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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren.
Stelle C, wo die Zweige wieder zusammenmünden. Hier muss
der Druck sinken, weil das Strombett sich verengert, und weil
gleichzeitig eine winkelige Biegung des Rohres stattfindet: jetzt wirken
also beide Momente im selben Sinne, die Drucklinie zeigt daher bei
C ein plötzliches Sinken, das stärker ist als bei der blossen Verenge-
rung des Strombetts. Als eine unmittelbare Folgerung, die auch ex-
perimentell bestätigt worden ist, ergiebt sich hieraus, dass in einem
symmetrischen Röhrensystem der Druck nicht symmetrisch ansteigt
und abfällt, sondern dass er an einer der Mitte des Röhrensystems
entsprechenden Stelle m grösser ist als das Mittel des Drucks an zwei
symmetrisch vor und hinter dieser Stelle gelegenen Punkten B und C.
Hinsichtlich der absoluten Grösse des Drucks an der Einflussöffnung A,
der Widerstandshöhe, wäre im Allgemeinen zu erwarten, dass die-
selbe theils wegen der Winkelbiegung, theils wegen der Vergrösserung
der Berührungsfläche zwischen Flüssigkeit und Röhrenwandung bei
einem verzweigten Röhrensystem eine grössere sei als bei einer
geraden Röhre. Auch diesem Einfluss wirkt aber die Erweiterung des
Strombetts entgegen. Es kann daher eintreten, dass beide Momente
entweder sich compensiren, d. h. dass für ein stärker verzweigtes Röh-
rensystem die Widerstandshöhe nicht grösser ist als für ein einfache-
res, oder dass sogar die Widerstandshöhe des verzweigten Systems
kleiner wird, weil die Vergrösserung des Durchmessers den Wider-
stand um mehr vermindert, als ihn die Verzweigung vergrössert. Wenn
nun die Widerstandshöhe die nämliche ist, so ist offenbar auch die
Geschwindigkeitshöhe in beiden Fällen gleich: es fliesst also, voraus-
gesetzt, dass man dasselbe Druckgefäss anwendet, aus dem zusam-
mengesetzteren System (Fig. 49) in einer bestimmten Zeit ebensoviel
oder, wenn die Widerstandshöhe kleiner ist, sogar mehr Flüssigkeit
aus wie aus dem einfacheren (Fig. 48). Der Winkel, unter welchem
sich die Strombahn verzweigt, scheint von keinem merklichen Einfluss
auf Widerstand und Geschwindigkeit.

Dass bei jeder Erweiterung der Strombahn die Widerstandshöhe abnimmt, ergibt
sich unmittelbar aus der zwischen Druck und Geschwindigkeit festgestellten Beziehung
[Formel 1] . Diese Abnahme des Drucks hat ihren Grund in der relativen Ver-
minderung der Berührungsfläche zwischen Flüssigkeit und Röhrenwandung, da die
Menge der an der Wand adhärirenden Flüssigkeit nur im einfachen Verhältniss des
Durchmessers, die Menge der nicht adhärirenden Flüssigkeit dagegen im quadratischen
Verhältniss des Durchmessers zunimmt. Findet nun bei einer Theilung des Rohres
zugleich eine Erweiterung des Strombetts statt, so kann leicht trotzdem die Grösse
der adhärirenden Fläche im Verhältniss zur Menge der strömenden Flüssigkeit ver-
mindert werden oder sich gleich bleiben. Letzteres ist z. B. bei der Theilung in meh-
rere Röhren von gleichem Durchmesser der Fall. Nach den Versuchen Volkmanns
scheint in der That das Gleichgewicht zwischen Vermehrung und Verminderung des

Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren.
Stelle C, wo die Zweige wieder zusammenmünden. Hier muss
der Druck sinken, weil das Strombett sich verengert, und weil
gleichzeitig eine winkelige Biegung des Rohres stattfindet: jetzt wirken
also beide Momente im selben Sinne, die Drucklinie zeigt daher bei
C ein plötzliches Sinken, das stärker ist als bei der blossen Verenge-
rung des Strombetts. Als eine unmittelbare Folgerung, die auch ex-
perimentell bestätigt worden ist, ergiebt sich hieraus, dass in einem
symmetrischen Röhrensystem der Druck nicht symmetrisch ansteigt
und abfällt, sondern dass er an einer der Mitte des Röhrensystems
entsprechenden Stelle m grösser ist als das Mittel des Drucks an zwei
symmetrisch vor und hinter dieser Stelle gelegenen Punkten B und C.
Hinsichtlich der absoluten Grösse des Drucks an der Einflussöffnung A,
der Widerstandshöhe, wäre im Allgemeinen zu erwarten, dass die-
selbe theils wegen der Winkelbiegung, theils wegen der Vergrösserung
der Berührungsfläche zwischen Flüssigkeit und Röhrenwandung bei
einem verzweigten Röhrensystem eine grössere sei als bei einer
geraden Röhre. Auch diesem Einfluss wirkt aber die Erweiterung des
Strombetts entgegen. Es kann daher eintreten, dass beide Momente
entweder sich compensiren, d. h. dass für ein stärker verzweigtes Röh-
rensystem die Widerstandshöhe nicht grösser ist als für ein einfache-
res, oder dass sogar die Widerstandshöhe des verzweigten Systems
kleiner wird, weil die Vergrösserung des Durchmessers den Wider-
stand um mehr vermindert, als ihn die Verzweigung vergrössert. Wenn
nun die Widerstandshöhe die nämliche ist, so ist offenbar auch die
Geschwindigkeitshöhe in beiden Fällen gleich: es fliesst also, voraus-
gesetzt, dass man dasselbe Druckgefäss anwendet, aus dem zusam-
mengesetzteren System (Fig. 49) in einer bestimmten Zeit ebensoviel
oder, wenn die Widerstandshöhe kleiner ist, sogar mehr Flüssigkeit
aus wie aus dem einfacheren (Fig. 48). Der Winkel, unter welchem
sich die Strombahn verzweigt, scheint von keinem merklichen Einfluss
auf Widerstand und Geschwindigkeit.

Dass bei jeder Erweiterung der Strombahn die Widerstandshöhe abnimmt, ergibt
sich unmittelbar aus der zwischen Druck und Geschwindigkeit festgestellten Beziehung
[Formel 1] . Diese Abnahme des Drucks hat ihren Grund in der relativen Ver-
minderung der Berührungsfläche zwischen Flüssigkeit und Röhrenwandung, da die
Menge der an der Wand adhärirenden Flüssigkeit nur im einfachen Verhältniss des
Durchmessers, die Menge der nicht adhärirenden Flüssigkeit dagegen im quadratischen
Verhältniss des Durchmessers zunimmt. Findet nun bei einer Theilung des Rohres
zugleich eine Erweiterung des Strombetts statt, so kann leicht trotzdem die Grösse
der adhärirenden Fläche im Verhältniss zur Menge der strömenden Flüssigkeit ver-
mindert werden oder sich gleich bleiben. Letzteres ist z. B. bei der Theilung in meh-
rere Röhren von gleichem Durchmesser der Fall. Nach den Versuchen Volkmanns
scheint in der That das Gleichgewicht zwischen Vermehrung und Verminderung des

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[117/0139] Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren. Stelle C, wo die Zweige wieder zusammenmünden. Hier muss der Druck sinken, weil das Strombett sich verengert, und weil gleichzeitig eine winkelige Biegung des Rohres stattfindet: jetzt wirken also beide Momente im selben Sinne, die Drucklinie zeigt daher bei C ein plötzliches Sinken, das stärker ist als bei der blossen Verenge- rung des Strombetts. Als eine unmittelbare Folgerung, die auch ex- perimentell bestätigt worden ist, ergiebt sich hieraus, dass in einem symmetrischen Röhrensystem der Druck nicht symmetrisch ansteigt und abfällt, sondern dass er an einer der Mitte des Röhrensystems entsprechenden Stelle m grösser ist als das Mittel des Drucks an zwei symmetrisch vor und hinter dieser Stelle gelegenen Punkten B und C. Hinsichtlich der absoluten Grösse des Drucks an der Einflussöffnung A, der Widerstandshöhe, wäre im Allgemeinen zu erwarten, dass die- selbe theils wegen der Winkelbiegung, theils wegen der Vergrösserung der Berührungsfläche zwischen Flüssigkeit und Röhrenwandung bei einem verzweigten Röhrensystem eine grössere sei als bei einer geraden Röhre. Auch diesem Einfluss wirkt aber die Erweiterung des Strombetts entgegen. Es kann daher eintreten, dass beide Momente entweder sich compensiren, d. h. dass für ein stärker verzweigtes Röh- rensystem die Widerstandshöhe nicht grösser ist als für ein einfache- res, oder dass sogar die Widerstandshöhe des verzweigten Systems kleiner wird, weil die Vergrösserung des Durchmessers den Wider- stand um mehr vermindert, als ihn die Verzweigung vergrössert. Wenn nun die Widerstandshöhe die nämliche ist, so ist offenbar auch die Geschwindigkeitshöhe in beiden Fällen gleich: es fliesst also, voraus- gesetzt, dass man dasselbe Druckgefäss anwendet, aus dem zusam- mengesetzteren System (Fig. 49) in einer bestimmten Zeit ebensoviel oder, wenn die Widerstandshöhe kleiner ist, sogar mehr Flüssigkeit aus wie aus dem einfacheren (Fig. 48). Der Winkel, unter welchem sich die Strombahn verzweigt, scheint von keinem merklichen Einfluss auf Widerstand und Geschwindigkeit. Dass bei jeder Erweiterung der Strombahn die Widerstandshöhe abnimmt, ergibt sich unmittelbar aus der zwischen Druck und Geschwindigkeit festgestellten Beziehung [FORMEL]. Diese Abnahme des Drucks hat ihren Grund in der relativen Ver- minderung der Berührungsfläche zwischen Flüssigkeit und Röhrenwandung, da die Menge der an der Wand adhärirenden Flüssigkeit nur im einfachen Verhältniss des Durchmessers, die Menge der nicht adhärirenden Flüssigkeit dagegen im quadratischen Verhältniss des Durchmessers zunimmt. Findet nun bei einer Theilung des Rohres zugleich eine Erweiterung des Strombetts statt, so kann leicht trotzdem die Grösse der adhärirenden Fläche im Verhältniss zur Menge der strömenden Flüssigkeit ver- mindert werden oder sich gleich bleiben. Letzteres ist z. B. bei der Theilung in meh- rere Röhren von gleichem Durchmesser der Fall. Nach den Versuchen Volkmanns scheint in der That das Gleichgewicht zwischen Vermehrung und Verminderung des

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/139>, abgerufen am 29.03.2024.