Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem Schall.
tinuitäten zeigen, da sind dieselben doch, wie oben bemerkt, immer aus
einer sehr grossen Anzahl einfacher, sogenannter Sinuscurven zusam-
mengesetzt. Freie Zungen ohne Ansatzrohr geben daher einen sehr
scharfen, eine lange Reihe von Obertönen enthaltenden Klang. Durch
das Ansatzrohr werden nun diejenigen Obertöne, welche den eigenen
Tönen desselben entsprechen, beträchtlich verstärkt. Die Klangfarbe
der Zungenpfeifen der Orgel, der Physharmonika und der Blasinstru-
mente hängt daher wesentlich von der Gestalt und Beschaffenheit des
Ansatzrohrs ab. So verstärkt das cylindrische Rohr der Clarinette durch
seine Resonanz hauptsächlich die ungeradzahligen Obertöne des Klangs,
während die kegelförmigen Röhren der Oboen, Fagotte, Trompeten
und Hörner ziemlich gleichmässig alle harmonischen Obertöne verstärken.

Bei den künstlichen Zungenpfeifen wird der Klang entweder
durch eine steife metallische Zunge von unveränderlicher Schwingungs-
dauer hervorgebracht (Orgel, Physharmonika), oder er wird aus
dem Töne von äusserst verschiedener Höhe enthaltenden Geräusch
einer hölzernen Zunge durch ein bestimmte Töne verstärkendes An-
satzrohr gleichsam ausgesondert (Clarinette, Oboe, Fagott), oder er
wird endlich durch die schwingenden Lippen des Blasenden, die den
Schwingungen der Luftsäule des Ansatzrohrs sich anpassen, erzeugt,
in welchem letzteren Fall es von der Form und Spannung der Lippen
abhängt, welcher der Eigentöne des Ansatzrohrs erklingt (Trompeten,
Hörner u. s. w.).

Eine Zungenpfeife besonderer Art ist dagegen der menschliche
Kehlkopf
. Bei ihm wird unmittelbar durch die veränderte Spannung
der Stimmbänder, welche hier die membranösen Zungen bilden, die Höhe
des Tons verändert. Das Ansatzrohr des Kehlkopfs, die Mundhöhle,
ist zu weit und kurz und besitzt zu nachgiebige Wände, als dass es
auf den erzeugten Klang einen so wesentlichen Einfluss äussern könnte,
um die Tonhöhe zu bestimmen. Allerdings wird aber der Partialton,
welcher der jeweiligen Formbeschaffenheit jenes Ansatzrohres entspricht,
verstärkt und bedingt dadurch wesentlich die Klangfarbe des gesunge-
nen oder gesprochenen Tons. Während also bei den meisten andern
Zungeninstrumenten der Eigenton des Ansatzrohrs die Tonhöhe be-
stimmt, bringt er es bei dem Stimmorgan nur zu einem Einfluss auf
die Klangfarbe. Da aber die Form der Mundhöhle durch die Muskeln
in ihrer Wandung veränderlich ist, so ist auch jener die Klangfarbe
der Stimme wesentlich mitbestimmende Partialton und damit die Klang-
farbe selber veränderlich. Diese Eigenschaft, die Veränderlich-
keit der Klangfarbe bei gleichbleibender Tonhöhe
, charak-
terisirt das Stimmorgan vor allen andern Erzeugungsquellen musikali-
scher Klänge.

Die durch die wechselnde Formbeschaffenheit der Mundhöhle er-
zeugten Klangfarben der Stimme bilden die Vocalklänge. Man

Von dem Schall.
tinuitäten zeigen, da sind dieselben doch, wie oben bemerkt, immer aus
einer sehr grossen Anzahl einfacher, sogenannter Sinuscurven zusam-
mengesetzt. Freie Zungen ohne Ansatzrohr geben daher einen sehr
scharfen, eine lange Reihe von Obertönen enthaltenden Klang. Durch
das Ansatzrohr werden nun diejenigen Obertöne, welche den eigenen
Tönen desselben entsprechen, beträchtlich verstärkt. Die Klangfarbe
der Zungenpfeifen der Orgel, der Physharmonika und der Blasinstru-
mente hängt daher wesentlich von der Gestalt und Beschaffenheit des
Ansatzrohrs ab. So verstärkt das cylindrische Rohr der Clarinette durch
seine Resonanz hauptsächlich die ungeradzahligen Obertöne des Klangs,
während die kegelförmigen Röhren der Oboen, Fagotte, Trompeten
und Hörner ziemlich gleichmässig alle harmonischen Obertöne verstärken.

Bei den künstlichen Zungenpfeifen wird der Klang entweder
durch eine steife metallische Zunge von unveränderlicher Schwingungs-
dauer hervorgebracht (Orgel, Physharmonika), oder er wird aus
dem Töne von äusserst verschiedener Höhe enthaltenden Geräusch
einer hölzernen Zunge durch ein bestimmte Töne verstärkendes An-
satzrohr gleichsam ausgesondert (Clarinette, Oboe, Fagott), oder er
wird endlich durch die schwingenden Lippen des Blasenden, die den
Schwingungen der Luftsäule des Ansatzrohrs sich anpassen, erzeugt,
in welchem letzteren Fall es von der Form und Spannung der Lippen
abhängt, welcher der Eigentöne des Ansatzrohrs erklingt (Trompeten,
Hörner u. s. w.).

Eine Zungenpfeife besonderer Art ist dagegen der menschliche
Kehlkopf
. Bei ihm wird unmittelbar durch die veränderte Spannung
der Stimmbänder, welche hier die membranösen Zungen bilden, die Höhe
des Tons verändert. Das Ansatzrohr des Kehlkopfs, die Mundhöhle,
ist zu weit und kurz und besitzt zu nachgiebige Wände, als dass es
auf den erzeugten Klang einen so wesentlichen Einfluss äussern könnte,
um die Tonhöhe zu bestimmen. Allerdings wird aber der Partialton,
welcher der jeweiligen Formbeschaffenheit jenes Ansatzrohres entspricht,
verstärkt und bedingt dadurch wesentlich die Klangfarbe des gesunge-
nen oder gesprochenen Tons. Während also bei den meisten andern
Zungeninstrumenten der Eigenton des Ansatzrohrs die Tonhöhe be-
stimmt, bringt er es bei dem Stimmorgan nur zu einem Einfluss auf
die Klangfarbe. Da aber die Form der Mundhöhle durch die Muskeln
in ihrer Wandung veränderlich ist, so ist auch jener die Klangfarbe
der Stimme wesentlich mitbestimmende Partialton und damit die Klang-
farbe selber veränderlich. Diese Eigenschaft, die Veränderlich-
keit der Klangfarbe bei gleichbleibender Tonhöhe
, charak-
terisirt das Stimmorgan vor allen andern Erzeugungsquellen musikali-
scher Klänge.

Die durch die wechselnde Formbeschaffenheit der Mundhöhle er-
zeugten Klangfarben der Stimme bilden die Vocalklänge. Man

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0192" n="170"/><fw place="top" type="header">Von dem Schall.</fw><lb/>
tinuitäten zeigen, da sind dieselben doch, wie oben bemerkt, immer aus<lb/>
einer sehr grossen Anzahl einfacher, sogenannter Sinuscurven zusam-<lb/>
mengesetzt. Freie Zungen ohne Ansatzrohr geben daher einen sehr<lb/>
scharfen, eine lange Reihe von Obertönen enthaltenden Klang. Durch<lb/>
das Ansatzrohr werden nun diejenigen Obertöne, welche den eigenen<lb/>
Tönen desselben entsprechen, beträchtlich verstärkt. Die Klangfarbe<lb/>
der Zungenpfeifen der Orgel, der Physharmonika und der Blasinstru-<lb/>
mente hängt daher wesentlich von der Gestalt und Beschaffenheit des<lb/>
Ansatzrohrs ab. So verstärkt das cylindrische Rohr der Clarinette durch<lb/>
seine Resonanz hauptsächlich die ungeradzahligen Obertöne des Klangs,<lb/>
während die kegelförmigen Röhren der Oboen, Fagotte, Trompeten<lb/>
und Hörner ziemlich gleichmässig alle harmonischen Obertöne verstärken.</p><lb/>
          <p>Bei den künstlichen Zungenpfeifen wird der Klang entweder<lb/>
durch eine steife metallische Zunge von unveränderlicher Schwingungs-<lb/>
dauer hervorgebracht (Orgel, Physharmonika), oder er wird aus<lb/>
dem Töne von äusserst verschiedener Höhe enthaltenden Geräusch<lb/>
einer hölzernen Zunge durch ein bestimmte Töne verstärkendes An-<lb/>
satzrohr gleichsam ausgesondert (Clarinette, Oboe, Fagott), oder er<lb/>
wird endlich durch die schwingenden Lippen des Blasenden, die den<lb/>
Schwingungen der Luftsäule des Ansatzrohrs sich anpassen, erzeugt,<lb/>
in welchem letzteren Fall es von der Form und Spannung der Lippen<lb/>
abhängt, welcher der Eigentöne des Ansatzrohrs erklingt (Trompeten,<lb/>
Hörner u. s. w.).</p><lb/>
          <p>Eine Zungenpfeife besonderer Art ist dagegen der <hi rendition="#g">menschliche<lb/>
Kehlkopf</hi>. Bei ihm wird unmittelbar durch die veränderte Spannung<lb/>
der Stimmbänder, welche hier die membranösen Zungen bilden, die Höhe<lb/>
des Tons verändert. Das Ansatzrohr des Kehlkopfs, die Mundhöhle,<lb/>
ist zu weit und kurz und besitzt zu nachgiebige Wände, als dass es<lb/>
auf den erzeugten Klang einen so wesentlichen Einfluss äussern könnte,<lb/>
um die Tonhöhe zu bestimmen. Allerdings wird aber der Partialton,<lb/>
welcher der jeweiligen Formbeschaffenheit jenes Ansatzrohres entspricht,<lb/>
verstärkt und bedingt dadurch wesentlich die Klangfarbe des gesunge-<lb/>
nen oder gesprochenen Tons. Während also bei den meisten andern<lb/>
Zungeninstrumenten der Eigenton des Ansatzrohrs die Tonhöhe be-<lb/>
stimmt, bringt er es bei dem Stimmorgan nur zu einem Einfluss auf<lb/>
die Klangfarbe. Da aber die Form der Mundhöhle durch die Muskeln<lb/>
in ihrer Wandung veränderlich ist, so ist auch jener die Klangfarbe<lb/>
der Stimme wesentlich mitbestimmende Partialton und damit die Klang-<lb/>
farbe selber veränderlich. Diese Eigenschaft, <hi rendition="#g">die Veränderlich-<lb/>
keit der Klangfarbe bei gleichbleibender Tonhöhe</hi>, charak-<lb/>
terisirt das Stimmorgan vor allen andern Erzeugungsquellen musikali-<lb/>
scher Klänge.</p><lb/>
          <p>Die durch die wechselnde Formbeschaffenheit der Mundhöhle er-<lb/>
zeugten Klangfarben der Stimme bilden die <hi rendition="#g">Vocalklänge</hi>. Man<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0192] Von dem Schall. tinuitäten zeigen, da sind dieselben doch, wie oben bemerkt, immer aus einer sehr grossen Anzahl einfacher, sogenannter Sinuscurven zusam- mengesetzt. Freie Zungen ohne Ansatzrohr geben daher einen sehr scharfen, eine lange Reihe von Obertönen enthaltenden Klang. Durch das Ansatzrohr werden nun diejenigen Obertöne, welche den eigenen Tönen desselben entsprechen, beträchtlich verstärkt. Die Klangfarbe der Zungenpfeifen der Orgel, der Physharmonika und der Blasinstru- mente hängt daher wesentlich von der Gestalt und Beschaffenheit des Ansatzrohrs ab. So verstärkt das cylindrische Rohr der Clarinette durch seine Resonanz hauptsächlich die ungeradzahligen Obertöne des Klangs, während die kegelförmigen Röhren der Oboen, Fagotte, Trompeten und Hörner ziemlich gleichmässig alle harmonischen Obertöne verstärken. Bei den künstlichen Zungenpfeifen wird der Klang entweder durch eine steife metallische Zunge von unveränderlicher Schwingungs- dauer hervorgebracht (Orgel, Physharmonika), oder er wird aus dem Töne von äusserst verschiedener Höhe enthaltenden Geräusch einer hölzernen Zunge durch ein bestimmte Töne verstärkendes An- satzrohr gleichsam ausgesondert (Clarinette, Oboe, Fagott), oder er wird endlich durch die schwingenden Lippen des Blasenden, die den Schwingungen der Luftsäule des Ansatzrohrs sich anpassen, erzeugt, in welchem letzteren Fall es von der Form und Spannung der Lippen abhängt, welcher der Eigentöne des Ansatzrohrs erklingt (Trompeten, Hörner u. s. w.). Eine Zungenpfeife besonderer Art ist dagegen der menschliche Kehlkopf. Bei ihm wird unmittelbar durch die veränderte Spannung der Stimmbänder, welche hier die membranösen Zungen bilden, die Höhe des Tons verändert. Das Ansatzrohr des Kehlkopfs, die Mundhöhle, ist zu weit und kurz und besitzt zu nachgiebige Wände, als dass es auf den erzeugten Klang einen so wesentlichen Einfluss äussern könnte, um die Tonhöhe zu bestimmen. Allerdings wird aber der Partialton, welcher der jeweiligen Formbeschaffenheit jenes Ansatzrohres entspricht, verstärkt und bedingt dadurch wesentlich die Klangfarbe des gesunge- nen oder gesprochenen Tons. Während also bei den meisten andern Zungeninstrumenten der Eigenton des Ansatzrohrs die Tonhöhe be- stimmt, bringt er es bei dem Stimmorgan nur zu einem Einfluss auf die Klangfarbe. Da aber die Form der Mundhöhle durch die Muskeln in ihrer Wandung veränderlich ist, so ist auch jener die Klangfarbe der Stimme wesentlich mitbestimmende Partialton und damit die Klang- farbe selber veränderlich. Diese Eigenschaft, die Veränderlich- keit der Klangfarbe bei gleichbleibender Tonhöhe, charak- terisirt das Stimmorgan vor allen andern Erzeugungsquellen musikali- scher Klänge. Die durch die wechselnde Formbeschaffenheit der Mundhöhle er- zeugten Klangfarben der Stimme bilden die Vocalklänge. Man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/192
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/192>, abgerufen am 19.04.2024.