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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
[Abbildung] Fig. 24.
(Fig. 24), die wir uns etwa als
den von zwei sehr nahe bei
einander gelegenen linearen Wel-
len p a und p' b begrenzten
Theil einer Kugelwelle denken
können, treffe in schräger Rich-
tung auf die ein dichteres Me-
dium begrenzende Wand v w.
Fassen wir den Zeitpunkt in's
Auge, in welchem der Theil
p' b der Ebene gerade an v w
auftrifft, so ist im selben Moment
der Theil p bis a fortgeschritten,
und wenn wir zwischen a und b
eine Verbindungslinie ziehen, so
steht diese auf der Richtung der Linie p a und p' b senkrecht. Wäh-
rend nun p a bis c weiter schreitet, hat p' b bereits in dem dichteren
Medium eine Strecke b d zurückgelegt. Diese Strecke b d muss im
selben Maass kleiner als a c sein, in welchem die Fortpflanzungsge-
schwindigkeit in dem zweiten Medium kleiner als im ersten ist. Die
Verbindungslinie der beiden fortgeschrittensten Punkte c und d ist
daher nicht mit a b parallel. Dagegen gehen von nun an die beiden
Wellenlinien, da sie sich jetzt im selben Medium befinden, wieder mit
gleicher Geschwindigkeit vorwärts. In einem dritten Moment wird
also die Wellenebene bis e f, welches wieder zu c d parallel ist, fort-
geschritten sein. Man sieht hieraus, dass jede auf ein dichteres Me-
dium treffende Wellenebene an der Begrenzungsfläche eine Ablenkung
ihrer Richtung erfährt. Es ist nun klar, dass diese Ablenkung der
ganzen Wellenebene aus den Ablenkungen der einzelnen Wellenlinien,
aus denen sie besteht, sich zusammensetzen muss. Irgend eine Wel-
lenlinie, die im ersten Medium die Richtung m n hat, wird also im
zweiten Medium in der Richtung n o weitergehen. Man bezeichnet
diese Ablenkung der Welle als Brechung. Errichten wir wieder in
dem Punkte n, an welchem die Welle m n auftrifft, eine Senkrechte
s t als Einfallsloth, so wird die Welle m n so gebrochen, dass der
Winkel t n o kleiner als der Winkel s n m ist, d. h. beim Ueber-
gang in ein dichteres Medium wird jede Welle, die mit dem Einfallsloth
einen Winkel bildet, so gebrochen dass sie sich dem Einfallsloth nähert.

Es ist nun leicht einzusehen, dass gerade der umgekehrte Erfolg
eintritt, wenn die Welle aus einem dichteren in ein dünneres Medium
übergeht. In diesem Fall hat nämlich der Theil p' b (Fig 25) der
Wellenebene schon den Weg b d in dem dünneren Medium zurück-
gelegt, bis der Theil p a bei c auf dasselbe auftrifft. Eine Wellen-
linie m n hat also nach der Brechung die Richtung n o, d. h. die

Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
[Abbildung] Fig. 24.
(Fig. 24), die wir uns etwa als
den von zwei sehr nahe bei
einander gelegenen linearen Wel-
len p a und p' b begrenzten
Theil einer Kugelwelle denken
können, treffe in schräger Rich-
tung auf die ein dichteres Me-
dium begrenzende Wand v w.
Fassen wir den Zeitpunkt in’s
Auge, in welchem der Theil
p' b der Ebene gerade an v w
auftrifft, so ist im selben Moment
der Theil p bis a fortgeschritten,
und wenn wir zwischen a und b
eine Verbindungslinie ziehen, so
steht diese auf der Richtung der Linie p a und p' b senkrecht. Wäh-
rend nun p a bis c weiter schreitet, hat p' b bereits in dem dichteren
Medium eine Strecke b d zurückgelegt. Diese Strecke b d muss im
selben Maass kleiner als a c sein, in welchem die Fortpflanzungsge-
schwindigkeit in dem zweiten Medium kleiner als im ersten ist. Die
Verbindungslinie der beiden fortgeschrittensten Punkte c und d ist
daher nicht mit a b parallel. Dagegen gehen von nun an die beiden
Wellenlinien, da sie sich jetzt im selben Medium befinden, wieder mit
gleicher Geschwindigkeit vorwärts. In einem dritten Moment wird
also die Wellenebene bis e f, welches wieder zu c d parallel ist, fort-
geschritten sein. Man sieht hieraus, dass jede auf ein dichteres Me-
dium treffende Wellenebene an der Begrenzungsfläche eine Ablenkung
ihrer Richtung erfährt. Es ist nun klar, dass diese Ablenkung der
ganzen Wellenebene aus den Ablenkungen der einzelnen Wellenlinien,
aus denen sie besteht, sich zusammensetzen muss. Irgend eine Wel-
lenlinie, die im ersten Medium die Richtung m n hat, wird also im
zweiten Medium in der Richtung n o weitergehen. Man bezeichnet
diese Ablenkung der Welle als Brechung. Errichten wir wieder in
dem Punkte n, an welchem die Welle m n auftrifft, eine Senkrechte
s t als Einfallsloth, so wird die Welle m n so gebrochen, dass der
Winkel t n o kleiner als der Winkel s n m ist, d. h. beim Ueber-
gang in ein dichteres Medium wird jede Welle, die mit dem Einfallsloth
einen Winkel bildet, so gebrochen dass sie sich dem Einfallsloth nähert.

Es ist nun leicht einzusehen, dass gerade der umgekehrte Erfolg
eintritt, wenn die Welle aus einem dichteren in ein dünneres Medium
übergeht. In diesem Fall hat nämlich der Theil p' b (Fig 25) der
Wellenebene schon den Weg b d in dem dünneren Medium zurück-
gelegt, bis der Theil p a bei c auf dasselbe auftrifft. Eine Wellen-
linie m n hat also nach der Brechung die Richtung n o, d. h. die

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[58/0080] Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. [Abbildung Fig. 24.] (Fig. 24), die wir uns etwa als den von zwei sehr nahe bei einander gelegenen linearen Wel- len p a und p' b begrenzten Theil einer Kugelwelle denken können, treffe in schräger Rich- tung auf die ein dichteres Me- dium begrenzende Wand v w. Fassen wir den Zeitpunkt in’s Auge, in welchem der Theil p' b der Ebene gerade an v w auftrifft, so ist im selben Moment der Theil p bis a fortgeschritten, und wenn wir zwischen a und b eine Verbindungslinie ziehen, so steht diese auf der Richtung der Linie p a und p' b senkrecht. Wäh- rend nun p a bis c weiter schreitet, hat p' b bereits in dem dichteren Medium eine Strecke b d zurückgelegt. Diese Strecke b d muss im selben Maass kleiner als a c sein, in welchem die Fortpflanzungsge- schwindigkeit in dem zweiten Medium kleiner als im ersten ist. Die Verbindungslinie der beiden fortgeschrittensten Punkte c und d ist daher nicht mit a b parallel. Dagegen gehen von nun an die beiden Wellenlinien, da sie sich jetzt im selben Medium befinden, wieder mit gleicher Geschwindigkeit vorwärts. In einem dritten Moment wird also die Wellenebene bis e f, welches wieder zu c d parallel ist, fort- geschritten sein. Man sieht hieraus, dass jede auf ein dichteres Me- dium treffende Wellenebene an der Begrenzungsfläche eine Ablenkung ihrer Richtung erfährt. Es ist nun klar, dass diese Ablenkung der ganzen Wellenebene aus den Ablenkungen der einzelnen Wellenlinien, aus denen sie besteht, sich zusammensetzen muss. Irgend eine Wel- lenlinie, die im ersten Medium die Richtung m n hat, wird also im zweiten Medium in der Richtung n o weitergehen. Man bezeichnet diese Ablenkung der Welle als Brechung. Errichten wir wieder in dem Punkte n, an welchem die Welle m n auftrifft, eine Senkrechte s t als Einfallsloth, so wird die Welle m n so gebrochen, dass der Winkel t n o kleiner als der Winkel s n m ist, d. h. beim Ueber- gang in ein dichteres Medium wird jede Welle, die mit dem Einfallsloth einen Winkel bildet, so gebrochen dass sie sich dem Einfallsloth nähert. Es ist nun leicht einzusehen, dass gerade der umgekehrte Erfolg eintritt, wenn die Welle aus einem dichteren in ein dünneres Medium übergeht. In diesem Fall hat nämlich der Theil p' b (Fig 25) der Wellenebene schon den Weg b d in dem dünneren Medium zurück- gelegt, bis der Theil p a bei c auf dasselbe auftrifft. Eine Wellen- linie m n hat also nach der Brechung die Richtung n o, d. h. die

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/80>, abgerufen am 20.04.2024.