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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von der Schwere.
Widerstandes annähernd bei Systemen von gleichem Durchmesser der Röhren, wie
Fig. 48 und 49, verwirklicht zu sein. Nach den neueren Angaben von Jacobson
aber bewirkt die Verzweigung in der Regel eine Vergrösserung der Ausflussgeschwin-
digkeit, und nach den sorgfältigen Versuchen dieses Beobachters ist zu vermuthen,
dass ausser den oben erwähnten noch andere, bis jetzt nicht näher zu übersehende
Momente die Ausflussgeschwindigkeit bei der Verzweigung vergrössern.


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Flüssigkeits-
bewegung in
Capillarröhren.

Die oben geltend gemachten Beziehungen zwischen Widerstand,
Geschwindigkeit der Flüssigkeit und Durchmesser der Ausflussröhren
gelten sämmtlich nur so lange, als der Durchmesser nicht unter eine
gewisse Grösse sinkt. Die Strömungserscheinungen in Capillarröh-
ren
stimmen mit der Flüssigkeitsbewegung in weiteren Röhren darin
überein, dass auch bei ihnen der Widerstand proportional der
Röhrenlänge zu- und demgemäss ebenso die Geschwindigkeit abnimmt.
Sie unterscheiden sich aber dadurch, dass die Ausflussgeschwindigkeit
nicht dem Querschnitt, sondern der vierten Potenz des Durchmessers
der Röhre proportional ist. Dies hat offenbar darin seinen Grund,
dass hier ausser der Reibung der Flüssigkeitstheilchen an einander
auch die Adhäsion an der Röhrenwandung in Rücksicht kommt. Nach
den Beobachtungen von Poiseuille und Hagen über den Ausfluss
aus Capillarröhren ist ferner die Temperatur, die Beschaffenheit der
Flüssigkeit und der Röhrenwandung von wesentlichem Einflusse, wie
dies nach den allgemeinen Phänomenen der Capillarität (§. 73) schon
vorausgesehen werden kann.


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Anwendungen
auf die Blut-
bewegung.

Die erörterten Gesetze der Flüssigkeitsbewegung in Röhrensy-
stemen enthalten die wesentlichsten Principien, nach denen die Blut-
bewegung
in dem Röhrensystem der Kreislaufsorgane zu beurtheilen
ist. Das Herz wirkt ähnlich einem Druckgefäss. Der ganze Druck,
den es ausübt, ist theils Geschwindigkeits- theils Widerstandshöhe.
Der ersteren entspricht die Ausflussgeschwindigkeit des Blutes aus
dem Herzen, der letzteren der an der Einflussstelle in die Körper-
und in die Lungenschlagader vorhandene Seitendruck. Durch diesen
Seitendruck wird der ganze im System des grossen und des kleinen
Kreislaufs vorhandene Widerstand gemessen. In dem Maasse als zur
Ueberwindung des Widerstandes Kraft verbraucht wird, fällt in den
vom Herzen entfernter liegenden Gefässen der Seitendruck. Der Ge-
sammtquerschnitt des Gefässsystems nimmt zuerst beträchtlich zu und
dann wieder ab: ihre grösste Erweiterung hat die Blutbahn im Capil-
larsystem, ihre engsten Stellen bilden die grossen Gefässe, die am
Herzen ein- und austreten. Die Blutgeschwindigkeit sinkt daher gegen
das Capillarsystem und ist in diesem am kleinsten, während sie in
den Venen wieder wächst, doch erreicht sie nicht völlig die Geschwin-
digkeit in den grossen Arterien, weil der Gesammtquerschnitt der in

Von der Schwere.
Widerstandes annähernd bei Systemen von gleichem Durchmesser der Röhren, wie
Fig. 48 und 49, verwirklicht zu sein. Nach den neueren Angaben von Jacobson
aber bewirkt die Verzweigung in der Regel eine Vergrösserung der Ausflussgeschwin-
digkeit, und nach den sorgfältigen Versuchen dieses Beobachters ist zu vermuthen,
dass ausser den oben erwähnten noch andere, bis jetzt nicht näher zu übersehende
Momente die Ausflussgeschwindigkeit bei der Verzweigung vergrössern.


83
Flüssigkeits-
bewegung in
Capillarröhren.

Die oben geltend gemachten Beziehungen zwischen Widerstand,
Geschwindigkeit der Flüssigkeit und Durchmesser der Ausflussröhren
gelten sämmtlich nur so lange, als der Durchmesser nicht unter eine
gewisse Grösse sinkt. Die Strömungserscheinungen in Capillarröh-
ren
stimmen mit der Flüssigkeitsbewegung in weiteren Röhren darin
überein, dass auch bei ihnen der Widerstand proportional der
Röhrenlänge zu- und demgemäss ebenso die Geschwindigkeit abnimmt.
Sie unterscheiden sich aber dadurch, dass die Ausflussgeschwindigkeit
nicht dem Querschnitt, sondern der vierten Potenz des Durchmessers
der Röhre proportional ist. Dies hat offenbar darin seinen Grund,
dass hier ausser der Reibung der Flüssigkeitstheilchen an einander
auch die Adhäsion an der Röhrenwandung in Rücksicht kommt. Nach
den Beobachtungen von Poiseuille und Hagen über den Ausfluss
aus Capillarröhren ist ferner die Temperatur, die Beschaffenheit der
Flüssigkeit und der Röhrenwandung von wesentlichem Einflusse, wie
dies nach den allgemeinen Phänomenen der Capillarität (§. 73) schon
vorausgesehen werden kann.


84
Anwendungen
auf die Blut-
bewegung.

Die erörterten Gesetze der Flüssigkeitsbewegung in Röhrensy-
stemen enthalten die wesentlichsten Principien, nach denen die Blut-
bewegung
in dem Röhrensystem der Kreislaufsorgane zu beurtheilen
ist. Das Herz wirkt ähnlich einem Druckgefäss. Der ganze Druck,
den es ausübt, ist theils Geschwindigkeits- theils Widerstandshöhe.
Der ersteren entspricht die Ausflussgeschwindigkeit des Blutes aus
dem Herzen, der letzteren der an der Einflussstelle in die Körper-
und in die Lungenschlagader vorhandene Seitendruck. Durch diesen
Seitendruck wird der ganze im System des grossen und des kleinen
Kreislaufs vorhandene Widerstand gemessen. In dem Maasse als zur
Ueberwindung des Widerstandes Kraft verbraucht wird, fällt in den
vom Herzen entfernter liegenden Gefässen der Seitendruck. Der Ge-
sammtquerschnitt des Gefässsystems nimmt zuerst beträchtlich zu und
dann wieder ab: ihre grösste Erweiterung hat die Blutbahn im Capil-
larsystem, ihre engsten Stellen bilden die grossen Gefässe, die am
Herzen ein- und austreten. Die Blutgeschwindigkeit sinkt daher gegen
das Capillarsystem und ist in diesem am kleinsten, während sie in
den Venen wieder wächst, doch erreicht sie nicht völlig die Geschwin-
digkeit in den grossen Arterien, weil der Gesammtquerschnitt der in

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[118/0140] Von der Schwere. Widerstandes annähernd bei Systemen von gleichem Durchmesser der Röhren, wie Fig. 48 und 49, verwirklicht zu sein. Nach den neueren Angaben von Jacobson aber bewirkt die Verzweigung in der Regel eine Vergrösserung der Ausflussgeschwin- digkeit, und nach den sorgfältigen Versuchen dieses Beobachters ist zu vermuthen, dass ausser den oben erwähnten noch andere, bis jetzt nicht näher zu übersehende Momente die Ausflussgeschwindigkeit bei der Verzweigung vergrössern. Die oben geltend gemachten Beziehungen zwischen Widerstand, Geschwindigkeit der Flüssigkeit und Durchmesser der Ausflussröhren gelten sämmtlich nur so lange, als der Durchmesser nicht unter eine gewisse Grösse sinkt. Die Strömungserscheinungen in Capillarröh- ren stimmen mit der Flüssigkeitsbewegung in weiteren Röhren darin überein, dass auch bei ihnen der Widerstand proportional der Röhrenlänge zu- und demgemäss ebenso die Geschwindigkeit abnimmt. Sie unterscheiden sich aber dadurch, dass die Ausflussgeschwindigkeit nicht dem Querschnitt, sondern der vierten Potenz des Durchmessers der Röhre proportional ist. Dies hat offenbar darin seinen Grund, dass hier ausser der Reibung der Flüssigkeitstheilchen an einander auch die Adhäsion an der Röhrenwandung in Rücksicht kommt. Nach den Beobachtungen von Poiseuille und Hagen über den Ausfluss aus Capillarröhren ist ferner die Temperatur, die Beschaffenheit der Flüssigkeit und der Röhrenwandung von wesentlichem Einflusse, wie dies nach den allgemeinen Phänomenen der Capillarität (§. 73) schon vorausgesehen werden kann. Die erörterten Gesetze der Flüssigkeitsbewegung in Röhrensy- stemen enthalten die wesentlichsten Principien, nach denen die Blut- bewegung in dem Röhrensystem der Kreislaufsorgane zu beurtheilen ist. Das Herz wirkt ähnlich einem Druckgefäss. Der ganze Druck, den es ausübt, ist theils Geschwindigkeits- theils Widerstandshöhe. Der ersteren entspricht die Ausflussgeschwindigkeit des Blutes aus dem Herzen, der letzteren der an der Einflussstelle in die Körper- und in die Lungenschlagader vorhandene Seitendruck. Durch diesen Seitendruck wird der ganze im System des grossen und des kleinen Kreislaufs vorhandene Widerstand gemessen. In dem Maasse als zur Ueberwindung des Widerstandes Kraft verbraucht wird, fällt in den vom Herzen entfernter liegenden Gefässen der Seitendruck. Der Ge- sammtquerschnitt des Gefässsystems nimmt zuerst beträchtlich zu und dann wieder ab: ihre grösste Erweiterung hat die Blutbahn im Capil- larsystem, ihre engsten Stellen bilden die grossen Gefässe, die am Herzen ein- und austreten. Die Blutgeschwindigkeit sinkt daher gegen das Capillarsystem und ist in diesem am kleinsten, während sie in den Venen wieder wächst, doch erreicht sie nicht völlig die Geschwin- digkeit in den grossen Arterien, weil der Gesammtquerschnitt der in

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/140>, abgerufen am 29.03.2024.