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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Entstehung und Ausbreitung des Schalls.
eine dem Sprachrohr ähnliche Form die angemessenste sein. Scheinbar
hat nun zwar das äussere Ohr des Menschen, das man als eine
von der Natur zur Aufsammlung der Schallwellen bestimmte Vor-
richtung zu betrachten pflegt, jene Form des Conus mit weiterer
nach aussen gekehrter und engerer gegen den Ohrkanal gerichteter
Oeffnung. In der That ist aber die Aehnlichkeit der Ohrmuschel
mit dem Anfang einer Röhre nur eine höchst oberflächliche. Die we-
sentlichsten Momente, welche die akustische Bedeutung des äus-
sern Ohrs ausmachen, sind wohl folgende. Die muschelförmige
Grube und die Innenfläche der vordern Ohrklappe sind einander zu-
gekehrte concave Flächen, von denen die letztere so gestellt ist, dass
sie die auf sie fallenden Schallstrahlen in den Ohrkanal reflectiren
muss. Nach den allgemeinen Gesetzen der Reflexion sind nun con-
cave Flächen stets zur Concentration der Wellen sehr geeignet: die
Ohrmuschel concentrirt daher die Schallwellen auf die Innenfläche der
vordern Ohrklappe, und diese concentrirt dieselben in den äussern Ge-
hörgang. Nach dem nämlichen Princip dürften noch manche andere
der am äussern Ohr sichtbaren Erhabenheiten und Vertiefungen aku-
stisch zu erklären sein. Eine weitere Bedeutung erhält die Form des
Ohrs dadurch, dass die hauptsächlichste zuerst den Schall auffangende
Fläche, die muschelförmige Grube, nach vorn gekehrt ist, so dass we-
gen der grösseren Intensität, mit der die von vorn kommenden Schall-
wellen in den Ohrkanal reflectirt werden, ein Urtheil über die Rich-
tung
des Schalls und über den Ort wo sich die Schallquelle befindet
möglich wird.

Man kann eine möglichst grosse Intensität der in den Gehörgang
gelangenden Schallstrahlen noch dadurch erzielen, dass man das eine
Ende eines cylindrischen Rohrs, an dessen anderm Ende die Schall-
wellen erregt werden, unmittelbar in den Gehörgang steckt. Hierbei
wird die sonstige Wirkung des Rohrs noch unterstützt durch die directe
Schalleitung der Wandungen desselben. Gewöhnlich wendet man zu
diesem Zweck cylindrische, am besten elastische Röhren (aus Kaut-
schuk) an, die ein geeignetes Ansatzstück aus Horn oder Elfenbein
besitzen, welches in den Gehörgang gebracht wird.

Es wäre ebenso einfach als zweckmässig, das zur Auscultation der Brust-
organe benützte Hörrohr (das Stethoskop) nach demselben Princip zu construi-
ren. Denn will man die Unbequemlichkeit vermeiden, die das unmittelbare Anlegen
des Ohres an die Brust mit sich bringt, so sollte man wenigstens dem benützten
Hörrohr diejenige Form geben, bei der es möglichs gut zu hören gestattet. Viele
unserer Stethoskope sind aber geradezu zum Schlechthören eingerichtet, indem sie die
Form eines Conus besitzen, dessen weitere Oeffnung auf die Brust aufgesetzt wird.
Ein Stethoskop, dass besser den akustischen Anforderungen entspricht, ist neuerdings
von König construirt worden. Poggendorff's Annalen 1864.


Entstehung und Ausbreitung des Schalls.
eine dem Sprachrohr ähnliche Form die angemessenste sein. Scheinbar
hat nun zwar das äussere Ohr des Menschen, das man als eine
von der Natur zur Aufsammlung der Schallwellen bestimmte Vor-
richtung zu betrachten pflegt, jene Form des Conus mit weiterer
nach aussen gekehrter und engerer gegen den Ohrkanal gerichteter
Oeffnung. In der That ist aber die Aehnlichkeit der Ohrmuschel
mit dem Anfang einer Röhre nur eine höchst oberflächliche. Die we-
sentlichsten Momente, welche die akustische Bedeutung des äus-
sern Ohrs ausmachen, sind wohl folgende. Die muschelförmige
Grube und die Innenfläche der vordern Ohrklappe sind einander zu-
gekehrte concave Flächen, von denen die letztere so gestellt ist, dass
sie die auf sie fallenden Schallstrahlen in den Ohrkanal reflectiren
muss. Nach den allgemeinen Gesetzen der Reflexion sind nun con-
cave Flächen stets zur Concentration der Wellen sehr geeignet: die
Ohrmuschel concentrirt daher die Schallwellen auf die Innenfläche der
vordern Ohrklappe, und diese concentrirt dieselben in den äussern Ge-
hörgang. Nach dem nämlichen Princip dürften noch manche andere
der am äussern Ohr sichtbaren Erhabenheiten und Vertiefungen aku-
stisch zu erklären sein. Eine weitere Bedeutung erhält die Form des
Ohrs dadurch, dass die hauptsächlichste zuerst den Schall auffangende
Fläche, die muschelförmige Grube, nach vorn gekehrt ist, so dass we-
gen der grösseren Intensität, mit der die von vorn kommenden Schall-
wellen in den Ohrkanal reflectirt werden, ein Urtheil über die Rich-
tung
des Schalls und über den Ort wo sich die Schallquelle befindet
möglich wird.

Man kann eine möglichst grosse Intensität der in den Gehörgang
gelangenden Schallstrahlen noch dadurch erzielen, dass man das eine
Ende eines cylindrischen Rohrs, an dessen anderm Ende die Schall-
wellen erregt werden, unmittelbar in den Gehörgang steckt. Hierbei
wird die sonstige Wirkung des Rohrs noch unterstützt durch die directe
Schalleitung der Wandungen desselben. Gewöhnlich wendet man zu
diesem Zweck cylindrische, am besten elastische Röhren (aus Kaut-
schuk) an, die ein geeignetes Ansatzstück aus Horn oder Elfenbein
besitzen, welches in den Gehörgang gebracht wird.

Es wäre ebenso einfach als zweckmässig, das zur Auscultation der Brust-
organe benützte Hörrohr (das Stethoskop) nach demselben Princip zu construi-
ren. Denn will man die Unbequemlichkeit vermeiden, die das unmittelbare Anlegen
des Ohres an die Brust mit sich bringt, so sollte man wenigstens dem benützten
Hörrohr diejenige Form geben, bei der es möglichs gut zu hören gestattet. Viele
unserer Stethoskope sind aber geradezu zum Schlechthören eingerichtet, indem sie die
Form eines Conus besitzen, dessen weitere Oeffnung auf die Brust aufgesetzt wird.
Ein Stethoskop, dass besser den akustischen Anforderungen entspricht, ist neuerdings
von König construirt worden. Poggendorff’s Annalen 1864.


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[159/0181] Entstehung und Ausbreitung des Schalls. eine dem Sprachrohr ähnliche Form die angemessenste sein. Scheinbar hat nun zwar das äussere Ohr des Menschen, das man als eine von der Natur zur Aufsammlung der Schallwellen bestimmte Vor- richtung zu betrachten pflegt, jene Form des Conus mit weiterer nach aussen gekehrter und engerer gegen den Ohrkanal gerichteter Oeffnung. In der That ist aber die Aehnlichkeit der Ohrmuschel mit dem Anfang einer Röhre nur eine höchst oberflächliche. Die we- sentlichsten Momente, welche die akustische Bedeutung des äus- sern Ohrs ausmachen, sind wohl folgende. Die muschelförmige Grube und die Innenfläche der vordern Ohrklappe sind einander zu- gekehrte concave Flächen, von denen die letztere so gestellt ist, dass sie die auf sie fallenden Schallstrahlen in den Ohrkanal reflectiren muss. Nach den allgemeinen Gesetzen der Reflexion sind nun con- cave Flächen stets zur Concentration der Wellen sehr geeignet: die Ohrmuschel concentrirt daher die Schallwellen auf die Innenfläche der vordern Ohrklappe, und diese concentrirt dieselben in den äussern Ge- hörgang. Nach dem nämlichen Princip dürften noch manche andere der am äussern Ohr sichtbaren Erhabenheiten und Vertiefungen aku- stisch zu erklären sein. Eine weitere Bedeutung erhält die Form des Ohrs dadurch, dass die hauptsächlichste zuerst den Schall auffangende Fläche, die muschelförmige Grube, nach vorn gekehrt ist, so dass we- gen der grösseren Intensität, mit der die von vorn kommenden Schall- wellen in den Ohrkanal reflectirt werden, ein Urtheil über die Rich- tung des Schalls und über den Ort wo sich die Schallquelle befindet möglich wird. Man kann eine möglichst grosse Intensität der in den Gehörgang gelangenden Schallstrahlen noch dadurch erzielen, dass man das eine Ende eines cylindrischen Rohrs, an dessen anderm Ende die Schall- wellen erregt werden, unmittelbar in den Gehörgang steckt. Hierbei wird die sonstige Wirkung des Rohrs noch unterstützt durch die directe Schalleitung der Wandungen desselben. Gewöhnlich wendet man zu diesem Zweck cylindrische, am besten elastische Röhren (aus Kaut- schuk) an, die ein geeignetes Ansatzstück aus Horn oder Elfenbein besitzen, welches in den Gehörgang gebracht wird. Es wäre ebenso einfach als zweckmässig, das zur Auscultation der Brust- organe benützte Hörrohr (das Stethoskop) nach demselben Princip zu construi- ren. Denn will man die Unbequemlichkeit vermeiden, die das unmittelbare Anlegen des Ohres an die Brust mit sich bringt, so sollte man wenigstens dem benützten Hörrohr diejenige Form geben, bei der es möglichs gut zu hören gestattet. Viele unserer Stethoskope sind aber geradezu zum Schlechthören eingerichtet, indem sie die Form eines Conus besitzen, dessen weitere Oeffnung auf die Brust aufgesetzt wird. Ein Stethoskop, dass besser den akustischen Anforderungen entspricht, ist neuerdings von König construirt worden. Poggendorff’s Annalen 1864.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/181>, abgerufen am 19.04.2024.