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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
auf die Erde wie die Erde auf ihn aus; die von dem Körper auf die
Erde ausgeübte Anziehung hat nur wegen der grossen Masse der Erde,
auf welche sie sich vertheilt, keine merkliche Wirkung. Auch dieses
Princip wird nicht bloss durch die Erfahrung allseitig bestätigt, son-
dern es ist zugleich die einfachste Annahme, die wir über die Wirkung
der Körper auf einander überhaupt machen können. Da die gegen-
seitige Wirkung der Körper aus der Summe der Wirkungen ihrer
einzelnen Theilchen hervorgeht, so ist eine unmittelbare Folgerung aus
dem Princip, dass die Kraft, welche zwei Körper auf einander ausüben,
proportional sein muss dem Product ihrer Massen; die thatsächliche
Bestätigung des letzteren Satzes in der Erfahrung lässt sich umge-
kehrt auch als Beweis dafür betrachten, dass die Wirkung, die ein
Körper als Ganzes ausübt, sich zusammensetzt aus den Einzelwirkun-
gen seiner kleinsten Theile.


9
Gesetz der ge-
radlinigen Wir-
kung der
Kräfte.

Das Gesetz der geradlinigen Wirkung der Kräfte lässt
sich folgendermassen ausdrücken: Wenn zwei Punkte des Raumes
mit Kräften auf einander wirken, so geschieht diese Wirkung immer
in der Richtung der geraden Verbindungslinie der beiden Punkte. Wenn
keine weitere Kraft, die sie in Ruhe hält oder ihre Bewegung abän-
dert, auf die Punkte einwirkt, so bewegen sich diese demnach in der
angegebenen Richtung. Aus diesem Princip folgt, 1) dass überall wo
wir die Körper nicht sich in gerader Richtung bewegen sehen, wir
eine Mehrheit von Kräften voraussetzen müssen, und 2) dass jede
noch so verwickelte Bewegung sich als zusammengesetzt aus einer
Menge geradliniger Bewegungen betrachten lässt.

Da vermöge des Princips der geradlinigen Wirkung nur eine ge-
genseitige Annäherung oder Entfernung der Theile der Materie durch
die Naturkräfte stattfinden kann, so folgt hieraus, dass nur Anziehungs-
und Abstossungskräfte in der Natur möglich sind. Ferner hängt mit
dem Princip der geradlinigen Wirkung unmittelbar der Satz zusammen,
dass die Intensität, mit welcher zwei Kraftcentren auf einander ein-
wirken, abhängig ist von der geradlinigen Entfernung, in welcher sie
sich von einander befinden. Man bezeichnet alle solche Kräfte, die
in der Richtung der sie verbindenden Graden auf einander wirken,
und deren Wirkungen Functionen ihrer gegenseitigen Entfernung sind,
als Centralkräfte, und es gilt demnach als Axiom, dass alle
Naturkräfte Centralkräfte sind
.

Es bleibt dann weiterhin Sache der physikalischen Forschung, in jedem einzelnen
Fall zu bestimmen, nach welcher Function der Entfernung die Kräfte wirken. Für
eine grosse Zahl von Naturerscheinungen, nämlich für alle Wirkungen in die Ferne,
z. B. für die Gravitation, die elektrische und magnetische Fernewirkung, ist diese
Function festgestellt: die Kräfte wirken hier stets im umgekehrten Verhältniss des
Quadrates der Entfernungen. Dagegen ist noch unbekannt, in welcher Abhängigkeit

Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
auf die Erde wie die Erde auf ihn aus; die von dem Körper auf die
Erde ausgeübte Anziehung hat nur wegen der grossen Masse der Erde,
auf welche sie sich vertheilt, keine merkliche Wirkung. Auch dieses
Princip wird nicht bloss durch die Erfahrung allseitig bestätigt, son-
dern es ist zugleich die einfachste Annahme, die wir über die Wirkung
der Körper auf einander überhaupt machen können. Da die gegen-
seitige Wirkung der Körper aus der Summe der Wirkungen ihrer
einzelnen Theilchen hervorgeht, so ist eine unmittelbare Folgerung aus
dem Princip, dass die Kraft, welche zwei Körper auf einander ausüben,
proportional sein muss dem Product ihrer Massen; die thatsächliche
Bestätigung des letzteren Satzes in der Erfahrung lässt sich umge-
kehrt auch als Beweis dafür betrachten, dass die Wirkung, die ein
Körper als Ganzes ausübt, sich zusammensetzt aus den Einzelwirkun-
gen seiner kleinsten Theile.


9
Gesetz der ge-
radlinigen Wir-
kung der
Kräfte.

Das Gesetz der geradlinigen Wirkung der Kräfte lässt
sich folgendermassen ausdrücken: Wenn zwei Punkte des Raumes
mit Kräften auf einander wirken, so geschieht diese Wirkung immer
in der Richtung der geraden Verbindungslinie der beiden Punkte. Wenn
keine weitere Kraft, die sie in Ruhe hält oder ihre Bewegung abän-
dert, auf die Punkte einwirkt, so bewegen sich diese demnach in der
angegebenen Richtung. Aus diesem Princip folgt, 1) dass überall wo
wir die Körper nicht sich in gerader Richtung bewegen sehen, wir
eine Mehrheit von Kräften voraussetzen müssen, und 2) dass jede
noch so verwickelte Bewegung sich als zusammengesetzt aus einer
Menge geradliniger Bewegungen betrachten lässt.

Da vermöge des Princips der geradlinigen Wirkung nur eine ge-
genseitige Annäherung oder Entfernung der Theile der Materie durch
die Naturkräfte stattfinden kann, so folgt hieraus, dass nur Anziehungs-
und Abstossungskräfte in der Natur möglich sind. Ferner hängt mit
dem Princip der geradlinigen Wirkung unmittelbar der Satz zusammen,
dass die Intensität, mit welcher zwei Kraftcentren auf einander ein-
wirken, abhängig ist von der geradlinigen Entfernung, in welcher sie
sich von einander befinden. Man bezeichnet alle solche Kräfte, die
in der Richtung der sie verbindenden Graden auf einander wirken,
und deren Wirkungen Functionen ihrer gegenseitigen Entfernung sind,
als Centralkräfte, und es gilt demnach als Axiom, dass alle
Naturkräfte Centralkräfte sind
.

Es bleibt dann weiterhin Sache der physikalischen Forschung, in jedem einzelnen
Fall zu bestimmen, nach welcher Function der Entfernung die Kräfte wirken. Für
eine grosse Zahl von Naturerscheinungen, nämlich für alle Wirkungen in die Ferne,
z. B. für die Gravitation, die elektrische und magnetische Fernewirkung, ist diese
Function festgestellt: die Kräfte wirken hier stets im umgekehrten Verhältniss des
Quadrates der Entfernungen. Dagegen ist noch unbekannt, in welcher Abhängigkeit

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[8/0030] Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. auf die Erde wie die Erde auf ihn aus; die von dem Körper auf die Erde ausgeübte Anziehung hat nur wegen der grossen Masse der Erde, auf welche sie sich vertheilt, keine merkliche Wirkung. Auch dieses Princip wird nicht bloss durch die Erfahrung allseitig bestätigt, son- dern es ist zugleich die einfachste Annahme, die wir über die Wirkung der Körper auf einander überhaupt machen können. Da die gegen- seitige Wirkung der Körper aus der Summe der Wirkungen ihrer einzelnen Theilchen hervorgeht, so ist eine unmittelbare Folgerung aus dem Princip, dass die Kraft, welche zwei Körper auf einander ausüben, proportional sein muss dem Product ihrer Massen; die thatsächliche Bestätigung des letzteren Satzes in der Erfahrung lässt sich umge- kehrt auch als Beweis dafür betrachten, dass die Wirkung, die ein Körper als Ganzes ausübt, sich zusammensetzt aus den Einzelwirkun- gen seiner kleinsten Theile. Das Gesetz der geradlinigen Wirkung der Kräfte lässt sich folgendermassen ausdrücken: Wenn zwei Punkte des Raumes mit Kräften auf einander wirken, so geschieht diese Wirkung immer in der Richtung der geraden Verbindungslinie der beiden Punkte. Wenn keine weitere Kraft, die sie in Ruhe hält oder ihre Bewegung abän- dert, auf die Punkte einwirkt, so bewegen sich diese demnach in der angegebenen Richtung. Aus diesem Princip folgt, 1) dass überall wo wir die Körper nicht sich in gerader Richtung bewegen sehen, wir eine Mehrheit von Kräften voraussetzen müssen, und 2) dass jede noch so verwickelte Bewegung sich als zusammengesetzt aus einer Menge geradliniger Bewegungen betrachten lässt. Da vermöge des Princips der geradlinigen Wirkung nur eine ge- genseitige Annäherung oder Entfernung der Theile der Materie durch die Naturkräfte stattfinden kann, so folgt hieraus, dass nur Anziehungs- und Abstossungskräfte in der Natur möglich sind. Ferner hängt mit dem Princip der geradlinigen Wirkung unmittelbar der Satz zusammen, dass die Intensität, mit welcher zwei Kraftcentren auf einander ein- wirken, abhängig ist von der geradlinigen Entfernung, in welcher sie sich von einander befinden. Man bezeichnet alle solche Kräfte, die in der Richtung der sie verbindenden Graden auf einander wirken, und deren Wirkungen Functionen ihrer gegenseitigen Entfernung sind, als Centralkräfte, und es gilt demnach als Axiom, dass alle Naturkräfte Centralkräfte sind. Es bleibt dann weiterhin Sache der physikalischen Forschung, in jedem einzelnen Fall zu bestimmen, nach welcher Function der Entfernung die Kräfte wirken. Für eine grosse Zahl von Naturerscheinungen, nämlich für alle Wirkungen in die Ferne, z. B. für die Gravitation, die elektrische und magnetische Fernewirkung, ist diese Function festgestellt: die Kräfte wirken hier stets im umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Entfernungen. Dagegen ist noch unbekannt, in welcher Abhängigkeit

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/30>, abgerufen am 23.04.2024.