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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von der Schwere.
physischen Pendel den Punkt, welcher in einer dieser Grösse gleichen Entfernung vom
Drehungspunkt sich befindet, den Schwingungspunkt und die so bestimmte Linie
1 auch die Länge des physischen Pendels.

Man kann nach den angegebenen Principien die Trägheitsmomente geometrisch
einfacher Körper durch Rechnung finden. So ist z. B. das Trägheitsmoment einer
Kugel vom Radius r und der Masse [Formel 1] , das Trägheitsmoment eines Cylin-
ders von demselben Radius und derselben Masse [Formel 2] . Die Kenntniss der
Trägheitsmomente ist erforderlich, wenn man die Pendelschwingungen zur Ermittelung
der Grösse g, der Beschleunigung durch die Schwere verwenden will. Nach dem Pen-
delgesetz ist [Formel 3] . Hierin hat man t durch Beobachtungen zu bestimmen und
dann für 1 die Entfernung des Schwingungspunktes von der Drehungsaxe zu setzen.
Die einfachste Methode zur Bestimmung von g besteht darin, dass man an einen mög-
lichst dünnen Metalldraht eine schwere Metallkugel von bestimmtem Gewicht aufhängt
und die Schwingungsdauer des so hergestellten Pendels beobachtet. Man kann ein
solches Pendel annähernd als ein mathematisches ansehen, dessen Länge der Entfer-
nung des Schwerpunktes der Metallkugel vom Aufhängepunkt gleichkommt. Noch ge-
nauere Resultate liefert das Bohnenberger'sche Reversionspendel, welches
darauf beruht, dass, wenn das Pendel umgekehrt und der Schwingungspunkt zur
Drehungsaxe gemacht wird, nun die frühere Drehungsaxe Schwingungspunkt geworden
ist. Man kann leicht durch Versuche diejenigen zwei Punkte eines Pendels, die in
diesem wechselseitigen Verhältnisse stehen, auffinden, da in beiden Aufhängepunkten
die Schwingungsdauer die nämliche sein muss. Die Distanz der beiden Punkte gibt
dann die Pendellänge.

Durch in dieser Weise angestellte Pendelversuche ist direct erwiesen worden,
dass die Zahl g für alle Körper genau die nämliche ist, dass sie dagegen in den ver-
schiedenen Breitegraden der Erde bestimmte Verschiedenheiten zeigt, indem vom
Aequator gegen die Pole hin die Länge des Secundenpendels und entsprechend die
Beschleunigung g zunimmt. So wurde unter dem Aequator g = 9,780, unter dem
45. Breitegrad g = 9,805, nahe dem Pol g = 9,830 gefunden. Diese Zunahme der
Beschleunigung durch die Schwere gegen die Pole hin hat ihren Grund erstens in der
abgeplatteten Gestalt der Erde, wodurch ein Punkt am Pol dem Erdmittelpunkt, in
welchem man sich die Erdmasse vereinigt denken muss, um 1/299 näher ist, als am
Aequator, und zweitens in der am Aequator grösseren Centrifugalkraft, von welcher
letzteren wir in §. 59 noch reden werden.

Viertes Capitel.
Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften.

57
Wurfbewegung.

Nachdem wir die Bewegung auf der schiefen Ebene und die
Pendelbewegung als Modificationen der Fallbewegung erörtert haben,
ist noch eine übersichtliche Betrachtung jener Bewegungen erforder-
lich, die entstehen, wenn die Wirkung der Schwere mit der
Wirkung anderer bewegender Kräfte sich combinirt
. Die
Zergliederung dieser Bewegungen bietet keine erhebliche Schwierigkeit

Von der Schwere.
physischen Pendel den Punkt, welcher in einer dieser Grösse gleichen Entfernung vom
Drehungspunkt sich befindet, den Schwingungspunkt und die so bestimmte Linie
1 auch die Länge des physischen Pendels.

Man kann nach den angegebenen Principien die Trägheitsmomente geometrisch
einfacher Körper durch Rechnung finden. So ist z. B. das Trägheitsmoment einer
Kugel vom Radius r und der Masse [Formel 1] , das Trägheitsmoment eines Cylin-
ders von demselben Radius und derselben Masse [Formel 2] . Die Kenntniss der
Trägheitsmomente ist erforderlich, wenn man die Pendelschwingungen zur Ermittelung
der Grösse g, der Beschleunigung durch die Schwere verwenden will. Nach dem Pen-
delgesetz ist [Formel 3] . Hierin hat man t durch Beobachtungen zu bestimmen und
dann für 1 die Entfernung des Schwingungspunktes von der Drehungsaxe zu setzen.
Die einfachste Methode zur Bestimmung von g besteht darin, dass man an einen mög-
lichst dünnen Metalldraht eine schwere Metallkugel von bestimmtem Gewicht aufhängt
und die Schwingungsdauer des so hergestellten Pendels beobachtet. Man kann ein
solches Pendel annähernd als ein mathematisches ansehen, dessen Länge der Entfer-
nung des Schwerpunktes der Metallkugel vom Aufhängepunkt gleichkommt. Noch ge-
nauere Resultate liefert das Bohnenberger’sche Reversionspendel, welches
darauf beruht, dass, wenn das Pendel umgekehrt und der Schwingungspunkt zur
Drehungsaxe gemacht wird, nun die frühere Drehungsaxe Schwingungspunkt geworden
ist. Man kann leicht durch Versuche diejenigen zwei Punkte eines Pendels, die in
diesem wechselseitigen Verhältnisse stehen, auffinden, da in beiden Aufhängepunkten
die Schwingungsdauer die nämliche sein muss. Die Distanz der beiden Punkte gibt
dann die Pendellänge.

Durch in dieser Weise angestellte Pendelversuche ist direct erwiesen worden,
dass die Zahl g für alle Körper genau die nämliche ist, dass sie dagegen in den ver-
schiedenen Breitegraden der Erde bestimmte Verschiedenheiten zeigt, indem vom
Aequator gegen die Pole hin die Länge des Secundenpendels und entsprechend die
Beschleunigung g zunimmt. So wurde unter dem Aequator g = 9,780, unter dem
45. Breitegrad g = 9,805, nahe dem Pol g = 9,830 gefunden. Diese Zunahme der
Beschleunigung durch die Schwere gegen die Pole hin hat ihren Grund erstens in der
abgeplatteten Gestalt der Erde, wodurch ein Punkt am Pol dem Erdmittelpunkt, in
welchem man sich die Erdmasse vereinigt denken muss, um 1/299 näher ist, als am
Aequator, und zweitens in der am Aequator grösseren Centrifugalkraft, von welcher
letzteren wir in §. 59 noch reden werden.

Viertes Capitel.
Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften.

57
Wurfbewegung.

Nachdem wir die Bewegung auf der schiefen Ebene und die
Pendelbewegung als Modificationen der Fallbewegung erörtert haben,
ist noch eine übersichtliche Betrachtung jener Bewegungen erforder-
lich, die entstehen, wenn die Wirkung der Schwere mit der
Wirkung anderer bewegender Kräfte sich combinirt
. Die
Zergliederung dieser Bewegungen bietet keine erhebliche Schwierigkeit

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[80/0102] Von der Schwere. physischen Pendel den Punkt, welcher in einer dieser Grösse gleichen Entfernung vom Drehungspunkt sich befindet, den Schwingungspunkt und die so bestimmte Linie 1 auch die Länge des physischen Pendels. Man kann nach den angegebenen Principien die Trägheitsmomente geometrisch einfacher Körper durch Rechnung finden. So ist z. B. das Trägheitsmoment einer Kugel vom Radius r und der Masse [FORMEL], das Trägheitsmoment eines Cylin- ders von demselben Radius und derselben Masse [FORMEL]. Die Kenntniss der Trägheitsmomente ist erforderlich, wenn man die Pendelschwingungen zur Ermittelung der Grösse g, der Beschleunigung durch die Schwere verwenden will. Nach dem Pen- delgesetz ist [FORMEL]. Hierin hat man t durch Beobachtungen zu bestimmen und dann für 1 die Entfernung des Schwingungspunktes von der Drehungsaxe zu setzen. Die einfachste Methode zur Bestimmung von g besteht darin, dass man an einen mög- lichst dünnen Metalldraht eine schwere Metallkugel von bestimmtem Gewicht aufhängt und die Schwingungsdauer des so hergestellten Pendels beobachtet. Man kann ein solches Pendel annähernd als ein mathematisches ansehen, dessen Länge der Entfer- nung des Schwerpunktes der Metallkugel vom Aufhängepunkt gleichkommt. Noch ge- nauere Resultate liefert das Bohnenberger’sche Reversionspendel, welches darauf beruht, dass, wenn das Pendel umgekehrt und der Schwingungspunkt zur Drehungsaxe gemacht wird, nun die frühere Drehungsaxe Schwingungspunkt geworden ist. Man kann leicht durch Versuche diejenigen zwei Punkte eines Pendels, die in diesem wechselseitigen Verhältnisse stehen, auffinden, da in beiden Aufhängepunkten die Schwingungsdauer die nämliche sein muss. Die Distanz der beiden Punkte gibt dann die Pendellänge. Durch in dieser Weise angestellte Pendelversuche ist direct erwiesen worden, dass die Zahl g für alle Körper genau die nämliche ist, dass sie dagegen in den ver- schiedenen Breitegraden der Erde bestimmte Verschiedenheiten zeigt, indem vom Aequator gegen die Pole hin die Länge des Secundenpendels und entsprechend die Beschleunigung g zunimmt. So wurde unter dem Aequator g = 9,780, unter dem 45. Breitegrad g = 9,805, nahe dem Pol g = 9,830 gefunden. Diese Zunahme der Beschleunigung durch die Schwere gegen die Pole hin hat ihren Grund erstens in der abgeplatteten Gestalt der Erde, wodurch ein Punkt am Pol dem Erdmittelpunkt, in welchem man sich die Erdmasse vereinigt denken muss, um 1/299 näher ist, als am Aequator, und zweitens in der am Aequator grösseren Centrifugalkraft, von welcher letzteren wir in §. 59 noch reden werden. Viertes Capitel. Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften. Nachdem wir die Bewegung auf der schiefen Ebene und die Pendelbewegung als Modificationen der Fallbewegung erörtert haben, ist noch eine übersichtliche Betrachtung jener Bewegungen erforder- lich, die entstehen, wenn die Wirkung der Schwere mit der Wirkung anderer bewegender Kräfte sich combinirt. Die Zergliederung dieser Bewegungen bietet keine erhebliche Schwierigkeit

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/102>, abgerufen am 24.04.2024.