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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Entstehung und Ausbreitung des Schalls.
Schwingungen versetzt werden (so bei den Zungenpfeifen der Orgel
und Physharmonika), oder die schwingenden Zungen sind aus elasti-
schem Rohr geschnitzt (bei der Clarinette, der Oboe und dem Fagott),
oder endlich die Lippen des Blasenden selbst gerathen durch den
sich an ihnen brechenden Luftstrom in transversale Schwingungen
(bei den Hörnern und Trompeten). Diesen letzteren Instrumenten
gleicht in Bezug auf die Art der Schallbewegung vollständig der
menschliche Kehlkopf, dessen gespannte Stimmbänder membranöse,
beim Vorbeistreichen der Luft schwingende Zungen bilden.

Alle derartige Schwingungen fester Körper, mögen sie nun longi-109
Fortpflanzungs-
geschwindigkeit
des Schalls.

tudinal oder transversal sein, erzeugen in der umgebenden Luft Ver-
dünnungs- und Verdichtungswellen, die nach allen Seiten sich aus-
breiten. Treffen dieselben irgendwo auf ein menschliches Ohr, so
rufen sie in dessen Trommelfell Transversalwellen hervor, die sich
durch die Kette der Gehörknöchelchen auf das Wasser des Labyrinths
fortpflanzen, hier wieder in Longitudinalwellen übergehen und endlich
zuletzt an den eigentlichen Endorganen der Hörnerven, den Corti'schen
Fasern, sich ohne Zweifel noch einmal in Transversalschwingungen
umsetzen.

Aehnlich wie in der Luft und in Gasen wird der Schall auch in
tropfbaren Flüssigkeiten fortgepflanzt. Erzeugen wir also z. B. einen
Schall unter Wasser, und befindet sich ein menschliches Ohr in einer
gewissen Entfernung davon ebenfalls unter dem Wasser, so empfängt
dasselbe gerade so wie in der Luft einen Schalleindruck. Nur ist die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalls in beiden Fällen eine ver-
schiedene. Während der Schall in der Luft bei 0° um 332 Meter in
der Secunde sich fortpflanzt, beträgt diese Fortpflanzungsgeschwindig-
keit im Wasser ungefähr 1435 Meter. Noch grösser ist die Fortpflan-
zungsgeschwindigkeit des Schalls in festen Körpern: so ist sie im Ku-
pfer ungefähr 11 mal, im Eisen 15 mal so gross als in der Luft. In
der Luft selbst, und in den Gasen überhaupt, nimmt übrigens die
Geschwindigkeit des Schalls mit steigender Temperatur etwas zu.

Von dem Ort seiner Entstehung aus pflanzt sich der Schall als
eine kugelförmige Verdichtungs- und Verdünnungswelle nach allen
Richtungen fort. Durch die Schwingungen des schallerzeugenden
Körpers werden also nach einander die Luftschichten, die denselben
in concentrischen Kugelschalen umschliessen, in Schwingungen ver-
setzt. Da die lebendige Kraft der Schwingungsbewegung in jeder
dieser Kugelschalen im Ganzen dieselbe sein muss, so wird demnach
die Intensität des Schalls in irgend einem Punkt, der sich in einer
bestimmten Entfernung von der Schallquelle befindet, im umgekehrten
Verhältniss zu der Grösse der Kugelschale stehen, zu welcher der
Punkt gehört, und zu welcher die Distanz des Punktes von der Schall-

Entstehung und Ausbreitung des Schalls.
Schwingungen versetzt werden (so bei den Zungenpfeifen der Orgel
und Physharmonika), oder die schwingenden Zungen sind aus elasti-
schem Rohr geschnitzt (bei der Clarinette, der Oboe und dem Fagott),
oder endlich die Lippen des Blasenden selbst gerathen durch den
sich an ihnen brechenden Luftstrom in transversale Schwingungen
(bei den Hörnern und Trompeten). Diesen letzteren Instrumenten
gleicht in Bezug auf die Art der Schallbewegung vollständig der
menschliche Kehlkopf, dessen gespannte Stimmbänder membranöse,
beim Vorbeistreichen der Luft schwingende Zungen bilden.

Alle derartige Schwingungen fester Körper, mögen sie nun longi-109
Fortpflanzungs-
geschwindigkeit
des Schalls.

tudinal oder transversal sein, erzeugen in der umgebenden Luft Ver-
dünnungs- und Verdichtungswellen, die nach allen Seiten sich aus-
breiten. Treffen dieselben irgendwo auf ein menschliches Ohr, so
rufen sie in dessen Trommelfell Transversalwellen hervor, die sich
durch die Kette der Gehörknöchelchen auf das Wasser des Labyrinths
fortpflanzen, hier wieder in Longitudinalwellen übergehen und endlich
zuletzt an den eigentlichen Endorganen der Hörnerven, den Corti’schen
Fasern, sich ohne Zweifel noch einmal in Transversalschwingungen
umsetzen.

Aehnlich wie in der Luft und in Gasen wird der Schall auch in
tropfbaren Flüssigkeiten fortgepflanzt. Erzeugen wir also z. B. einen
Schall unter Wasser, und befindet sich ein menschliches Ohr in einer
gewissen Entfernung davon ebenfalls unter dem Wasser, so empfängt
dasselbe gerade so wie in der Luft einen Schalleindruck. Nur ist die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalls in beiden Fällen eine ver-
schiedene. Während der Schall in der Luft bei 0° um 332 Meter in
der Secunde sich fortpflanzt, beträgt diese Fortpflanzungsgeschwindig-
keit im Wasser ungefähr 1435 Meter. Noch grösser ist die Fortpflan-
zungsgeschwindigkeit des Schalls in festen Körpern: so ist sie im Ku-
pfer ungefähr 11 mal, im Eisen 15 mal so gross als in der Luft. In
der Luft selbst, und in den Gasen überhaupt, nimmt übrigens die
Geschwindigkeit des Schalls mit steigender Temperatur etwas zu.

Von dem Ort seiner Entstehung aus pflanzt sich der Schall als
eine kugelförmige Verdichtungs- und Verdünnungswelle nach allen
Richtungen fort. Durch die Schwingungen des schallerzeugenden
Körpers werden also nach einander die Luftschichten, die denselben
in concentrischen Kugelschalen umschliessen, in Schwingungen ver-
setzt. Da die lebendige Kraft der Schwingungsbewegung in jeder
dieser Kugelschalen im Ganzen dieselbe sein muss, so wird demnach
die Intensität des Schalls in irgend einem Punkt, der sich in einer
bestimmten Entfernung von der Schallquelle befindet, im umgekehrten
Verhältniss zu der Grösse der Kugelschale stehen, zu welcher der
Punkt gehört, und zu welcher die Distanz des Punktes von der Schall-

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[157/0179] Entstehung und Ausbreitung des Schalls. Schwingungen versetzt werden (so bei den Zungenpfeifen der Orgel und Physharmonika), oder die schwingenden Zungen sind aus elasti- schem Rohr geschnitzt (bei der Clarinette, der Oboe und dem Fagott), oder endlich die Lippen des Blasenden selbst gerathen durch den sich an ihnen brechenden Luftstrom in transversale Schwingungen (bei den Hörnern und Trompeten). Diesen letzteren Instrumenten gleicht in Bezug auf die Art der Schallbewegung vollständig der menschliche Kehlkopf, dessen gespannte Stimmbänder membranöse, beim Vorbeistreichen der Luft schwingende Zungen bilden. Alle derartige Schwingungen fester Körper, mögen sie nun longi- tudinal oder transversal sein, erzeugen in der umgebenden Luft Ver- dünnungs- und Verdichtungswellen, die nach allen Seiten sich aus- breiten. Treffen dieselben irgendwo auf ein menschliches Ohr, so rufen sie in dessen Trommelfell Transversalwellen hervor, die sich durch die Kette der Gehörknöchelchen auf das Wasser des Labyrinths fortpflanzen, hier wieder in Longitudinalwellen übergehen und endlich zuletzt an den eigentlichen Endorganen der Hörnerven, den Corti’schen Fasern, sich ohne Zweifel noch einmal in Transversalschwingungen umsetzen. 109 Fortpflanzungs- geschwindigkeit des Schalls. Aehnlich wie in der Luft und in Gasen wird der Schall auch in tropfbaren Flüssigkeiten fortgepflanzt. Erzeugen wir also z. B. einen Schall unter Wasser, und befindet sich ein menschliches Ohr in einer gewissen Entfernung davon ebenfalls unter dem Wasser, so empfängt dasselbe gerade so wie in der Luft einen Schalleindruck. Nur ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalls in beiden Fällen eine ver- schiedene. Während der Schall in der Luft bei 0° um 332 Meter in der Secunde sich fortpflanzt, beträgt diese Fortpflanzungsgeschwindig- keit im Wasser ungefähr 1435 Meter. Noch grösser ist die Fortpflan- zungsgeschwindigkeit des Schalls in festen Körpern: so ist sie im Ku- pfer ungefähr 11 mal, im Eisen 15 mal so gross als in der Luft. In der Luft selbst, und in den Gasen überhaupt, nimmt übrigens die Geschwindigkeit des Schalls mit steigender Temperatur etwas zu. Von dem Ort seiner Entstehung aus pflanzt sich der Schall als eine kugelförmige Verdichtungs- und Verdünnungswelle nach allen Richtungen fort. Durch die Schwingungen des schallerzeugenden Körpers werden also nach einander die Luftschichten, die denselben in concentrischen Kugelschalen umschliessen, in Schwingungen ver- setzt. Da die lebendige Kraft der Schwingungsbewegung in jeder dieser Kugelschalen im Ganzen dieselbe sein muss, so wird demnach die Intensität des Schalls in irgend einem Punkt, der sich in einer bestimmten Entfernung von der Schallquelle befindet, im umgekehrten Verhältniss zu der Grösse der Kugelschale stehen, zu welcher der Punkt gehört, und zu welcher die Distanz des Punktes von der Schall-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/179>, abgerufen am 24.04.2024.