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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von der Schwere.
eine mit der steigenden Luftverdünnung zunehmende Athemnoth und
sterben endlich den Erstickungstod. Die Wirkung des einseitig auf-
gehobenen Luftdrucks zeigt sich an der Glocke selber, die nur mit
grosser Kraftanstrengung von dem Teller der Luftpumpe entfernt wer-
den kann. Ein alter Versuch dient zur Veranschaulichung derselben
Erscheinung: bringt man zwei auf einander passende Halbkugeln aus
Holz oder Metall unter die Luftpumpe und evacuirt dann, so bleiben
nun die Halbkugeln auch nachdem sie aus dem luftleeren Raum he-
rausgenommen sind mit grosser Kraft an einander haften.


99
Luftleere Räume
im Thierkörper.

Die Natur hat sowohl vollkommen luftleere als auch luftverdünnte
Räume hergestellt und giebt uns daher Gelegenheit zur unmittelbaren
Beobachtung ähnlicher Erscheinungen, wie wir sie künstlich mittelst
der Luftpumpe erzeugen. So sind die Gelenkenden der Glieder des
thierischen Körpers luftdicht an die Gelenkflächen gefügt, auf denen
sie sich bewegen. Da nun die Gelenkenden selber unter dem äusseren
Luftdruck stehen, so bedarf es schon desshalb, abgesehen von der
Befestigung durch Bandverbindungen, einer beträchtlichen Gewalt, um
dieselben aus den Gelenken zu entfernen. Am Hüftgelenk, wo die
Kugeloberfläche des Schenkelkopfs allseitig von der die Luft abhal-
tenden Pfanne umfasst ist, kann man die sämmtlichen Bandverbindun-
gen trennen, ohne dass doch das Bein aus der Pfanne herausfällt.
Der Druck, welchen die atmosphärische Luft auf die freie Oberfläche
des Schenkelkopfs ausübt, ist in diesem Fall grösser als das Gewicht
des Beins und erhält daher von selbst schon dieses in seiner natür-
lichen Verbindung. Durch diese Veranstaltung werden offenbar die
Gelenkbewegungen ausserordentlich erleichtert, da nun alle Muskel-
anstrengung auf die Bewegung selber verwendet werden kann, aber
keine mehr zur Erhaltung der Glieder in ihrer Lage erforderlich ist.
Aehnlich bilden alle geschlossenen Höhlen unseres Körpers, wie die
Bauch- und Brusthöhle, luftleere Räume. Da die Bedeckungen der
Bauchhöhle zusammendrückbar sind, so schliessen sie sich desshalb
eng um die Eingeweide des Unterleibs, und das Zwerchfell erfährt
durch den auf die Bauchwandungen ausgeübten Luftdruck seine gegen
die Brusthöhle gerichtete Wölbung. Die Brusthöhle besitzt dagegen
starre Wandungen, so dass die äussere Oberfläche der Lungen nicht
unter dem Luftdruck steht, während ihre innere, mit der Luftröhre
communicirende Oberfläche den vollen Luftdruck erfährt. Hierdurch
wird bewirkt, dass die Lunge stets so weit ausgedehnt bleibt, als die
Grösse des Brustraumes es gestattet, und daher den Bewegungen des
Thorax unmittelbar Folge leistet. Ebenso ist der Luftdruck für das
Gefässsystem von grosser Wichtigkeit, indem er die Entleerung der
oberflächlicher gelegenen Venen in die Brusthöhle, in welcher die Ge-
fässe nicht unter dem Luftdruck stehen, begünstigt, und indem er die

Von der Schwere.
eine mit der steigenden Luftverdünnung zunehmende Athemnoth und
sterben endlich den Erstickungstod. Die Wirkung des einseitig auf-
gehobenen Luftdrucks zeigt sich an der Glocke selber, die nur mit
grosser Kraftanstrengung von dem Teller der Luftpumpe entfernt wer-
den kann. Ein alter Versuch dient zur Veranschaulichung derselben
Erscheinung: bringt man zwei auf einander passende Halbkugeln aus
Holz oder Metall unter die Luftpumpe und evacuirt dann, so bleiben
nun die Halbkugeln auch nachdem sie aus dem luftleeren Raum he-
rausgenommen sind mit grosser Kraft an einander haften.


99
Luftleere Räume
im Thierkörper.

Die Natur hat sowohl vollkommen luftleere als auch luftverdünnte
Räume hergestellt und giebt uns daher Gelegenheit zur unmittelbaren
Beobachtung ähnlicher Erscheinungen, wie wir sie künstlich mittelst
der Luftpumpe erzeugen. So sind die Gelenkenden der Glieder des
thierischen Körpers luftdicht an die Gelenkflächen gefügt, auf denen
sie sich bewegen. Da nun die Gelenkenden selber unter dem äusseren
Luftdruck stehen, so bedarf es schon desshalb, abgesehen von der
Befestigung durch Bandverbindungen, einer beträchtlichen Gewalt, um
dieselben aus den Gelenken zu entfernen. Am Hüftgelenk, wo die
Kugeloberfläche des Schenkelkopfs allseitig von der die Luft abhal-
tenden Pfanne umfasst ist, kann man die sämmtlichen Bandverbindun-
gen trennen, ohne dass doch das Bein aus der Pfanne herausfällt.
Der Druck, welchen die atmosphärische Luft auf die freie Oberfläche
des Schenkelkopfs ausübt, ist in diesem Fall grösser als das Gewicht
des Beins und erhält daher von selbst schon dieses in seiner natür-
lichen Verbindung. Durch diese Veranstaltung werden offenbar die
Gelenkbewegungen ausserordentlich erleichtert, da nun alle Muskel-
anstrengung auf die Bewegung selber verwendet werden kann, aber
keine mehr zur Erhaltung der Glieder in ihrer Lage erforderlich ist.
Aehnlich bilden alle geschlossenen Höhlen unseres Körpers, wie die
Bauch- und Brusthöhle, luftleere Räume. Da die Bedeckungen der
Bauchhöhle zusammendrückbar sind, so schliessen sie sich desshalb
eng um die Eingeweide des Unterleibs, und das Zwerchfell erfährt
durch den auf die Bauchwandungen ausgeübten Luftdruck seine gegen
die Brusthöhle gerichtete Wölbung. Die Brusthöhle besitzt dagegen
starre Wandungen, so dass die äussere Oberfläche der Lungen nicht
unter dem Luftdruck steht, während ihre innere, mit der Luftröhre
communicirende Oberfläche den vollen Luftdruck erfährt. Hierdurch
wird bewirkt, dass die Lunge stets so weit ausgedehnt bleibt, als die
Grösse des Brustraumes es gestattet, und daher den Bewegungen des
Thorax unmittelbar Folge leistet. Ebenso ist der Luftdruck für das
Gefässsystem von grosser Wichtigkeit, indem er die Entleerung der
oberflächlicher gelegenen Venen in die Brusthöhle, in welcher die Ge-
fässe nicht unter dem Luftdruck stehen, begünstigt, und indem er die

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[142/0164] Von der Schwere. eine mit der steigenden Luftverdünnung zunehmende Athemnoth und sterben endlich den Erstickungstod. Die Wirkung des einseitig auf- gehobenen Luftdrucks zeigt sich an der Glocke selber, die nur mit grosser Kraftanstrengung von dem Teller der Luftpumpe entfernt wer- den kann. Ein alter Versuch dient zur Veranschaulichung derselben Erscheinung: bringt man zwei auf einander passende Halbkugeln aus Holz oder Metall unter die Luftpumpe und evacuirt dann, so bleiben nun die Halbkugeln auch nachdem sie aus dem luftleeren Raum he- rausgenommen sind mit grosser Kraft an einander haften. Die Natur hat sowohl vollkommen luftleere als auch luftverdünnte Räume hergestellt und giebt uns daher Gelegenheit zur unmittelbaren Beobachtung ähnlicher Erscheinungen, wie wir sie künstlich mittelst der Luftpumpe erzeugen. So sind die Gelenkenden der Glieder des thierischen Körpers luftdicht an die Gelenkflächen gefügt, auf denen sie sich bewegen. Da nun die Gelenkenden selber unter dem äusseren Luftdruck stehen, so bedarf es schon desshalb, abgesehen von der Befestigung durch Bandverbindungen, einer beträchtlichen Gewalt, um dieselben aus den Gelenken zu entfernen. Am Hüftgelenk, wo die Kugeloberfläche des Schenkelkopfs allseitig von der die Luft abhal- tenden Pfanne umfasst ist, kann man die sämmtlichen Bandverbindun- gen trennen, ohne dass doch das Bein aus der Pfanne herausfällt. Der Druck, welchen die atmosphärische Luft auf die freie Oberfläche des Schenkelkopfs ausübt, ist in diesem Fall grösser als das Gewicht des Beins und erhält daher von selbst schon dieses in seiner natür- lichen Verbindung. Durch diese Veranstaltung werden offenbar die Gelenkbewegungen ausserordentlich erleichtert, da nun alle Muskel- anstrengung auf die Bewegung selber verwendet werden kann, aber keine mehr zur Erhaltung der Glieder in ihrer Lage erforderlich ist. Aehnlich bilden alle geschlossenen Höhlen unseres Körpers, wie die Bauch- und Brusthöhle, luftleere Räume. Da die Bedeckungen der Bauchhöhle zusammendrückbar sind, so schliessen sie sich desshalb eng um die Eingeweide des Unterleibs, und das Zwerchfell erfährt durch den auf die Bauchwandungen ausgeübten Luftdruck seine gegen die Brusthöhle gerichtete Wölbung. Die Brusthöhle besitzt dagegen starre Wandungen, so dass die äussere Oberfläche der Lungen nicht unter dem Luftdruck steht, während ihre innere, mit der Luftröhre communicirende Oberfläche den vollen Luftdruck erfährt. Hierdurch wird bewirkt, dass die Lunge stets so weit ausgedehnt bleibt, als die Grösse des Brustraumes es gestattet, und daher den Bewegungen des Thorax unmittelbar Folge leistet. Ebenso ist der Luftdruck für das Gefässsystem von grosser Wichtigkeit, indem er die Entleerung der oberflächlicher gelegenen Venen in die Brusthöhle, in welcher die Ge- fässe nicht unter dem Luftdruck stehen, begünstigt, und indem er die

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/164>, abgerufen am 23.04.2024.