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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
als Bewegungen dieser unwägbaren Atome sich nachweisen. Dagegen
werden die Erscheinungen der Elektricität und des Magnetismus aus
einer andern oder vielmehr aus zwei andern unwägbaren Materien,
den beiden elektrischen Flüssigkeiten, hergeleitet, die man sich als
continuirlich den Raum erfüllend vorstellen kann, weil bis jetzt noch
keine Thatsachen gefunden sind, welche uns nöthigten, auch diese
Materien in Atome zu sondern. Es mag also sein, dass die elektri-
schen Flüssigkeiten den Raum einnehmen, welcher zwischen den wäg-
baren und den Aetheratomen noch frei ist; vielleicht aber gelingt es
auch mit der Zeit noch darzuthun, dass es nicht erforderlich ist, für
die elektrischen Erscheinungen eine besondere Materie ausser dem
Aether und der wägbaren Masse vorauszusetzen. Die Beobachtung
spricht dafür, dass sowohl der Aether als die elektrischen Flüssigkei-
ten immer gebunden sind an wägbare Materie, oder dass sie wenig-
stens in dieser in grösserer Dichte sich anhäufen. Man muss daher
der wägbaren Materie eine Anziehungskraft gegen die unwägbare zu-
schreiben. Was insbesondere den Aether betrifft, so wird dessen Ver-
halten zu den wägbaren Atomen folgendes sein müssen. Jedes wäg-
bare Atom ist, da es den Aether anzieht, von einer Hülle aus Aether-
atomen umgeben. Die Dichte dieser Hülle nimmt aber, da die Aether-
atome selber sich abstossen, von innen nach aussen hin ab.

Die abstossenden Kräfte der Aetheratome sind ausschliesslich
Molecularkräfte; sie wirken nicht in die Ferne. Man nimmt daher an,
dass die Intensität dieser in kleinen Abständen sehr bedeutenden
Kräfte so rasch abnimmt, dass sie in merklichen Entfernungen ver-
schwindet. Die anziehenden Kräfte der wägbaren Atome aber wirken
in die Ferne. Jeder Körper übt daher als wägbare Masse auf andere
Körper eine Anziehung, deren Stärke im umgekehrten Verhältnisse des
Quadrates der Entfernung steht. Wir haben grossartige Beispiele die-
ser Fernewirkungen wägbarer Körper in den Bewegungen der Him-
melskörper vor Augen; wir sehen täglich solche Beispiele bei dem Fal-
len der irdischen Körper, und selbst das Gewicht dieser Körper beruht
aut einer Wirkung in die Ferne, auf der gegenseitigen Anziehung,
welche zwischen ihnen und dem Erdkörper stattfindet.

Wir haben schon früher (§. 9. Anm.) angegeben, dass die Wirkung, welche zwei
Massen m und m', die sich in einer gegenseitigen Entfernung r befinden, auf einander
ausüben, durch den Bruch [Formel 1] ausgedrückt wird. Für die Planetenbewegungen ist
dieses allgemeine Gesetz der Massenanziehung schon seit langer Zeit auf astrono-
mischem Wege bestätigt worden. Dass dasselbe auch für je zwei irdische Körper
gültig ist, hat Cavendish nachgewiesen, indem er zeigte, dass eine grosse Bleimasse
auf eine kleine metallene Kugel anziehend wirkte und dadurch einen empfindlichen
Hebel, an welchem diese Kugel befestigt war, in Bewegung setzte.

Ein stetiger Fortschritt zur Vereinfachung der Ansichten über die Constitution

Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
als Bewegungen dieser unwägbaren Atome sich nachweisen. Dagegen
werden die Erscheinungen der Elektricität und des Magnetismus aus
einer andern oder vielmehr aus zwei andern unwägbaren Materien,
den beiden elektrischen Flüssigkeiten, hergeleitet, die man sich als
continuirlich den Raum erfüllend vorstellen kann, weil bis jetzt noch
keine Thatsachen gefunden sind, welche uns nöthigten, auch diese
Materien in Atome zu sondern. Es mag also sein, dass die elektri-
schen Flüssigkeiten den Raum einnehmen, welcher zwischen den wäg-
baren und den Aetheratomen noch frei ist; vielleicht aber gelingt es
auch mit der Zeit noch darzuthun, dass es nicht erforderlich ist, für
die elektrischen Erscheinungen eine besondere Materie ausser dem
Aether und der wägbaren Masse vorauszusetzen. Die Beobachtung
spricht dafür, dass sowohl der Aether als die elektrischen Flüssigkei-
ten immer gebunden sind an wägbare Materie, oder dass sie wenig-
stens in dieser in grösserer Dichte sich anhäufen. Man muss daher
der wägbaren Materie eine Anziehungskraft gegen die unwägbare zu-
schreiben. Was insbesondere den Aether betrifft, so wird dessen Ver-
halten zu den wägbaren Atomen folgendes sein müssen. Jedes wäg-
bare Atom ist, da es den Aether anzieht, von einer Hülle aus Aether-
atomen umgeben. Die Dichte dieser Hülle nimmt aber, da die Aether-
atome selber sich abstossen, von innen nach aussen hin ab.

Die abstossenden Kräfte der Aetheratome sind ausschliesslich
Molecularkräfte; sie wirken nicht in die Ferne. Man nimmt daher an,
dass die Intensität dieser in kleinen Abständen sehr bedeutenden
Kräfte so rasch abnimmt, dass sie in merklichen Entfernungen ver-
schwindet. Die anziehenden Kräfte der wägbaren Atome aber wirken
in die Ferne. Jeder Körper übt daher als wägbare Masse auf andere
Körper eine Anziehung, deren Stärke im umgekehrten Verhältnisse des
Quadrates der Entfernung steht. Wir haben grossartige Beispiele die-
ser Fernewirkungen wägbarer Körper in den Bewegungen der Him-
melskörper vor Augen; wir sehen täglich solche Beispiele bei dem Fal-
len der irdischen Körper, und selbst das Gewicht dieser Körper beruht
aut einer Wirkung in die Ferne, auf der gegenseitigen Anziehung,
welche zwischen ihnen und dem Erdkörper stattfindet.

Wir haben schon früher (§. 9. Anm.) angegeben, dass die Wirkung, welche zwei
Massen m und m', die sich in einer gegenseitigen Entfernung r befinden, auf einander
ausüben, durch den Bruch [Formel 1] ausgedrückt wird. Für die Planetenbewegungen ist
dieses allgemeine Gesetz der Massenanziehung schon seit langer Zeit auf astrono-
mischem Wege bestätigt worden. Dass dasselbe auch für je zwei irdische Körper
gültig ist, hat Cavendish nachgewiesen, indem er zeigte, dass eine grosse Bleimasse
auf eine kleine metallene Kugel anziehend wirkte und dadurch einen empfindlichen
Hebel, an welchem diese Kugel befestigt war, in Bewegung setzte.

Ein stetiger Fortschritt zur Vereinfachung der Ansichten über die Constitution

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[16/0038] Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. als Bewegungen dieser unwägbaren Atome sich nachweisen. Dagegen werden die Erscheinungen der Elektricität und des Magnetismus aus einer andern oder vielmehr aus zwei andern unwägbaren Materien, den beiden elektrischen Flüssigkeiten, hergeleitet, die man sich als continuirlich den Raum erfüllend vorstellen kann, weil bis jetzt noch keine Thatsachen gefunden sind, welche uns nöthigten, auch diese Materien in Atome zu sondern. Es mag also sein, dass die elektri- schen Flüssigkeiten den Raum einnehmen, welcher zwischen den wäg- baren und den Aetheratomen noch frei ist; vielleicht aber gelingt es auch mit der Zeit noch darzuthun, dass es nicht erforderlich ist, für die elektrischen Erscheinungen eine besondere Materie ausser dem Aether und der wägbaren Masse vorauszusetzen. Die Beobachtung spricht dafür, dass sowohl der Aether als die elektrischen Flüssigkei- ten immer gebunden sind an wägbare Materie, oder dass sie wenig- stens in dieser in grösserer Dichte sich anhäufen. Man muss daher der wägbaren Materie eine Anziehungskraft gegen die unwägbare zu- schreiben. Was insbesondere den Aether betrifft, so wird dessen Ver- halten zu den wägbaren Atomen folgendes sein müssen. Jedes wäg- bare Atom ist, da es den Aether anzieht, von einer Hülle aus Aether- atomen umgeben. Die Dichte dieser Hülle nimmt aber, da die Aether- atome selber sich abstossen, von innen nach aussen hin ab. Die abstossenden Kräfte der Aetheratome sind ausschliesslich Molecularkräfte; sie wirken nicht in die Ferne. Man nimmt daher an, dass die Intensität dieser in kleinen Abständen sehr bedeutenden Kräfte so rasch abnimmt, dass sie in merklichen Entfernungen ver- schwindet. Die anziehenden Kräfte der wägbaren Atome aber wirken in die Ferne. Jeder Körper übt daher als wägbare Masse auf andere Körper eine Anziehung, deren Stärke im umgekehrten Verhältnisse des Quadrates der Entfernung steht. Wir haben grossartige Beispiele die- ser Fernewirkungen wägbarer Körper in den Bewegungen der Him- melskörper vor Augen; wir sehen täglich solche Beispiele bei dem Fal- len der irdischen Körper, und selbst das Gewicht dieser Körper beruht aut einer Wirkung in die Ferne, auf der gegenseitigen Anziehung, welche zwischen ihnen und dem Erdkörper stattfindet. Wir haben schon früher (§. 9. Anm.) angegeben, dass die Wirkung, welche zwei Massen m und m', die sich in einer gegenseitigen Entfernung r befinden, auf einander ausüben, durch den Bruch [FORMEL] ausgedrückt wird. Für die Planetenbewegungen ist dieses allgemeine Gesetz der Massenanziehung schon seit langer Zeit auf astrono- mischem Wege bestätigt worden. Dass dasselbe auch für je zwei irdische Körper gültig ist, hat Cavendish nachgewiesen, indem er zeigte, dass eine grosse Bleimasse auf eine kleine metallene Kugel anziehend wirkte und dadurch einen empfindlichen Hebel, an welchem diese Kugel befestigt war, in Bewegung setzte. Ein stetiger Fortschritt zur Vereinfachung der Ansichten über die Constitution

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/38>, abgerufen am 24.04.2024.