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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von den Tönen und musikalischen Klängen.
die mit gesonderten Nervenfasern in Verbindung stehen. In der That
befinden sich nun, wie die mikroskopische Anatomie lehrt, an den En-
den der Gehörnervenfasern kleine elastische Organe, denen ohne Zweifel
die Function solcher mitschwingender Theile zukommt.

Die auf objectivem Wege (durch die Beobachtung des Mitschwin-
gens) oder subjectiv (vermittelst der Resonatoren) vorgenommene Ana-
lyse musikalischer Klänge ergiebt, dass die einen Klang zusammen-
setzenden Theiltöne im Allgemeinen mit zunehmender Höhe an Stärke
abnehmen. Der tiefste Partialton, der Grundton, überwiegt, wie
schon bemerkt, so sehr, dass nach ihm allein die Tonhöhe bestimmt
wird, aber auch die Obertöne, die bloss zur Bildung der Klang-
farbe beitragen, nehmen im Allgemeinen mit zunehmender Höhe ab.
Ferner hört man in der Regel die ungeradzahligen Obertöne, also die
Quinten, Terzen, Septimen u. s. w. des Grundtons leichter als die ge-
radzahligen, welche Octaven des Grundtons oder tieferer Töne sind.
Dieser Unterschied ist offenbar ein subjectiver, da man auch in einem
Accorde die Terzen und Quinten leichter als die Octaven von einander
trennt. Unter den ungeradzahligen steht meistens der dritte Ton, die
Duodecime des Grundtons oder Quinte seiner ersten höheren Octave,
voran, dann folgt der fünfte Partialton als Terz und hierauf der sie-
bente als kleine Septime der zweiten höheren Octave des Grundtons.
Uebrigens finden sich in dieser Beziehung Unterschiede, welche von
der verschiedenen Beschaffenheit der Klangquelle abhängig sind, und
welche eben die Verschiedenheiten der Klangfarbe bedingen. So ist
in den Klängen, die durch Anschlagen von Saiten erhalten werden,
eine grosse Menge von Obertönen und der Grundton im Verhältniss
zu denselben ziemlich schwach. Im Klang der Streichinstrumente ist
der Grundton kräftiger, unter den Obertönen sind aber namentlich die
höheren (vom sechsten bis etwa zehnten) auffallend stark und verur-
sachen die Schärfe des Klangs dieser Instrumente. Die weiten ge-
deckten Pfeifen der Orgel geben den Grundton fast rein, die engeren
lassen den zweiten Oberton (die Duodecime) deutlich mitklingen; bei
den weiten offenen Pfeifen hört man den ersten und zweiten Oberton
(Octave und Duodecime) neben dem Grundton. Bei den Zungenpfeifen
ist die Klangfarbe theils von der Beschaffenheit der Zunge, deren
Schwingungen den Ton verursachen, theils von der Beschaffenheit des
Ansatzrohrs, welches hierbei als Resonanzröhre wirkt, abhängig. Der
Schall wird hier erzeugt durch die intermittirenden Luftstösse, welche
durch die von der Zunge geschlossene Oeffnung bei jeder ihrer
Schwingungen hindurchbrechen. Die Bewegung der Luft ist in die-
sem Fall in hohem Grad discontinuirlich, da die Luftstösse meist
durch vollständige Pausen (entsprechend der Zeit, während deren
die Oeffnung durch die Zunge geschlossen wird) von einander
getrennt sind. Wo aber auch die Schwingungscurven scharfe Discon-

Von den Tönen und musikalischen Klängen.
die mit gesonderten Nervenfasern in Verbindung stehen. In der That
befinden sich nun, wie die mikroskopische Anatomie lehrt, an den En-
den der Gehörnervenfasern kleine elastische Organe, denen ohne Zweifel
die Function solcher mitschwingender Theile zukommt.

Die auf objectivem Wege (durch die Beobachtung des Mitschwin-
gens) oder subjectiv (vermittelst der Resonatoren) vorgenommene Ana-
lyse musikalischer Klänge ergiebt, dass die einen Klang zusammen-
setzenden Theiltöne im Allgemeinen mit zunehmender Höhe an Stärke
abnehmen. Der tiefste Partialton, der Grundton, überwiegt, wie
schon bemerkt, so sehr, dass nach ihm allein die Tonhöhe bestimmt
wird, aber auch die Obertöne, die bloss zur Bildung der Klang-
farbe beitragen, nehmen im Allgemeinen mit zunehmender Höhe ab.
Ferner hört man in der Regel die ungeradzahligen Obertöne, also die
Quinten, Terzen, Septimen u. s. w. des Grundtons leichter als die ge-
radzahligen, welche Octaven des Grundtons oder tieferer Töne sind.
Dieser Unterschied ist offenbar ein subjectiver, da man auch in einem
Accorde die Terzen und Quinten leichter als die Octaven von einander
trennt. Unter den ungeradzahligen steht meistens der dritte Ton, die
Duodecime des Grundtons oder Quinte seiner ersten höheren Octave,
voran, dann folgt der fünfte Partialton als Terz und hierauf der sie-
bente als kleine Septime der zweiten höheren Octave des Grundtons.
Uebrigens finden sich in dieser Beziehung Unterschiede, welche von
der verschiedenen Beschaffenheit der Klangquelle abhängig sind, und
welche eben die Verschiedenheiten der Klangfarbe bedingen. So ist
in den Klängen, die durch Anschlagen von Saiten erhalten werden,
eine grosse Menge von Obertönen und der Grundton im Verhältniss
zu denselben ziemlich schwach. Im Klang der Streichinstrumente ist
der Grundton kräftiger, unter den Obertönen sind aber namentlich die
höheren (vom sechsten bis etwa zehnten) auffallend stark und verur-
sachen die Schärfe des Klangs dieser Instrumente. Die weiten ge-
deckten Pfeifen der Orgel geben den Grundton fast rein, die engeren
lassen den zweiten Oberton (die Duodecime) deutlich mitklingen; bei
den weiten offenen Pfeifen hört man den ersten und zweiten Oberton
(Octave und Duodecime) neben dem Grundton. Bei den Zungenpfeifen
ist die Klangfarbe theils von der Beschaffenheit der Zunge, deren
Schwingungen den Ton verursachen, theils von der Beschaffenheit des
Ansatzrohrs, welches hierbei als Resonanzröhre wirkt, abhängig. Der
Schall wird hier erzeugt durch die intermittirenden Luftstösse, welche
durch die von der Zunge geschlossene Oeffnung bei jeder ihrer
Schwingungen hindurchbrechen. Die Bewegung der Luft ist in die-
sem Fall in hohem Grad discontinuirlich, da die Luftstösse meist
durch vollständige Pausen (entsprechend der Zeit, während deren
die Oeffnung durch die Zunge geschlossen wird) von einander
getrennt sind. Wo aber auch die Schwingungscurven scharfe Discon-

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[169/0191] Von den Tönen und musikalischen Klängen. die mit gesonderten Nervenfasern in Verbindung stehen. In der That befinden sich nun, wie die mikroskopische Anatomie lehrt, an den En- den der Gehörnervenfasern kleine elastische Organe, denen ohne Zweifel die Function solcher mitschwingender Theile zukommt. Die auf objectivem Wege (durch die Beobachtung des Mitschwin- gens) oder subjectiv (vermittelst der Resonatoren) vorgenommene Ana- lyse musikalischer Klänge ergiebt, dass die einen Klang zusammen- setzenden Theiltöne im Allgemeinen mit zunehmender Höhe an Stärke abnehmen. Der tiefste Partialton, der Grundton, überwiegt, wie schon bemerkt, so sehr, dass nach ihm allein die Tonhöhe bestimmt wird, aber auch die Obertöne, die bloss zur Bildung der Klang- farbe beitragen, nehmen im Allgemeinen mit zunehmender Höhe ab. Ferner hört man in der Regel die ungeradzahligen Obertöne, also die Quinten, Terzen, Septimen u. s. w. des Grundtons leichter als die ge- radzahligen, welche Octaven des Grundtons oder tieferer Töne sind. Dieser Unterschied ist offenbar ein subjectiver, da man auch in einem Accorde die Terzen und Quinten leichter als die Octaven von einander trennt. Unter den ungeradzahligen steht meistens der dritte Ton, die Duodecime des Grundtons oder Quinte seiner ersten höheren Octave, voran, dann folgt der fünfte Partialton als Terz und hierauf der sie- bente als kleine Septime der zweiten höheren Octave des Grundtons. Uebrigens finden sich in dieser Beziehung Unterschiede, welche von der verschiedenen Beschaffenheit der Klangquelle abhängig sind, und welche eben die Verschiedenheiten der Klangfarbe bedingen. So ist in den Klängen, die durch Anschlagen von Saiten erhalten werden, eine grosse Menge von Obertönen und der Grundton im Verhältniss zu denselben ziemlich schwach. Im Klang der Streichinstrumente ist der Grundton kräftiger, unter den Obertönen sind aber namentlich die höheren (vom sechsten bis etwa zehnten) auffallend stark und verur- sachen die Schärfe des Klangs dieser Instrumente. Die weiten ge- deckten Pfeifen der Orgel geben den Grundton fast rein, die engeren lassen den zweiten Oberton (die Duodecime) deutlich mitklingen; bei den weiten offenen Pfeifen hört man den ersten und zweiten Oberton (Octave und Duodecime) neben dem Grundton. Bei den Zungenpfeifen ist die Klangfarbe theils von der Beschaffenheit der Zunge, deren Schwingungen den Ton verursachen, theils von der Beschaffenheit des Ansatzrohrs, welches hierbei als Resonanzröhre wirkt, abhängig. Der Schall wird hier erzeugt durch die intermittirenden Luftstösse, welche durch die von der Zunge geschlossene Oeffnung bei jeder ihrer Schwingungen hindurchbrechen. Die Bewegung der Luft ist in die- sem Fall in hohem Grad discontinuirlich, da die Luftstösse meist durch vollständige Pausen (entsprechend der Zeit, während deren die Oeffnung durch die Zunge geschlossen wird) von einander getrennt sind. Wo aber auch die Schwingungscurven scharfe Discon-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/191>, abgerufen am 25.04.2024.