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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von dem Schall.
cirt, derartige Mitschwingungen entstehen. Man nennt solche Luft-
räume Resonatoren. Meist benützt man als Resonatoren Glas-
röhren, die am einen Ende offen und am andern geschlossen sind.
Wird an das offene Ende einer derartigen Röhre eine Stimmgabel ge-
halten, deren Ton mit demjenigen übereinstimmt, welcher beim An-
blasen der Röhre entsteht, so wird der Ton der Stimmgabel beträcht-
lich verstärkt. Um nun vermittelst eines Resonators die schwächeren
Partialtöne eines Klanges zu hören, lässt man beide Enden des Reso-
nators offen und steckt das eine in die eine Ohröffnung, während zu-
gleich das andere Ohr zugehalten wird. Befindet sich dann in dem
Klang der Eigenton des Resonators als Partialton, so wird derselbe
beträchtlich verstärkt gehört.

Die Thatsache, dass wir durch unsere Empfindung einen Klang
ebenso in mehrere einfache Töne zerlegen können, wie eine irgendwie
zusammengesetzte Schwingungsform objectiv in eine Reihe pendelarti-
ger Schwingungen zu zerlegen ist, beweist, dass wir mit dem Gehör-
organ die Schwingungsbewegungen ganz anders auffassen als mit dem
Gesichtssinn. Unser Auge sieht immer nur die resultirende Schwin-
gung, es kann dieselbe aber nicht zerlegen in die einfachen pendel-
artigen Schwingungen, aus denen sie sich zusammensetzt. Für das
Ohr besteht umgekehrt das Wahrnehmen der resultirenden Schwingung
nur in jener Zerlegung. Denn wenn wir auch ohne besondere Hülfs-
mittel die meisten Partialtöne eines Klangs gewöhnlich nicht gesondert
erkennen, so empfinden wir sie doch gesondert, und gerade
die neben einander herlaufenden Empfindungen mehrerer Töne machen
die Klangfarbe aus. Zum Erkennen der neben einander bestehenden
Empfindungen ist dagegen eine grosse Intensität derselben oder eine
gesteigerte Aufmerksamkeit erforderlich. Sehen wir uns in der Natur
nach einer Analogie für eine solche Zerlegung zusammengesetzter pe-
riodischer Bewegung in einfache um, so bieten die einzige Analogie
jene Erscheinungen des Mitschwingens, welche uns in den Stand setzen
auch objectiv die zusammengesetzten Schwingungen zu zerlegen. Las-
sen wir gegen den Resonanzboden eines Claviers, dessen Dämpfer ge-
hoben ist, einen kräftigen Klang ertönen, so kommen dadurch alle die-
jenigen Saiten in Mitschwingung, welche den einfachen Tönen entspre-
chen, die in dem angegebenen Klange enthalten sind. Könnten wir
jede Saite des Claviers mit einer Nervenfaser verbinden, so dass die
letztere erregt würde, sobald die Saite in Schwingung geriethe, so
würde jeder Klang, der das Instrument trifft, eine Reihe von Empfin-
dungen erregen entsprechend den pendelartigen Schwingungen, in
welche die Luftbewegung zu zerlegen ist. Dies findet nun beim Ohr
in der That statt. Hieraus dürfen wir folgern, dass in dem Ohr mit-
schwingende Theile
existiren, die in ähnlicher Weise wie die
Saiten eines Claviers auf verschiedene Tonhöhen abgestimmt sind, und

Von dem Schall.
cirt, derartige Mitschwingungen entstehen. Man nennt solche Luft-
räume Resonatoren. Meist benützt man als Resonatoren Glas-
röhren, die am einen Ende offen und am andern geschlossen sind.
Wird an das offene Ende einer derartigen Röhre eine Stimmgabel ge-
halten, deren Ton mit demjenigen übereinstimmt, welcher beim An-
blasen der Röhre entsteht, so wird der Ton der Stimmgabel beträcht-
lich verstärkt. Um nun vermittelst eines Resonators die schwächeren
Partialtöne eines Klanges zu hören, lässt man beide Enden des Reso-
nators offen und steckt das eine in die eine Ohröffnung, während zu-
gleich das andere Ohr zugehalten wird. Befindet sich dann in dem
Klang der Eigenton des Resonators als Partialton, so wird derselbe
beträchtlich verstärkt gehört.

Die Thatsache, dass wir durch unsere Empfindung einen Klang
ebenso in mehrere einfache Töne zerlegen können, wie eine irgendwie
zusammengesetzte Schwingungsform objectiv in eine Reihe pendelarti-
ger Schwingungen zu zerlegen ist, beweist, dass wir mit dem Gehör-
organ die Schwingungsbewegungen ganz anders auffassen als mit dem
Gesichtssinn. Unser Auge sieht immer nur die resultirende Schwin-
gung, es kann dieselbe aber nicht zerlegen in die einfachen pendel-
artigen Schwingungen, aus denen sie sich zusammensetzt. Für das
Ohr besteht umgekehrt das Wahrnehmen der resultirenden Schwingung
nur in jener Zerlegung. Denn wenn wir auch ohne besondere Hülfs-
mittel die meisten Partialtöne eines Klangs gewöhnlich nicht gesondert
erkennen, so empfinden wir sie doch gesondert, und gerade
die neben einander herlaufenden Empfindungen mehrerer Töne machen
die Klangfarbe aus. Zum Erkennen der neben einander bestehenden
Empfindungen ist dagegen eine grosse Intensität derselben oder eine
gesteigerte Aufmerksamkeit erforderlich. Sehen wir uns in der Natur
nach einer Analogie für eine solche Zerlegung zusammengesetzter pe-
riodischer Bewegung in einfache um, so bieten die einzige Analogie
jene Erscheinungen des Mitschwingens, welche uns in den Stand setzen
auch objectiv die zusammengesetzten Schwingungen zu zerlegen. Las-
sen wir gegen den Resonanzboden eines Claviers, dessen Dämpfer ge-
hoben ist, einen kräftigen Klang ertönen, so kommen dadurch alle die-
jenigen Saiten in Mitschwingung, welche den einfachen Tönen entspre-
chen, die in dem angegebenen Klange enthalten sind. Könnten wir
jede Saite des Claviers mit einer Nervenfaser verbinden, so dass die
letztere erregt würde, sobald die Saite in Schwingung geriethe, so
würde jeder Klang, der das Instrument trifft, eine Reihe von Empfin-
dungen erregen entsprechend den pendelartigen Schwingungen, in
welche die Luftbewegung zu zerlegen ist. Dies findet nun beim Ohr
in der That statt. Hieraus dürfen wir folgern, dass in dem Ohr mit-
schwingende Theile
existiren, die in ähnlicher Weise wie die
Saiten eines Claviers auf verschiedene Tonhöhen abgestimmt sind, und

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[168/0190] Von dem Schall. cirt, derartige Mitschwingungen entstehen. Man nennt solche Luft- räume Resonatoren. Meist benützt man als Resonatoren Glas- röhren, die am einen Ende offen und am andern geschlossen sind. Wird an das offene Ende einer derartigen Röhre eine Stimmgabel ge- halten, deren Ton mit demjenigen übereinstimmt, welcher beim An- blasen der Röhre entsteht, so wird der Ton der Stimmgabel beträcht- lich verstärkt. Um nun vermittelst eines Resonators die schwächeren Partialtöne eines Klanges zu hören, lässt man beide Enden des Reso- nators offen und steckt das eine in die eine Ohröffnung, während zu- gleich das andere Ohr zugehalten wird. Befindet sich dann in dem Klang der Eigenton des Resonators als Partialton, so wird derselbe beträchtlich verstärkt gehört. Die Thatsache, dass wir durch unsere Empfindung einen Klang ebenso in mehrere einfache Töne zerlegen können, wie eine irgendwie zusammengesetzte Schwingungsform objectiv in eine Reihe pendelarti- ger Schwingungen zu zerlegen ist, beweist, dass wir mit dem Gehör- organ die Schwingungsbewegungen ganz anders auffassen als mit dem Gesichtssinn. Unser Auge sieht immer nur die resultirende Schwin- gung, es kann dieselbe aber nicht zerlegen in die einfachen pendel- artigen Schwingungen, aus denen sie sich zusammensetzt. Für das Ohr besteht umgekehrt das Wahrnehmen der resultirenden Schwingung nur in jener Zerlegung. Denn wenn wir auch ohne besondere Hülfs- mittel die meisten Partialtöne eines Klangs gewöhnlich nicht gesondert erkennen, so empfinden wir sie doch gesondert, und gerade die neben einander herlaufenden Empfindungen mehrerer Töne machen die Klangfarbe aus. Zum Erkennen der neben einander bestehenden Empfindungen ist dagegen eine grosse Intensität derselben oder eine gesteigerte Aufmerksamkeit erforderlich. Sehen wir uns in der Natur nach einer Analogie für eine solche Zerlegung zusammengesetzter pe- riodischer Bewegung in einfache um, so bieten die einzige Analogie jene Erscheinungen des Mitschwingens, welche uns in den Stand setzen auch objectiv die zusammengesetzten Schwingungen zu zerlegen. Las- sen wir gegen den Resonanzboden eines Claviers, dessen Dämpfer ge- hoben ist, einen kräftigen Klang ertönen, so kommen dadurch alle die- jenigen Saiten in Mitschwingung, welche den einfachen Tönen entspre- chen, die in dem angegebenen Klange enthalten sind. Könnten wir jede Saite des Claviers mit einer Nervenfaser verbinden, so dass die letztere erregt würde, sobald die Saite in Schwingung geriethe, so würde jeder Klang, der das Instrument trifft, eine Reihe von Empfin- dungen erregen entsprechend den pendelartigen Schwingungen, in welche die Luftbewegung zu zerlegen ist. Dies findet nun beim Ohr in der That statt. Hieraus dürfen wir folgern, dass in dem Ohr mit- schwingende Theile existiren, die in ähnlicher Weise wie die Saiten eines Claviers auf verschiedene Tonhöhen abgestimmt sind, und

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/190>, abgerufen am 19.04.2024.