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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Molecularwirkungen flüssiger Körper.
den Stellen, wo sie die Gefässwandung berührt, nur in den seltenen
Fällen vollkommen horizontal sein können, in welchen die Adhäsion
an der Wandung der Cohäsion der Flüssigkeit vollkommen gleich ist.
Wenn dagegen die Adhäsion grösser ist als die Cohäsion, so wird
die Flüssigkeit an der Wandung in die Höhe gezogen und bildet so-
mit da wo sie die Wandung berührt nicht einen horizontalen sondern
einen concaven Spiegel (Fig. 42 A). Wenn umgekehrt die Cohäsion
[Abbildung] Fig. 42.
grösser als die Adhäsion ist, so wird die Flüs-
sigkeit von der Wandung abgezogen und bildet
daher an den Berührungsstellen mit der letzteren
einen convexen Spiegel (B). Ein Beispiel für
den ersten Fall ist das Wasser, ein Beispiel für
den zweiten Fall das Quecksilber, wenn beide
Flüssigkeiten in einem Glas- oder Holzgefässe
sich befinden.

Diese Abweichungen des Niveaus von der horizontalen Oberfläche
an den Berührungsstellen mit der Wandung verursachen im Verein
mit der im vorigen §. erörterten Oberflächenspannung, sobald die ge-
genüberstehenden Wandungen sich sehr nahe kommen, eine augenfällige
Abweichung von dem Gesetz der Gleichheit der Flüssigkeitshöhe in
communicirenden Gefässen. Es ist nämlich klar, dass die Oberflächen-
spannung in einem engen Gefäss verschieden sein muss, je nachdem
der Spiegel der Flüssigkeit horizontal, concav oder convex ist. Eine
concave Oberfläche, wie in A (Fig. 43), muss eine kleinere Oberflä-

[Abbildung] Fig. 43.
chenspannung als eine horizontale Oberfläche besitzen. Die an der
Wand der Capillarröhre a emporgezogenen Theilchen üben in diesem
Fall auf die unter ihnen befindlichen Flüssigkeitstheilchen eine der
anziehenden Kraft der unter dem Spiegel der Flüssigkeit gelegenen
Theilchen entgegen gerichtete Wirkung aus. Jene abwärts ziehende
Kraft, auf welcher die Oberflächenspannung beruht, ist also in diesem
Fall nicht so gross, als wenn die Oberfläche horizontal wäre. Eine
convexe Oberfläche, wie in B, besitzt dagegen eine grössere Spannung.
Denn hier unterstützen die seitlich auf der convexen Oberfläche in c
befindlichen Theilchen die nach abwärts gerichtete Kraftwirkung. In
den weiten Gefässen b und d fällt diese Abweichung nicht in Rück-

Molecularwirkungen flüssiger Körper.
den Stellen, wo sie die Gefässwandung berührt, nur in den seltenen
Fällen vollkommen horizontal sein können, in welchen die Adhäsion
an der Wandung der Cohäsion der Flüssigkeit vollkommen gleich ist.
Wenn dagegen die Adhäsion grösser ist als die Cohäsion, so wird
die Flüssigkeit an der Wandung in die Höhe gezogen und bildet so-
mit da wo sie die Wandung berührt nicht einen horizontalen sondern
einen concaven Spiegel (Fig. 42 A). Wenn umgekehrt die Cohäsion
[Abbildung] Fig. 42.
grösser als die Adhäsion ist, so wird die Flüs-
sigkeit von der Wandung abgezogen und bildet
daher an den Berührungsstellen mit der letzteren
einen convexen Spiegel (B). Ein Beispiel für
den ersten Fall ist das Wasser, ein Beispiel für
den zweiten Fall das Quecksilber, wenn beide
Flüssigkeiten in einem Glas- oder Holzgefässe
sich befinden.

Diese Abweichungen des Niveaus von der horizontalen Oberfläche
an den Berührungsstellen mit der Wandung verursachen im Verein
mit der im vorigen §. erörterten Oberflächenspannung, sobald die ge-
genüberstehenden Wandungen sich sehr nahe kommen, eine augenfällige
Abweichung von dem Gesetz der Gleichheit der Flüssigkeitshöhe in
communicirenden Gefässen. Es ist nämlich klar, dass die Oberflächen-
spannung in einem engen Gefäss verschieden sein muss, je nachdem
der Spiegel der Flüssigkeit horizontal, concav oder convex ist. Eine
concave Oberfläche, wie in A (Fig. 43), muss eine kleinere Oberflä-

[Abbildung] Fig. 43.
chenspannung als eine horizontale Oberfläche besitzen. Die an der
Wand der Capillarröhre a emporgezogenen Theilchen üben in diesem
Fall auf die unter ihnen befindlichen Flüssigkeitstheilchen eine der
anziehenden Kraft der unter dem Spiegel der Flüssigkeit gelegenen
Theilchen entgegen gerichtete Wirkung aus. Jene abwärts ziehende
Kraft, auf welcher die Oberflächenspannung beruht, ist also in diesem
Fall nicht so gross, als wenn die Oberfläche horizontal wäre. Eine
convexe Oberfläche, wie in B, besitzt dagegen eine grössere Spannung.
Denn hier unterstützen die seitlich auf der convexen Oberfläche in c
befindlichen Theilchen die nach abwärts gerichtete Kraftwirkung. In
den weiten Gefässen b und d fällt diese Abweichung nicht in Rück-

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[103/0125] Molecularwirkungen flüssiger Körper. den Stellen, wo sie die Gefässwandung berührt, nur in den seltenen Fällen vollkommen horizontal sein können, in welchen die Adhäsion an der Wandung der Cohäsion der Flüssigkeit vollkommen gleich ist. Wenn dagegen die Adhäsion grösser ist als die Cohäsion, so wird die Flüssigkeit an der Wandung in die Höhe gezogen und bildet so- mit da wo sie die Wandung berührt nicht einen horizontalen sondern einen concaven Spiegel (Fig. 42 A). Wenn umgekehrt die Cohäsion [Abbildung Fig. 42.] grösser als die Adhäsion ist, so wird die Flüs- sigkeit von der Wandung abgezogen und bildet daher an den Berührungsstellen mit der letzteren einen convexen Spiegel (B). Ein Beispiel für den ersten Fall ist das Wasser, ein Beispiel für den zweiten Fall das Quecksilber, wenn beide Flüssigkeiten in einem Glas- oder Holzgefässe sich befinden. Diese Abweichungen des Niveaus von der horizontalen Oberfläche an den Berührungsstellen mit der Wandung verursachen im Verein mit der im vorigen §. erörterten Oberflächenspannung, sobald die ge- genüberstehenden Wandungen sich sehr nahe kommen, eine augenfällige Abweichung von dem Gesetz der Gleichheit der Flüssigkeitshöhe in communicirenden Gefässen. Es ist nämlich klar, dass die Oberflächen- spannung in einem engen Gefäss verschieden sein muss, je nachdem der Spiegel der Flüssigkeit horizontal, concav oder convex ist. Eine concave Oberfläche, wie in A (Fig. 43), muss eine kleinere Oberflä- [Abbildung Fig. 43.] chenspannung als eine horizontale Oberfläche besitzen. Die an der Wand der Capillarröhre a emporgezogenen Theilchen üben in diesem Fall auf die unter ihnen befindlichen Flüssigkeitstheilchen eine der anziehenden Kraft der unter dem Spiegel der Flüssigkeit gelegenen Theilchen entgegen gerichtete Wirkung aus. Jene abwärts ziehende Kraft, auf welcher die Oberflächenspannung beruht, ist also in diesem Fall nicht so gross, als wenn die Oberfläche horizontal wäre. Eine convexe Oberfläche, wie in B, besitzt dagegen eine grössere Spannung. Denn hier unterstützen die seitlich auf der convexen Oberfläche in c befindlichen Theilchen die nach abwärts gerichtete Kraftwirkung. In den weiten Gefässen b und d fällt diese Abweichung nicht in Rück-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/125>, abgerufen am 19.04.2024.