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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von der Schwere.
sie erlischt erst am Eingang in das Capillarsystem, während die
negative Venenwelle nur im Anfang des Venensystems zur Beobach-
tung kommt. Bis in die kleinsten Arterien verliert die positive Welle
wenig an ihrer Kraft, erst hier wachsen durch zahlreiche Verzweigun-
gen die Widerstände so bedeutend, dass die Welle fast plötzlich ihr
Ende erreicht. Die Bewegung des Blutstroms ist theils von diesen
Verhältnissen der Fortpflanzung der Welle, theils von dem Rhythmus
der Herzbewegungen abhängig. Während der Herzpause muss die
Geschwindigkeit des Stroms am Eingang in das Arteriensystem null
sein; der Blutstrom ist desshalb hier ein intermittirender. Aber
die Herzbewegungen folgen schnell genug auf einander, dass schon
in den aus der Verzweigung der Körperschagader hervorgehenden
Stämmen die Bewegung des Blutes nie vollkommen still steht, sie ist
daher in diesen eine remittirende und bleibt dies bis in das Capil-
larsystem, wo sie in eine gleichförmige Strömung sich umwandelt;
also solche erhält sie sich bis in die grösseren Venen, wo durch die
negative Welle von neuem Remissionen auftreten. Doch wird sogar
an der Einmündungsstelle des Venensystems die Bewegung nicht wie-
der intermittirend, da hier, auch wenn die negative Welle nicht vor-
handen wäre, doch immer noch ein continuirliches Ausströmen in Folge
der positiven Welle im Arteriensystem übrig bliebe.


92
Physik des Ar-
terienpulses.

Die positive Welle der Arterien gibt sich uns als Arterienpuls
zu erkennen. Die physikalische Beschaffenheit des Arterienpulses ist
eines der wichtigsten Merkmale für die Beurtheilung der Zustände und
Functionen der Kreislaufsorgane. Wir haben daher zum Schlusse die-
ses Capitels noch die wichtigsten bei der Untersuchung des Pulses
massgebenden physikalischen Gesichtspunkte hervorzuheben. Das ein-
fachste und in gewissem Sinn unentbehrliche Hülfsmittel dieser Unter-
suchung ist die tastende Hand. Diese unterscheidet zunächst die
Geschwindigkeit in der Aufeinanderfolge der einzelnen Pulswellen,
welche stets genau derjenigen Geschwindigkeit entsprechen muss, mit
welcher an der Ursprungsstelle des Arteriensystems durch die Contrac-
tionen der Herzkammern die einzelnen Wellen erzeugt werden. Alle
Unregelmässigkeiten im Rhythmus des Pulses, mögen sie nun darin
bestehen, dass der Puls Pausen von verschiedener Dauer macht, oder
darin, dass er abwechselnd stärker und schwächer wird, müssen daher
auf entsprechende Unregelmässigkeiten der Zusammenziehungen des
Herzens bezogen werden. Dagegen können die in der Beschaffenheit
der einzelnen Blutwelle zu beobachtenden Unterschiede bald von
der ursprünglichen Erzeugungsart der Welle bald von der Eigenthüm-
lichkeit der Gefässwandung, an welcher die Welle verläuft, abhängig
sein.

In letzterer Beziehung können wir die grössere oder geringere

Von der Schwere.
sie erlischt erst am Eingang in das Capillarsystem, während die
negative Venenwelle nur im Anfang des Venensystems zur Beobach-
tung kommt. Bis in die kleinsten Arterien verliert die positive Welle
wenig an ihrer Kraft, erst hier wachsen durch zahlreiche Verzweigun-
gen die Widerstände so bedeutend, dass die Welle fast plötzlich ihr
Ende erreicht. Die Bewegung des Blutstroms ist theils von diesen
Verhältnissen der Fortpflanzung der Welle, theils von dem Rhythmus
der Herzbewegungen abhängig. Während der Herzpause muss die
Geschwindigkeit des Stroms am Eingang in das Arteriensystem null
sein; der Blutstrom ist desshalb hier ein intermittirender. Aber
die Herzbewegungen folgen schnell genug auf einander, dass schon
in den aus der Verzweigung der Körperschagader hervorgehenden
Stämmen die Bewegung des Blutes nie vollkommen still steht, sie ist
daher in diesen eine remittirende und bleibt dies bis in das Capil-
larsystem, wo sie in eine gleichförmige Strömung sich umwandelt;
also solche erhält sie sich bis in die grösseren Venen, wo durch die
negative Welle von neuem Remissionen auftreten. Doch wird sogar
an der Einmündungsstelle des Venensystems die Bewegung nicht wie-
der intermittirend, da hier, auch wenn die negative Welle nicht vor-
handen wäre, doch immer noch ein continuirliches Ausströmen in Folge
der positiven Welle im Arteriensystem übrig bliebe.


92
Physik des Ar-
terienpulses.

Die positive Welle der Arterien gibt sich uns als Arterienpuls
zu erkennen. Die physikalische Beschaffenheit des Arterienpulses ist
eines der wichtigsten Merkmale für die Beurtheilung der Zustände und
Functionen der Kreislaufsorgane. Wir haben daher zum Schlusse die-
ses Capitels noch die wichtigsten bei der Untersuchung des Pulses
massgebenden physikalischen Gesichtspunkte hervorzuheben. Das ein-
fachste und in gewissem Sinn unentbehrliche Hülfsmittel dieser Unter-
suchung ist die tastende Hand. Diese unterscheidet zunächst die
Geschwindigkeit in der Aufeinanderfolge der einzelnen Pulswellen,
welche stets genau derjenigen Geschwindigkeit entsprechen muss, mit
welcher an der Ursprungsstelle des Arteriensystems durch die Contrac-
tionen der Herzkammern die einzelnen Wellen erzeugt werden. Alle
Unregelmässigkeiten im Rhythmus des Pulses, mögen sie nun darin
bestehen, dass der Puls Pausen von verschiedener Dauer macht, oder
darin, dass er abwechselnd stärker und schwächer wird, müssen daher
auf entsprechende Unregelmässigkeiten der Zusammenziehungen des
Herzens bezogen werden. Dagegen können die in der Beschaffenheit
der einzelnen Blutwelle zu beobachtenden Unterschiede bald von
der ursprünglichen Erzeugungsart der Welle bald von der Eigenthüm-
lichkeit der Gefässwandung, an welcher die Welle verläuft, abhängig
sein.

In letzterer Beziehung können wir die grössere oder geringere

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[130/0152] Von der Schwere. sie erlischt erst am Eingang in das Capillarsystem, während die negative Venenwelle nur im Anfang des Venensystems zur Beobach- tung kommt. Bis in die kleinsten Arterien verliert die positive Welle wenig an ihrer Kraft, erst hier wachsen durch zahlreiche Verzweigun- gen die Widerstände so bedeutend, dass die Welle fast plötzlich ihr Ende erreicht. Die Bewegung des Blutstroms ist theils von diesen Verhältnissen der Fortpflanzung der Welle, theils von dem Rhythmus der Herzbewegungen abhängig. Während der Herzpause muss die Geschwindigkeit des Stroms am Eingang in das Arteriensystem null sein; der Blutstrom ist desshalb hier ein intermittirender. Aber die Herzbewegungen folgen schnell genug auf einander, dass schon in den aus der Verzweigung der Körperschagader hervorgehenden Stämmen die Bewegung des Blutes nie vollkommen still steht, sie ist daher in diesen eine remittirende und bleibt dies bis in das Capil- larsystem, wo sie in eine gleichförmige Strömung sich umwandelt; also solche erhält sie sich bis in die grösseren Venen, wo durch die negative Welle von neuem Remissionen auftreten. Doch wird sogar an der Einmündungsstelle des Venensystems die Bewegung nicht wie- der intermittirend, da hier, auch wenn die negative Welle nicht vor- handen wäre, doch immer noch ein continuirliches Ausströmen in Folge der positiven Welle im Arteriensystem übrig bliebe. Die positive Welle der Arterien gibt sich uns als Arterienpuls zu erkennen. Die physikalische Beschaffenheit des Arterienpulses ist eines der wichtigsten Merkmale für die Beurtheilung der Zustände und Functionen der Kreislaufsorgane. Wir haben daher zum Schlusse die- ses Capitels noch die wichtigsten bei der Untersuchung des Pulses massgebenden physikalischen Gesichtspunkte hervorzuheben. Das ein- fachste und in gewissem Sinn unentbehrliche Hülfsmittel dieser Unter- suchung ist die tastende Hand. Diese unterscheidet zunächst die Geschwindigkeit in der Aufeinanderfolge der einzelnen Pulswellen, welche stets genau derjenigen Geschwindigkeit entsprechen muss, mit welcher an der Ursprungsstelle des Arteriensystems durch die Contrac- tionen der Herzkammern die einzelnen Wellen erzeugt werden. Alle Unregelmässigkeiten im Rhythmus des Pulses, mögen sie nun darin bestehen, dass der Puls Pausen von verschiedener Dauer macht, oder darin, dass er abwechselnd stärker und schwächer wird, müssen daher auf entsprechende Unregelmässigkeiten der Zusammenziehungen des Herzens bezogen werden. Dagegen können die in der Beschaffenheit der einzelnen Blutwelle zu beobachtenden Unterschiede bald von der ursprünglichen Erzeugungsart der Welle bald von der Eigenthüm- lichkeit der Gefässwandung, an welcher die Welle verläuft, abhängig sein. In letzterer Beziehung können wir die grössere oder geringere

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/152>, abgerufen am 25.04.2024.