kraft versteht, die ein Körper dem
Zerdrücken entgegensetzt. Diese drei Arten von Festigkeit verhalten
sich durchaus verschieden. So hat z. B. das Glas eine viel grössere
Zugfestigkeit als Kautschuk, aber seine relative und rückwirkende
Festigkeit sind weit geringer. Als gewöhnliches Maass der Cohäsions-
kraft gilt die Zugfestigkeit. Da die Kraft, welche ein Körper dem
Zerreissen entgegensetzt, proportional der Grösse seines Querschnitts
zunimmt, so drückt man gewöhnlich die Cohäsion durch dasjenige
Gewicht aus, welches einen Körper von 1 Quadratmillimeter Quer-
schnitt zu zerreissen im Stande ist. Die nach diesem Maass bestimmte
Cohäsionskraft zeigt sehr grosse Unterschiede bei verschiedenen Na-
turkörpern. Während sie z. B. beim gezogenen Gussstahl 80 Kilogr.
beträgt, ist sie beim Blei nicht grösser als 2 Kilogr. Unter den
Geweben des menschlichen Körpers zeigen die Knochen und Sehnen
die grösste Zugfestigkeit (7,7 und 6,9), während dieselbe bei den
Muskeln bis auf 0,054 Kilogr. sinkt.


Von der Schwere.
I. Physik der festen Körper.
Erstes Capitel.
Allgemeine Eigenschaften der festen Körper.

45
Cohäsion.
Festigkeit.

Die beiden wesentlichsten Eigenschaften der festen Körper sind
die Cohäsion und die Elasticität. Auf ihrer beträchtlichen Co-
häsion beruht jenes bei der vergleichenden Erörterung der Aggregat-
zustände (§. 15) hervorgehobene Hauptmerkmal der festen Körper,
dass sie zusammenhängende Ganze von bestimmter Form bilden, und
nur durch ziemlich bedeutende äussere Kräfte ihre Form verändern
oder gar ihren Zusammenhang verlieren. Auf der Elasticität beruht
die mit der vorigen in Verbindung stehende Eigenschaft, dass die Kör-
per einer äusseren Kraft einen derselben an Grösse gleichen Wider-
stand entgegensetzen, durch den sie, wenn die Kraft aufhört zu wir-
ken, wieder ihre ursprüngliche Form annehmen.

Da die Cohäsion die Eigenschaft eines Körpers zusammenzu-
halten
bezeichnet, so wird allgemein die Grösse der Cohäsionskraft
durch die Grösse derjenigen äusseren Kraft gemessen, welche den
Zusammenhang der Theilchen eines Körpers aufzuheben vermag. Häu-
fig bezeichnet man die Cohäsion auch als die Festigkeit der Kör-
per, und man unterscheidet eben so viele Arten der Festigkeit, als es
Arten der Einwirkung äusserer Kräfte giebt, durch welche der Zu-
sammenhang der Körper getrennt werden kann. So giebt es eine
Zugfestigkeit, auch absolute Festigkeit, eine Bruchfestigkeit,
auch relative Festigkeit genannt, und eine rückwirkende Festig-
keit
, worunter man diejenige Kraft versteht, die ein Körper dem
Zerdrücken entgegensetzt. Diese drei Arten von Festigkeit verhalten
sich durchaus verschieden. So hat z. B. das Glas eine viel grössere
Zugfestigkeit als Kautschuk, aber seine relative und rückwirkende
Festigkeit sind weit geringer. Als gewöhnliches Maass der Cohäsions-
kraft gilt die Zugfestigkeit. Da die Kraft, welche ein Körper dem
Zerreissen entgegensetzt, proportional der Grösse seines Querschnitts
zunimmt, so drückt man gewöhnlich die Cohäsion durch dasjenige
Gewicht aus, welches einen Körper von 1 Quadratmillimeter Quer-
schnitt zu zerreissen im Stande ist. Die nach diesem Maass bestimmte
Cohäsionskraft zeigt sehr grosse Unterschiede bei verschiedenen Na-
turkörpern. Während sie z. B. beim gezogenen Gussstahl 80 Kilogr.
beträgt, ist sie beim Blei nicht grösser als 2 Kilogr. Unter den
Geweben des menschlichen Körpers zeigen die Knochen und Sehnen
die grösste Zugfestigkeit (7,7 und 6,9), während dieselbe bei den
Muskeln bis auf 0,054 Kilogr. sinkt.


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[62/0084] Von der Schwere. I. Physik der festen Körper. Erstes Capitel. Allgemeine Eigenschaften der festen Körper. Die beiden wesentlichsten Eigenschaften der festen Körper sind die Cohäsion und die Elasticität. Auf ihrer beträchtlichen Co- häsion beruht jenes bei der vergleichenden Erörterung der Aggregat- zustände (§. 15) hervorgehobene Hauptmerkmal der festen Körper, dass sie zusammenhängende Ganze von bestimmter Form bilden, und nur durch ziemlich bedeutende äussere Kräfte ihre Form verändern oder gar ihren Zusammenhang verlieren. Auf der Elasticität beruht die mit der vorigen in Verbindung stehende Eigenschaft, dass die Kör- per einer äusseren Kraft einen derselben an Grösse gleichen Wider- stand entgegensetzen, durch den sie, wenn die Kraft aufhört zu wir- ken, wieder ihre ursprüngliche Form annehmen. Da die Cohäsion die Eigenschaft eines Körpers zusammenzu- halten bezeichnet, so wird allgemein die Grösse der Cohäsionskraft durch die Grösse derjenigen äusseren Kraft gemessen, welche den Zusammenhang der Theilchen eines Körpers aufzuheben vermag. Häu- fig bezeichnet man die Cohäsion auch als die Festigkeit der Kör- per, und man unterscheidet eben so viele Arten der Festigkeit, als es Arten der Einwirkung äusserer Kräfte giebt, durch welche der Zu- sammenhang der Körper getrennt werden kann. So giebt es eine Zugfestigkeit, auch absolute Festigkeit, eine Bruchfestigkeit, auch relative Festigkeit genannt, und eine rückwirkende Festig- keit, worunter man diejenige Kraft versteht, die ein Körper dem Zerdrücken entgegensetzt. Diese drei Arten von Festigkeit verhalten sich durchaus verschieden. So hat z. B. das Glas eine viel grössere Zugfestigkeit als Kautschuk, aber seine relative und rückwirkende Festigkeit sind weit geringer. Als gewöhnliches Maass der Cohäsions- kraft gilt die Zugfestigkeit. Da die Kraft, welche ein Körper dem Zerreissen entgegensetzt, proportional der Grösse seines Querschnitts zunimmt, so drückt man gewöhnlich die Cohäsion durch dasjenige Gewicht aus, welches einen Körper von 1 Quadratmillimeter Quer- schnitt zu zerreissen im Stande ist. Die nach diesem Maass bestimmte Cohäsionskraft zeigt sehr grosse Unterschiede bei verschiedenen Na- turkörpern. Während sie z. B. beim gezogenen Gussstahl 80 Kilogr. beträgt, ist sie beim Blei nicht grösser als 2 Kilogr. Unter den Geweben des menschlichen Körpers zeigen die Knochen und Sehnen die grösste Zugfestigkeit (7,7 und 6,9), während dieselbe bei den Muskeln bis auf 0,054 Kilogr. sinkt.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/84>, abgerufen am 18.04.2024.