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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von den Tönen und musikalischen Klängen.

Man kann die Erscheinungen der Verstärkung sowie der Schwä-
chung oder Aufhebung des Schalls durch Interferenz leicht mittelst
der Sirene hervorrufen. Verbindet man zwei Sirenen mit gleich viel
Löchern so zu einer Doppelsirene, dass sie sich mit einander bewe-
gen und die Luftstösse beider genau gleichzeitig erfolgen, so fallen
bei gleicher Tonhöhe die gleichen Phasen zusammen, der Ton wird
also beträchtlich verstärkt. Stellt man dagegen die beiden Sirenen
so, dass die Luftstösse der einen genau in die Mitte zwischen die-
jenigen der andern fallen, so vernichten sich die beiden Töne gegen-
seitig; doch verschwinden bei diesem Versuch nur die Grundtöne,
nicht ihre Obertöne. Denn wenn die Phasendifferenz des Grundtons
eine halbe Schwingung beträgt, so ist die Phasendifferenz der höheren
Octave eine ganze Schwingung, so dass beide Schwingungsbewegun-
gen sich verstärken. Während also die Intensität des Grundtons
null wird, wird die Intensität des ersten Obertons verdoppelt, der Ton
schlägt daher in die Octave um.

Wenn zwei Wellenzüge von verschiedener Schwingungsdauer zu-
sammentreffen, so resultirt nicht, wie bei der einfachen Interferenz,
ein anhaltend verstärkter oder geschwächter beziehungsweise vernich-
teter Ton, sondern es entstehen abwechselnde Zu- und Abnahmen der
Intensität des Klangs, die man als Tonstösse oder als Schwebun-
gen
bezeichnet. Denken wir uns nämlich, zwei Wellenzüge A B und
C D (Fig. 68) träfen zusammen, die in einer der Abscissenlinie A B

[Abbildung] Fig. 68.
entsprechenden Zeit genau um eine Schwingung verschieden seien, so
werden, wenn am Anfang dieser Zeit, also bei a, beide Wellenzüge
gleiche Phase haben, am Ende derselben Zeit, bei b, entgegengesetzte
Schwingungsphasen zusammenfallen. Bei a entsteht ein doppelt so
hoher Wellenberg, also eine Verstärkung des Klangs, bei b heben
Wellenberg und Wellenthal sich auf, es entsteht also eine Intermission
des Tons. Von b an brauchen beide Wellenzüge eine der Abscissen-
länge A B entsprechende Zeit, bis wieder, wie bei a, zwei Wellen-
berge zusammentreffen. Zwei Tonhöhen, die in der Secunde um eine
Wellenlänge differiren, bewirken also in jeder Secunde eine Zu- und
Abnahme der Intensität des Klangs. Sind die beiden Töne um zwei
Wellenlängen von einander verschieden, so erhält man zwei Zu- und

Von den Tönen und musikalischen Klängen.

Man kann die Erscheinungen der Verstärkung sowie der Schwä-
chung oder Aufhebung des Schalls durch Interferenz leicht mittelst
der Sirene hervorrufen. Verbindet man zwei Sirenen mit gleich viel
Löchern so zu einer Doppelsirene, dass sie sich mit einander bewe-
gen und die Luftstösse beider genau gleichzeitig erfolgen, so fallen
bei gleicher Tonhöhe die gleichen Phasen zusammen, der Ton wird
also beträchtlich verstärkt. Stellt man dagegen die beiden Sirenen
so, dass die Luftstösse der einen genau in die Mitte zwischen die-
jenigen der andern fallen, so vernichten sich die beiden Töne gegen-
seitig; doch verschwinden bei diesem Versuch nur die Grundtöne,
nicht ihre Obertöne. Denn wenn die Phasendifferenz des Grundtons
eine halbe Schwingung beträgt, so ist die Phasendifferenz der höheren
Octave eine ganze Schwingung, so dass beide Schwingungsbewegun-
gen sich verstärken. Während also die Intensität des Grundtons
null wird, wird die Intensität des ersten Obertons verdoppelt, der Ton
schlägt daher in die Octave um.

Wenn zwei Wellenzüge von verschiedener Schwingungsdauer zu-
sammentreffen, so resultirt nicht, wie bei der einfachen Interferenz,
ein anhaltend verstärkter oder geschwächter beziehungsweise vernich-
teter Ton, sondern es entstehen abwechselnde Zu- und Abnahmen der
Intensität des Klangs, die man als Tonstösse oder als Schwebun-
gen
bezeichnet. Denken wir uns nämlich, zwei Wellenzüge A B und
C D (Fig. 68) träfen zusammen, die in einer der Abscissenlinie A B

[Abbildung] Fig. 68.
entsprechenden Zeit genau um eine Schwingung verschieden seien, so
werden, wenn am Anfang dieser Zeit, also bei a, beide Wellenzüge
gleiche Phase haben, am Ende derselben Zeit, bei b, entgegengesetzte
Schwingungsphasen zusammenfallen. Bei a entsteht ein doppelt so
hoher Wellenberg, also eine Verstärkung des Klangs, bei b heben
Wellenberg und Wellenthal sich auf, es entsteht also eine Intermission
des Tons. Von b an brauchen beide Wellenzüge eine der Abscissen-
länge A B entsprechende Zeit, bis wieder, wie bei a, zwei Wellen-
berge zusammentreffen. Zwei Tonhöhen, die in der Secunde um eine
Wellenlänge differiren, bewirken also in jeder Secunde eine Zu- und
Abnahme der Intensität des Klangs. Sind die beiden Töne um zwei
Wellenlängen von einander verschieden, so erhält man zwei Zu- und

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[173/0195] Von den Tönen und musikalischen Klängen. Man kann die Erscheinungen der Verstärkung sowie der Schwä- chung oder Aufhebung des Schalls durch Interferenz leicht mittelst der Sirene hervorrufen. Verbindet man zwei Sirenen mit gleich viel Löchern so zu einer Doppelsirene, dass sie sich mit einander bewe- gen und die Luftstösse beider genau gleichzeitig erfolgen, so fallen bei gleicher Tonhöhe die gleichen Phasen zusammen, der Ton wird also beträchtlich verstärkt. Stellt man dagegen die beiden Sirenen so, dass die Luftstösse der einen genau in die Mitte zwischen die- jenigen der andern fallen, so vernichten sich die beiden Töne gegen- seitig; doch verschwinden bei diesem Versuch nur die Grundtöne, nicht ihre Obertöne. Denn wenn die Phasendifferenz des Grundtons eine halbe Schwingung beträgt, so ist die Phasendifferenz der höheren Octave eine ganze Schwingung, so dass beide Schwingungsbewegun- gen sich verstärken. Während also die Intensität des Grundtons null wird, wird die Intensität des ersten Obertons verdoppelt, der Ton schlägt daher in die Octave um. Wenn zwei Wellenzüge von verschiedener Schwingungsdauer zu- sammentreffen, so resultirt nicht, wie bei der einfachen Interferenz, ein anhaltend verstärkter oder geschwächter beziehungsweise vernich- teter Ton, sondern es entstehen abwechselnde Zu- und Abnahmen der Intensität des Klangs, die man als Tonstösse oder als Schwebun- gen bezeichnet. Denken wir uns nämlich, zwei Wellenzüge A B und C D (Fig. 68) träfen zusammen, die in einer der Abscissenlinie A B [Abbildung Fig. 68.] entsprechenden Zeit genau um eine Schwingung verschieden seien, so werden, wenn am Anfang dieser Zeit, also bei a, beide Wellenzüge gleiche Phase haben, am Ende derselben Zeit, bei b, entgegengesetzte Schwingungsphasen zusammenfallen. Bei a entsteht ein doppelt so hoher Wellenberg, also eine Verstärkung des Klangs, bei b heben Wellenberg und Wellenthal sich auf, es entsteht also eine Intermission des Tons. Von b an brauchen beide Wellenzüge eine der Abscissen- länge A B entsprechende Zeit, bis wieder, wie bei a, zwei Wellen- berge zusammentreffen. Zwei Tonhöhen, die in der Secunde um eine Wellenlänge differiren, bewirken also in jeder Secunde eine Zu- und Abnahme der Intensität des Klangs. Sind die beiden Töne um zwei Wellenlängen von einander verschieden, so erhält man zwei Zu- und

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/195>, abgerufen am 24.04.2024.