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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von der Schwere.
falls auf ein combinirtes Wirken der Schwere mit andern Naturkräften
zurückzuführen sind, bilden die Bewegungen des menschlichen
Körpers
. Bald verändert der Körper als Ganzes seinen Ort, bald
ändern einzelne, durch Gelenke verbundene Theile desselben ihre ge-
genseitige Lage. Die Ortsbewegungen, die der Körper beim Gehen
und Laufen ausführt, sind zwar höchst zusammengesetzt, lassen sich
aber in ihren wesentlichen Zügen in sehr einfacher Weise aus seither
erörterten mechanischen Principien erklären. Da das Gewicht des
menschlichen Körpers vereinigt in seinem Schwerpunkt zu denken ist,
so können wir auch die andern Kräfte, die bei der Ortsbewegung
thätig sind, so betrachten, als wenn der Schwerpunkt ihr Angriffspunkt
wäre, um dann die Bewegung des letztern aus der Zusammensetzung
der Kräfte abzuleiten; wir substituiren so der Bewegung des ganzen
Körpers die Bewegung seines Schwerpunktes, ähnlich wie wir seine
[Abbildung] Fig. 36.
Masse im Schwerpunkt vereinigt vorstellen. Es sei a
der Schwerpunkt und p = a b das vertical nach ab-
wärts ziehende Gewicht des Körpers. Die Kraft s,
durch welche sich beim Gehen und Laufen der Kör-
per vorwärts bewegt, wird durch das sich hinter dem
Schwerpunkt in der Richtung d e gegen den Boden
stemmende Bein ausgeübt. Der Punkt e, gegen wel-
chen der Fuss des stemmenden Beins drückt, muss
hinter dem Fusspunkt f des vom Schwerpunkt gezo-
genen Lothes a f liegen. Man kann sich die Kraft s
auf einem beliebigen Stück der Linie e d wirksam
denken. Nehmen wir also b d = s, so können wir
b d nach dem Kräfteparallelogramm in eine verticale und in eine ho-
rizontale Seitenkraft, a b und a d, zerlegen. Die erstere wirkt der
Kraft p entgegen, und sie muss, wenn der Körper nur horizontal vor-
wärts bewegt werden soll, = p sein; die Seitenkraft a d = w bewegt
den Schwerpunkt nach vorwärts. Man beobachtet, dass beim gewöhn-
lichen Gehen der Schwerpunkt des Körpers keine erheblichen Schwan-
kungen in verticaler Richtung macht, woraus zu schliessen ist, dass
die verticale Seitenkraft a b immer dem Gewichte p gleichkommt. In
dieser Bedingung ist die Grösse der vorwärts bewegenden Kraft bei
einem bestimmten Winkel a des stemmenden Beins mit der Verticalen
unmittelbar gegeben. Man sieht, dass mit dem Winkel a die Grösse
der Stemmkraft zunehmen muss, wenn die Seitenkraft a b fortan dem
Gewicht p gleich bleiben soll, dass dann aber die vorwärts bewegende
Seitenkraft a d nothwendig ebenfalls zunimmt. Die Kraft s wirkt in
regelmässigen Pausen, die Seitenkraft a d = w würde daher, wenn
der Körper beim Gehen keinen Widerstand zu überwinden hätte, den-
selben mit beschleunigter Geschwindigkeit vorwärts bewegen. Hier
verhält sich nun der menschliche Körper beim Gehen ähnlich wie ein

Von der Schwere.
falls auf ein combinirtes Wirken der Schwere mit andern Naturkräften
zurückzuführen sind, bilden die Bewegungen des menschlichen
Körpers
. Bald verändert der Körper als Ganzes seinen Ort, bald
ändern einzelne, durch Gelenke verbundene Theile desselben ihre ge-
genseitige Lage. Die Ortsbewegungen, die der Körper beim Gehen
und Laufen ausführt, sind zwar höchst zusammengesetzt, lassen sich
aber in ihren wesentlichen Zügen in sehr einfacher Weise aus seither
erörterten mechanischen Principien erklären. Da das Gewicht des
menschlichen Körpers vereinigt in seinem Schwerpunkt zu denken ist,
so können wir auch die andern Kräfte, die bei der Ortsbewegung
thätig sind, so betrachten, als wenn der Schwerpunkt ihr Angriffspunkt
wäre, um dann die Bewegung des letztern aus der Zusammensetzung
der Kräfte abzuleiten; wir substituiren so der Bewegung des ganzen
Körpers die Bewegung seines Schwerpunktes, ähnlich wie wir seine
[Abbildung] Fig. 36.
Masse im Schwerpunkt vereinigt vorstellen. Es sei a
der Schwerpunkt und p = a b das vertical nach ab-
wärts ziehende Gewicht des Körpers. Die Kraft s,
durch welche sich beim Gehen und Laufen der Kör-
per vorwärts bewegt, wird durch das sich hinter dem
Schwerpunkt in der Richtung d e gegen den Boden
stemmende Bein ausgeübt. Der Punkt e, gegen wel-
chen der Fuss des stemmenden Beins drückt, muss
hinter dem Fusspunkt f des vom Schwerpunkt gezo-
genen Lothes a f liegen. Man kann sich die Kraft s
auf einem beliebigen Stück der Linie e d wirksam
denken. Nehmen wir also b d = s, so können wir
b d nach dem Kräfteparallelogramm in eine verticale und in eine ho-
rizontale Seitenkraft, a b und a d, zerlegen. Die erstere wirkt der
Kraft p entgegen, und sie muss, wenn der Körper nur horizontal vor-
wärts bewegt werden soll, = p sein; die Seitenkraft a d = w bewegt
den Schwerpunkt nach vorwärts. Man beobachtet, dass beim gewöhn-
lichen Gehen der Schwerpunkt des Körpers keine erheblichen Schwan-
kungen in verticaler Richtung macht, woraus zu schliessen ist, dass
die verticale Seitenkraft a b immer dem Gewichte p gleichkommt. In
dieser Bedingung ist die Grösse der vorwärts bewegenden Kraft bei
einem bestimmten Winkel α des stemmenden Beins mit der Verticalen
unmittelbar gegeben. Man sieht, dass mit dem Winkel α die Grösse
der Stemmkraft zunehmen muss, wenn die Seitenkraft a b fortan dem
Gewicht p gleich bleiben soll, dass dann aber die vorwärts bewegende
Seitenkraft a d nothwendig ebenfalls zunimmt. Die Kraft s wirkt in
regelmässigen Pausen, die Seitenkraft a d = w würde daher, wenn
der Körper beim Gehen keinen Widerstand zu überwinden hätte, den-
selben mit beschleunigter Geschwindigkeit vorwärts bewegen. Hier
verhält sich nun der menschliche Körper beim Gehen ähnlich wie ein

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[86/0108] Von der Schwere. falls auf ein combinirtes Wirken der Schwere mit andern Naturkräften zurückzuführen sind, bilden die Bewegungen des menschlichen Körpers. Bald verändert der Körper als Ganzes seinen Ort, bald ändern einzelne, durch Gelenke verbundene Theile desselben ihre ge- genseitige Lage. Die Ortsbewegungen, die der Körper beim Gehen und Laufen ausführt, sind zwar höchst zusammengesetzt, lassen sich aber in ihren wesentlichen Zügen in sehr einfacher Weise aus seither erörterten mechanischen Principien erklären. Da das Gewicht des menschlichen Körpers vereinigt in seinem Schwerpunkt zu denken ist, so können wir auch die andern Kräfte, die bei der Ortsbewegung thätig sind, so betrachten, als wenn der Schwerpunkt ihr Angriffspunkt wäre, um dann die Bewegung des letztern aus der Zusammensetzung der Kräfte abzuleiten; wir substituiren so der Bewegung des ganzen Körpers die Bewegung seines Schwerpunktes, ähnlich wie wir seine [Abbildung Fig. 36.] Masse im Schwerpunkt vereinigt vorstellen. Es sei a der Schwerpunkt und p = a b das vertical nach ab- wärts ziehende Gewicht des Körpers. Die Kraft s, durch welche sich beim Gehen und Laufen der Kör- per vorwärts bewegt, wird durch das sich hinter dem Schwerpunkt in der Richtung d e gegen den Boden stemmende Bein ausgeübt. Der Punkt e, gegen wel- chen der Fuss des stemmenden Beins drückt, muss hinter dem Fusspunkt f des vom Schwerpunkt gezo- genen Lothes a f liegen. Man kann sich die Kraft s auf einem beliebigen Stück der Linie e d wirksam denken. Nehmen wir also b d = s, so können wir b d nach dem Kräfteparallelogramm in eine verticale und in eine ho- rizontale Seitenkraft, a b und a d, zerlegen. Die erstere wirkt der Kraft p entgegen, und sie muss, wenn der Körper nur horizontal vor- wärts bewegt werden soll, = p sein; die Seitenkraft a d = w bewegt den Schwerpunkt nach vorwärts. Man beobachtet, dass beim gewöhn- lichen Gehen der Schwerpunkt des Körpers keine erheblichen Schwan- kungen in verticaler Richtung macht, woraus zu schliessen ist, dass die verticale Seitenkraft a b immer dem Gewichte p gleichkommt. In dieser Bedingung ist die Grösse der vorwärts bewegenden Kraft bei einem bestimmten Winkel α des stemmenden Beins mit der Verticalen unmittelbar gegeben. Man sieht, dass mit dem Winkel α die Grösse der Stemmkraft zunehmen muss, wenn die Seitenkraft a b fortan dem Gewicht p gleich bleiben soll, dass dann aber die vorwärts bewegende Seitenkraft a d nothwendig ebenfalls zunimmt. Die Kraft s wirkt in regelmässigen Pausen, die Seitenkraft a d = w würde daher, wenn der Körper beim Gehen keinen Widerstand zu überwinden hätte, den- selben mit beschleunigter Geschwindigkeit vorwärts bewegen. Hier verhält sich nun der menschliche Körper beim Gehen ähnlich wie ein

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/108>, abgerufen am 19.04.2024.